In den Praktikerseminaren des DAI lernen junge Rechtsanwälte vor allem die geschäftlichen Aspekte ihres Berufes kennen
Thomas Claer
Gewöhnlich fühlt sich der frisch zugelassene Junganwalt noch recht unbedarft in seiner neuen Rolle, denn vieles hat er in seiner langjährigen Ausbildung erlernen müssen, nicht aber, wie man als Anwalt seinen Lebensunterhalt verdient. Abhilfe schafft hier ein auf drei Samstage in sechs Wochen verteilter Crashkurs des Deutschen Anwaltsinstituts (DAI). Letzteres, man muss es betonen, ist kein Abzockerverein, der einer orientierungslosen Jungjuristenschar an den Geldbeutel will, sondern eine Einrichtung der Bundes- und Landesrechtsanwaltskammern, die diese Veranstaltungen aus purer Kollegialität und, um der grassierenden Ahnungslosigkeit der Berufsanfänger entgegenzuwirken, zum relativen Schnäppchenpreis anbietet.
Kreativ kassieren
Während des ersten Seminartages geht es um die erste und unverzichtbare Qualifikation des Advokaten – das Schreiben von Rechnungen nach dem RVG. Der Referent, Rechtsanwalt Anton Braun, ein ausgewiesener Kenner des deutschen Gebührenrechts, überrascht die gut 50 hoffnungsfrohen Teilnehmer in Berlin-Mitte sogleich mit dem alarmierenden Befund, dass 80 Prozent aller verschickten Anwaltsrechnungen falsch und davon wiederum fast alle viel zu niedrig angesetzt worden seien. In einem Wälzer von 1.500 Seiten, den jeder Kursteilnehmer als Draufgabe mit nach Hause tragen darf, präsentiert Braun gemeinsam mit seinen Co-Autoren die optimale und garantiert anfechtungsresistente Gebührenrechnung für nahezu jede Fallgruppe. Maßgeblich ist für den Referenten dabei eine kreative Auslegung des RVG, die immer noch gerade eben von der Rechtsprechung gedeckt ist.
Wovon wir leben, erklärt er der staunenden Hörerschaft, ist, nicht “das Gesetz zu lesen, sondern in ihm zwischen den Zeilen zu lesen”, wie man bei der Abrechnung noch mehr für sich herausschlagen kann, denn schließlich müssten wir doch alle Geld verdienen. Die im RVG vorgesehenen “Schreiben einfacher Art” (für welche eine 0,3 Gebühr erhoben wird) sollten bei einem nach wirtschaftlichen Prinzipien operierenden Anwalt grundsätzlich nicht vorkommen, da sie niemals kostendeckend sein könnten. Die 1,3-Mittelgebühr dürfe aus gleichem Grunde in der Praxis nur die Mindestgebühr sein.
Überhaupt empfehle es sich, in der Abrechnung immer mindestens einen zehntel Punkt nach oben abzuweichen, da die Rechtsprechung einen anwaltlichen Ermessensspielraum von immerhin 30 Prozent anerkannt habe. Auch bei erhöhtem Schwierigkeitsgrad, erfahren wir, erlaubt das RVG dem Anwalt eine Anhebung seiner Gebühr, und dies gelte auch für alle Nacht- und Wochenendarbeiten oder in Eilfällen. Und so geht es munter weiter. Auf Kniffe dieser Art muss ein Advokaten-Greenhorn erst einmal kommen. Braun trägt seine Thesen mit unverkennbarer Begeisterung für die Materie vor. Er erweist sich als ein glänzender Rhetoriker, dessen Stimme den justament-Reporter nach gut neunstündigem Vortrag noch bis in den Schlaf verfolgt.
Dienstleistungen an den Mandanten bringen
Zwei Wochen später ist das Thema der Zivilprozess und alles, was damit zusammenhängt. Auch diesmal referiert Anton Braun. Mit sprühendem Witz gibt er ebenso zahl- wie lehrreiche Anekdoten zum Besten und appelliert aufs Neue an den Geschäftssinn seiner Zuhörer. Das Mandantengespräch, erfahren wir, habe schon deshalb zentrale Bedeutung, weil für den gewieften Anwalt daraus die Vermögensstrukturen des Mandanten erkennbar würden. Die Kunst bestehe darin, nicht nur am Fall zu kleben, sondern nebenbei noch herauszufinden, welche anwaltlichen Dienstleistungen sich womöglich außerdem an den Mann bringen ließen. Braucht der Mandant nicht auch ein Testament? Oder vielleicht eine Patientenverfügung?
Das Auditorium wird zusehends mutiger, stellt gezielte Fragen, und es entsteht ein reger Gedankenaustausch. Dieser setzt sich dann in den Pausen fort, in denen belegte Brötchen und Getränke gereicht werden.
Die Kursteilnehmer kommen miteinander ins Gespräch, und es offenbart sich – wie zu erwarten – eine gewisse Heterogenität im Status und den jeweiligen Tätigkeitsfeldern. Gesprächsfetzen schwirren durchs Foyer: “Wie viele Mandanten hast du denn schon? Zehn oder zwanzig?” – “Nein, nein, viel weniger.” – “Trägst Du denn im Gericht eine Robe? Also in Berlin dachte ich schon oft, da säße die Gegenpartei – und dann war es doch deren Anwalt.”
