Vom Sündenfall im Paradies bis zum “Gender Mainstreaming” war es für das “schöne Geschlecht” ein mühevoller und beschwerlicher Weg
Thomas Claer
Sieht man einmal von den sagenhaften Amazonen ab, die unter ihrem Nachwuchs lediglich die Mädchen aufzogen und nur einmal im Jahr mit Männern benachbarter Völker Umgang zur Erhaltung ihres Geschlechts pflegten, war die Sache seit alters her klar: Stets hatten sich die Frauen einer männlichen Dominanz zu erwehren, die sie im Prinzip rechtlos stellte, bis diese Selbstverständlichkeit vor kaum mehr als 200 Jahren erstmals hinterfragt wurde.
Schafott und Rednertribüne
Die französische Schriftstellerin Olympe de Gouges (1748-1793) mochte sich nicht damit abfinden, dass die 1789 proklamierte “Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte” die (sprichwörtlich bessere) Hälfte der Menschheit einfach überging. Schließlich hatten nicht zuletzt die zahlreichen Frauen, die Seite an Seite mit ihren Männern auf den Barrikaden gestanden hatten, der Französischen Revolution zum Triumph verholfen, wovon insbesondere die Darstellungen der später zum Revolutionssymbol avancierten Marianne eindrucksvoll Zeugnis geben. Olympe de Gouges formulierte 1791 eine “Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin”, die sich inhaltlich eng an die Menschen- und Bürgerrechtserklärung anlehnte, dabei aber – innovativ und revolutionär zugleich – konsequent “die Frau” in die Formulierungen und Artikel einbezog. Durchgängig ersetzte sie die Wörter “Mensch” oder “Mann” durch “Frau und Mann” und stellte jedem “Bürger” eine “Bürgerin” zur Seite. Die Frau, so heißt es in der Erklärung etwa, habe das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie müsse daher gleichermaßen das Recht besitzen, die Rednertribüne zu besteigen.
Madame de Gouges übersandte die Erklärung der Nationalversammlung zur Ratifizierung und erregte damit in ganz Frankreich und sogar im Ausland Aufsehen. Eilig legte sie noch einen “Gesellschaftsvertrag zwischen Mann und Frau” (analog zu Jean-Jacques Rousseaus “Contrat Social”) nach, in welchem sie den Ersatz der konventionellen Ehe durch einen auf Gleichberechtigung basierenden Vertrag und besondere Rechte für die Frau als Mutter forderte. Tatsächlich entzog ein Gesetz von 1792 die Ehe in Frankreich erstmals der alleinigen Verfügung der Kirche und ermöglichte unter bestimmten Voraussetzungen auch die Scheidung. Im Übrigen aber stieß Olympe de Gouges bei den Hütern der Revolution auf wenig Gegenliebe. Das Revolutionstribunal verurteilte sie 1793 wegen “Anschlags auf die Souveränität” zum Tod auf der Guillotine. Noch im gleichen Jahr verbot die Nationalversammlung die während der Revolution entstandenen Frauenclubs, erließ ein generelles Versammlungsverbot für Frauen und machte so dem feministischen Spuk vorläufig ein Ende.
Sentiment und Wahlrecht
Erst nach einem halben Jahrhundert rumorte es wieder – diesmal jedoch zuerst jenseits des Atlantiks. In Seneca Falls / New York wurde 1848 ein Kongress von zwei engagierten Damen einberufen, auf dessen Tagesordnung erstmals die Diskriminierung der Frau stand. Die Teilnehmerinnen, welche sich zum Großteil aus erprobten Kämpferinnen der damals schon seit längerem aktiven Anti-Sklaverei-Bewegung rekrutierten, forderten für die Frauen u. a. ein Verfügungsrecht über ihr Eigentum und ihre Einkünfte, erweiterte Scheidungsmöglichkeiten und das Wahlrecht. Die Tagung verabschiedete schließlich eine “Declaration of Sentiment”, welche – angelehnt an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 – allen Männern und Frauen die gleichen Rechte auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück als angeboren zusprach und die Sicherung dieser Rechte zum einzig legitimen Staatszweck erklärte. In zwölf Resolutionen forderten die Aktivistinnen schließlich eine strikte Gleichbehandlung von Frauen im privaten, religiösen, ökonomischen und politischen Kontext.
