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Justament Sept. 2007: Schluss mit unter der Hand?

Eine neue Rechtsmittelrichtlinie der EU soll die illegale Vergabe öffentlicher Aufträge verhindern

Wohl unter dem Schwellenwert: Baustelle in Berlin (Foto: TC)

Thomas Claer

Öffentliche Aufträge machen zwölf bis 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Europäischen Union aus. Das Gesamtvolumen öffentlicher Aufträge in der EU – d.h. des Einkaufs von Gütern, Dienstleistungen und Bauaufträgen durch Regierungen und Körperschaften öffentlichen Rechts – lag im Jahr 2002 bei stolzen 1 500 Milliarden Euro. Dabei  variiert die Bedeutung öffentlicher Aufträge je nach Mitgliedstaat zwischen elf und 20% des jeweiligen nationalen Bruttoinlandprodukts. Scheinbar erfreulich für die europäischen Unions-Bürger sind die Entwicklungen der letzten Jahre: Die Öffnung des öffentlichen Auftragssektors im Rahmen des Binnenmarkts hat den grenzüberschreitenden Wettbewerb verstärkt und die von öffentlichen Haushalten gezahlten Preise tendenziell gesenkt. Hier sollte ein deutlich höherer Wettbewerb schon bald zu signifikanten Einsparungen für den Steuerzahler führen, so denkt man. Tatsächlich ist es aber anders gekommen: “Bei öffentlichen Aufträgen wird häufig getrickst und gemauschelt”, wird der Europa-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU) in der SZ vom 3.7.2007 zitiert. Ein riesiger Markt bleibt auf diese Weise im grauen Bereich.

Der rechtliche Hintergrund
Öffentliche Aufträge unterliegen dem Gemeinschaftsrecht sowie dem internationalen Recht, wobei dies nicht für alle öffentlichen Aufträge gilt. Einige Einkäufe (z.B. militärische Ausrüstung) sind von den Richtlinien ausgeschlossen; Aufträge für Einkäufe, die unter dem Schwellenwert der Vergaberichtlinien liegen, müssen nur den allgemeinen Vertragsprinzipien entsprechen. Öffentliche Aufträge im Wert von mehr als 422 000 Euro (Lieferungen und Dienstleistungen im Bereich der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder im Verkehrsbereich), 211 000 Euro (sonstige Lieferungen und Dienstleistungen) oder 5,278 Millionen Euro (Bauten) müssen aber in ganz Europa ausgeschrieben werden. Ihre Vergabe hat mittels transparenter Verfahren zu erfolgen, die gleiche Bedingungen für alle Bieter gewährleisten. In der EU gibt es nach Schätzungen der deutschen Wirtschaft jedes Jahr Aufträge von 150 Milliarden Euro, bei denen eine Ausschreibung in ganz Europa Pflicht ist, weil sie über den genannten Schwellenwerten liegen.
Tricks und Mauscheleien
Doch lokale Politiker und örtliche Verwaltungen schanzen diese Aufträge europaweit gerne den jeweils einheimischen Firmen zu und verstoßen so gegen geltendes EU-Recht. Solche Tricks müssen sich viele Unternehmen, die sich im Ausland um Geschäfte bemühen, bislang häufig gefallen lassen. Die lokale Behörde vergibt den Auftrag, die heimische Firma fängt an zu bauen oder zu installieren und schafft damit Fakten, gegen die sich selbst durch eine Klage vor Gericht wenig ausrichten lässt.  Aber damit soll es bald vorbei sein.
Neue Richtlinie soll es richten
Das EU-Parlament hat am 21.6.2007 eine Richtlinie zur Überarbeitung der EU-Vorschriften über Rechtsmittel im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe verabschiedet. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Rechtsposition abgelehnter Bieter um öffentliche Aufträge zu
stärken und so sicherzustellen, dass die Aufträge tatsächlich an die Unternehmen mit den besten Angeboten vergeben werden. Die Richtlinie bedarf noch der offiziellen Verabschiedung durch den Rat und muss dann innerhalb von 24 Monaten in nationales Recht
umgesetzt werden.
Sie sieht vor, dass die öffentlichen Auftraggeber nach der Auswahl eines Bieters die Mitbewerber über die Entscheidung unterrichten und eine mindestens zehntägige Wartefrist (Stillhaltefrist) einhalten müssen, bevor sie den Vertrag unterzeichnen dürfen. Die Frist soll den Mitbewerbern die Möglichkeit geben, die Entscheidung zu überprüfen und gegebenenfalls Rechtsmittel einzulegen. Machen sie hiervon Gebrauch, so darf der Vertrag vorerst nicht geschlossen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der neuen Richtlinie ist die Bekämpfung der freihändigen Vergabe öffentlicher Aufträge. Werden Verträge ohne vorherige Ausschreibung geschlossen, so können die nationalen Gerichte sie für unwirksam erklären. Eine Aufrechterhaltung der Verträge kommt nur in Betracht, wenn dies aus zwingenden Gründen eines nichtwirtschaftlichen Allgemeininteresses erforderlich ist. In diesem Fall sind abschreckende Sanktionen zu verhängen. Für Aufträge, die auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen oder im Rahmen dynamischer Beschaffungssysteme vergeben werden und bei denen es auf eine zügige Abwicklung und Effizienz ankommt, sieht die Richtlinie einen speziellen Nachprüfungsmechanismus vor. Bei dieser Art von Aufträgen können die Mitgliedstaaten die Stillhalteverpflichtung durch ein dem Vertragsabschluss nachgelagertes Nachprüfungsverfahren ersetzen. (Quelle: http://www.ebnerstolz.de)

Zweifel bleiben
Wirtschaftsstaatssekretär Joachim Würmeling (CSU) erwartet, dass die Rechte von Firmen so in einem besonders heiklen Punkt gestärkt werden: “90 Prozent der Verstöße sind Fälle, wo die Behörde einen Auftrag nicht europaweit ausschreibt, obwohl sie das müsste.” (SZ vom 3.7.2007). Doch auch wenn die Richtlinie im Jahre 2009 endlich in allen EU-Ländern umgesetzt sein wird, bleiben Zweifel an ihrer Wirksamkeit. So fragt sich manche deutsche Firma, ob sie denn auch fair behandelt wird, wenn sie vor einem ausländischen Gericht gegen Gemauschel bei der Auftragsvergabe klagt. So wird das Vergaberecht auch zur Nagelprobe für die Rechtseinheit Europas.

Justament Juni 2007: JuraXX-Partner in Not

Thomas Claer

Es schien ein verlockendes Angebot zu sein: Mit dem Slogan “Anwalt geht auch anders” gründeten der Jurist Eugen Boss und der Wirtschaftswissenschaftler Oliver Kupper im jahr 2003 den Kanzleiverbund JuraXX und offerierten jedem willigen Jungjuristen den direkten Einstieg als Partner. Jedem, muss man dazu sagen, der bereit war, der JuraXX ein Partner-Darlehen über 50.000 € zu gewähren, welches anschließend in 30 Monatsraten dem Anwalt zurücküberwiesen werden sollte. Das garantierte, so glaubte man, zweieinhalb Jahre ein sicheres Gehalt. Zusätzliche Einkünfte konnten durch Anwaltstätigkeit nach einem Provisionssystem erzielt werden. Die JuraXX stellte den neuen Anwälten Büros in sehr günstigen Innenstadtlagen inklusive Büroausstattung. Außerdem profitierten die Junganwälte von der Teilnahme an dem stetig wachsenden JuraXX-Netzwerk. Und es ließ sich gut an: JuraXX galt als Discounter unter den Rechtsanwälten und erwarb sich diesen Ruf durch eine aggressive Werbekampagne, in der mit günstiger Erstberatung ab 20 € geworben wurde.

Nun steht die Anwaltskette nach Medienberichten jedoch vor der Insolvenz (SZ vom 1.6.2007). Schon im Sommer 2006 hatte eine beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorausgesagt, dass die für das Konzept von JuraXX notwendigen Investititionen und die getätigten Einnahmen nicht mehr durch die zu erwartenden Honorare und die Darlehen der neu einsteigenden Anwälte gedeckt würden. Mit den durch neue gesellschafter eingehenden Darlehen, so die Kritiker der Gesellschaft, seien nur noch bestehende Verbindlichkeiten gedeckt worden, die Geschäftspraxis habe damit einem so genannten Schneeballsystem zu ähneln begonnen. Nachdem die monatliche Rücküberweisung an die beteiligten Anwälte ab Beginn 2007 stockte und ab März/April 2007 für 29 Filialen die Miete nicht bezahlt wurde, begannen beteiligte Rechtsanwälte zu kündigen. Der Umsatz (2006 noch 6,5 Millionen Euro) brach ein (Quelle: Wikipedia). Die Folge: Gegen JuraXX wurden in den letzten Wochen mehrere neue Insolvenzanträge beim Amtsgericht Dortmund gestellt. Außerdem ist bei der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen Eugen Boss und weitere Geschäftsführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf schweren Betrug und Insolvenzverschleppung anhängig. Der Hintergrund: Die jüngsten neu angeworbenen Junganwälte waren beim Vorstellungsgespräch nicht über die finanzielle Situation aufgeklärt worden. Einige erstatteten Strafanzeige. Insbesondere jene Berufsanfänger, die die stolze Summe für das Partnerdarlehen ihrerseits als Kredit aufnehmen mussten, stehen nun nach kurzer anwaltlicher Tätigkeit vor dem finanziellen Ruin. Am 4. Juni 2007 legte der Gründer Eugen Boss ein Sanierungskonzept vor, das die Umwandlung der Gesellschaft in ein Franchisesystem vorsieht.

