justament.de, 8.5.2023: Wie mein Urgroßvater 22.000 Reichsmark verlor
Recht historisch: Vor 100 Jahre tobte die Hyperinflation in Deutschland
Thomas Claer
Heinrich Friedrich Christian Nützmann (1873-1926), mein Urgroßvater von der väterlichen Seite meiner Mutter, war Schäfermeister im mecklenburgischen Groß Lunow in mindestens dritter Generation. Wie auch über meine anderen Urgroßeltern weiß ich nicht gerade viel über ihn. Doch ist mir oftmals, und stets mit warnendem Unterton, von meiner Mutter berichtet worden, wie ihr sieben Jahre vor ihrer Geburt verstorbener Großvater in der Hyperinflation im Jahr 1923 seine gesamten Ersparnisse verlorenen hat. Es soll sich um eine Summe von 22.000 Reichsmark gehandelt haben, was für einen Schäfermeister in der damaligen Zeit ein außergewöhnlich hoher Betrag gewesen sein muss. Mein Urgroßvater wird also in seinem Beruf nicht schlecht verdient, sparsam gewirtschaftet und vielleicht auch etwas von seinen Eltern geerbt haben. Doch hat er seine bemerkenswerten Ersparnisse leider nicht in Sachwerten angelegt, sondern das Geld stattdessen seinen Vettern geliehen, die damit Häuser für sich gebaut haben. Als dann schließlich ein Brot mehrere Millionen Reichsmark kostete, legten ihm die frechen Cousins die nun beinahe wertlos gewordenen Geldbündel auf den Tisch: “Hier, Heinrich, hast du dein Geld zurück.” Von diesem Missgeschick hat sich mein Urgroßvater offenbar nie mehr richtig erholt, denn kaum drei Jahre darauf hat ihn die Tuberkulose hinweggerafft. Er war erst 52 Jahre alt.
Auch mein anderer Urgroßvater von der väterlichen Seite meines Vaters – Todesjahr 1930 – ist nur 53 Jahre alt geworden. Bei ihm ist nicht einmal die Todesursache überliefert, ja vermutlich damals gar nicht erst genauer ermittelt worden. Seinerzeit galt es als keineswegs ungewöhnlich, wenn jemand bereits mit Anfang fünfzig den Löffel abgab. Für uns Heutige fühlt sich ein solches Alter – toi, toi, toi – eher nach Lebensmitte an. Es ist schon ein nicht zu unterschätzendes Privileg, in Zeiten mit exzellenter medizinischer Versorgung leben zu dürfen.
Nur ein einziges Mal hat meine Mutter die Geschichte vom Reinfall ihres Opas in der Hyperinflation von ihren Eltern erzählt bekommen, als diese sich während einer Auseinandersetzung in höchster Erregung befanden. Es war ihnen wohl auch irgendwie peinlich, ein solches Desaster ihres Vaters und Schwiegervaters zuzugeben, das er schließlich durch sein unkluges Verhalten maßgeblich selbst mit herbeigeführt hatte. Aber wie sollte ein Schäfermeister, mutmaßlich ohne tiefere Einblicke in die weltökonomischen Zusammenhänge, in Fragen von Kriegskrediten, Reparationsforderungen der Siegermächte nach dem verlorenen Weltkrieg und die abenteuerliche Finanzpolitik der Reichsregierung, denn ahnen können, dass sich der Wert seiner langjährigen Ersparnisse so einfach von heute auf morgen in Luft auflösen könnte? Vielleicht war mein Urgroßvater auch zu gutmütig, sah für sich selbst und seine Familie (noch) nicht die Notwendigkeit eines Hausbaus oder Immobilienerwerbs, da sie bereits gut und kostengünstig untergebracht waren, während ihn seine Vettern womöglich flehentlich um Kredit für ihre Projekte baten.
Nur ein einziger konkreterer Hinweis auf die Wesenszüge meines Urgroßvaters ist überliefert. Meine Mutter berichtete mir, wie sie als kleines Mädchen von einem Nachbarn namens Bauch angesprochen wurde, der überall nur auf Plattdeutsch “Bauch mit dat een Pierd” genannt wurde, weil er genau ein Pferd besessen haben soll. Herr Bauch also sagte zu ihr: “Din Grotvadder, den hef ick ok kennt. Dat is’n gaanz muulfuuln Minschen wast.” (Hochdeutsch in etwa: “Deinen Großvater habe ich auch gekannt. Das ist ein gaaanz maulfauler Mensch gewesen.”) Mein unglückseliger Urgroßvater war also, wenn man den Aussagen von “Bauch mit dat een Pierd” trauen kann, schweigsam und introvertiert.
Seine Ehefrau hingegen, meine Urgroßmutter Anna Nützmann, geborene Riedler, genannt nach ihrem Geburts- und langjährigen Wohnort Oma Lunow, ist stets als energisch und resolut beschrieben worden. Sie war 15 Jahre jünger als mein Uropa und hat ihn nach dessen Tod noch um 45 Jahre überlebt. Sie starb erst wenige Monate vor meiner Geburt 1971, nachdem sie wohl schon lange Jahre im Haus meiner Großeltern gelebt hatte. Allerdings galt sie als sehr in traditionellen Geschlechtervorstellungen verhaftet. Wenn mein Vater, so hat er es mir später oft erzählt, nach dem Essen bei seinen Schwiegereltern den Tisch mit abdecken wollte, wies ihn Oma Lunow stets mit ihrem Stock in Richtung Sofa und sagte zu ihm: “Do lech di hin!” (Also: “Du leg dich hin!”) Sie war der Meinung, dass Männer sich am besten von jeder Hausarbeit fernhalten sollten. Meine Mutter berichtete mir oftmals, wie sie als junges Mädchen gerne auf den Dachboden ging, wo interessante Bücher lagen. Doch ihre Großmutter, Oma Lunow, schimpfte dann immer: “Is se all wedder bi de Bäukers?” (Also: “Ist sie schon wieder bei den Büchern?”) Nach ihrer Ansicht sollte ein junges Mädchen nämlich lieber Hausarbeiten verrichten, als Bücher zu lesen. Dennoch hat sich meine Mutter später nicht davon abhalten lassen, Medizin zu studieren.
Fünf Kinder hatten Heinrich und Anna Nützmann, von denen jedoch vier schon mehr oder weniger früh verstarben. Nur mein Großvater Erich Nützmann (1910-1985) konnte eine Familie gründen. Zwei seiner Geschwister haben bereits das frühe Kindesalter nicht überlebt. Sein ein Jahr älterer Bruder Hermann hat sich Anfang 1933 im Alter von 24 Jahren selbst eine Kugel in den Kopf geschossen, weil er mit einer jungen Dame verlobt war, aber dann eine andere junge Dame geschwängert hatte. Eine solche Schande war für ihn so unerträglich, dass er seinem jungen Leben ein Ende setzte. Der zehn Jahre jüngere Bruder meines Opas, Werner, blieb hingegen im Krieg in der Sowjetunion verschollen und wurde schließlich für tot erklärt.
Ich habe meinen Opa mütterlicherseits noch gut kennengelernt, denn als er 1985 starb, war ich schon 13 Jahre alt. Unvergesslich sind mir seine zornigen kraftvollen Faustschläge entweder auf den Fernseher, wenn das Bild flackerte, oder auf den Tisch, wenn ich irgendetwas nicht essen mochte. Als ich dann auf seine Ermahnung “Was auf den Tisch kommt, wird gegessen!” mit der unverfrorenen Frage reagierte, ob ich denn auch die Teller und Tassen und Bestecke essen solle, die kämen doch schließlich auch auf den Tisch, wurde er wütend und drohte mir Schläge an, was er aber, anders als meine Mutter, niemals umgesetzt hat. Sah er hingegen, wie ich am Abendbrotstisch die überstehenden Enden der Wurst- und Käsescheiben auf meinen Broten zurechtschnitt, um sie exakt der Form des geschnittenen Brotes anzupassen, dann freute er sich darüber sehr und sagte: “Dat hätt hei von mir.” (“Das hat er von mir.”) Dabei hatte ich es mir wahrscheinlich gleichermaßen von meinen Eltern abgeschaut…
Mein Opa (auf dem obenstehenden Foto neben meiner Oma), der sein Leben lang ein begeisterter Kleingärtner war, hatte keine hohe Schulbildung genossen, war gelernter Stellmacher, d.h. er baute Wagenräder aus Holz, und wurde später nach der Verdrängung der Pferdewagen durch das Automobil zum Tischler umgeschult. Dennoch hat er zeitlebens viel gelesen. Immer, wenn er nicht gerade fernsah, sah ich ihn lesend im Sessel sitzen, entweder den Lokalteil der Tageszeitung “Freie Erde”, die auf ihren vorderen Seiten genauso unleserlich war wie alle anderen DDR-Zeitungen auch, oder die “Wochenpost”, zu deren glücklichen Abonnenten meine Großeltern gehörten. Diese Zeitschrift, die damals im Osten als allseits begehrte “Bückware” galt, enthielt zwar keine offen systemkritischen, aber doch mitunter doppeldeutige und manchmal sogar ironische Texte und Reportagen über den tristen DDR-Alltag, dazu auch anspruchsvolle Kulturberichte. Mein Opa las jede Ausgabe der Wochenpost komplett von vorne bis hinten, manchmal aber auch ganze Bücher. Sein ´Lieblingswerk waren “Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk” von Jaroslav Hasek, die ihn wohl an seine eigenen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg erinnert haben. Dort war er lange Jahre in sowjetischer Gefangenschaft geblieben, wohl auch, weil er zu einer Kompanie gehörte, die an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein soll. Niemals hat er darüber gesprochen, überhaupt hat er so gut wie nichts von früher erzählt. Und schon gar nicht von seinem Vater, der in der Hyperinflation 22.000 Reichsmark verloren hat. Mein Opa war damals 13 Jahre alt, muss also schon eine Menge davon mitbekommen haben. Wie wäre sein Leben verlaufen, wenn sein Vater, der Alleinernährer der Familie, nicht so früh gestorben wäre? Wenn es für ihn keinen wirtschaftlichen Druck gegeben hätte, so früh die Schule zu verlassen und einen Beruf zu erlernen? Wenn die 22.000 Reichsmark (oder womöglich sogar noch viel mehr) am Ende bei ihm als Alleinerben gelandet wären? Hätte er damit etwas anfangen können?
