www.justament.de, 26.9.2016: Aus erster Hand
„Der intelligente Investor“ von Value-Legende Benjamin Graham in Neuauflage
Thomas Claer
Seit mehr als 16 Jahren beschäftige ich mich mit der Börse, ohne dass ich bisher auch nur eine Zeile von Benjamin Graham (1894-1976), dem Begründer des Value Investings, gelesen hätte. Nun habe ich endlich dieses Versäumnis nachgeholt, doch konnte ich im „Intelligenten Investor“, Grahams über 600 Seiten dickem Hauptwerk, nicht viel entdecken, was sich wesentlich von meiner eigenen Strategie unterscheiden würde (abgesehen von den Passagen, die heute aufgrund der fortgeschrittenen technischen Entwicklung historisch überholt sind). Das liegt ganz offensichtlich daran, dass die Gedanken Grahams in zahlreichen anderen Investoren fortleben und dass gewissermaßen alles, was an der Börse Rang und Namen hat, entweder seinen Graham gelesen hat oder von Personen beeinflusst worden ist, die ihrerseits ihren Graham gelesen haben. Kein Wunder, ist doch der berühmteste Graham-Schüler kein Geringerer als Warren Buffett, der mutmaßlich erfolgreichste Investor aller Zeiten, an dem sich nicht wenige Anleger orientieren.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer nur ein vordergründiges Interesse an Geld, Aktien und Börse hat, der muss nicht unbedingt Graham lesen. Allerhand Einführungs-Bücher anderer Autoren fassen Grahams Grundsätze recht gut zusammen. Außerdem ist Grahams Klassiker, den der Börsenverlag nun als Neuauflage in einer originellen Geschenkbox mit Poster, Begleitbüchlein und beschrifteter Tasse herausbringt, auf dem Stand von 1972 (die Erstauflage erschien bereits 1949), wobei die zweifellos nützlichen Kommentierungen von Jason Zweig aus dem Jahr 2002 stammen, also auch nicht mehr so ganz taufrisch sind. Man muss also schon ein gehöriges Maß an wirtschaftshistorischem Wissensdurst mitbringen, um hier auf seine Kosten zu kommen.
Und doch hat es seinen Reiz, die Ideen des Value Investings einmal aus erster Hand kennenzulernen. Vieles wird man, zumal als Nachgeborener, der in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, deren Börsengeschehen im Buch ausführlich beschrieben wird, noch gar nicht auf der Welt war, nur überfliegen. Aber immer wieder stößt man auf Überlegungen des Meisters, die die Lektüre zu einem Vergnügen machen.
Besonderen Wert legt Graham auf die scharfe Abgrenzung zwischen Investition und Spekulation. „Ein Investment verspricht, nach einer gründlichen Analyse, die Sicherheit des eingesetzten Kapitals und eine angemessene Rendite. Engagements, die diese Erfordernisse nicht erfüllen, sind spekulativ.“ Und an anderer Stelle sagt er: „Ein Investor berechnet den Wert einer Aktie auf der Grundlage der Geschäfte des Unternehmens. Ein Spekulant wettet darauf, dass der Kurs steigt, weil irgendjemand bereit ist, mehr für die Aktie zu bezahlen.“
Dabei verflucht selbst Graham das Spekulieren nicht per se. Der Spieltrieb sei im Menschen tief verankert, und mit einem kleinen Anteil „Spielgeld“ (Graham denkt hier an etwa zehn Prozent der zur Verfügung stehenden Summen) könne man auch ruhig spekulieren, also Traden um des schnellen Gewinns willen. Doch sei es unabdingbar, Investment und Spekulation bereits gedanklich streng voneinander zu trennen. Er empfiehlt sogar, unterschiedliche Konten für Investments und Spekulationen zu unterhalten. Ich muss zugeben, dass ich mich beim Lesen dieser Stelle ein wenig geschmeichelt fühlte, denn ich selbst rate schon seit Jahren dazu, zwei getrennte Depots zu führen, ein größeres Investment-Depot und ein kleineres für etwaige Kurzfrist-Spekulationen (welche aber nur sehr fortgeschrittenen Anlegern zu empfehlen sind), ohne dass ich bisher wusste, dass schon Graham diese Idee hatte. Ich hielt sie bislang für meine eigene…
Nüchtern stellt Graham fest, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den langfristigen Erfolgen der Investoren und dem hastigen Rein und Raus der Börsen-Zocker: „Wenn Sie, liebe Leser, spekulieren und nicht investieren, dann verringern Sie Ihre eigenen Chancen, Vermögen aufzubauen, und vergrößern die eines anderen.“ Hier werden sicherlich viele an Kostolany denken, der davon sprach, dass die Aktien in Krisenzeiten aus den „zittrigen Händen“ in die „festen Hände“ übergehen.