Justament April 2007: Guter Rat – mal teuer, mal billig

Die neueste Rechtsprechung zu den Anwaltshonoraren

Thomas Claer

Die Schere geht auseinander, wohin man auch blickt. Selbst beim Aldi-Markt, der früheren Hochburg des Egalitarismus, liegen inzwischen Welten zwischen dem billigsten und dem teuersten Wurstaufschnitt: Die spanische Edelsalami kostet mit 1,80 € für 80 g schon das Siebenfache von der einfachsten Mortadella (Öko-Test: gut; 59 Cent für 200 g). Und so ist es überall. Dass die Vorstandsvorsitzenden der Dax-Konzerne vielleicht das annähernd Fünfhundertfache eines ostdeutschen Friseurs verdienen – geschenkt. Da ist nichts anderes zu erwarten, schließlich gibt es hier ja auch gewisse Unterschiede in der Qualifikation. Anders ist es schon bei den Einkommensunterschieden zwischen, sagen wir, Harald Schmidt und den vielen ebenso brillanten Kabarettisten, die es noch nie zu einem Fernsehauftritt gebracht haben. Oder noch augenfälliger: zwischen Stefan Raab und den vielen Büroclowns unserer Republik. Oder zwischen den Redakteuren einer überregionalen Tageszeitung und denen eines Hochschulmagazins. Maßgeblich entscheiden hier Zufall und Zeit über das jeweilige Wohl und Wehe. Ernsthaft empören werden sich darüber nur Leute, die es auch ungerecht finden, dass der Preis einer Ware nicht nur vom Aufwand bei ihrer Herstellung sondern auch von ihrer Absetzbarkeit auf dem Markt bestimmt wird. Und wie es in fast allen anderen Branchen geschieht, so spreizen sich also auch die Anwaltshonorare derzeit besonders munter nach oben und nach unten, jeweils freundlich unterstützt von der aktuellen deutschen Rechtsprechung.

Sonderpreis 20 Euro in Ordnung
Zum einen entschied das OLG Stuttgart (Urteil vom 28.1.2006 – 2 U 134/06), dass die Werbung eines Rechtsanwalts, für den Pauschalbetrag von 20, – Euro inkl. Mehrwertsteuer eine außergerichtliche Rechtsberatung zu erbringen, seit der zum 1.7.2006 erfolgten Änderung des § 34 RVG nicht mehr gegen das Verbot der Unterschreitung gesetzlicher Gebühren fällt. Demnach gilt die Bemessungsvorschrift des § 4 Abs. 2 S. 3 RVG nicht für ein Beratungshonorar, das gem. § 34 Abs. 1 S. 1 RVG auf Vereinbarung zwischen Rechtsanwalt und Mandant beruht. Aus der Urteilsbegründung ergibt sich sogar, dass Dumping-Preise von Rechtsanwälten, sofern es sich um reine Beratungsleistungen handelt, überhaupt nicht mehr zu beanstanden sind, weder kostenrechtlich noch wettbewerbsrechtlich. Damit kassierte das OLG das landgerichtliche Verbot entsprechender Dumpingpreis-Werbung durch das LG Ravensburg vom 28.7.2006. In seinen Urteils-Anmerkungen im Anwaltsblatt 3/07, S. 232 f. untersucht RA Udo Henke, Berlin, die Tragweite dieser Entscheidung: Denkbar seien neben Dumping-Preisen von 20 € oder 9,99 € (wie in Freiburg, vgl. dazu LG Freiburg 10 O 72/00) nämlich künftig auch Null-Euro-Angebote oder gar Sonderangebote, bei denen die Mandanten noch Kaffee und Kuchen oder gar einen Barbetrag von 5 € zur anwaltlichen Beratungsleistung ausgehändigt bekommen. Wenn auf ein solches Angebot, so Henke weiter, in einem kleinen Ort vielleicht 100 Rechtsuchende die Kanzlei aufsuchen würden, kostete diese Werbemaßnahme das Büro nur 500 €. Für diesen Betrag könne man noch nicht einmal eine kleine Anzeige in einer lokalen Tageszeitung schalten. Dies mache deutlich, dass solche Angebote weniger als kontinuierliche Preispolitik, sondern als Akquisemaßnahme aufzufassen seien. Kontinuierlich hingegen werden niedrigste Preise für anwaltliche Beratungen bereits seit geraumer Zeit im Internet gezahlt, wo auf Seiten wie frag-einen-anwalt.de die Rechtsuchenden die Honorare festlegen, die sie im äußersten Fall für ihr Anliegen zu bezahlen bereit wären. Meist ist das nicht allzu viel.

Erfolgshonorare bald ein großer Renner?
Zum anderen entschied das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 12. 12. 2006 – 1 BvR 2576/04), dass das gesetzliche Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare Ausnahmetatbestände zulassen müsse. Der Gesetzgeber habe bis zum 30. Juni 2008 eine entsprechende gesetzliche Neuregelung zu treffen. Insbesondere, so der Erste Senat des Gerichts, müsse es künftig möglich sein, auch besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung zu tragen, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Auch Rechtsuchende, die auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Prozesskostenhilfe oder Beratungshilfe beanspruchen können, könnten vor der Entscheidung stehen, ob es ihnen die eigene wirtschaftliche Lage vernünftigerweise erlaubt, die finanziellen Risiken einzugehen, die angesichts des unsicheren Ausgangs der Angelegenheit mit der Inanspruchnahme qualifizierter rechtlicher Betreuung und Unterstützung verbunden seien. Nicht wenige Betroffene würden das Kostenrisiko auf Grund verständiger Erwägungen scheuen und daher von der Verfolgung ihrer Rechte absehen. Für diese Rechtsuchenden, so die Richter, sei das Bedürfnis anzuerkennen, das geschilderte Risiko durch Vereinbarung einer erfolgsbasierten
Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu verlagern. Und was bedeutet das letztlich auch? Der Anwalt wird sich sein erhöhtes Risiko durch eine dementsprechend erhöhte Erfolgsprämie vergüten lassen. Ob in der Entscheidung des BVerfG nun lediglich die völlig undramatische Regelung eines Ausnahmetatbestandes liegt oder sie vielmehr ein Einfalltor zu amerikanischen Verhältnissen ist, das wird die Zukunft zeigen. Das Auseinanderdriften von Hoch- und Niedrigpreisen aber ist, daran wird niemand zweifeln, schlichtweg ein Zug der Zeit.

Justament Sept. 2006: Porträt eines Raubkopierers

Jährlich erleidet die Musikindustrie Schäden in Millionenhöhe durch illegale Downloads aus dem Internet

Thomas Claer

Die kriminelle Karriere des Rüdiger R. (Name von der Redaktion geändert) begann irgendwann in den Achtzigern. Zu jener Zeit weckten die populären Radio-Hitparaden eines schwergewichtigen NDR-Moderators namens Willem sein Interesse an Popmusik. Der damals jugendliche Rüdiger R., der einen Kassettenrecorder besaß, bannte – wie Millionen andere Halbwüchsige – die ausgestrahlten Superhits auf leere Musikkassetten der Formate C60 und C90. Dumm war nur, dass Moderator Willem die Gewohnheit hatte, häufig in die Anfänge der Titel hineinzusprechen. Aber wenn man es oft genug probierte, bekam man fast jeden Song in voller Länge. Schon damals gab es Kampagnen der Musikindustrie gegen das Raubkopieren. Von Millionenverlusten war die Rede, denn wenn jedes aufgenommene Lied gekauft worden wäre, hätte die Industrie tatsächlich soviel zusammenbekommen. Natürlich wäre Rüdiger R. niemals auf die Idee gekommen, alle Lieder auf seinen Kassetten als Single-Schallplatten zu kaufen. Aber wenn er sich manchmal eine Langspielplatte kaufte (nur einer aus seiner Klasse hatte damals schon einen CD-Player), dann weil da viele der Lieder drauf waren, die er aus dem Radio und von seinen Mitschnitten kannte.