Ich habe meinen Opa nur schwerhörig erlebt, was von seinem langjährigen Job im Sägewerk herrührte. Sein großes Glück waren seine immer auf maximale Lautstärke gestellten Kopfhörer, mit denen er fernsah, denn nur mit ihrer Hilfe konnte er alles verstehen, was dort gesagt wurde. Bestimmt hätte er auch gerne mal Westfernsehen geguckt, aber dafür war der Empfang zu schlecht. So musste er mit dem äußerst langweiligen DDR-Fernsehen vorliebnehmen und hat sich dennoch nie darüber beklagt. Sein Sohn, der ältere Bruder meiner Mutter, der nur ein paar Häuser weiter wohnte, empfing dank einer riesigen Antenne auf dem Dach gestochen scharfes Westfernseher, am Ende sogar in Farbe. Aber um so etwas auch zu bekommen, hätte mein Opa seinen Sohn darum bitten müssen, dies für ihn zu organisieren. Und das wäre meinem Opa, der sehr stur war, nie in den Sinn gekommen, denn er hatte zu seinem Sohn kein besonders gutes Verhältnis. Meine Mutter meinte, mein Opa sei eifersüchtig gewesen auf seinen eigenen Sohn, weil meine Oma vor allem ihren Sohn und weniger ihren Mann, meinen Opa, so angehimmelt hätte…
Politisch hatte mein Opa keine bestimmte Meinung. Er war nur der Ansicht, mit ihm und den kleinen Leuten könnten die Regierenden, egal in welchem System, es ja machen. Ihn habe nie jemand gefragt, wie er etwas finde. Da seien die DDR-Politiker nicht besser als die früheren oder die ganz früheren, und dass die im Westen besser sein könnten, das konnte er sich auch nicht vorstellen…
Mein Opa hing sehr an meiner Oma. Als sie schon mit Mitte 60 dement wurde und bald niemanden mehr erkannte, wurde mein Opa trübsinnig und begann immer mehr zu trinken. Im Stall hinter seinem Haus türmten sich die von ihm geleerten Schnapsflaschen. Jedes Mal, wenn meine Eltern und ich meine Großeltern besuchten, nahmen wir eine große Kofferraumladung leere Schnapsflaschen mit nach Hause, wo wir sie dann zum Altstoffhandel brachten und ich die Quittungen mit in die Schule nehmen konnte. Es gab ja in der DDR immer den großen Schülerwettbewerb, wer am meisten Altstoffe, also hauptsächlich alte Flaschen, Gläser und Zeitungen, gesammelt hatte. Viele meiner Mitschüler zogen dafür von Haus zu Haus und erbaten sich die Altstoffe ihrer Nachbarn. Das hatte ich nicht nötig, weil ich von meinem Opa stets mit so vielen leeren Schnapsflaschen versorgt wurde, dass ich in diesem Wettbewerb mehrmals Spitzenplätze belegte…
Als meine Oma gestorben war, verließ meinen Opa vollkommen der Lebensmut. Nur wenige Monate später wurde er, der bis dahin als kerngesund galt, mit einer leichten Infektion ins Krankenhaus gebracht, wo er dann kurz darauf 75-jährig verstarb. Seine drei Enkelkinder, also meine beiden Cousinen und ich, haben den Fehler seines Vaters, unseres Urgroßvaters, vermieden und den größten Teil unserer jeweiligen Vermögen in Sachwerten angelegt.
Jahresende 2022: Ahnenforschung Claer, Teil 14
In diesem Jahr bleibt mein “Forschungsbericht” zwar von seinem Umfang her hinter denen der letzten Jahre zurück. Was aber viel wichtiger ist: Inhaltlich ist uns erfreulicherweise ein großer Schritt nach vorne gelungen! Würden sich nicht militärische Metaphern in diesen Zeiten verbieten, könnte man mit Fug und Recht von einem Volltreffer sprechen… Und hinzu kommen weiter hinten sogar noch weitere spektakuläre Entdeckungen von einem anderen Forschenden.
1. Die Claers in Bieberswalde
“Es gibt so viele Puzzleteile”, hatte mir vor einigen Jahren mein Vetter vierten Grades Manfred Claer geschrieben, “und nur bei uns passen sie zusammen.” Diese Aussage bezog sich auf die Entdeckung, dass sein Ururgroßvater August Hermann Claer (1833-????) und mein Ururgroßvater Franz Claer (1841-1906) Brüder waren. Nun passen wieder zwei Puzzleteile zusammen: ein schon vor zwei Jahrzehnten und ein erst vor einigen Monaten gefundenes.
a) Zufallsfund 1: Ein Familiengrab auf dem Friedhof
Vor mehr als zwanzig Jahren besuchte meine Tante dritten Grades Lorelies Claer-Fischer gemeinsam mit einer Freundin das frühere Ostpreußen, beide auf der Suche nach Spuren ihrer Vorfahren. Auf dem Friedhof von Bieberswalde, das seit 1945 den polnischen Namen Liwa trägt, wurde zwar nicht die an diesem Ort etwas suchende Freundin fündig, dafür aber ganz unerwartet Tante Lorelies, die dort auf eine Steintafel mit der Aufschrift “Ruhestätte der Familie Claer” stieß, siehe Foto.
Über ihre anschließende Recherche berichtete mir Tante Lorelies wie folgt:
“Ich war seinerzeit, das war 2004, bei den Mormonen und habe dort nur Kirchenbücher durchgesehen, bis Mitte 1700 sogar, die jedoch sehr unordentlich geschrieben waren, so dass ich kaum etwas entziffern konnte. Verlaufene Tinte, Sütterlin. Ich weiß nicht mehr, mit welchem Jahrgang ich anfangen konnte.”
Die Suche blieb also vorerst ergebnislos. Die Claers in Bieberswalde waren damals – und blieben auch noch später – nicht zuzuordnen.
b) Wie kam Franz Claer (1841-1906) von Eichenberg nach Usdau?
In meinem letzten Forschungsbericht vor einem Jahr widmete sich ein Kapitel dem Wirken meines besagten Ururgroßvaters Franz Claer (dem Urgroßvater von Tante Lorelies) als Postangestellter in Usdau. Und ich warf die Frage auf:
“Aber wie ist Franz, der als jüngster Sohn meines Urururgroßvaters, des Jägers Friedrich Claer (1799-18??) in Eichenberg/Drusken, Amt Wehlau (gelegen einige Kilometer östlich von Königsberg) geboren wurde, ins relativ weit entfernte Usdau gekommen bzw. wie konnte er meine dort lebende Ururgroßmutter Henriette überhaupt kennenlernen? Laut Google Maps beträgt die Entfernung zwischen dem heute russischen Snamensk (dem früheren Wehlau) und Uzdowo (Usdau) mindestens 224 Kilometer, was einer heutigen Fahrzeit mit dem Auto von mehr als drei Stunden entspricht.”
Sodann spekulierte ich auf berufsbedingte Gründe:
“Bevor Franz Claer sich also mit Anfang dreißig in Usdau niedergelassen und als Landbriefträger verdingt hat, seine Frau Henriette geheiratet und mit ihr seine ersten beiden Söhne Otto und Georg bekommen hat (denen später noch der dritte Sohn Richard sowie die Töchter Amelia/Armanda, Martha und Hedwig folgen sollten), war er als Postschaffner tätig und ist als solcher vermutlich viel herumgereist.”
Doch nun lässt ein weiterer Fund alles in neuem Licht erscheinen.
c) Zufallsfund 2: Friedrich Claers Versetzung nach Bieberswalde
Vor einigen Monaten fand ich, als ich bei Google “Clair Bieberswalde” eingab, im mittlerweile digitalisierten und online verfügbaren Namens- und Ortsregister des Amtsblatts der Königl. Regierung zu Königsberg für das Jahr 1855” den Eintrag: “Clär s. Förster in Bieberswalde S.26”
Und auf S.26 dann die Notiz: “Der Förster Clair ist von der Försterei Lebkoyen, Oberförsterei Drusken, nach der Försterei Bieberswalde, Oberförsterei Gauleben, versetzt worden.”
So war das also! Mein Urururgroßvater Friedrich Clair/Clär/Claer (1799-18??) war demnach 1855, im Alter von 56 Jahren, ein weiteres Mal auf eine andere Försterstelle versetzt worden, und zwar von Eichenberg/Drusken, Kreis Wehlau, nach Bieberswalde. Seine laut Hochzeitsurkunde vier Jahre jüngere Frau Justine Claer, geb. Knaebe/Knebe/Knebel, die er 1824 in Corjeiten geheiratet hatte (und deren Todesjahr wir ebenfalls nicht kennen), war sicherlich ebenso mit dabei wie zumindest sein mutmaßlich jüngster Sohn Franz, damals 13- oder 14-jährig, mein Ururgroßvater.
