Eine neue Rechtsmittelrichtlinie der EU soll die illegale Vergabe öffentlicher Aufträge verhindern
Thomas Claer
Öffentliche Aufträge machen zwölf bis 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Europäischen Union aus. Das Gesamtvolumen öffentlicher Aufträge in der EU – d.h. des Einkaufs von Gütern, Dienstleistungen und Bauaufträgen durch Regierungen und Körperschaften öffentlichen Rechts – lag im Jahr 2002 bei stolzen 1 500 Milliarden Euro. Dabei variiert die Bedeutung öffentlicher Aufträge je nach Mitgliedstaat zwischen elf und 20% des jeweiligen nationalen Bruttoinlandprodukts. Scheinbar erfreulich für die europäischen Unions-Bürger sind die Entwicklungen der letzten Jahre: Die Öffnung des öffentlichen Auftragssektors im Rahmen des Binnenmarkts hat den grenzüberschreitenden Wettbewerb verstärkt und die von öffentlichen Haushalten gezahlten Preise tendenziell gesenkt. Hier sollte ein deutlich höherer Wettbewerb schon bald zu signifikanten Einsparungen für den Steuerzahler führen, so denkt man. Tatsächlich ist es aber anders gekommen: “Bei öffentlichen Aufträgen wird häufig getrickst und gemauschelt”, wird der Europa-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU) in der SZ vom 3.7.2007 zitiert. Ein riesiger Markt bleibt auf diese Weise im grauen Bereich.
Der rechtliche Hintergrund
Öffentliche Aufträge unterliegen dem Gemeinschaftsrecht sowie dem internationalen Recht, wobei dies nicht für alle öffentlichen Aufträge gilt. Einige Einkäufe (z.B. militärische Ausrüstung) sind von den Richtlinien ausgeschlossen; Aufträge für Einkäufe, die unter dem Schwellenwert der Vergaberichtlinien liegen, müssen nur den allgemeinen Vertragsprinzipien entsprechen. Öffentliche Aufträge im Wert von mehr als 422 000 Euro (Lieferungen und Dienstleistungen im Bereich der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder im Verkehrsbereich), 211 000 Euro (sonstige Lieferungen und Dienstleistungen) oder 5,278 Millionen Euro (Bauten) müssen aber in ganz Europa ausgeschrieben werden. Ihre Vergabe hat mittels transparenter Verfahren zu erfolgen, die gleiche Bedingungen für alle Bieter gewährleisten. In der EU gibt es nach Schätzungen der deutschen Wirtschaft jedes Jahr Aufträge von 150 Milliarden Euro, bei denen eine Ausschreibung in ganz Europa Pflicht ist, weil sie über den genannten Schwellenwerten liegen.
Tricks und Mauscheleien
Doch lokale Politiker und örtliche Verwaltungen schanzen diese Aufträge europaweit gerne den jeweils einheimischen Firmen zu und verstoßen so gegen geltendes EU-Recht. Solche Tricks müssen sich viele Unternehmen, die sich im Ausland um Geschäfte bemühen, bislang häufig gefallen lassen. Die lokale Behörde vergibt den Auftrag, die heimische Firma fängt an zu bauen oder zu installieren und schafft damit Fakten, gegen die sich selbst durch eine Klage vor Gericht wenig ausrichten lässt. Aber damit soll es bald vorbei sein.
Neue Richtlinie soll es richten
Das EU-Parlament hat am 21.6.2007 eine Richtlinie zur Überarbeitung der EU-Vorschriften über Rechtsmittel im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe verabschiedet. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Rechtsposition abgelehnter Bieter um öffentliche Aufträge zu
stärken und so sicherzustellen, dass die Aufträge tatsächlich an die Unternehmen mit den besten Angeboten vergeben werden. Die Richtlinie bedarf noch der offiziellen Verabschiedung durch den Rat und muss dann innerhalb von 24 Monaten in nationales Recht
umgesetzt werden.
Sie sieht vor, dass die öffentlichen Auftraggeber nach der Auswahl eines Bieters die Mitbewerber über die Entscheidung unterrichten und eine mindestens zehntägige Wartefrist (Stillhaltefrist) einhalten müssen, bevor sie den Vertrag unterzeichnen dürfen. Die Frist soll den Mitbewerbern die Möglichkeit geben, die Entscheidung zu überprüfen und gegebenenfalls Rechtsmittel einzulegen. Machen sie hiervon Gebrauch, so darf der Vertrag vorerst nicht geschlossen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der neuen Richtlinie ist die Bekämpfung der freihändigen Vergabe öffentlicher Aufträge. Werden Verträge ohne vorherige Ausschreibung geschlossen, so können die nationalen Gerichte sie für unwirksam erklären. Eine Aufrechterhaltung der Verträge kommt nur in Betracht, wenn dies aus zwingenden Gründen eines nichtwirtschaftlichen Allgemeininteresses erforderlich ist. In diesem Fall sind abschreckende Sanktionen zu verhängen. Für Aufträge, die auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen oder im Rahmen dynamischer Beschaffungssysteme vergeben werden und bei denen es auf eine zügige Abwicklung und Effizienz ankommt, sieht die Richtlinie einen speziellen Nachprüfungsmechanismus vor. Bei dieser Art von Aufträgen können die Mitgliedstaaten die Stillhalteverpflichtung durch ein dem Vertragsabschluss nachgelagertes Nachprüfungsverfahren ersetzen. (Quelle: http://www.ebnerstolz.de)
Zweifel bleiben
Wirtschaftsstaatssekretär Joachim Würmeling (CSU) erwartet, dass die Rechte von Firmen so in einem besonders heiklen Punkt gestärkt werden: “90 Prozent der Verstöße sind Fälle, wo die Behörde einen Auftrag nicht europaweit ausschreibt, obwohl sie das müsste.” (SZ vom 3.7.2007). Doch auch wenn die Richtlinie im Jahre 2009 endlich in allen EU-Ländern umgesetzt sein wird, bleiben Zweifel an ihrer Wirksamkeit. So fragt sich manche deutsche Firma, ob sie denn auch fair behandelt wird, wenn sie vor einem ausländischen Gericht gegen Gemauschel bei der Auftragsvergabe klagt. So wird das Vergaberecht auch zur Nagelprobe für die Rechtseinheit Europas.