Einen Mausklick entfernt wartet die mp3
Heute schämt sich Rüdiger R. für die meisten seiner früheren Mitschnitte. Von Bands wie Modern Talking oder Sängern wie Michael Jackson will er heute nichts mehr wissen, wo er doch stolz ist auf seinen feinen, distinguierten Pop-Musikgeschmack. Gewissensbisse wegen seiner damaligen Urheberrechtsverletzungen sind Rüdiger R. dagegen völlig fremd. Er hat sein kriminelles Treiben auch in den Neunzigern fortgesetzt. Als Computer mit CD-Brennern aufkamen, ließ er sich – wie es Millionen andere auch taten – von einem Freund Dutzende Rohlinge mit dessen Lieblings-Alben bespielen. Was Rüdiger R. davon besonders gefallen hatte, kaufte er sich später zur Komplettierung seiner umfangreichen CD-Sammlung. Dann erwarb Rüdiger R. kurz nach der Jahrhundertwende seinen ersten Computer mit Internet-Anschluss. Schon bald stieg er auf eine schnelle DSL-Verbindung um und ließ sich von einem technisch versierten Freund den Zugang zur illegalen Tauschbörse eDonkey einrichten. Was er dort zu sehen bekam, faszinierte Rüdiger R. ungemein. Insgeheim hatte er es ja schon hin und wieder bereut, dass er alle seine Audio-Kassetten vor langen Jahren anlässlich eines Umzugs entsorgt hatte. Nun fand er all die Lieder seiner Jugend, von denen er sich im Bewusstsein ihrer künstlerischen Minderwertigkeit getrennt hatte, wieder vor – nur einen Mausklick und ein wenig Wartezeit von ihm entfernt. Beim Wiederhören der alten Songs geriet er in einen seltsam verzückten Seelenzustand. Zugleich überfiel ihn eine übergroße Traurigkeit, die er sich nicht recht erklären konnte. Die Musik, so musste er sich eingestehen, wirkt offenbar direkt auf die menschliche Psyche – und besonders, so sein Verdacht, gilt das für Klänge der banaleren Art, ähnlich bestimmten zufälligen Gerüchen, die einen gedanklich in weit entfernte Orte und Zeiten zurückversetzen können. Rüdiger R. speicherte die mp3-Dateien auf seiner Festplatte. In seinem CD-Regal wären ihm solche Lieder hochgradig peinlich gewesen.

400 Millionen illegale Downloads pro Jahr
Manchmal sprach Rüdiger R. mit befreundeten Juristen über seine Downloads, die er seitdem von Zeit zu Zeit vornahm. Er müsse sich absolut keine Sorgen machen, versicherten sie ihm. Allein in Deutschland würden pro Jahr schließlich mehr als 400 Millionen Musikdateien aus illegalen Quellen heruntergeladen. Schon technisch sei es völlig unmöglich, eine nennenswerte Zahl der Sünder hierfür zur Verantwortung zu ziehen. Und außerdem gälte das primäre Interesse der Ermittler doch immer noch denjenigen, die ihre Dateien in den Tauschbörsen zur Verfügung stellten, nicht aber den bloßen Runterladern.
Doch die Musikindustrie, las Rüdiger R. in der Zeitung, plante eine Großoffensive gegen alle Formen der Internet-Piraterie. Die Tonträger-Verkaufszahlen waren in den letzten zwanzig Jahren noch einmal dramatisch in den Keller gegangen. Im März 2004 gab es dann die erste richtig große Downloader-Überführung in Deutschland: Ein 51-jähriger Mann aus Lüneburg hatte mehr als 8.000 Musiktitel illegal auf einer Tauschbörse im Internet angeboten. Die Polizei beschlagnahmte die gesamte Computeranlage sowie mehrere hundert Datenträger. Der Musikpirat einigte sich mit den Rechteinhabern auf die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15.000 Euro. Außerdem wurde der Mann in einem Strafbefehl zu 90 Tagessätzen (je 25 Euro) verurteilt und ist damit vorbestraft. Rüdiger R. war fortan für einige Zeit zurückhaltender, da ihm die Sache nicht ganz geheuer zu sein schien. Ein Freund verkündete ihm kurz darauf sogar, dass er den illegalen Downloads angesichts der neuen Gefahrenlage abgeschworen habe, da er mittlerweile Tausende Lieder besitze und an Neuerscheinungen ohnehin nicht mehr interessiert sei. Auch das gab Rüdiger R. zu denken. Nach einigen Monaten aber verblassten seine Skrupel. Wieder zapfte er die Tauschbörse an – auf der Suche nach immer neuer Erbauung an den musikalisch in Gang gesetzten eigenen Erinnerungseruptionen.

Der große Schlag der Staatsanwaltschaft Köln
Ende Mai 2006 wurde Rüdiger R. aus allen Träumen gerissen. Was er in den Fernseh-Nachrichten hören musste, trieb ihm spontan den Angstschweiß ins Gesicht: Der Staatsanwaltschaft Köln sei der bislang größte Schlag gegen die Musikpiraterie in Deutschland gelungen. Gegen rund 3.500 Nutzer des Filesharingsystems eDonkey würden Strafverfahren eingeleitet. Sie müssten außerdem mit hohen zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen rechnen. In einer von der Staatsanwaltschaft Köln und der Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis koordinierten Aktion hatte die Polizei zeitgleich im gesamten Bundesgebiet 130 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei wurden zahlreiche PCs beschlagnahmt und weitere Beweismittel sichergestellt. Dieser konzertierten Aktion vorausgegangen waren monatelange Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden in Zusammenarbeit mit der von der deutschen Landesgruppe der IFPI e.V. (International Federation of the Phonographic Industry) beauftragten proMedia Gesellschaft zum Schutz geistigen Eigentums mbH. Mit einer extra dafür entwickelten und weltweit einmaligen Software sicherten die Ermittler in zwei Monaten über 800.000 Datensätze und mehr als 14 Gigabyte Log-Dateien. So gelang es den Behörden insgesamt mehr als 3.500 Nutzer des Filesharing-Systems eDonkey zu identifizieren, die jeweils bis zu 8.000 Dateien über diese Tauschbörse angeboten hatten. Alle Beschuldigten müssen nicht nur mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen, sondern auch mit zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen der betroffenen Musiklabel. Es handelt sich um das größte Verfahren, das jemals in Deutschland gegen illegale Angebote in Internettauschbörsen durchgeführt wurde. Auf das eDonkey-Netzwerk greifen unter anderem die Softwareprogramme eDonkey2000, emule, shareaza, OverNet und MLDonkey zu. Emule ist in Deutschland die am meisten genutzte Tauschbörsensoftware. Die einzelnen Teilnehmer laden nicht nur unautorisiert geschützte Inhalte von anderen Nutzern herunter, sondern bieten diese auch Dritten zum Download an.

Die Angst der Downloader
Fieberhaft versuchte Rüdiger R., der in der Schule einmal gut in Mathe gewesen war, seine Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu aktivieren. Doch es gab zu viele Unbekannte in seinen Berechnungen. Von mehreren Zigtausend eDonky-Nutzern hatte er gehört. So gesehen war die Chance, unter den 3.500 Erwischten zu sein, noch recht niedrig. Auch hatte bislang niemand seinen Computer beschlagnahmt. Doch ein Brief von der Staatsanwaltschaft, die Vorladung zur Vernehmung oder gleich zum Prozess, waren noch längst nicht vom Tisch. Unangenehm erinnerte sich Rüdiger R. an das Tempo, in welchem deutsche Behörden nach seiner Erfahrung arbeiteten. Da konnte man sich doch selbst nach ein paar Monaten oder gar Jahren nicht ganz sicher sein! Er startete eine Google-Recherche, durch die er erfuhr, dass illegale Downloads nur drei Monate rückwirkend noch nachweisbar seien. Doch auch das konnte ihn nicht beruhigen, da sich die Beweise seiner Vergehen ja womöglich schon längst auf der Festplatte einer Ermittlungsbehörde befanden. Zwischenzeitlich kam ihm sogar die Befürchtung, sein Computer könnte überwacht werden und er sich durch seine gezielte Recherche verraten. Beim täglichen Gang zum Hausbriefkasten übermannten ihn regelmäßig Hitzewallungen, die alsbald dem erleichterten Gefühl wichen, jedenfalls für 24 Stunden noch einmal davongekommen zu sein. Die Musikindustrie, dachte Rüdiger R., kalkuliert bewusst mit der Angst der Downloader. Der Vorsitzende der Deutschen Phonoverbände hatte in den Tagesthemen erklärt: “Die wichtige Botschaft an alle Internetnutzer ist, dass niemand damit rechnen kann, unentdeckt zu bleiben, wenn er Straftaten im Internet begeht.”
Rüdiger R. wurde bis heute nicht für seine unzähligen Urheberrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen. Er teilt dieses Schicksal mit Millionen anderen Menschen in Deutschland und mehreren hundert Millionen Menschen weltweit. Und wenn er nicht vor Angst gestorben ist, dann zittert er noch heute.