Die Entfernung vom Kreis Wehlau, dem heute russischen Snamensk, nach Bieberswalde, dem heute polnischen Liwa, beträgt laut Google Maps immerhin 188 Kilometer.
Dieser Ortswechsel macht auch plausibler, wie mein Ururgroßvater Franz nach Usdau kommen konnte, denn von Bieberswalde (Liwa) bis nach Usdau (Uzdowo) sind es nach Google Maps gerade einmal 56,8 km.
Bei einer weiteren Google-Recherche stieß ich sogar noch auf ein Foto vom alten Forsthaus in Bieberswalde. Ob hier tatsächlich die Försterfamilie Claer gewohnt hat?!
d) Urkunden aus Biberswalde digitalisiert im Netz
Wie ich bereits vor einem Jahr in meinem vorigen Bericht geschildert habe, gibt es seit 1874, infolge der deutschen Reichsgründung drei Jahre zuvor, in ganz Deutschland einheitliche Standesämter mit Urkundsstellen, die durch Ausstellung von Geburts-, Sterbe- und Heiratsurkunden die zuvor maßgeblichen Kirchenbücher abgelöst haben. Verbunden war dies auch mit einer seitdem in der Regel einheitlichen Namensschreibweise, was bis dahin oftmals von Ort zu Ort recht unterschiedlich gehandhabt worden war. Und glücklicherweise sind diese standesamtlichen Urkunden von Bieberswalde ab 1874 neben vielen weiteren Dokumenten aus dem Kreis Allenstein (seit 1945 Olsztyn) mittlerweile vollständig digitalisiert im Netz verfügbar unter
https://olsztyn.ap.gov.pl/baza/wynik.php
Nur leider gibt es dort kein Namenregister und keine Suchfunktion, so dass man als Interessent in mühsamer Kleinarbeit Urkunde für Urkunde durchzusehen hat. Hinzu kommt, dass Friedrich und Justine im Jahr 1874, sofern sie noch gelebt haben, schon 75 und 71 Jahre alt hätten sein müssen, was in den damaligen, von früher Sterblichkeit geprägten Zeiten schon eine sportliche Annahme wäre. (Und mit jedem Jahr, das man sich in den Urkunden chronologisch nach vorne arbeitet, sinkt die Wahrscheinlichkeit, noch auf ihre Sterbeeinträge zu stoßen.) Doch zumindest hat Tante Lorelies sie in den Kirchenbüchern vor 1874 nicht gefunden. Und die “modernere” Namensschreibweise Claer auf der Steintafel des Familiengrabs (verglichen mit Clair und Clär in den Einträgen von 1855, siehe oben) deutet auch auf eine eher spätere Errichtung der Familienruhestätte. Hinzu kommt, dass es, sofern die Einrichtung eines Familiengrabes einen Sinn gehabt hat, auch noch weitere Familienangehörige gegeben haben muss, die auf dem Bieberswalder Friedhof neben Friedrich und Justine bestattet wurden. Und dass die Tafel mit der Aufschrift zumindest vor 20 Jahren noch erkennbar und vorhanden war könnte ebenfalls für deren eher späteres Entstehungsdatum, also nach 1874, sprechen.
Allein, meine bisherige Suche in den Urkunden ab 1874 verlief leider ergebnislos. Bislang konnte ich nur die Sterbeurkunden von 1874 bis 1882 und die Heiratsurkunden von 1874 bis 1877 komplett durchsehen, leider ohne Treffer. Es ist daher wohl zu vermuten, dass Friedrich und Justine doch bereits vor 1874 verstorben sind, was eine erneute Recherche in den Bieberswalder Kirchenbüchern von 1855 bis 1873 nahelegen würde. Dennoch werde ich im kommenden Jahr zunächst weiter die standesamtlichen Urkunden durchsehen in der Hoffnung, darin vielleicht doch noch auf weitere Familienangehörige zu stoßen…
e) Die kinderreiche Jägerfamilie Claer
Die Frage ist nur, wer das sein könnte. Friedrich Clairs Vater Friedrich Wilhelm war bereits 1815 in Ludwigswalde (?) gestorben. Friedrichs mutmaßlicher Onkel Johann Friedrich Clair und Friedrichs jüngerer Bruder Johann Wilhelm Clair drängen sich als etwaige Mitbewohner in Bieberswalde nicht so recht auf. Da kommen schon eher die zahlreichen Kinder von Friedrich und Justine in Betracht. Hier noch einmal eine Auflistung jener, von denen wir wissen:
Kinder von Friedrich (1799-18??) und Justine Clair/Claer, geb. Knaebe/Knebel (ca. 1803-18??)
– 1824 Wilhelm Friedrich (23. Oktober) in Corjeiten – verstorben 15.6.1889 in Rahnkalwen/Dittlaken
– 1826 Heinrich Julius (17. Dezember) in Juditten
– 1828 Amalia Dorothea (??. November) in Juditten
– 1830 Albert Eduard (14. November) in Juditten
– 1833 Herrmann August (8. Januar) in Juditten
– 1835 Justina Wilhelmine (??. Februar) in Juditten
– 1837 Auguste Ernestine (11. März) in Juditten
– 1839 Otto Conrad (14. April) in Juditten
– 1841 Franz Claer (27. September) in Eichenberg/Drusken, Kr. Wehlau – verstorben 16.10.1906 in Neidenburg
In einem meiner früheren Berichte schrieb ich hierzu:
„An dieser Stelle ist ergänzend auf die handschriftlichen Aufzeichnungen meines Großvaters Gerhard Claer hinzuweisen, wonach im Kirchenregister der ev. Kirche Judithen bei Neidenburg, Jahrgang 1828, Seite 451 Nr. 61 einige Male Clair mit „ai“ erscheint, nämlich: „Heinrich Clair, Förster; Otto C., Gendarm u.s.w., Franz u.s.w. Postbeamter// Geschwister Amelie (?) geb. Clair“. Er geht offenbar von einer Verwandtschaft aus und wertet die dem Französischen näher stehende Schreibweise als Indiz für die ursprünglich französische Herkunft der Familie… Die vollständige Notiz meines Opas Gerhard enthielt außerdem noch den Zusatz: 9 Knaben, 3 Mädchen. Sollte dies die Anzahl der Kinder von Friedrich Claer und Justine Knaebe sein?”
Wenn das mit den neun Knaben und drei Mädchen stimmte, dann gäbe es noch drei weitere Brüder. Wann könnten die zur Welt gekommen sein, wenn nicht erst nach 1841? In diesem Fall wäre mein Urururgroßvater Franz entgegen meiner bisherigen Annahme also gar nicht der jüngste Sohn seiner Eltern gewesen. Bei weiterer Einhaltung eines jeweils zweijährigen Abstands zwischen den Geburten, siehe oben, kämen als Geburtsjahre folglich 1843, 1845 und 1847 in Betracht (jeweils in Eichenberg/Drusken). Dann hätte meine Urururgroßmutter Justine bei deren Geburten aber schon 40, 42 und 44 Jahre alt gewesen sein müssen. Aus heutiger Sicht gut vorstellbar, nach damaligen Maßstäben vielleicht ambitioniert. Aber warum nicht? Diese eventuellen jüngeren Brüder (nach deren Geburtseinträgen man in den Kirchenbüchern von Drusken bzw. dem Kreis Wehlau noch recherchieren könnte) wären zur Zeit des Ortswechsels der Familie nach Bieberswalde im Jahr 1855 demnach 11/12, 9/10 und 7/8 Jahre alt gewesen und könnten, wie möglicherweise auch das eine oder andere ältere Geschwister, siehe oben, auch nach dem Tod der Eltern in Bieberswalde geblieben sein, was die Einrichtung eines Familiengrabes dort nachvollziehbar erscheinen ließe.
Allerdings könnte es auch ganz anders gewesen sein. Da im Amtsblatt der Königl. Regierung für den Förster Clair kein Vorname angegeben ist, wäre es auch denkbar, dass gar nicht Friedrich die Försterstelle in Bieberswalde angetreten hat, zumal dieser bereits bei seiner Berufung nach Drusken 1840 im Amtsblatt als “invalider Jäger” bezeichnet worden war. Womöglich hatte mittlerweile auch einer seiner Söhne eine weitere Försterstelle in Drusken angetreten und war dann nach Bierberswalde versetzt worden. Laut Aufzeichnung meines Großvaters Gerhard, siehe oben, war ja – neben dem Erstgeborenen Friedrich Wilhelm, über dessen späteren Werdegang wir relativ gut Bescheid wissen – zumindest auch der zweitälteste Sohn Heinrich Clair, geb. 1826, wie sein Vater und Großvater Jäger geworden.