Hervorzuheben ist ferner, dass Graham trotz seiner Fokussierung auf die hinter den Aktien stehenden Unternehmen auch ein sehr realistisches (und auch heute noch absolut zeitgemäßes) Bild von der Rolle der Börsenpsychologie oder besser der Anlegerpsychologie hatte. „Denn tatsächlich ist das größte Problem eines Investors – und auch sein schlimmster Feind – wahrscheinlich er selbst.“ Und es ist köstlich, wenn er hierzu Blaise Pascal zitiert: „Alles Unheil dieser Welt geht davon aus, dass die Menschen nicht still in ihrer Kammer sitzen können.“ In der Tat haben bis heute nur wenige die in den allermeisten Fällen unheilvolle Wirkung des Aktionismus an der Börse voll erkannt.
Auch das, was ich in meinem Buch als Liquiditäts-Management bezeichnet habe, findet sich bei Graham schon in ähnlicher Form, nur dass er eine situationsbedingt flexible Quote von Aktien und Anleihen im Depot empfiehlt. Mindestens ein Viertel der verfügbaren Mittel sollte man in Aktien und mindestens ein Viertel in sicheren Anleihen investiert haben, der Rest wäre je nach aktuellem Bewertungsniveau am Aktienmarkt auf diese beiden Anlageklassen zu verteilen: bei hohen Börsenständen müsste man den Aktienanteil runter- und den Anleiheanteil hochfahren, bei niedrigen Börsenständen das Gegenteil tun. Nun räumt schon Jason Zweig in seinen Kommentierungen von 2002 ein, dass man statt defensiver Anleihen inzwischen auch ebenso gut Termingelder nutzen könne. Aus heutiger Sicht würde ich ergänzen: Noch besser sind Tagesgeldkonten (die gab es damals noch nicht). Nur rate ich dazu, es sogar noch ruhiger angehen zu lassen, als Graham es empfiehlt, und gute Aktien nur bei krassen Überbewertungen (und auch dann nur Teile des Bestandes) zu verkaufen, ansonsten aber ihre Kursschwankungen auszusitzen und in aller Ruhe die Dividenden zu kassieren. Bei ausgemachter signifikanter Unterbewertung des Marktes hingegen würde ich die Liquiditätsquote sogar tendenziell auf Null herunterfahren, also (ganz ausnahmsweise!) voll investiert sein. Aber das sind Feinheiten, die jeder Anleger letztlich für sich selber herausfinden muss.