Justament April 2006: Beschränkte Haftung für alle?

Was die zu erwartende Änderung des GmbH-Gesetzes bringen kann

Thomas Claer

Schon seit Generationen gehört die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, kurz GmbH genannt, zu den unbestrittenen Klassikern sowohl des deutschen Gesellschaftsrechts wie auch des deutschen Wirtschaftslebens überhaupt. Bis in unsere Tage ist allein der Klang ihres Namens für Außenstehende Respekt einflößend geblieben und suggeriert jene Ehrfurcht gebietende Distinktion des Geldes, die selbst alles Geprotze mit Manieren-, Bildungs- oder Standesdünkel in den Schatten zu stellen vermag. Das Licht der Welt erblickte die GmbH – ohne dass es ein historisches Vorbild gegeben hätte – mit dem eigens für sie erlassenen GmbH-Gesetz im Jahre 1892. Ihr maßgeblicher Geburtshelfer, der Großindustrielle, Reichstagsabgeordnete und Hobby-Shakespeare-Forscher Wilhelm Oechelhäuser (1820-1092) gab ihr die prophetischen Worte mit auf den Weg: “Das Land, welches die sichersten, einfachsten und mannigfaltigsten Rechtsformen für die Vereinigung von Kapital und Personen bietet, muss wirtschaftlichen Vorsprung gewinnen.”

Einfache Prinzipien
Tatsächlich ist das Prinzip der GmbH nicht allzu kompliziert: Sie kann durch mehrere natürliche oder juristische Personen (seit 1980 auch durch lediglich eine) für jeden gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden. Die Gesellschafter legen in einem notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrag die Satzung der künftigen GmbH fest. Die gesetzlich vorgeschriebene Mindesthöhe des Eigenkapitals der GmbH, des Stammkapitals, ist der Hauptgrund für das besagte exklusive Image dieser Gesellschaftsform. Sie beträgt derzeit mindestens 25.000 €. Ursprünglich hatte sie sie bei 20.000 Goldmark gelegen (was nach Wert und Kaufkraft damals, also 1892, deutlich mehr war als die heutigen 25.000 Euronen). Ab 1980 lag sie dann bei 50.000 DM. Die Stammeinlage jedes Gesellschafters muss mindestens 100 € betragen. Ferner ist die GmbH zwingend ins Handelsregister einzutragen. Und das Wichtigste: Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der GmbH nicht persönlich, sondern es haftet die Gesellschaft als juristische Person allein. Das heißt zwar, dass die Einlagen der Gesellschafter gegebenenfalls futsch sein können, mehr aber auch nicht. Anders als der glücklose Gesellschafter einer Personen-Gesellschaft, welcher schlimmstenfalls lebenslänglich auf seinen Schulden sitzen bleibt, ist der GmbH-Gesellschafter also vergleichsweise einfach “aus dem Schneider”. Hinzu kommen steuerliche Vorteile, die allerdings erst bei hohen Gewinnen so richtig zu Buche schlagen, da die Besteuerung von GmbH-Gewinnen im Gegensatz zur Einkommenssteuer keiner Progression unterliegt, d.h. mit steigenden Gewinnen nicht überproportional steigt.

Konkurrenz durch die Limited Company
Seit ihrer Gründung hat die GmbH eine immense praktische Bedeutung erlangt. Sie wird mittlerweile nicht mehr nur zu erwerbswirtschaftlichen, sondern auch zu nichtgewerblichen und nicht unmittelbar gewinnorientierten, ja sogar zu ideellen Zwecken gegründet. Nicht weniger als 996.000 GmbHs soll es derzeit in Deutschland geben (Kornblum, GmbH 2006, 28). Doch ist hier zu berücksichtigen, dass nicht selten zahlreiche kleine GmbHs als Gesellschafter einer größeren oder auch einer GmbH & Co. KG fungieren. Die “GmbH-Profis” stecken ihre Gesellschaften mitunter wie Matroschkas ineinander. Zwischen Januar und August 2005 erfolgten 23.496 GmbH-Neueintragungen (BT-Drucks. 16/283). Reformiert wurde das GmbH-Gesetz nach einem gescheiterten Anlauf zwischen 1969 und 1971 erst einmal: 1980 – und auch dort nur in eher bescheidenem Umfang. Doch in den letzten Jahren ist hier einiges in Bewegung geraten. Mit der fortschreitenden europäischen Integration ist es nämlich inzwischen zulässig, sich für die Geschäftstätigkeit im eigenen Land auch der Gesellschaftsformen anderer Mitgliedsländer der Europäischen Union zu bedienen. In diesem Zusammenhang hat die britische Private Limited Company (Ltd.), die private Form der Aktiengesellschaft im U.K., vor allem wegen der Flexibilität in der Kapitalausstattung schnell zu großer Beliebtheit gefunden. Der Kapitalausstattung einer Limited ist ein großer Gestaltungsraum gesetzt. In der Regel beträgt das Kapital einer Limited £1.000, es genügt aber auch schon £1. Die Ltd. füllt in Großbritannien, wo GmbHs unbekannt sind, in etwa die wirtschaftliche Funktion der deutschen GmbH aus. Auch wenn die Limited nicht in Großbritannien ansässig ist, wird sie nach den in Großbritannien für sie geltenden Vorschriften gegründet und in die dortigen Register eingetragen. Dagegen unterliegt die eigentliche Geschäftstätigkeit der Gesellschaft dem Recht des Sitzstaates. Ist die Gesellschaft z. B. in Deutschland ansässig, so wird sie steuerlich wie eine deutsche Kapitalgesellschaft behandelt und hat ihre Bilanzen nach deutschem Steuerrecht zu erstellen. Noch gibt es in Deutschland zwar erst gut 3000 Limited-Zweigniederlassungen, doch die Tendenz geht deutlich nach oben.

Neuwahlen bremsen Reform aus
Eigentlich hätte die große Reform, welche die GmbH fit für das Zeitalter der Globalisierung machen sollte, schon längst in trockenen Tüchern sein sollen. Doch die vor einem dreiviertel Jahr vom heute bekanntesten Gazprom- und Medienberater überraschend ausgerufenen Neuwahlen führten noch einmal zur Verschiebung des ehrgeizigen Projekts. Das rot-grüne Bundeskabinett hatte am 1.6.2005 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG) beschlossen. Der Entwurf sah vor, das Mindeststammkapital der Gesellschaften mit beschränkter Haftung  auf 10.000 € (von derzeit 25.000 €) abzusenken. Das Gesetz sollte zum 1.1.2006 in Kraft treten; es konnte jedoch aufgrund der vorzeitigen Auflösung des Bundestags nicht mehr in der 15. Legislaturperiode verabschiedet werden. Am 23.9.2005 hat der Bundesrat das sogenannte MindestkapG, BR-Dr 619/05, abgelehnt. In der Praxis war der Gesetzentwurf ohnehin als nur unzureichende Reaktion auf die schwindende Konkurrenzfähigkeit der Rechtsform der GmbH gewertet worden. Für April 2006 ist nun die Vorlage eines Diskussionsentwurfes des Bundesjustizministeriums für eine umfassende Reform des GmbH-Gesetzes geplant. Getreu dem schwarz-roten Koalitionsvertrag sollen durch die Novellierung des GmbH-Gesetzes “Unternehmensgründungen nachhaltig erleichtert und beschleunigt, die Attraktivität der GmbH als Unternehmensform auch im Wettbewerb mit anderen Rechtsformen gesteigert sowie Missbräuche bei Insolvenzen bekämpft werden.” Dem Vernehmen nach wird der Reformentwurf heiße Eisen wie das Mindestkapital, ein Eigenkapitalersatzrecht, Cash Pooling (Liquiditätsschulterung), die Geschäftsführerhaftung, illegale “Firmenbestattungen” (Übertragungen von GmbH-Geschäftsanteilen im Zusammenhang mit insolvenzbedrohten Gesellschaften zur Vereitelung von Gläubigerinteressen) und wohl auch den gutgläubigen Erwerb von GmbH-Anteilen sowie den Wegzug von GmbHs ins europäische Ausland anpacken und neu regeln.