Doch könnte darüber nur ein Fund in den weiteren Urkunden in Bieberswalde Aufschluss geben, die ich also – wie bereits erwähnt – weiter untersuchen werde.
f) Das Familiengrab im 19. Jahrhundert
Doch wie war das überhaupt mit Familiengräbern zu jener Zeit? Seit wann gab es so etwas und welche Bedeutung und Funktion kam diesen zu? Hierzu fand ich im Netz einen sehr erhellenden fachhistorischen Aufsatz (Archiv für Sozialgeschichte 55, 2015, S. 19 ff.: Anna-Maria Götz – Zwischen Status, Prestige und Distinktion. Das bürgerliche Familiengrab und der Wandel des Bestattungswesens im 19. Jahrhundert), aus dem ich im Folgenden die wichtigsten Passagen zitiere:
“Das 19. Jahrhundert ist in der Sozialgeschichte auch als das bürgerliche Zeitalter bekannt und eben dieses Bürgertum differenzierte sich in seinen ideellen Vorstellungen sowie im sozialen Habitus bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert immer weiter aus. Was in den Jahrzehnten nach der Französischen Revolution und der Aufklärung als egalitär proklamiert wurde, offenbarte sich im Alltagsleben nicht selten auf elitäre Weise. Diesen Paradigmenwechsel finden wir auf den Friedhöfen der Jahrhundertwende mit einer weiten Bandbreite an bürgerlichen Grabanlagen mit monumentalem Grabschmuck, mehrdeutigen Bildschöpfungen und kostspieligen Materialen. Hier lässt sich im Sinne Pierre Bourdieus ein vielschichtiges Geflecht der sogenannten feinen Unterschiede erahnen, das es im Folgenden näher zu untersuchen gilt.” (S.19)
Die Verfasserin betont das
“Phänomen, das historische Friedhöfe als Accessoirelandschaften des bürgerlichen Habitus erscheinen lässt. Erst ab dem 19. Jahrhundert bot sich mit der Einrichtung kommunaler Zentralfriedhöfe ausreichend Platz, um die früheren Massen- und Schichtgräber durch individuelle Einzelgräber abzulösen. Die Professionalisierung des Bestattungswesens im späten 19. Jahrhundert sowie das Aufkommen von Gewerbezweigen rund um Beisetzung, Verabschiedung und Grabgestaltung lassen vermuten, dass die Bestattungs- und Grabmalkultur zu diesem Zeitpunkt immer weiter ausdifferenziert wurde. Insbesondere die monumentalen, dauerhaft angelegten Gräber bürgerlicher Familien veranschaulichen facettenreich, dass sich das Andenken um die Verstorbenen auf repräsentative und äußerst individuelle Weise in Szene setzen ließ.” (S.19)
Und weiter heißt es, dass
“Friedhöfe eine überregionale Reputation hatten. All diese Aspekte lassen vermuten, dass hier im Laufe des 19. Jahrhunderts Bedingungen gegeben waren, unter denen sich bürgerliche Kreise gegenüber anderen sozialen Gruppen zu behaupten versuchten und ein spezifisch bürgerliches Bestattungswesen und Andenken kultivierten.” (S.21)
“Neben Lage und Größte konnten auch Materialien Mittel zu sozialer Statusbekundung und schichtspezifischer Abgrenzung sein. An die physische Beschaffenheit und den materiellen, ökonomischen Wert bestimmter Werkstoffe war eine soziokulturelle Codierung gekoppelt: »Materialien sind Indikatoren gesellschaftlicher Empfindlichkeiten, denn an ihnen lagert sich die Geschichte ihrer Verwendungsweisen an.«28 Als besonders hochwertig galten Materialien wie Sandstein, Marmor, Granit oder auch Bronze, da sie bis zum 19. Jahrhundert den Repräsentanzbauten des Adels und der Kirchen vorbehalten waren. Während derart exklusive Materialien entlang der Hauptalleen gewissermaßen in Reinform zu finden waren, zeigen sich in den zweiten und dritten Reihen auch Grabstätten in Form von Amalgamen. Eine kostengünstigere Variante war es beispielsweise, auf einen Sandsteinsockel aus der Region eine Plastik aus importiertem Marmor in Szene zu setzen. Ebenfalls von Bedeutung für die Reputation eines Grabs war die Art der Fertigung als
Unikat, als Reproduktion oder als serielle Katalogware. (S.31)
“Bürgerliche Familiengräber des 19. Jahrhunderts wurden für die Ewigkeit angelegt, oder genauer: für die Hoffnung auf Erinnerung der Hinterbliebenen in Ewigkeit.” (S.35)
Das Bürgertum ist dabei als eine heterogene Gruppe von Akteuren zu verstehen, die durch erkämpfte Rechte und erarbeiteten Status diskursprägend war und sich gegenüber aufstrebenden Schichten als vorbildlich erachtete. Allein der Umstand, dass sich viele bürgerliche Familien ein Familiengrab mit monumentaler Grabanlage finanzieren konnten, grenzt diese Gruppe der Grabbesitzer von unteren sozialen Schichten ab. Der Friedhofsraum spielte dabei die Rolle eines Spielfelds der sozialen Ordnung. Die Einrichtung der Grabstätte fungierte dabei als eine Art Seismograf bürgerlicher Identität (S.36)
“Offensichtlich ist jedoch, dass allein die Dauerhaftigkeit und Monumentalität der vorgestellten Grabanlagen einen ausgeprägten Wunsch demonstrieren, das Andenken an die Toten im Diesseits repräsentativ auszustatten.” (S.37)
Was folgt daraus nun für unsere Betrachtungen? Zwar kann bei der Försterfamilie Claer nicht unbedingt von großbürgerlichem Habitus und elitärer Renommiersucht auf dem Friedhof ausgegangen werden. Die Steintafel ist auch vergleichsweise schlicht gehalten, und von der damaligen Ausstattung der eigentlichen Grabstätte wissen wir nichts. Doch war zu jener Zeit – noch vor den Bismarckschen Sozialreformen mitsamt Einführung einer Rentenversicherung – eine Existenz als königlicher Förster, also quasi im sicheren Staatsdienst, mit mindestens sechs, vielleicht sogar neun männlichen Nachkommen, die womöglich allesamt ihrerseits sicher in Lohn und Brot standen, keine schlechte Voraussetzung für die Errichtung einer zumindest dezent repräsentativen Familiengrabstätte im von den Friedhofs-Bodenpreisen her sicherlich noch kostengünstigen ländlichen Raum.
Im nächsten Forschungsbericht in einem Jahr, vielleicht mit Funden aus den Bieberswalder Urkunden, könnten wir Genaueres wissen…
2. Die Claers in Gerdauen 1872
Einen weiteren kleinen Treffer landete ich auf der Internetseite Portal-Ostpreußen:
Demnach wurden in Gerdauen, Kirchspiel Muldzen, in den jahren 1871 und 1872 die Kinder Anna Johanna Claer (24.6.1871) und Max Friedrich Claer (24.11.1872) geboren. Die Eltern waren jeweils ein Herrmann Claer und seine Frau Anna Gutzki.
Besonders interessant ist ferner, dass als Geburtsort im Falle von Anna Johanna “Ilmsdorf Forsthaus” angegeben wird. Dies deutet auf eine weitere Försterfamilie Claer hin, von der wir bisher noch nichts wussten!
Gerdauen liegt etwas südlich von Wehlau und südöstlich von Königsberg, also ziemlich dicht an Eichenberg/Drusken, wo – wie oben geschildert – die Förster-Familie von Friedrich Clair bis zur Versetzung nach Bieberswalde 1855 gelebt hat. Auch deren frühere Wohnorte Juditten und Corjeiten sowie Friedrichs Geburtsort Ludwigswalde sind nicht weit.
Wie aber lassen sich diese Claers in Gerdauen nun einordenen? Der Name des Vaters Herrmann erinnert natürlich gleich an Hermann August Clair, Friedrich und Justines viertältesten Sohn, geboren 1833 in Juditten, den Ururgroßvater meines anfangs erwähnten Cousins vierten Grades Manfred Claer. Der mutmaßliche Förster Herrmann Claer aus Gerdauen könnte bei der Geburt seiner Kinder 1871/72 (rein statistisch betrachtet) ca. 20 bis 30 Jahre alt gewesen sein, womit sein Geburtsdatum zwischen 1841 und 1851 liegen könnte. Unter Berücksichtigung der damals weit verbreiteten Gepflogenheit, den ältesten Sohn einer Familie nach dem Vater und die weiteren Söhne nach dessen Brüdern, also ihren Onkeln, zu benennen, könnte der Gerdauer Herrmann folglich der älteste Sohn oder ein Neffe von Manfreds Ururgroßvater Hermann August gewesen sein.
Da Manfreds Ururgroßvater Hermann August (geb. 1833 in Juditten) aber laut Geburtsurkunde von Manfreds Urgroßvater Franz Richard Claer (geb. 1872 in Geidlauken) Müller war – er hatte in die Müllerfamilie seiner Frau Henriette Mettschul eingeheiratet –, hätte vermutlich der älteste Sohn die Mühle übernommen und wäre nicht Jäger geworden. (So wie es ja auch naheliegend ist, dass Franz Richard als vermutlich erst spät geborener, weiterer Sohn seines Vaters neue berufliche Wege ging bzw. fuhr, denn er wurde Fuhrmann und verliebte sich während eines Frachttransports im Rheinland, wo er dann hängenblieb, siehe meine früheren Berichte.) Demnach dürfte der Gerdauer Jäger Herrmann Claer eher ein Neffe des Müllers Hermann August gewesen sein, der nach diesem benannt wurde. Und falls Herrmanns Vater, wofür vieles spricht, auch Jäger gewesen sein sollte, könnte er der Jäger Heinrich Julius Clair (geb. 1826 in Juditten) oder auch Albert Eduard Clair (geb. 1830 in Juditten), dessen Beruf wir nicht kennen, gewesen sein; aber eher nicht Otto Conrad Clair (geb. 1839 in Juditten), denn der soll ja laut meinem Opa Gerhard Gendarm gewesen sein. Genauso denkbar wäre aber auch, dass der Gerdauer Jäger Herrmann Claer aus der Linie von Friedrichs Bruder, dem Oberförster Johann Wilhelm Clair, geb. 1802 in Ludwigswalde, stammt; oder von noch woanders…
Noch dazu spricht für die Neffen-These, dass Gerdauen nur überschaubare 50 km von Geidlauken entfernt ist. Noch dichter liegt übrigens Geidlauken an Eichenberg/Drusken, und auch Ludwigswalde und Juditten und Gumbinnen (wo sich die ersten Clairs 1712 aus St. Imier in der Schweiz kommend angesiedelt haben) sind nicht weit. Demnach haben sich die Clairs lange Zeit im nördlichen Ostpreußen aufgehalten – bis zur Versetzung von Friedrich nach Bieberswalde im Jahr 1855!