Faszinierend ist ferner Grahams Beobachtung, dass oft nicht diejenigen den größten Erfolg an der Börse hatten, die „von Finanzen, Rechnungslegung und dem Geschehen an den Aktienbörsen viel verstanden“, sondern jene, die „vom Temperament her gut für die Kapitalanlage gerüstet waren“. Hier würde ich sogar noch über Graham hinausgehen, der fest davon ausging, dass „aggressive Investoren“ mit viel Know-how prinzipiell eine höhere Performance erzielen können als „defensive Investoren“, die einfach nur geduldig abwarten, grobe Fehler vermeiden, breit streuen und ansonsten die Dinge laufen lassen. Wenn ich mir etwa die seit Jahren erstaunlich schwach performenden Fonds von Value-Investor Prof. Max Otte ansehe (der ganz ausdrücklich im Sinne Grahams operiert!), dann habe ich den Eindruck, dass selbst die größten Koryphäen durch häufiges Umschichten erheblichen Schaden anrichten können. Hätte Max Otte etwa vor einem Jahr seine Ölwerte nicht im ungünstigsten Moment (offenbar unter dem Druck unzufriedener Investoren) verkauft, sondern deren Durststrecke einfach ausgesessen, dann stünde er jetzt weitaus besser da. Dies zeigt aber auch, dass es natürlich viel schwerer ist, einen Fonds zu managen (während ungeduldige Anleger mit den Hufen scharren) als einfach nur auf eigene Rechnung zu agieren und dabei niemandem außer sich selbst verantwortlich zu sein. Ich bin sicher, dass sich so – gerade auch als kleiner Privatanleger, wenn man nur etwas Mühe und Zeit aufwendet – die beste Performance erzielen lässt.
Fazit: Grahams „Intelligenter Investor“ ist ein Vertiefungsbuch, das nicht jeder Anleger brauchen wird, das seinen Lesern aber großes Vergnügen bereiten kann.
Benjamin Graham
Die große Value-Investing-Box
Der Bestseller über die richtige Anlagestrategie:„Intelligent Investieren“ in edler Metallbox
Enthält außerdem eine hochwertige Tasse, ein Poster und ein Plakat sowie ein Büchlein mit Gastbeiträgen von Hendrik Leber, Max Otte, Eckart Langen v. d. Goltz und John Mihaljevic.
9. Auflage der deutschen Ausgabe
Finanzbuchverlag 2016
640 Seiten | Broschur
59,99 €(D); 61,70 €(A)
ISBN 978-3-89879-976-8
Justament-Rezensent Dr. Thomas Claer ist Autor des Börsen-Buches „Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger“.
www.justament.de, 26.7.2015: Ausgefallene Zwangsversteigerung
Gerichtsgeschichten aus Berlin, Teil 2
Thomas Claer
Johannes K. (Name von der Redaktion geändert) hatte bei seinen Aktieninvestments im vergangenen Herbst ein gutes Händchen bewiesen. Bis April waren die Kurse dieser wie auch der anderen Werte seines Depots geradezu durch die Decke gegangen. Getragen von einem heiteren Wohlgefühl besah er sich – eigentlich nur so zum Spaß – wieder einmal die Zwangsversteigerungsseiten der Berliner Gerichte im Internet. Und dort entdeckte er etwas, das ihm gleich ins Auge sprang: Drei kleine, nur 35 qm große Wohnungen, keine zweihundert Meter von seiner eigenen Wohnung entfernt, zum unschlagbar günstigen Verkehrswert von jeweils nur 33.000 Euro. Wie konnte das sein in der inzwischen teuren Berliner Innenstadt? Johannes K. kannte bereits den Hintergrund. Im vorigen Oktober hatte er anlässlich seiner Recherchen zur (am Ende fehlgeschlagenen) Ersteigerung eines PKW-Stellplatzes genau diese Wohnungen schon einmal beobachtet und sogar die im Amtsgericht ausliegenden Versteigerungsakten mit den Verkehrswertgutachten gelesen. Der Versteigerungstermin im November war damals kurzfristig