Neuregelung in der Diskussion
Doch über das wünschenswerte Ausmaß der Neuerungen lässt sich trefflich streiten. So ist zur Angleichung an die britische Konkurrenz sogar im Gespräch, das Stamm- und damit Haftungskapital nicht auf 10.000, sondern auf nur noch einen symbolischen Euro herabzusetzen. Schließlich sei für viele kleinere Unternehmen das letztlich doch hohe Stammkapital ein Hindernis bei der Gründung. Dem wird aber von den Gegnern einer Senkung des Haftungskapitals entgegengehalten, dass die GmbH sich gerade wegen der hohen Haftungsvorschriften mittlerweile zu einer überaus seriösen Gesellschaftsform entwickelt habe, die sich am Markt wohltuend von den “Billig-Limiteds” abhebe. Das Kapital sei ein Zeichen der Bonität. Auch noch in der Diskussion ist die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform, die der GmbH zwar angenähert, aber durch ein niedrigeres Haftungskapital von z. B. 5.000 € auch für Kleinunternehmer leichter zu gründen sein soll.
Und insbesondere die oppositionelle FDP trommelt energisch für einen Abbau der derzeit noch bestehenden bürokratischen Hürden. In der Tat sieht die aus dem Jahr 1892 stammende Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG noch heute vor, dass eine GmbH erst dann in das Handelsregister eingetragen werden kann, wenn dem Registergericht alle staatlichen Genehmigungsurkunden vorgelegt worden sind, welche die GmbH für die Verwirklichung des in ihrer Satzung festgelegten Unternehmensgegenstands nach einer in Deutschland geltenden Norm des öffentlichen Rechts benötigt. Dies gilt sogar, wenn nur für einen Teil des Unternehmensgegenstands eine Genehmigung notwendig ist. Nach Zahlen, die die Stiftung Marktwirtschaft im Juli 2005 (Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 91, S. 5) veröffentlichte, muss ein Gründungswilliger im Durchschnitt mindestens neun behördliche Interaktionen in steuer- und arbeitsrechtlich bedingten Angelegenheiten bewältigen. Für diese Angelegenheiten benötigt er durchschnittlich 45 Arbeitstage und damit fünf Arbeitstage mehr als im Durchschnitt der EU und etwa 40 Tage mehr als in Großbritannien oder Dänemark.
Bei aller Unsicherheit darüber, wie die viel diskutierte Reform des GmbH-Gesetzes am Ende aussehen wird, lässt sich jedoch immerhin dies voraussagen: Die ganz große Entbürokratisierung wird gewiss (noch) nicht kommen. Denn eine solche gliche in einem Land wie Deutschland nun wirklich dem Versuch einer Quadratur des Kreises.

Justament März 2006: Sieben dunkle Jahre

Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung: Eine vorläufige Bilanz

Thomas Claer

Eine Brücke baut die am 1.1.1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung einem beträchtlichen Teil all jener Schuldner, die sich nach menschlichem Ermessen niemals mehr aus eigener Kraft von ihrer Schuldenlast befreien können, denen also gleichsam das Wasser bis zum Halse steht. Für natürliche Personen, die keine selbständige berufliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben, oder für natürliche Personen, die zwar eine selbständige berufliche Tätigkeit ausgeübt haben, deren Vermögensverhältnisse aber überschaubar sind (d.h. die weniger als 20 Gläubiger haben), sieht § 304 InsO zwingend ein vereinfachtes Verfahren vor: das Verbraucherinsolvenzverfahren. Ausgeschlossen davon sind allerdings Personen, die noch aktiv eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Die besondere Attraktivität sowohl für Gläubiger als auch für Schuldner liegt in der Möglichkeit einer Restschuldbefreiung des Schuldners nach einer – gerechnet von der Eröffnung des gerichtlichen  Insolvenzverfahrens an – sechsjährigen Wohlverhaltensphase. In dieser tritt die verschuldete Person den pfändbaren Teil ihres Einkommens an einen Treuhänder ab, der diesen nach Abzug der Verfahrenskosten gemäß der Quote des Verteilungsverzeichnisses an die Gläubiger verteilt. Arbeitslose Schuldner müssen sich aktiv und nachweisbar um eine angemessene Arbeit bemühen und jede zumutbare annehmen. Wird die Restschuldbefreiung erfolgreich durchgeführt, so wandeln sich alle Forderungen gegen den Schuldner in Naturalobligationen um, was bedeutet, dass die Gläubiger nicht mehr auf Erfüllung klagen können. Der Schuldner ist seine Schulden also faktisch los. Hat die verschuldete Person jedoch gegen eine ihrer Obliegenheiten verstoßen, so kann das Gericht auf Antrag eines Gläubigers die Restschuldbefreiung (wie auch schon während des RSB-Verfahrens) versagen.

Graue Theorie
Gut für die Schuldner ist all dies, weil ihnen so ein Weg aus der sprichwörtlichen Schuldenfalle gewiesen wird und ihnen das Schicksal eines lebenslangen Daseins als Prügelknabe ihrer Gläubiger erspart bleiben kann. Aber auch die Gläubiger profitieren davon, denn nur für Schuldner mit der Perspektive, sich eines Tages von ihrer Schuldenlast befreien zu können, besteht überhaupt ein Anreiz, sich zum Vorteil der Gläubiger ins Zeug zu legen. Bei einer Pfändungsfreigrenze von derzeit ca. 940 Euro monatlichen Einkommens für kinderlose Singles wird sich, das lässt sich an fünf Fingern abzählen, gewiss so mancher Schuldner “einen Lenz” machen oder sich auf Schwarzarbeit verlegen. Gelobt sei also die Verbraucherinsolvenz. Soweit die Theorie.
Tatsächlich aber geht der Adressatenkreis für Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung locker in die Millionen. “Jeder neunte Deutsche ist zahlungsunfähig”, titelte SPIEGEL ONLNE am 14.1.2006 unter Berufung auf die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Im vergangenen Jahr haben danach 11,3 Prozent der Bundesbürger fällige Schulden nicht mehr bedienen können, im Vorjahr seien es nur 10,6 Prozent gewesen. In andere Quellen ist von dreieinhalb Millionen insolventen Haushalten in Deutschland die Rede. Gemessen an diesen Zahlen nutzen jedoch nur recht wenige Betroffene die Möglichkeiten des wirtschaftlichen Neubeginns durch die Verbraucherinsolvenz. Kaum mehr als 100.000 von 1999 bis 2004 gestellte Anträge vermeldet das Statistische Bundesamt. Aber die Tendenz ist deutlich steigend: Mit 60.000 neuen Fällen kletterten die Verbraucherinsolvenzen 2005 auf einen neuen Rekordstand.

Justiz überlastet – Rechtsanwälte unwillig
Nun ist allerdings schon dieser Umfang an Verbraucherinsolvenzen, der vermutlich künftig noch einmal stark anwachsen wird, für die Justiz kaum noch zu bewältigen. Und die ausufernde Kompliziertheit des hier nur in groben Zügen umrissenen Verfahrens tut ihr übriges. Die Schuldnerberatungsstellen sind chronisch überlastet. Inklusive der meist mehrmonatigen – zwingend vorgeschalteten – außergerichtlichen Einigungsphase und der üblichen gerichtlichen Wartezeit müssen Schuldner derzeit in der Regel mindestens “sieben dunkle Jahre überstehen”, um sich von ihren Schulden befreien zu können. Auf rechtlichen Beistand können sie dabei kaum hoffen. Die meisten Anwälte befassen sich nicht mit der Verbraucherinsolvenz, weil die Schuldner ohnehin nicht zahlen können und ihnen die Honorierung im Falle der Beratungshilfe – gemessen am meist außerordentlichen Arbeitsaufwand – zu gering ist. Böse Zungen behaupten sogar, dass Anwälte, welche sich auf Verbraucherinsolvenzmandate einließen, bald schnurstracks in die eigene Insolvenz marschierten – und dies ohne die vorteilhafte Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz. Schließlich kann gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls erfolgen, ein  leider zunehmend an Relevanz gewinnendes Problemfeld. Der Berliner Anwaltsverein hat bereits 2003 eine Beratungsstelle für Anwälte in finanziellen Schwierigkeiten eingerichtet.

Justament Juni 2005: Die Rechte der Frauen

Vom Sündenfall im Paradies bis zum “Gender Mainstreaming” war es für das “schöne Geschlecht” ein mühevoller und beschwerlicher Weg

Thomas Claer

Sieht man einmal von den sagenhaften Amazonen ab, die unter ihrem Nachwuchs lediglich die Mädchen aufzogen und nur einmal im Jahr mit Männern benachbarter Völker Umgang zur Erhaltung ihres Geschlechts pflegten, war die Sache seit alters her klar: Stets hatten sich die Frauen einer männlichen Dominanz zu erwehren, die sie im Prinzip rechtlos stellte, bis diese Selbstverständlichkeit vor kaum mehr als 200 Jahren erstmals hinterfragt wurde.