Derweil erlebte das alte Europa die (48er Revolution, in deren Folge den Frauen zunächst einige Rechte zugesprochen wurden, die man ihnen in der sich anschließenden Restaurationsperiode jedoch bald wieder entzog – so z. B. das Recht auf Mitgliedschaft in einem Verein, auf Redaktionsarbeit in Zeitungen sowie auf politische Betätigung. Erst die politische Liberalisierung der 1860er führte 1865 in deutschen Landen zur Gründung des “Allgemeinen Deutschen Frauenvereins” (ADF). Parallel zur aufkommenden Sozialdemokratie etablierte sich in den folgenden Jahrzehnten zudem eine couragierte proletarische Frauenbewegung, deren Galionsfigur (die vom 10-Mark-Schein der DDR noch heute bekannte) Clara Zetkin war. Den ersten Gang zur Wahlurne durften Frauen in Deutschland erst nach dem verlorenen Weltkrieg im Jahre 1918 antreten. Die Vereinigten Staaten von Amerika verliehen Frauen zwei Jahre später das Wahlrecht und Frankreich folgte dem gar erst 1944.
“Familie und Gedöns”
Infolge des Zweiten Weltkriegs und seiner demographischen Verwerfungen geriet die Frauenfrage in den Aufbaujahren in Westdeutschland zunächst etwas in Vergessenheit. Dies änderte sich jedoch schlagartig mit den Bewegungen der (68er. Das Familien- und Eherecht wurde, wie schon zuvor in der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik, nun auch in der Bundesrepublik reformiert: Die aus der bürgerlichen und christlichen Tradition resultierende Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Ehefrauen wurde sukzessive aufgehoben und einer neuen, immer libertärer werdenden sozialen Realität angepasst: Alte Zöpfe, wie das Leitbild der Hausfrauenehe, das Schuldprinzip bei der Scheidung und – jedenfalls de jure – das alleinige Namensgebungsrecht des Mannes bei der Heirat, gingen dabei weitgehend über Bord. Da darüber hinaus Reformen des Arbeitsrechts folgten – z. B. der Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen und paritätische Quotenregelungen in bestimmten Berufsfeldern – und sich der Ausbildungsstand von Männern und Frauen bald nicht mehr unterschied, entwickelte sich seit den 90er Jahren allmählich die Tendenz, das Thema “Gleichberechtigung der Geschlechter” zum vernachlässigbaren Luxusproblem zu degradieren. Nur noch Spott erntete Alt-Feministin Alice Schwarzer mit ihrer Kritik an frauenverachtender Werbung bei der jungen Generation selbstbewusster Medien-Karrierefrauen und der amtierende Bundeskanzler bezeichnete sein Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 schlicht als “Ministerium für Familie und Gedöns”.
Dabei hat die r e c h t l i c h e Gleichstellung bis heute ganz überwiegend keine f a k t i s c h e gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter mit sich gebracht. Bei gleicher Qualifikation und entsprechenden Fähigkeiten verdienen Frauen im Berufsleben durchschnittlich ein Viertel weniger als Männer. 80 Prozent der Hausarbeit wird von Frauen verrichtet. Und an den wirklichen Hebeln der Macht, an denen – wie jeder weiß – nicht die zunehmend marginalisierten Vertreter der politischen Klasse, sondern die Führungskräfte der Wirtschaft sitzen, sind Frauen mit einer Quote von deutlich unter 10 Prozent dramatisch unterrepräsentiert.