3. Wie es Förster Otto Wilhelm Claer 1890 von Ostpreußen nach Schlesien verschlug
Um einen Ortswechsel noch viel größeren Ausmaßes geht es nun in den folgenden Ausführungen, die mir mein Neffe vierten Grades Andreas Z. aus Moritzburg bei Dresden dankenswerterweise zur Verwendung überlassen hat. Sein Ururgroßvater, der Förster Otto Wilhelm Claer (1859-1937), Sohn des Försters Wilhelm Friedrich Claer (1824-1889), welcher wiederum der älteste Sohn von unseren besagten Friedrich Cair (geb. 1799) und Justine Knaebe (geb. ca. 1803) ist, siedelte offenbar der Liebe wegen 1890 von Ostpreußen nach Schlesien um. Die folgenden Passagen von Andreas Z. bringen nun erstmals Licht in die näheren Begleitumstände, wobei bedauerlicherweise seine Großmutter, deren Mutter selbst eine geborene Claer war, diese Entdeckungen nicht mehr miterleben kann, da sie vor wenigen Jahren hochbetagt verstorben ist…
Noch dazu hat mir Andreas dieses großartige Foto des Försters Otto Wilhelm Claer (1859-1937) in Dienstkleidung zur Verfügung gestellt:
“Unsere und Omis große Frage war ja, weshalb ihr Opa Otto Wilhelm Claer, geb. 1859 in Argenthal/Ostpreußen, nach Schlesien übergesiedelt ist. Diese Frage hatte Omi sich gestellt und nicht beantworten können. Sie hat sie auch nie ihrem Opa gestellt. Wir haben das Rätsel nun lüften können. 🙂
Nur zur kurzen Einordnung. Der Vater von Otto Wilhelm Claer war Friedrich Wilhelm Claer, geb. 1824 in Corjeiten, Kreis Fischhausen/Ostpreußen. Das war uns ja bereits bekannt.
– Otto Wilhelm Claer hat 1890 im schlesischen Leutmannsdorf eine Minna Klara Hübner geheiratet. Sie ist die Tochter des Friedrich Wilhem Hübner. …der Name war Friedrich Wilhelm Programm 🙂 Hier entstand die Frage, weshalb er in Ostpreußen geboren wurde, dort Förster wurde und in Schlesien dann geheiratet hat. Er war auch bereits 31 Jahre. Weshalb ist er nach Schlesien? Nun, er war Förster und es wäre denkbar, dass er in Schlesien eine Stelle angetreten hat, weil möglicherweise in Schlesien eine Försterstelle ausgeschrieben war. Nicht undenkbar, allerdings für uns eher unwahrscheinlich, denn die Claers waren in Ostpreußen ja schon lange Förster und es war eine waldreiche Region. Weshalb also die lange „Fahrt“ und einen Umzug antreten? Es war zu dieser Zeit ja sicher nicht wie heute, in der ein Umzug für eine Stelle über mehrere 100km kein Problem und eher normal ist. Also diese Försterstellentheorie war für uns eher nicht so griffig. Da musste noch mehr sein 🙂
Hier kommt die Entdeckung! Wir haben eine Geburtsurkunde aus Ostpreußen entdeckt, in der der Förster Friedrich Wilhelm Claer anzeigt, dass seine Tochter 1879 eine Tochter zur Welt gebracht hat. Viel wichtiger ist jedoch die handschriftliche Ergänzung auf der linken Seite. Wir haben diese entschlüsselt:
“Der Revierförster Richard Hübner, evangelischer Religion, wohnhaft in Ludwigsdorf, Landkreis Schweidnitz hat laut Heiratsurkunde Nr. 4 des Standesamtes zu Eschenbruch vom 5. September 1879 mit Emma Marianne Claer der Mutter des nebenbezeichneten Kindes, die Ehe geschlossen und in einer unterm 28. September 1903 vor dem königlichen Notar Ludwig Kottman in Schweidnitz errichteten Urkunde die Vaterschaft zu dem nebenbezeichneten Kinde anerkannt
Didlaken, den 1. Oktober 1903.
Der Standesbeamte in Insterburg Dekars
hier nachträglich eingetragen Insterburg, den 7. Oktober 1903“
ALSO: Ein Richard Hübner aus Schlesien, aus dem Landkreis Schweidnitz hat in Ostpreußen ein uneheliches Kind mit der Tochter des Friedrich Wilhelm Claer (geb. 1824) gezeugt. Richard Hübner, selbst Förster, war zu dieser Zeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Ostpreußen stationiert. Wir wissen ja, dass viele Förster einige Zeit im Militär gedient haben. So ist es sicher zu erklären, dass Richard Hübner in Ostpreußen war und dort die sicherlich überaus bezaubernde Emma Marianne Claer getroffen hat und ein Kindelein entstanden ist 🙂 Und es ist sehr naheliegend, dass Omis Opa, Otto Wilhelm Claer, mit Richard Hübners Familie in Kontakt kam und die Schwester von Richard Hübner kennengelernt hat…und dann 1890 die Schwester von Richard Hübner geheiratet hat. Das ist also die Verbindung, die wir immer gesucht haben. Otto Wilhelm hat aufgrund der Verbindung zwischen seiner Schwester und Richard Hübner den Kontakt nach Schlesien gehabt. Da er und Richard Förster waren, ist die Vermittlung einer Försterstelle in Schlesien sicher einfacher gewesen und Otto Wilhelm ist dann seiner Schwester nach Schlesien gefolgt.
Wir sind über die Eintragung in der Geburtsurkunde so glücklich und entzückt. Omi hätte sich sicher so gefreut diese Antwort zu bekommen.”
Allerdings ist an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, dass es auch schon zuvor in Schlesien Clairs gegeben hat, die vermutlich aus Ostpreußen stammten. Es sei hier nur an den Förster Clair in Mellendorf erinnert, der dort 61-jährig im Jahr 1822 ein Wildschwein im Kampf von Angesicht zu Angesicht bezwungen hat, worüber dann mehrere Zeitungen, darunter auch Fachzeitschriften für Jägerei berichteten, siehe meine früheren Texte.
4. Heiratseintrag der Elisabeth Clair (Tochter des Jacob Clair), Gumbinnen 1834 – auf Französisch!
Und noch ein weiterer spektakulärer Fund ist Andreas Z. gelungen. Hier ist der französischsprachige Heiratseintrag von 1734 der Elisabeth Clair, der Tochter des Jacob Clair aus Gumbinnen, der gemeinsam mit David Clair und weiteren Angehörigen 1712 aus St. Imier in der Schweiz neben vielen weiteren französischsprachigen Zuwanderern nach Gumbinnen in die “Schweizer Kolonie” gekommen war, siehe meine früheren Texte.
Inhaltlich war uns das aber schon bekannt. Neu für uns ist die Ansicht des Eintrags. Wirklich schade, dass wir die “Lücke” zwischen den Clairs in Gumbinnen und den Förstern in Ludwigswalde um 1800 bisher nicht schließen konnten, wobei das Geburtsjahr “unseres” Friedrich Wilhelm Klaer, der wohl erst in den 1790ern nach Ludwigswalde gekommen ist, nach einem (ungesicherten) Datenbankeintrag 1770 gewesen sein soll, siehe meine früheren Texte.
5. Weitere Fotos von Erich Claer (1901-1950)
Abschließend noch ein Zeitsprung um zwei Jahrhunderte nach vorne. Tante Lorelies hatte mir freundlicherweise noch weitere Bilder ihres Vaters Erich Claer (1901-1950) zur Verfügung gestellt, meines Großonkels zweiten Grades, über den wir dank der Kondolenzbriefe und zahlreicher weiterer Unterlagen (siehe meine Berichte aus den letzten beiden Jahren) schon ziemlich gut Bescheid wissen. Hier also sind die Fotos (teilweise mit Erichs Söhnen Hans-Henning “Moppel” und Dieter), jeweils mit den Erklärungen von Tante Lorelies:
Bild 1: Vor dem Krieg in Gröben mit Frido Finno Fitz von der Niederlausitz, unserem Schäferhund, der auf der Flucht verschollen ist.
2: Das Foto hatte meine Mutter auf der Flucht bei sich, ein Russenbengel zerriss es vor ihren Augen und klaute alles, was sie in ihre Kleider eingenäht hatte.
3: Juni 1947, erstes Foto nach der Gefangenschaft.
4: 1949 im Stadtpark Steglitz, wo Moppel auch immer trainierte zwischen 4 Bäumen, mit einem Seil drum (rechts im Bild Dieter).
5: Bei einer Festveranstaltung der Fa. Meyer, wo er Personalchef war, neben ihm Dieter, der mit durfte.
6: Das letzte Passbild 1950.