Schafott und Rednertribüne
Die französische Schriftstellerin Olympe de Gouges (1748-1793) mochte sich nicht damit abfinden, dass die 1789 proklamierte “Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte” die (sprichwörtlich bessere) Hälfte der Menschheit einfach überging. Schließlich hatten nicht zuletzt die zahlreichen Frauen, die Seite an Seite mit ihren Männern auf den Barrikaden gestanden hatten, der Französischen Revolution zum Triumph verholfen, wovon insbesondere die Darstellungen der später zum Revolutionssymbol avancierten Marianne eindrucksvoll Zeugnis geben. Olympe de Gouges formulierte 1791 eine “Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin”, die sich inhaltlich eng an die Menschen- und Bürgerrechtserklärung anlehnte, dabei aber – innovativ und revolutionär zugleich – konsequent “die Frau” in die Formulierungen und Artikel einbezog. Durchgängig ersetzte sie die Wörter “Mensch” oder “Mann” durch “Frau und Mann” und stellte jedem “Bürger” eine “Bürgerin” zur Seite. Die Frau, so heißt es in der Erklärung etwa, habe das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie müsse daher gleichermaßen das Recht besitzen, die Rednertribüne zu besteigen.
Madame de Gouges übersandte die Erklärung der Nationalversammlung zur Ratifizierung und erregte damit in ganz Frankreich und sogar im Ausland Aufsehen. Eilig legte sie noch einen “Gesellschaftsvertrag zwischen Mann und Frau” (analog zu Jean-Jacques Rousseaus “Contrat Social”) nach, in welchem sie den Ersatz der konventionellen Ehe durch einen auf Gleichberechtigung basierenden Vertrag und besondere Rechte für die Frau als Mutter forderte. Tatsächlich entzog ein Gesetz von 1792 die Ehe in Frankreich erstmals der alleinigen Verfügung der Kirche und ermöglichte unter bestimmten Voraussetzungen auch die Scheidung. Im Übrigen aber stieß Olympe de Gouges bei den Hütern der Revolution auf wenig Gegenliebe. Das Revolutionstribunal verurteilte sie 1793 wegen “Anschlags auf die Souveränität” zum Tod auf der Guillotine. Noch im gleichen Jahr verbot die Nationalversammlung die während der Revolution entstandenen Frauenclubs, erließ ein generelles Versammlungsverbot für Frauen und machte so dem feministischen Spuk vorläufig ein Ende.

Sentiment und Wahlrecht
Erst nach einem halben Jahrhundert rumorte es wieder – diesmal jedoch zuerst jenseits des Atlantiks. In Seneca Falls / New York wurde 1848 ein Kongress von zwei engagierten Damen einberufen, auf dessen Tagesordnung erstmals die Diskriminierung der Frau stand. Die Teilnehmerinnen, welche sich zum Großteil aus erprobten Kämpferinnen der damals schon seit längerem aktiven Anti-Sklaverei-Bewegung rekrutierten, forderten für die Frauen u. a. ein Verfügungsrecht über ihr Eigentum und ihre Einkünfte, erweiterte Scheidungsmöglichkeiten und das Wahlrecht. Die Tagung verabschiedete schließlich eine “Declaration of Sentiment”, welche – angelehnt an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 – allen Männern und Frauen die gleichen Rechte auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück als angeboren zusprach und die Sicherung dieser Rechte zum einzig legitimen Staatszweck erklärte. In zwölf Resolutionen forderten die Aktivistinnen schließlich eine strikte Gleichbehandlung von Frauen im privaten, religiösen, ökonomischen und politischen Kontext.
Derweil erlebte das alte Europa die (48er Revolution, in deren Folge den Frauen zunächst einige Rechte zugesprochen wurden, die man ihnen in der sich anschließenden Restaurationsperiode jedoch bald wieder entzog – so z. B. das Recht auf Mitgliedschaft in einem Verein, auf Redaktionsarbeit in Zeitungen sowie auf politische Betätigung. Erst die politische Liberalisierung der 1860er führte 1865 in deutschen Landen zur Gründung des “Allgemeinen Deutschen Frauenvereins” (ADF). Parallel zur aufkommenden Sozialdemokratie etablierte sich in den folgenden Jahrzehnten zudem eine couragierte proletarische Frauenbewegung, deren Galionsfigur (die vom 10-Mark-Schein der DDR noch heute bekannte) Clara Zetkin war. Den ersten Gang zur Wahlurne durften Frauen in Deutschland erst nach dem verlorenen Weltkrieg im Jahre 1918 antreten. Die Vereinigten Staaten von Amerika verliehen Frauen zwei Jahre später das Wahlrecht und Frankreich folgte dem gar erst 1944.

“Familie und Gedöns”
Infolge des Zweiten Weltkriegs und seiner demographischen Verwerfungen geriet die Frauenfrage in den Aufbaujahren in Westdeutschland zunächst etwas in Vergessenheit. Dies änderte sich jedoch schlagartig mit den Bewegungen der (68er. Das Familien- und Eherecht wurde, wie schon zuvor in der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik, nun auch in der Bundesrepublik reformiert: Die aus der bürgerlichen und christlichen Tradition resultierende Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Ehefrauen wurde sukzessive aufgehoben und einer neuen, immer libertärer werdenden sozialen Realität angepasst: Alte Zöpfe, wie das Leitbild der Hausfrauenehe, das Schuldprinzip bei der Scheidung und – jedenfalls de jure – das alleinige Namensgebungsrecht des Mannes bei der Heirat, gingen dabei weitgehend über Bord. Da darüber hinaus Reformen des Arbeitsrechts folgten – z. B. der Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen und paritätische Quotenregelungen in bestimmten Berufsfeldern – und sich der Ausbildungsstand von Männern und Frauen bald nicht mehr unterschied, entwickelte sich seit den 90er Jahren allmählich die Tendenz, das Thema “Gleichberechtigung der Geschlechter” zum vernachlässigbaren Luxusproblem zu degradieren. Nur noch Spott erntete Alt-Feministin Alice Schwarzer mit ihrer Kritik an frauenverachtender Werbung bei der jungen Generation selbstbewusster Medien-Karrierefrauen und der amtierende Bundeskanzler bezeichnete sein Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 schlicht als “Ministerium für Familie und Gedöns”.
Dabei hat die r e c h t l i c h e  Gleichstellung bis heute ganz überwiegend keine f a k t i s c h e gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter mit sich gebracht. Bei gleicher Qualifikation und entsprechenden Fähigkeiten verdienen Frauen im Berufsleben durchschnittlich ein Viertel weniger als Männer. 80 Prozent der Hausarbeit wird von Frauen verrichtet. Und an den wirklichen Hebeln der Macht, an denen – wie jeder weiß – nicht die zunehmend marginalisierten Vertreter der politischen Klasse, sondern die Führungskräfte der Wirtschaft sitzen, sind Frauen mit einer Quote von deutlich unter 10 Prozent dramatisch unterrepräsentiert.

Hoffnung Gender Mainstreaming
Woran liegt also dieses hartnäckige Ungleichgewicht, diese sich allen Bemühungen widersetzende gesellschaftliche Status- und Machtdifferenz der Geschlechter? Gewiss nicht,  so weiß man heute, an einer allein biologisch determinierten Andersartigkeit von Mann und Frau – wie sie etwa Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) und Rousseau (1712 – 1778) annahmen. “Gender” als soziokulturelle Konstruktion von Sexualität, ist von der nicht notwendigerweise mit ihr übereinstimmenden biologischen Klassifikation von Geschlechtlichkeit (“sex”) zu unterscheiden – so die zentrale Erkenntnis der “Gender Studies”. Anthropologische Studien belegen die kulturelle Vielfalt der jeweils als männlich und weiblich gedeuteten Zuschreibungen. Die Symbolsysteme zur Erklärung der Welt – “Mythos”, “Religion”, später “Philosophie” und “Wissenschaft” – , die (wohl fast allen) Kulturen zugrunde liegen, basieren  auf einer zu ihrer Entstehungszeit dominierenden einseitig männlichen Perspektive. Bereits im abendländischen Gründungsmythos, dem Sündenfall im Paradies, erscheint die Frau als Symbol der Sexualität und damit der Sünde. Dadurch wurde ein geringerer gesellschaftlicher Status von Frauen gleichsam historisch-kulturell zementiert.
Um dem abzuhelfen, wurde in der Europäischen Union 1998 mit dem Vertrag von Amsterdam das “Gender Mainstreaming” als verbindliches Prinzip für die Mitgliedsstaaten, festgesetzt, also die umfassende und zugleich alle tatsächlich bestehenden Unterschiede berücksichtigende Gleichstellung von Mann und Frau als Gemeinschaftsaufgabe statuiert. Auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums heißt es dazu erklärend, dass bei allen Entscheidungen stets die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern zu berücksichtigen seien. Es müsse vermieden werden, dass scheinbar neutrale Maßnahmen faktisch zu Benachteiligungen führten. Und wer weiß – vielleicht kann daran ja schon in wenigen Monaten die erste deutsche Bundeskanzlerin arbeiten.