aufgehoben worden, jetzt waren die Wohnungen also plötzlich wieder zu haben. Johannes K. hatte damals in den Akten gelesen, dass die Wohnungen einem mutmaßlichen Geldsack mit Wohnsitz im teuren Grunewald gehörten, der jahrelang keine Hausgelder bezahlt hatte, woraufhin es der Eigentümergemeinschaft schließlich zu bunt wurde und diese gegen ihn die Zwangsversteigerung betrieb. Die Wohnungen, so hieß es im Gutachten, seien offensichtlich alle vermietet, doch sei der Gutachter von keinem der Bewohner zwecks Besichtigung hineingelassen worden, weshalb er den Verkehrswert angesichts der bestehenden Unsicherheiten kräftig nach unten angepasst habe. Hinzu kommt noch, dass die Hausgelder laut Gutachten angesichts der geringen Wohnungsgröße auffällig hoch waren. Im Haus, einem schlichten Nachkriegsbau aus dem Jahr 1959, herrschte ein erheblicher Sanierungsstau, es musste dringend eine neue Heizungsanlage eingebaut werden. Auch war der Innenhof beim zuständigen Umweltamt als Altlasten-Verdachtsfläche wegen dort möglicherweise vergrabenen Kriegsschutts registriert, was bedeutete, dass gegebenenfalls niemand anders als die Eigentümergemeinschaft für die Sanierungskosten aufzukommen hätte. Ferner lagen die Wohnungen im wenig attraktiven Erdgeschoss und waren wegen der nahe gelegenen S-Bahntrasse nicht unerheblich mit Verkehrslärm belastet. Außerdem musste man, soviel stand für Johannes K. fest, dieses Haus mit seiner ungepflegten Fassade wohl oder übel als das hässlichste der gesamten Wohngegend bezeichnen. Es gab also eine Menge, was gegen diese Wohnungen sprach.
Aber genau das sprach nun, da sie überraschenderweise wieder angeboten wurden, in Johannes K.‘s Augen gerade auch für diese Wohnungen. Wenn sich überhaupt noch einmal eine Gelegenheit bieten würde, in seiner inzwischen teuer gewordenen Wohngegend zu einem vernünftigen Preis zum Zuge zu kommen, so dachte er sich, dann doch wohl jetzt. Von Anfang an hatte er sich auf die in seinen Augen schlechteste der drei Wohnungen konzentriert, jene mit dem Balkon zur belebten Straße statt wie bei den beiden anderen zum ruhigen Hinterhof. Hier glaubte er, noch am ehesten eine Chance zu haben. Unter Investment-Gesichtspunkten erschien ihm die Wohnung eher wenig verlockend. Die Altmieter in dieser Gegend, und einen solchen musste er auch in dieser Wohnung vermuten, zahlten geradezu lächerlich niedrige Mieten, etwa die Hälfte dessen, was bei einer Neuvermietung fällig wurde. An Mieterhöhungen war angesichts der strengen gesetzlichen Bestimmungen natürlich auch kaum zu denken. Aber ihn reizte die Option, die Wohnung vielleicht irgendwann einmal selbst nutzen zu können. Seine Frau brauchte doch einen Raum für einen Flügel! Und ganz nebenbei ließe sich die Wohnung – mit einer einfachen Schlafgelegenheit ausgestattet – doch problemlos dann und wann einmal für eine Nacht oder für ein Wochenende an Touristen vermieten, um wenigstens die stattlichen monatlichen Hausgelder wieder reinzubekommen. Jedoch waren diese Überlegungen für Johannes K. nur Zukunftsmusik, denn den Mieter einfach vor die Tür setzen, so etwas würde er auf keinen Fall tun, zumal dieser dann, wie es so oft in den Medien berichtet wurde, auch ganz sicher alle rechtlichen Register ziehen würde, um nicht ausziehen zu müssen. Ein solcher zermürbender Kleinkrieg, bei dem er sich am Ende womöglich noch als herzloser Unmensch fühlen müsste, kam für Johannes K. jedenfalls nicht in Betracht.