6. Ausblick
Damit endet mein Bericht in diesem Jahr. Die Fortsetzung folgt wie immer in 12 Monaten.
justament.de, 14.2.2022: Intellektueller Tausendsassa
Zum 90. Geburtstag von Alexander Kluge
Thomas Claer
„Ein Jurist, der nicht mehr ist als ein Jurist, ist ein arm Ding“, wusste schon Martin Luther. Und genauso hat es wohl auch der am 14. Februar 1932, heute vor neunzig Jahren, als noch niemand den Valentinstag auf dem Schirm hatte, in Halberstadt im Harz geborene Alexander Kluge gesehen. Denn nach seinem Jura-Studium in Freiburg, Marburg und Frankfurt am Main zog es ihn Mitte der Fünfzigerjahre sogleich zur berühmten und ebendort ansässigen „Schule“, um beim Justitiar des „Instituts für Sozialforschung“ eine Station seines Referendariats abzuleisten. Dort hat ihn dann Theodor W. Adorno höchstselbst zum Filmregisseur Fitz Lang geschickt, der ihn von seinen literarischen Bestrebungen abbringen sollte, da er die Literatur für ein „abgeschlossenes Gebiet“ hielt. Hat aber alles nichts genutzt, ganz im Gegenteil: Kluge avancierte nicht nur zum Schriftsteller im Umfeld der Gruppe 47, sondern auch zum gefeierten Autorenfilmer, der bereits 1962 bei den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen zu den Initiatoren des „Oberhausener Manifests“ gehörte, die die Abkehr vom „alten deutschen Film“ forderten. Und so wurde Alexander Kluge mit Filmen wie „Abschied von gestern“ (1966) konsequenterweise ein wichtiger Repräsentant des „Neuen Deutschen Films“.
Parallel dazu hatte er sich bereits nach dem Bestehen seines Assessorexamens 1958, wozu war er schließlich Volljurist, in West-Berlin und später in München als Rechtsanwalt niedergelassen. Ab 1963 lehrte er als Professor an der Hochschule für Gestaltung Ulm und leitete mit Edgar Reitz die Abteilung für Filmgestaltung. Im selben Jahr betätigte er sich auch erstmals unternehmerisch und gründete seine eigene Produktionsfirma Kairos-Film. 1973 wurde er Honorarprofessor an der Universität Frankfurt am Main. Es folgten beinahe 50 Bücher und mehr als 30 Filme, theoretisch-sozialwissenschaftliche Werke mit seinem Kumpel, dem Soziologen Oskar Negt, Essays und Kurzgeschichten, Hörspiele und Features.
Sein vielleicht größter Geniestreich aber war sein Wirken als Fernsehproduzent. Mit Gründung der dctp (Development Company for Television Program) und als deren Gesellschafter mit 37,5%igem Anteil schaffte er 1987 erstmalig eine Plattform für unabhängige Programme im deutschen Privatfernsehen und befüllte sie seitdem, „um das Fernsehen offen zu halten für das, was außerhalb des Fernsehens stattfindet“, mit großartigen selbstproduzierten Kulturmagazinen im Nachtprogramm von RTL, SAT1 und Vox wie „10 vor 11“, „Prime Time Spätausgabe“ und „News & Stories“. Dabei gelang es ihm spielend, seinen Freund Hans Magnus Enzensberger zu widerlegen, der das Fernsehen zum „Null-Medium“ erklärt hatte. Man kann wohl sagen, dass Kluges nächtliche Kultursendungen zum Interessantesten gehörten, was das Medium Fernsehen jemals hervorgebracht hat. Hier eine besonders gelungene Sendung mit dem Goethe- und Asienkenner Dr. Manfred Osten über die Opiumkriege zwischen England und China Mitte des 19. Jahrhunderts:
Wir wünschen alles Gute zum 90. Geburtstag!
justament.de, 5.7.2021: Loch in der Tasche
Scheiben vor Gericht Spezial: Vor 40 Jahren erschien „Stinker“ von Marius Müller-Westernhagen, der Schlusspunkt seiner Pfefferminz-Trilogie
Thomas Claer
Wer den Sänger Marius Müller-Westernhagen, heute 72, in den Neunzigern und Nullern erlebt hat, als er regelmäßig große Stadien füllte und mit manchmal ziemlich doofen Mitgröl-Hymnen beschallte, vergisst leicht, dass dieser Rock-Musiker auch ein durchaus interessantes Frühwerk und insbesondere eine grandiose „klassische Phase“ um das Jahr 1980 herum vorzuweisen hat, von der im Folgenden die Rede sein soll. Nach seinen stilistisch noch etwas orientierungslosen Anfängen in den mittleren Siebzigern gelang ihm nämlich der Durchbruch auf „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ (1978) und den beiden ähnlich gestrickten Nachfolgern „Sekt oder Selters“ (1980) und „Stinker“ (1981). In dieser Trilogie hat MMW seinen eigenen Stil gefunden: Gitarre, Bass, Schlagzeug, flotte Rockmusik mit witzigen deutschen Texten, geschult am drei Jahre älteren Kollegen und WG-Mitbewohner Udo Lindenberg, hier gewissermaßen in der rheinischen Variante. Später allerdings hat Westernhagen sich vorübergehend auf Synthesizer-Irrwegen verrannt, bevor er dann nach 1989 in den Stadion-Rock abgeglitten ist…
Doch von ihm bleiben wird die Pfefferminz-Triologie mit ihren leichthändigen Songs, die allesamt kleine Alltags-Geschichten aus dem verwanzten und abgerissenen Großstadt-Milieu erzählen. Von „Willi Wucher“ etwa, dem dubiosen Antiquitäten-Händler, oder im Zuhältersong „Oh Margarethe, gib mir die Knete“. Über eine Prostituierte heißt es: „Sie hatte ‘nen Gang, den du dich nie traust, und rote Haare auch unten.“ Auf „Stinker“ wird die Musik dann noch einmal deutlich schneller und härter und die Texte mitunter noch krasser. Im Lied „Sex“ geht es offenbar um Gruppen-Vergnügungen. Und frenetisch wird der damalige neueste Stand der Technik bejubelt: „‘nen Videorekorder hab ich mir bestellt mit so schweinische Filme… Was kostet die Welt?“ Natürlich kann man diesen Texten, zumal aus heutiger Sicht, ihr testosterongetriebenes männliches Draufgängertum vorhalben, etwa im Eröffnungs-Lied „Ladykiller“. Aber na wenn schon! Den Gangsterrappern unserer Tage lässt man schließlich noch ganz andere Sachen durchgehen…
Der stärkste Song des Albums aber kommt erst ganz am Ende der Platte: Wer hat jemals einen überzeugenderen und schmutzigeren Blues in deutscher Sprache gehört als „Ich hab ein Loch in meiner Tasche“? Allein dafür kann man diesen Deutschrock-Pionier doch gar nicht genug rühmen!
Marius Müller-Westernhagen
Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz
WEA (Warner) 1978
ASIN: B0000517G8
Marius Müller-Westernhagen
Sekt oder Selters
WEA (Warner) 1980
ASIN : B00000ARDI
Marius Müller-Westernhagen
Stinker
WEA (Warner) 1981
ASIN: B0000517FY
justament.de, 4.1.2021: Nostalgie ist ihre Strategie
Scheiben Spezial: Element Of Crime machen einen 17-teiligen Podcast über jede ihrer Platten
Thomas Claer
Das wirklich wahre Leben ist, wie jeder Proustianer weiß, das Schwelgen in den eigenen Erinnerungen. Das dachten sich offenbar auch unsere Lieblings-Helden von Element Of Crime und haben für sich selbst und alle ihre Fans gesprächsweise noch einmal die guten alten Zeiten wieder aufleben lassen. 17 Teile – für jede Platte einen – umfasst ihre neue und zugleich erste Podcast-Serie. Es funktioniert ganz einfach: Man muss nur auf den folgenden Link klicken:
und landet dann, ohne sich noch umständlich irgendwo anmelden zu müssen, direkt in diesen bedeutsamen Männer-Gesprächen. Tatsächlich sind es einfach nur Worte, nichts als Worte, die Sven Regener, Jakob Ilja und Richard Pappik hier zum Besten geben. Doch wie könnte es anders sein: Schon nach den ersten beiden Folgen fühlt man sich als alter EOC-Fan reichlich beschenkt. Die 39 Minuten über ihr Debüt “Basically Sad” (1986) und mehr noch die 1 Stunde und 22 Minuten über den Nachfolger “Try To Be Mensch” vergehen wie im Fluge. Die Entstehungsgeschichte beinahe jedes einzelnen Songs und wie sich die Band überhaupt zusammengefunden (und zwischenzeitlich auch immer wieder zerstritten) hat, die prekäre wirtschaftliche Lage der Musiker in den ersten Jahren… Will man das alles wirklich so genau wissen? Die klare und erschöpfende Antwort darauf lautet: ja! Und was dann selbstredend auch noch dazukommt: Vor dem inneren Auge des Hörers werden dabei auch jene entrückten Momente wieder lebendig, als man diese Musik seinerzeit selbst zum ersten Mal und später dann immer wieder gehört hat… Das Urteil lautet: Spitze!
justament.de, 23.11.2020: Voll retro
“Die Heiterkeit”-Frontfrau Stella Sommer auf ihrer zweiten Solo-Platte “Northern Dancer”
Thomas Claer

Stella Sommer, die singende, musizierende, komponierende und textende examinierte Juristin, deren Veröffentlichungen mit ihrer Band “Die Heiterkeit” wir an dieser Stelle schon mehrfach mit Lob überschüttet haben, hat auch noch eine andere, lange Zeit verborgen gebliebene Seite. Und die lebt sie seit 2018 als Solo-Künstlerin aus. Wobei man einschränkend hinzufügen muss, dass sich die nominale Unterscheidung zwischen Band und Solo-Projekt wohl nicht jedem ihrer Hörer sogleich erschließen wird, da auf den “Heiterkeit”-Platten ja auch nur Stella Sommer mit wechselnden Begleitmusikerinnen agierte, während auf ihrer ersten “Soloveröffentlichung, der grandiosen Platte “13 Kinds of Happiness”, u.a. auch zwei frühere Bandkolleginnen von der “Heiterkeit” mitwirkten. Doch kommt es auf solche Feinheiten natürlich überhaupt nicht an. Und fest steht immerhin, dass sie auf ihren “Heiterkeit”-Alben deutsch singt und es manchmal auch indiegitarrenrockmäßig krachen lässt, wohingegen ihre Solo-Scheiben sich am Stil der Sechzigerjahre orientieren und (mit bislang einer Ausnahme: dem letzten Song der ersten CD) englisch besungen sind.