Justament April 2005: Ohne Moos nix los

Seminar4

Während des Seminars… (Foto: TC)

In den Praktikerseminaren des DAI lernen junge Rechtsanwälte vor allem die geschäftlichen Aspekte ihres Berufes kennen

Thomas Claer

Gewöhnlich fühlt sich der frisch zugelassene Junganwalt noch recht unbedarft in seiner neuen Rolle, denn vieles hat er in seiner langjährigen Ausbildung erlernen müssen, nicht aber, wie man als Anwalt seinen Lebensunterhalt verdient. Abhilfe schafft hier ein auf drei Samstage in sechs Wochen verteilter Crashkurs des Deutschen Anwaltsinstituts (DAI). Letzteres, man muss es betonen, ist kein Abzockerverein, der einer orientierungslosen Jungjuristenschar an den Geldbeutel will, sondern eine Einrichtung der Bundes- und Landesrechtsanwaltskammern, die diese Veranstaltungen aus purer Kollegialität und, um der grassierenden Ahnungslosigkeit der Berufsanfänger entgegenzuwirken, zum relativen Schnäppchenpreis anbietet.

Kreativ kassieren
Während des ersten Seminartages geht es um die erste und unverzichtbare Qualifikation des Advokaten – das Schreiben von Rechnungen nach dem RVG. Der Referent, Rechtsanwalt Anton Braun, ein ausgewiesener Kenner des deutschen Gebührenrechts, überrascht die gut 50 hoffnungsfrohen Teilnehmer in Berlin-Mitte sogleich mit dem alarmierenden Befund, dass 80 Prozent aller verschickten Anwaltsrechnungen falsch und davon wiederum fast alle viel zu niedrig angesetzt worden seien. In einem Wälzer von 1.500 Seiten, den jeder Kursteilnehmer als Draufgabe mit nach Hause tragen darf, präsentiert Braun gemeinsam mit seinen Co-Autoren die optimale und garantiert anfechtungsresistente Gebührenrechnung für nahezu jede Fallgruppe. Maßgeblich ist für den Referenten dabei eine kreative Auslegung des RVG, die immer noch gerade eben von der Rechtsprechung gedeckt ist.
Wovon wir leben, erklärt er der staunenden Hörerschaft, ist, nicht “das Gesetz zu lesen, sondern in ihm zwischen den Zeilen zu lesen”, wie man bei der Abrechnung noch mehr für sich herausschlagen kann, denn schließlich müssten wir doch alle Geld verdienen. Die im RVG vorgesehenen “Schreiben einfacher Art” (für welche eine 0,3 Gebühr erhoben wird) sollten bei einem nach wirtschaftlichen Prinzipien operierenden Anwalt grundsätzlich nicht vorkommen, da sie niemals kostendeckend sein könnten. Die 1,3-Mittelgebühr dürfe aus gleichem Grunde in der Praxis nur die Mindestgebühr sein.
Überhaupt empfehle es sich, in der Abrechnung immer mindestens einen zehntel Punkt nach oben abzuweichen, da die Rechtsprechung einen anwaltlichen Ermessensspielraum von immerhin 30 Prozent anerkannt habe. Auch bei erhöhtem Schwierigkeitsgrad, erfahren wir, erlaubt das RVG dem Anwalt eine Anhebung seiner Gebühr, und dies gelte auch für alle Nacht- und Wochenendarbeiten oder in Eilfällen. Und so geht es munter weiter. Auf Kniffe dieser Art muss ein Advokaten-Greenhorn erst einmal kommen. Braun trägt seine Thesen mit unverkennbarer Begeisterung für die Materie vor. Er erweist sich als ein glänzender Rhetoriker, dessen Stimme den justament-Reporter nach gut neunstündigem Vortrag noch bis in den Schlaf verfolgt.

Dienstleistungen an den Mandanten bringen
Zwei Wochen später ist das Thema der Zivilprozess und alles, was damit zusammenhängt. Auch diesmal referiert Anton Braun. Mit sprühendem Witz gibt er ebenso zahl- wie lehrreiche Anekdoten zum Besten und appelliert aufs Neue an den Geschäftssinn seiner Zuhörer. Das Mandantengespräch, erfahren wir, habe schon deshalb zentrale Bedeutung, weil für den gewieften Anwalt daraus die Vermögensstrukturen des Mandanten erkennbar würden. Die Kunst bestehe darin, nicht nur am Fall zu kleben, sondern nebenbei noch herauszufinden, welche anwaltlichen Dienstleistungen sich womöglich  außerdem an den Mann bringen ließen. Braucht der Mandant nicht auch ein Testament? Oder vielleicht eine Patientenverfügung?
Das Auditorium wird zusehends mutiger, stellt gezielte Fragen, und es entsteht ein reger Gedankenaustausch. Dieser setzt sich dann in den Pausen fort, in denen belegte Brötchen und Getränke gereicht werden.
Die Kursteilnehmer kommen miteinander ins Gespräch, und es offenbart sich – wie zu erwarten – eine gewisse Heterogenität im Status und den jeweiligen Tätigkeitsfeldern. Gesprächsfetzen schwirren durchs Foyer: “Wie viele Mandanten hast du denn schon? Zehn oder zwanzig?” – “Nein, nein, viel weniger.” – “Trägst Du denn im Gericht eine Robe? Also in Berlin dachte ich schon oft, da säße die Gegenpartei – und dann war es doch deren Anwalt.”
Nach dem Essen sinkt die Aufnahmefähigkeit des Publikums beträchtlich. Überhaupt ist es vielleicht alles etwas zu viel auf einmal. Und besonders zum Ende hin wird das Tempo für etliche zu schnell, um noch folgen zu können. Aber all dies liegt wohl in der Natur der Sache: Da viele Teilnehmer zu den Tagungsorten von weither angereist kommen, wäre eine andere zeitliche Organisation kaum praktizierbar.

Unbedingt empfehlenswert
Nach zwei weiteren Wochen geht es dann in die letzte Runde: Nun stehen anwaltliches Berufsrecht, Marketing, das Mandatsverhältnis und die Anwaltshaftung auf dem Programm. Es referiert Rechtsanwalt Stefan Peitscher, der diese Felder mit weniger Esprit, aber dafür mehr Struktur als sein Kollege Braun beackert. Auch er hat ein umfangreiches Skript mitgebracht, mit dem sich die prekären Fälle vom Erfolgshonorar bis zur Fehlberatungs-Haftung notfalls auch noch daheim lösen lassen. Freundlich und geduldig beantwortet er die zahlreichen Fragen der jungen Kollegen, und schließlich ist auch dieser Tagungstag zu Ende.
Hat sich das lange “Bankdrücken” also am Ende gelohnt? Für die meisten ganz sicher, denn die hier in komprimierter Form vermittelten Basics sind schlichtweg überlebenswichtig auf einem immer enger werdenden Markt. Das Gesamturteil lautet daher: unbedingt empfehlenswert.

“Die Zukunft liegt in der Spezialisierung”

Gespräch mit Anton Braun,  Referent des DAI-Praktikerseminars “Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz  für die jungen Anwälte”

Justament: Seit wann gibt es eigentlich die Praktikerseminare des DAI für junge Rechtsanwälte?
Braun: Seit 1998. Es wurde damals im DAI diskutiert, wie man die erwirtschafteten Überschüsse sinnvoll einsetzen könnte. Da die Vorbereitung auf den Rechtsanwaltsberuf durch unser Juristenausbildungssystem doch sehr mangelhaft ist und das fachliche Niveau der meisten jungen Anwälte erheblich hinter den Erfordernissen der Praxis zurückbleibt, besteht ein permanenter und dringender Bedarf an kostengünstiger Vermittlung von Basiswissen. Das gilt trotz der jüngsten Reformen im Referendariat auch heute noch. Es gab vor sieben Jahren zunächst ein Paket aus fünf Seminaren für ca. 500 DM. Heute sind wir bei drei Seminaren für 145 Euro. Aber leider ist zu befürchten, dass es solche Seminare schon im nächsten Jahr nicht mehr geben wird. Denn schließlich tragen sie sich wirtschaftlich nicht alleine.

Justament: Dann sollten sich also die Junganwälte noch schnell anmelden, um in den Genuss der preiswerten Seminare zu kommen?
Braun: Besser wäre es, sie engagierten sich, damit so etwas oder ähnliches auch in Zukunft angeboten wird, zum Beispiel durch rege Teilnahme und Interessenartikulation bei den Versammlungen der Rechtsanwaltskammern. Schließlich bilden die Junganwälte unter 40 Jahren – angesichts der in den letzten Jahren dramatisch gestiegenen Zahl der Neuzulassungen – schon bald die Mehrheit der Anwaltschaft. Ich verstehe nicht, dass die jungen Kollegen sich einfach alles von den alten  vorschreiben lassen und nicht einmal selbst ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen.