Nach dem Essen sinkt die Aufnahmefähigkeit des Publikums beträchtlich. Überhaupt ist es vielleicht alles etwas zu viel auf einmal. Und besonders zum Ende hin wird das Tempo für etliche zu schnell, um noch folgen zu können. Aber all dies liegt wohl in der Natur der Sache: Da viele Teilnehmer zu den Tagungsorten von weither angereist kommen, wäre eine andere zeitliche Organisation kaum praktizierbar.
Unbedingt empfehlenswert
Nach zwei weiteren Wochen geht es dann in die letzte Runde: Nun stehen anwaltliches Berufsrecht, Marketing, das Mandatsverhältnis und die Anwaltshaftung auf dem Programm. Es referiert Rechtsanwalt Stefan Peitscher, der diese Felder mit weniger Esprit, aber dafür mehr Struktur als sein Kollege Braun beackert. Auch er hat ein umfangreiches Skript mitgebracht, mit dem sich die prekären Fälle vom Erfolgshonorar bis zur Fehlberatungs-Haftung notfalls auch noch daheim lösen lassen. Freundlich und geduldig beantwortet er die zahlreichen Fragen der jungen Kollegen, und schließlich ist auch dieser Tagungstag zu Ende.
Hat sich das lange “Bankdrücken” also am Ende gelohnt? Für die meisten ganz sicher, denn die hier in komprimierter Form vermittelten Basics sind schlichtweg überlebenswichtig auf einem immer enger werdenden Markt. Das Gesamturteil lautet daher: unbedingt empfehlenswert.
“Die Zukunft liegt in der Spezialisierung”
Gespräch mit Anton Braun, Referent des DAI-Praktikerseminars “Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz für die jungen Anwälte”
Justament: Seit wann gibt es eigentlich die Praktikerseminare des DAI für junge Rechtsanwälte?
Braun: Seit 1998. Es wurde damals im DAI diskutiert, wie man die erwirtschafteten Überschüsse sinnvoll einsetzen könnte. Da die Vorbereitung auf den Rechtsanwaltsberuf durch unser Juristenausbildungssystem doch sehr mangelhaft ist und das fachliche Niveau der meisten jungen Anwälte erheblich hinter den Erfordernissen der Praxis zurückbleibt, besteht ein permanenter und dringender Bedarf an kostengünstiger Vermittlung von Basiswissen. Das gilt trotz der jüngsten Reformen im Referendariat auch heute noch. Es gab vor sieben Jahren zunächst ein Paket aus fünf Seminaren für ca. 500 DM. Heute sind wir bei drei Seminaren für 145 Euro. Aber leider ist zu befürchten, dass es solche Seminare schon im nächsten Jahr nicht mehr geben wird. Denn schließlich tragen sie sich wirtschaftlich nicht alleine.
Justament: Dann sollten sich also die Junganwälte noch schnell anmelden, um in den Genuss der preiswerten Seminare zu kommen?
Braun: Besser wäre es, sie engagierten sich, damit so etwas oder ähnliches auch in Zukunft angeboten wird, zum Beispiel durch rege Teilnahme und Interessenartikulation bei den Versammlungen der Rechtsanwaltskammern. Schließlich bilden die Junganwälte unter 40 Jahren – angesichts der in den letzten Jahren dramatisch gestiegenen Zahl der Neuzulassungen – schon bald die Mehrheit der Anwaltschaft. Ich verstehe nicht, dass die jungen Kollegen sich einfach alles von den alten vorschreiben lassen und nicht einmal selbst ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen.
Justament: Wie beurteilen Sie überhaupt die Zukunft der Rechtsanwälte in Deutschland? Welche Konsequenzen hat die zahlenmäßige Explosion des Berufsstandes?
Braun: Um es ganz klar zu sagen: Die Zukunft liegt für mich in der Spezialisierung der Anwälte. Und das beste Instrument dazu sind nun einmal die Fachanwaltschaften. Auch ein schlechter Anwalt wird irgendwann gute Arbeit leisten, wenn er eine Sache schon über hundertmal gemacht hat, also letztlich wie eine Maschine funktioniert. Und mit der Qualität der Anwaltstätigkeit steht und fällt das Ansehen des gesamten Berufsstandes. Statistische Erhebungen haben gezeigt, dass Fachanwälte ein Drittel mehr verdienen als ihre Kollegen, die nicht Fachanwalt sind. Ich finde, es sollte noch viel mehr anerkannte Fachanwaltschaften geben. Und, glauben Sie mir, das wird auch kommen.
Sorge bereitet mir aber, dass manche Fachanwälte ihren Titel nicht mehr in ihren Briefkopf schreiben und schamhaft verstecken aus Angst, Mandanten mit Anliegen aus anderen Rechtsgebieten zu verschrecken. Besonders aus dem ländlichen Raum sind mir solche Fälle bekannt geworden. Nach meiner Meinung gehen diese Kollegen den falschen Weg. Eine konsequente Spezialisierung hat sich bislang am Ende noch immer ausgezahlt.
Rechtsanwalt Anton Braun ist Hauptgeschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltsinstituts (DAI). Das Interview führte Thomas Claer.
Das DAI bietet regelmäßig Praktikerseminare für junge Rechtsanwälte (nicht länger als zwei Jahre zugelassen) in Berlin, Bochum, Frankfurt am Main, Köln und München an. Paketpreis für drei Veranstaltungstage: ca. 145 EUR. Nähere Informationen und genaue Termine unter: http://www.anwaltsinstitut.de.