Es liegt nahe, dass Stella Sommer durch die vielen Nico (ex-Velvet Underground)-Vergleiche der Musikkritiker in all den Jahren auf den Trichter gekommen ist, selbst einmal eine Platte wie ihr stimmliches Leitbild, die frühe Nico, einzuspielen. Und dieser inzwischen schon mehr als zwei Jahre zurückliegende Versuch ist ihr so gut gelungen, dass sie nun mit dem Album “Northern Dancer” noch einmal nachgelegt hat. Abermals werden wir musikalisch und instrumental, auch optisch und was die ganze Inszenierung angeht (man betrachte nur das Video zum Song “A Lover Alone”, das mutmaßlich in einem englischen Park spielt!), in die frühen bis mittleren Sechziger zurückversetzt. Nur die Songtexte tanzen hier manchmal ein wenig aus der Reihe, denn die sind mitunter gewagter, als es seinerzeit (vor 1968!) opportun gewesen wäre. Das für mich schönste Lied der Platte, “Lights on the Water”, nicht ohne Grund effektvoll als “Hidden Track” ganz am Ende der CD platziert, beginnt mit den Worten: “Over this body I have limited control”. Da denkt man unwillkürlich an den alten Tocotronic-Song “Über Sex kann man nur auf Englisch singen”. Wäre ja sonst auch wirklich zu peinlich… Aber man erkennt auch, dass der an sich erfreuliche weigehende Wegfall sittlichkeitsgeleiteter Zensur heutzutage das Texten nicht unbedingt einfacher gemacht hat. Jedoch zieht sich Stella Sommer auch in dieser Hinsicht noch immer sehr achtbar aus der Affäre…
Alles in allem liefert “Northern Dancer” also, ähnlich wie sein Vorgänger, wieder ausnehmend stimmungsvolle Musik, die sich – passend zum aktuellen Corona-Lockdown – am besten alleine oder zu zweit genießen lässt. Wobei “Northern Dancer” die überwältigende düstere Eindringlichkeit von “13 Kinds of Happiness” dann allerdings doch nicht ganz erreichen kann. Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).
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Stella Sommer
13 Kinds of Happiness
Affairs of the Heart / Indigo 2018
ASIN: B07CPMDQ16
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Stella Sommer
Northern Dancer
Northern Dancer Records (Membran) 2020
ASIN: B08H4WQXMS
Oktober 2019: In eigener Sache
“Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger” von Thomas Claer demnächst nicht mehr als Buch erhältlich – aber dafür bald auf dieser Seite!
Am 30. November 2019 wird das Buch “Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger” (BoD 2012) vom Markt genommen und ist dann nicht mehr in gedruckter Form und als E-Book erhältlich. Wer sich also zum Preis von 10,00 Euro noch ein Print-Exemplar sichern möchte, zum Beispiel hier, hat dazu letztmalig bis Ende November die Gelegenheit. Wer aber nur am Inhalt interessiert ist, sollte sich noch etwas gedulden und dann gelegentlich diese Seite besuchen, denn ab Anfang 2020 wird das Buch mit aktuellen Kommentierungen versehen nach und nach auf thomas-claer.de erscheinen. Eine spätere Neuauflage als gedrucktes Buch ist nicht unbedingt beabsichtigt, aber auch nicht völlig ausgeschlossen.
Das im Sommer 2011 entstandene Buch konnte sich ohne besondere Werbeaktionen (außer einer kleinen Anzeigenserie in der Zeitschrift Justament, siehe Abbildung) bis heute immerhin 652-mal verkaufen, was bei Kleinauflagen dieser Art beinahe schon als “kleiner Bestseller” gilt. Allen, die es erworben haben, sei hiermit herzlich gedankt! Möglicherweise kann es künftig ohne “Bezahlschranke” ja sogar noch mehr Interessenten erreichen.
MDR-Umschau, 4.12.2018: Westpakete als Stütze der DDR-Planwirtschaft
Thomas Claer als Zeitzeuge im Fernsehen befragt…
Okt. 2016: Beitrag in “Die schwierige Einheit” (Leseprobe)
Im Sammelband von Martin Sabrow (Hg.), “Die schwierige Einheit” (Leipzig 2016), basierend auf den Vorträgen bei den Helmstedter Universitätstagen 2015, findet sich auf S. 133-155 der Beitrag:
Thomas Claer – “War die DDR ein Unrechtsstaat?”
Es handelt sich um eine aktualisierte Version des gleichnamigen Justament-Textes (2011), der sich wiederum an “Negative Staatlichkeit” (Diss., 2003) orientiert.
Den vollständigen Text im Sammelband von Martin Sabrow (Hg.) – “Die schwierige Einheit” gibt es hier. Mit Beiträgen von Martin Sabrow, Andreas Rödder, Gerhard A. Ridder, Winfried Süß, Werner Abelshauser, Lothar Probst, Karl-Siegbert Rehberg, Thomas Claer, Lothar de Maiziere, Richard Schröder und Ulrike Poppe.
Gliederungspunkte in “War die DDR ein Unrechtsstaat?”:
- Demoskopie
- Politische Debatte
- Was ist denn überhaupt ein Unrechtsstaat?
- Definition
- Die DDR – ein Unrechtsstaat?
- Was war die DDR?
- Die DDR – ein Verbrecherstaat?
- Gerechtigkeit für die DDR?
Leseprobe:
Demoskopie
Die öffentliche Meinung, jedenfalls auf gesamtdeutscher Ebene, hat ihre Entscheidung längst getroffen: In einer Umfrage von Infratest dimap für den ARD-Deutschlandtrend im November 2009 erklärten 72 Prozent der Befragten, die DDR sei ein „Unrechtsstaat“ gewesen, nur 19 Prozent hielten sie für keinen „Unrechtsstaat“, weitere 9 Prozent wussten auf diese Frage keine Antwort. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Emnid-Umfrage für das Nachrichtenmagazin “Focus” im Oktober 2014, bei welchem 1003 repräsentativ ausgewählten Personen befragt wurden. Demnach sagten 64 Prozent der Bundesbürger, der Begriff „Unrechtsstaat“ treffe auf die Deutsche Demokratische Republik zu, 28 Prozent waren gegenteiliger Ansicht. Die Umfrage untersuchte übrigens auch die Abhängigkeit der Positionierung in der Unrechtsstaats-Debatte von der parteipolitischen Präferenz der Befragten: Nahezu alle Anhänger der Grünen (98 Prozent) sind der Auffassung, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Im SPD-Lager vertreten diese Ansicht 77 Prozent, in dem der Union 73 Prozent. Bei Anhängern der Linkspartei sind allerdings nur 28 Prozent dieser Auffassung.
Interessant an diesen Umfragewerten ist, dass bei gesonderten Umfragen unter Ost- und Westdeutschen die Frage nach dem „Unrechtsstaat“ in Abhängigkeit vom Wohnort der Befragten sehr unterschiedlich beantwortet wurde, wobei die Ost-West-Asymmetrie sich in den vergangenen Jahren noch verschärfte: Schon in der erwähnten Infratest dimap-Umfrage von 2009 lehnten zum damaligen Zeitpunkt 41% der befragten Ostdeutschen den Begriff Unrechtsstaat ab, während nur 28% ihn als Bezeichnung der DDR für zutreffend hielten.
Nahezu identische Zahlen präsentierte im Herbst 2009 das Leipziger »Institut für Marktforschung« im Auftrag der Zeitschrift SUPERillu. Zusätzlich fanden die Leipziger Forscher aber noch heraus, dass der Blick auf die DDR auch mit dem Alter der Befragten zusammenhängt. Am DDR-kritischsten fällt das Urteil bei den 18- bis 29-Jährigen Ostdeutschen aus, die den Staat nur noch als Kind oder gar nicht mehr erlebt haben. Wer hingegen relevante Teile seines Lebens selbst in der DDR verbracht hat, ist offenbar weniger dazu geneigt, die DDR als einen Unrechtsstaat anzusehen.
Die nach meiner Kenntnis aktuellste Umfrage zu dieser Frage, die ebenfalls schon erwähnte Emnid-Untersuchung für das Magazin Focus aus dem Oktober 2014, kam sogar zu dem Ergebnis, dass im Osten lediglich 30 Prozent die DDR für einen Unrechtsstaat halten, im Westen hingegen 72 Prozent der Bevölkerung. Für bemerkenswerte 57 Prozent der Befragten in den neuen Bundesländern war die DDR demnach kein Unrechtsstaat. Darüber hinaus kamen die Emnid-Forscher zu der Erkenntnis, dass der heutige materielle Wohlstand der befragten Ostdeutschen eine wesentliche Rolle für die Beantwortung dieser Frage spiele: Je höher das Einkommen, desto eher werde die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet.