Justament: Wie beurteilen Sie überhaupt die Zukunft der Rechtsanwälte in Deutschland? Welche Konsequenzen hat die zahlenmäßige Explosion des Berufsstandes?
Braun: Um es ganz klar zu sagen: Die Zukunft liegt für mich in der Spezialisierung der Anwälte. Und das beste Instrument dazu sind nun einmal die Fachanwaltschaften. Auch ein schlechter Anwalt wird irgendwann gute Arbeit leisten, wenn er eine Sache schon über hundertmal gemacht hat, also letztlich wie eine Maschine funktioniert. Und mit der Qualität der Anwaltstätigkeit steht und fällt das Ansehen des gesamten Berufsstandes. Statistische Erhebungen haben gezeigt, dass Fachanwälte ein Drittel mehr verdienen als ihre Kollegen, die nicht Fachanwalt sind. Ich finde, es sollte noch viel mehr anerkannte Fachanwaltschaften geben. Und, glauben Sie mir, das wird auch kommen.
Sorge bereitet mir aber, dass manche Fachanwälte ihren Titel nicht mehr in ihren Briefkopf schreiben und schamhaft verstecken aus Angst, Mandanten mit Anliegen aus anderen Rechtsgebieten zu verschrecken. Besonders aus dem ländlichen Raum sind mir solche Fälle bekannt geworden. Nach meiner Meinung gehen diese Kollegen den falschen Weg. Eine konsequente Spezialisierung hat sich bislang am Ende noch immer ausgezahlt.

Rechtsanwalt  Anton Braun ist Hauptgeschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltsinstituts (DAI). Das Interview führte Thomas Claer.

Das DAI bietet regelmäßig Praktikerseminare für junge Rechtsanwälte (nicht länger als zwei Jahre zugelassen) in Berlin, Bochum, Frankfurt am Main, Köln und München an. Paketpreis für drei Veranstaltungstage: ca. 145 EUR. Nähere Informationen und genaue Termine unter: http://www.anwaltsinstitut.de.

Justament April 2005: Der Kampf um Mandate

Wie Rechtsanwälte werben dürfen und was im Wettbewerb verboten ist: Die Anpreisung fachlicher Spezialkenntnisse wird künftig strenger überprüft

Thomas Claer

Ein Rechtsanwalt, glaubte man früher, sei eigentlich jemand, der keine Werbung nötig habe. Er unterscheide sich, so befand das Bundesverfassungsgericht noch Anfang der 90er Jahre, als Organ der Rechtspflege dadurch vom Gewerbetreibenden, dass er sich nicht maßgeblich vom “Streben nach Gewinn”, sondern von der “Verwirklichung des Rechts für seinen Mandanten” leiten lasse. Bis vor knapp zwanzig Jahren galt es einer herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung als mit dem anwaltlichen Berufsbild unvereinbar, “wie ein Gewerbetreibender” um die Gunst der Mandanten zu buhlen. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, wie entspannt es damals zwischen den Kollegen zugegangen sein muss, als sich noch nicht 125.000 Anwälte auf dem Markt drängten, sondern kaum die Hälfte.

Werbungs-Wende 1987
Bis zum 14. Juli 1987 war den Advokaten das Werben um Mandate weitgehend untersagt. Die Generalklausel des § 43 BRAO wurde durch Richtlinien der Bundesrechtanwaltskammer konkretisiert, deren umfassende Werbeverbote das Bundesverfassungsgericht als “wesentliche Erkenntnisquelle” dafür ansah, “was im Einzelgfall nach der Auffassung angesehener und erfahrener Standesgenossen der Meinung aller anständig und gerecht denkenden Anwälte und der Würde des Standes entspricht.”
Wie eine Bombe schlugen dann die Beschlüsse des höchsten deutschen Gerichts ein, das unter völliger Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung die Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts für verfassungswidrig erklärte und dadurch eine schrittweise Liberalisierung des anwaltlichen Werberechts einleitete. Erstmals schaffte der mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte vom 2. September 1994 eingefügte § 43 b BRAO – hinzu traten die konkretisierenden §§ 6-10 BORA – einen gesetzlichen Rahmen für die anwaltliche Werbung. Diese ist dem Anwalt danach nur noch dann verboten, wenn sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt nicht sachlich unterrichtet oder auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.
Was das im einzelnen bedeuteten kann, hatten die Gerichte seitdem häufig zu entscheiden und entzweit die Gelehrten (siehe Kasten). Gleichsam freie Fahrt gab das Bundesverfassungsgericht den werbenden Anwälten schließlich im Jahr 2000, indem es den Grundsatz proklamierte, entscheidend für die Beurteilung des Werbeverhaltens sei “der Standpunkt der angesprochenen Verkehrskreise, nicht die möglicherweise besonders strenge Auffassung des jeweiligen Berufsstandes”.

Abschied vom Tätigkeits- und Interessenschwerpunkt
Seit einigen Jahren räumt § 7 BORA den Rechtsanwälten ein dreifach abgestuftes Werberecht mit der fachlichen Spezialisierung ein. Neben der Fachanwaltschaft darf bis heute noch mit Tätigkeits- und Interessenschwerpunkten geworben werden. Für ersteres ist es erforderlich, auf dem genannten Gebiet seit mindestens zwei Jahren nach der Zulassung in erheblichem Umfang tätig gewesen zu sein. Für letzteres genügt, wie schon der Name verrät, ein vages Interesse daran, in dieser Materie einmal tätig sein zu wollen. Doch damit soll es nun ein Ende haben.
Die Satzungsversammlung der Rechtsanwälte hat auf ihrer Sitzung am 21. Februar 2005 diese Regelungen dahingehend neu gestaltet, dass derjenige, der unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen Teilbereiche der Berufstätigkeit nennen will, entsprechende fachliche Kenntnisse nachweisen muss. Benennungen von Teilbereichen der Berufstätigkeit dürfen nicht (mehr) mit Fachanwaltschaften verwechselbar oder sonst irreführend sein. Wer Teilbereiche der Berufstätigkeit benennt, ist künftig zur Fortbildung auf diesem Gebiet verpflichtet und muss der Rechtsanwaltskammer gegenüber auf deren Verlangen die Fortbildung auch nachweisen können. Wer qualifizierte Zusätze (z. B. “Spezialist”) verwendet, muss zudem auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sein. Die Neuregelung kann erst nach Prüfung durch das Bundesjustizministerium in Kraft treten, was bislang noch nicht geschehen ist.

 

Rechtsprechung und Literatur zur anwaltlichen Werbung in Einzelfällen (Auswahl):

Erlaubt:

– Hinweise auf spezielle Rechtskenntnisse

– Slogans: “Ihre Rechtsfragen sind unsere Aufgabe”; “ALL YOU NEED IS L@W

– Rundschreiben an nach bestimmten Kriterien ausgesuchte Personen

– Hinweise auf besondere Lebenserfahrungen, wenn für Berufsausübung relevant

Nicht erlaubt:

– Ansprechen auf Straßen, Plätzen, Märkten, Bahnhöfen oder von Beteiligten eines Unfallgeschehens

– reißerische Filmszenen, massive Soundunterstützung, erotische Darstellungen

– Präsentation einer Werbung auf einem Karnevalumzugswagen

– Selbstanpreisungen wie: “Die Nr. 1 in …”; “Wir erbringen Spitzenleistungen”

Strittig:
– Radiospot, der mit Crashgeräuschen eingeleitet wird, für Anwalt in Verkehrssachen
– Slogan: “Alles was Recht ist”

Justament Feb. 2005: Just a five – 2000 bis 2005

Glückwünsche und Statements zum Jubiläum von Lesenden und Schreibenden

Dr. Thomas Claer, Rechtsanwalt in Berlin

Es war schon eine andere Zeit, als damals die erste justament erschien: Milenniums-Euphorie, Internet-Boom, Aufbruchstimmung aller Orten. Fünf Jahre, eine Wirtschaftsrezession, ein paar Kriege, Terroranschläge und Naturkatastrophen später sieht die Welt gleich wieder sehr viel nüchterner aus. Dabei haben es die jungen Juristen doch von Anfang an gewusst, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Als in ihrer großen Mehrheit geübte Dauerbewältiger der vom Ausbildungssystem produzierten strukturellen Krisen sind sie ja schließlich Kummer gewohnt und lassen sich nun auch von Hartz IV nicht mehr aus der Bahn werfen. Heute gilt nichts anderes als vor fünf Jahren: Nach dem Examen ist vor dem Examen oder vor dem Berufseinstieg – ein Schrecken jagt den anderen, eine Verkettung von Extremsituationen mit ungewissem Ausgang. Aber Bangemachen gilt nicht! Denn immerhin will und wird justament auch künftig die bewährte geistig-moralische Stütze sein.