Hoffnung Gender Mainstreaming
Woran liegt also dieses hartnäckige Ungleichgewicht, diese sich allen Bemühungen widersetzende gesellschaftliche Status- und Machtdifferenz der Geschlechter? Gewiss nicht, so weiß man heute, an einer allein biologisch determinierten Andersartigkeit von Mann und Frau – wie sie etwa Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) und Rousseau (1712 – 1778) annahmen. “Gender” als soziokulturelle Konstruktion von Sexualität, ist von der nicht notwendigerweise mit ihr übereinstimmenden biologischen Klassifikation von Geschlechtlichkeit (“sex”) zu unterscheiden – so die zentrale Erkenntnis der “Gender Studies”. Anthropologische Studien belegen die kulturelle Vielfalt der jeweils als männlich und weiblich gedeuteten Zuschreibungen. Die Symbolsysteme zur Erklärung der Welt – “Mythos”, “Religion”, später “Philosophie” und “Wissenschaft” – , die (wohl fast allen) Kulturen zugrunde liegen, basieren auf einer zu ihrer Entstehungszeit dominierenden einseitig männlichen Perspektive. Bereits im abendländischen Gründungsmythos, dem Sündenfall im Paradies, erscheint die Frau als Symbol der Sexualität und damit der Sünde. Dadurch wurde ein geringerer gesellschaftlicher Status von Frauen gleichsam historisch-kulturell zementiert.
Um dem abzuhelfen, wurde in der Europäischen Union 1998 mit dem Vertrag von Amsterdam das “Gender Mainstreaming” als verbindliches Prinzip für die Mitgliedsstaaten, festgesetzt, also die umfassende und zugleich alle tatsächlich bestehenden Unterschiede berücksichtigende Gleichstellung von Mann und Frau als Gemeinschaftsaufgabe statuiert. Auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums heißt es dazu erklärend, dass bei allen Entscheidungen stets die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern zu berücksichtigen seien. Es müsse vermieden werden, dass scheinbar neutrale Maßnahmen faktisch zu Benachteiligungen führten. Und wer weiß – vielleicht kann daran ja schon in wenigen Monaten die erste deutsche Bundeskanzlerin arbeiten.
Allerdings ist bei weiterer gender-ideologischer Gleichmacherei zu erwarten, dass die Hauptleidtragenden die Frauen sein werden. Denn wenn die eigentlichen weiblichen Vorteile und Überlegenheiten ausgeredet oder gar negativ bewertet werden, ist die innere Identität zerstört und es bleiben nur noch Äußerlichkeiten, die dann kultmäßig in den Mittelpunkt rücken (Diäten, Schönheitsoperationen, Castingshows usw.) [Kommunikationswissenschaftlerin Petra Grimm, 2010: Mädchen ziehen zunehmend Selbstbewusstsein daraus, Jungen als Sexobjekte zu dienen].
Gefahr: Frau wird zur Ware (Leihmutter, Eizellenlieferantin, Prostitution usw.)
Die Überredungs-Ideologie, dass Gleichberechtigung nur durch Aufhebung der Geschlechtrollenunterschiede möglich sei, kann bei Frauen mit den anderen selbst erlebten motivationalen Grundlagen zu inneren Konflikten und damit zu Depression und anderen ernsthaften psychischen Problemen führen [Moulton, 1977].
Siehe auch in den hierzulande weitgehend unbekannten Studien z. B. von Prof. Annica Dahlström, Uni Göteborg: Innerhalb der letzten 15 – 20 Jahre einen Anstieg psychischer Erkrankungen bei schwedischen Mädchen um 1000 Prozent, Depressionen um 500 Prozent; Suizidrate finnischer Mädchen ist die höchste in Europa)
Gleichheit kann sich höchstens addieren, Verschiedenheit kann wesentlich mehr erreichen (siehe Buch: „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie, 3. Auflage, Logos-Verlag, Ansbach, 2013)