Anzumerken ist allerdings, dass diese Umfrage im Herbst 2014 vor dem Hintergrund der laufenden Koalitionsverhandlungen in Thüringen stattfand. Damals verhandelten Linkspartei, SPD und Bündnis 90/Grüne – am Ende erfolgreich – über die erstmalige Bildung einer gemeinsamen rot-rot-grünen Koalitionsregierung auf Landesebene. Die Thüringer SPD und insbesondere die Thüringer Grünen verlangten als Bedingung für ihre Wahl des Linken Bodo Ramelow zum neuen Ministerpräsidenten, dass die Linkspartei sich deutlich dazu bekennen müsse, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Dies hat die Linkspartei am Ende zähneknirschend getan, ihre abschließende Formulierung lautete, die DDR sei „in der Konsequenz ein Unrechtsstaat“ gewesen. So bleibt festzuhalten, dass es nach diesem machtpolitisch motivierten „Umfallen“ der Linkspartei derzeit keine relevante politische Kraft mehr gibt, die in ihren offiziellen Verlautbarungen mehrheitlich bezweifeln würde, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Dies steht allerdings, wie wir sehen, im Widerspruch zur Mehrheitsmeinung in der ostdeutschen Bevölkerung.
Auch der „Sachsen-Anhalt-Monitor“, eine groß angelegte politische Umfrage, welche die Landesregierung alle zwei Jahre erstellen lässt, ist hier interessant. Den Zahlen von 2014 zufolge war die untergegangene DDR für die große Mehrheit der 1050 Befragten in Sachsen-Anhalt zwar eine Diktatur – aber nur für eine Minderheit war die DDR ein Unrechtsstaat. An dieser Haltung hat sich seit Jahren kaum etwas geändert. Die größte Zustimmung erfährt in dieser Umfrage der Satz, dass in der DDR “nicht alles schlecht” gewesen sei. Acht von zehn Befragten sehen das so.
(…)
JURA-Juristische Ausbildung, Dezember 2014: Wenn aus Lust Frust wird
Der Sammelband „Wem gehört der Mond? Texte rund um die Juristenausbildung aus 14 Jahren Justament“
Katharina Mohr
Alle Volljuristen teilen eine Gemeinsamkeit: Sie haben zwei Staatsexamina bestanden. Wie sich Studium und Referendariat gestaltet haben und auf welche Weise sie schließlich durch die Prüfungen gekommen sind, ist hingegen bei jedem individuell verschieden. Oder – halt! – könnte es sein, dass es auch hierbei für viele eine fast unheimlich anmutende Ähnlichkeit in den Erlebnissen und Erkenntnissen gegeben hat?
Wer das vor kurzem erschiene hellblaue Büchlein „Wem gehört der Mond? Texte rund um die Juristenausbildung aus 14 Jahren Justament“ zur Hand nimmt, den beschleicht das Gefühl, dass es noch eine weitere Gemeinsamkeit gibt: Alle Mitautoren des Buches haben auf dem Weg in die Befähigung zum Richteramt einige skurrile, häufig ernüchternde und manchmal sogar erschreckende Erfahrungen gemacht. Zwar lässt sich die Juristenwerdung in Deutschland nicht mit den Initiationsriten der Grandes Ecoles – den besten Hochschulen in Frankreich – vergleichen, die unter dem Begriff „Bizutage“ bekannt wurden und nichts anderes sind als brutale Misshandlungen und Demütigungen junger Studenten durch ihre älteren Mitstudenten. Doch eine gewisse Form der Demütigung und Unterdrückung durch Professoren, Prüfer im Examen, Ausbilder im Referendariat und durch Kommilitonen und Mitreferendare scheint der juristischen Ausbildung nicht fremd zu sein.
Die wahren Geschichten in den Kapiteln „Best of Jurastudium“ und „Tagebücher anonymer Rechtsreferendare“ zeugen von Diensten wie Einkäufe erledigen und Kaffeekochen, die Referendare in Anwaltskanzleien oder bei der Staatsanwaltschaft verrichten müssen, von ausgerissenen Seiten in den Kommentaren der Uni-Bibliothek, um es dem Mitstudenten schier unmöglich zu machen, die entscheidende Frage in seiner Hausarbeit zu lösen, von der gegenseitigen Panikmache in den Repetitorien und von cholerischen Prüfern, die den Prüfling nicht ausreden lassen, sondern ihn beim ersten falschen Wort laut anschnauzen.
Was in den einzelnen Texten des Bändchens auf wunderbar erleuchtende und zugleich äußerst humorvolle Weise beschrieben wird, ist die Erklärung für die „déformation professionelle“, die allen Juristen unterstellt wird und die sich bei einigen Exemplaren schön beobachten lässt. Die Neigung, die berufsbedingte Perspektive unbewusst auch auf andere Lebenssituationen anzuwenden, kann sich zum Beispiel dergestalt zeigen, dass – man verzeihe das derbe Beispiel, das sich aber im entfernten Bekanntenkreis so zugetragen hat – der Ehemann (ein Jurist) seine Ehefrau, die er als Fremdgeherin im Verdacht hat, mit den Worten zur Rede stellt: „Hast Du den Geschlechtsverkehr vollzogen?“.
Aber, mal ehrlich, wer wundert sich über diese Deformierung der Persönlichkeit, wenn schon dem jungen Jurastudenten nahegelegt wird, bloß niemandem von seinen schlechten Ergebnissen in Klausuren oder Hausarbeiten zu berichten, um nicht aus der Lerngruppe ausgeschlossen zu werden, und wenn man ihm gleich vermittelt, dass er keine Ahnung von gar nichts hat und nicht damit rechnen kann, auf dem hart umkämpften Anwaltsmarkt auch nur eine halbe Stufe der Karriereleiter zu erklimmen. Stattdessen soll er sich gefälligst an den Kopierer stellen und dankbar sein, dass er bedeutsame Schriftsätze aus der Feder bedeutsamer Juristen vervielfältigen darf. Ansonsten hat er den Mund zu halten, es sei denn, der Professor drangsaliert ihn in der Vorlesung vor dem versammelten Semester mit Fragen wie „Wem gehört der Mond?“. Wenn er darauf aber die juristisch korrekte Antwort nicht weiß, dann gnade ihm der liebe Gott, damit er nicht am gebügelten Hemdkragen mitsamt seinem noch knickfreien Schönfelder, den seine Eltern stolz in der heimischen juristischen Fachbuchhandlung erworben und ihm bei ihrem ersten Besuch im Studentenwohnheim überreicht haben, aus dem Hörsaal geworfen wird.
Was für Persönlichkeiten sollen bei dieser Art der „Behandlung“ am Ende herauskommen? Es ist kein Wunder, dass in der juristischen Ausbildung – wie in den Texten beschrieben – aus Jura-Lust schnell Jura-Frust wird und der Glaube an das Schlechte im Juristen sich tief verfestigt, was zu entsprechenden Schlussfolgerungen und Konsequenzen für das eigene Verhalten führt.
Denjenigen Juristen, die vor 1970 geboren sind und die Kinder der Generation Golf und erst Recht diejenigen der Generation Y allesamt für verweichlichte Mimosen halten, da sie keinerlei Belastung mehr ertragen könnten und deshalb naturgemäß auch nicht für den juristischen Beruf geeignet seien, empfehle ich das letzte Kapitel des Buches mit dem Titel „Drum herum“. Es hält einige schöne Texte bereit, die zeigen, dass auch junge Juristen in der Lage sind, intelligente und feine Überlegungen zur juristischen Sprache und zur Rechtsgeschichte anzustellen.
Die vielfältigen Geschichten von der Lust und vom Frust bei der Juristerei sind in der Textsammlung „Wem gehört der Mond?“ zusammengestellt, die das Beste aus 14 Jahren Justament in sich vereint. Ende der 90er Jahre haben zwei Referendarinnen die Zeitschrift Justament aus der Taufe gehoben, seit 2000 erscheint sie im Berliner Lexxion Verlag. Die Justament hat in den letzten 14 Jahren jungen Juristen Anregungen für ihre eigene Ausbildung gegeben und die vielen verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung von Studium und Referendariat aufgezeigt. Sie hat immer wieder den Blick in die Praxis gerichtet und gestandene Richter, Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen zu Wort kommen lassen, um Berufsbilder zu beschreiben und junge Juristen dadurch bei der eigene Berufswahl zu unterstützen. Bei alledem ist in der Justament der Humor nie zu kurz gekommen – auch um der oben beschriebenen „déformation professionelle“ entgegenzuwirken. Die Redaktion und das Online-Portal der Justament werden seit vielen Jahren von Dr. iur. Thomas Claer geleitet, der den Textband herausgegeben hat.
Allen angehenden Juristen, den schon examinierten jungen Juristen und den gestandenen älteren Juristen sei zum Abschluss der ultimative Selbsttest ans Herz gelegt: die Lektüre von „Alex prüft die Liebe im Examen“. Wer sich beim ersten Satz fragt: „Was soll daran lustig sein? Es ist doch selbstverständlich, dass ich mich nicht durch die Liebe von der Examensvorbereitung ablenken lasse!“, dem ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine glänzende Karriere als Anwalt in einer anglo-amerikanischen Großkanzlei beschieden. Allerdings muss er oder sie eventuell damit leben, dass sich der Lebenspartner eines Tages dem Klavierlehrer oder der Nachbarin zuwendet. Wer hingegen bei diesem Satz schallend lachen muss, kann zumindest von sich behaupten, das Herz am rechten Fleck zu haben. Ob er oder sie allerdings jemals aus der „Feld-Wald-und-Wiesen-Ecke“ herauskommen und halbwegs gewinnbringende Mandate akquirieren wird, ist eine andere Frage. Auf die Generation des perfekten Volljuristen, der beides kann – korrekt subsummieren und herzlich über sich lachen – warten wir noch!
Thomas Claer (Hrsg.)
Wem gehört der Mond? Texte rund um die Juristenausbildung aus 14 Jahren justament
BoD 2014
186 Seiten, 12,00 €
ISBN: 9-783735-737366
Die Rezensentin Dr. Katharina Mohr ist Rechtsanwältin in Berlin.