Als er seiner Frau von seinen Plänen erzählte, reagierte diese mit Skepsis. Dass es um ihr künftiges Flügelspiel gehen sollte, nahm sie ihrem Mann nicht so recht ab. „Du bist doch nur wieder gierig nach der nächsten Immobilie“, hielt sie ihm vor. Doch Johannes K. ließ sich nicht beirren. Er war jetzt fest dazu entschlossen, wenigstens einen Versuch zu unternehmen. Hierzu musste er eine Woche vor dem Versteigerungstermin zehn Prozent des Verkehrswertes als Sicherheit auf ein Gerichtskonto überweisen. Johannes K. war zuversichtlich, die 3.300 Euro rechtzeitig bis zum Termin im Juli zusammenzubekommen. Was für ihn aber auf keinen Fall infrage kam, war, seine dividendenstarken Aktien bereits jetzt zu verkaufen, denn sollte er, womit schließlich angesichts des aufgeheizten Immobilienmarktes zu rechnen war, die Wohnung doch nicht bekommen, dann stünde er am Ende womöglich ohne lohnende Anlage für seine Gelder dar.
Doch dachte er bereits intensiv über seine Vorgehensweise im Falle einer erfolgreichen Ersteigerung der Wohnung nach. Wie sollte er überhaupt den Mieter der Wohnung kontaktieren können, wenn der bisherige Eigentümer, was ja durchaus zu befürchten war, sich stur stellen und nicht mit ihm als dem Erwerber der Wohnung kooperieren würde. Um aber gegebenenfalls an den Mieter herantreten zu können, brauchte er zumindest dessen Namen, schon um bei ihm an der Tür klingeln oder ihm einen mahnenden Brief schreiben zu können (und erst recht, um ihn schlimmstenfalls später verklagen zu können). Das Klingelbrett am Hauseingang war jedoch eine Enttäuschung. Die Anordnung der Klingelknöpfe ließ keinerlei Rückschlüsse auf deren Zuordnung zu den Wohnungen des Hauses zu. Ins Haus konnte er wegen der verschlossenen Eingangstür nicht kommen. So versuchte es Johannes K. auf gut Glück mit einer Google-Recherche. Und siehe da: Als er die Adresse eingegeben hatte, wurde ihm gleich eine Ferienwohnung im Erdgeschoss des Hauses angezeigt – betrieben von einer jungen Dame aus Russland, die sich mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse auf einer der bekannten Wohnungsvermittlungsseiten präsentierte. Klar, dachte sich Johannes K, das macht ja auch Sinn. Deshalb werden die Bewohner wohl den Gutachter nicht hereingelassen haben, denn Ferienwohnungen sind in Berlin schließlich schon seit über einem Jahr illegal, ohne dass sich allerdings irgendjemand ernsthaft daran stören würde. (Aus Datenschutzgründen dürfen die Ermittler ja nicht einmal auf Informationen aus dem Internet zurückgreifen.) Johannes K. stellte sich schon genüsslich vor, wie er künftig als Vermieter der Ferienwohnung von der Mieterin seinen Anteil an deren lukrativen Einnahmen fordern könnte. Er betrachtete die umfangreichen Fotos von der Ferienwohnung auf der Internetseite und glich sie gedanklich mit seinen bisherigen Kenntnissen von der Wohnung seines Begehrens ab. Sicherheitshalber lief er schnell noch einmal über die Straße um das Haus herum und bedachte die Sonneneinstrahlung und den zu vermutenden Blickwinkel aus dem Fenster. Zu seiner Enttäuschung musste er schließlich feststellen: Nein, die Ferienwohnung wird nicht versteigert, es ist die Wohnung daneben. Doch wie sollte er nun den Namen des Mieters herausfinden?
So ließ Johannes K. immer, wenn er auf dem Weg zur S-Bahn an dem Haus vorbeikam, seine Blicke auf die Erdgeschosswohnung mit dem Balkon zur Straße schweifen und überlegte angestrengt, wie er doch noch an die begehrten Informationen kommen könnte. Manchmal verspürte er dabei Anflüge eines schlechten Gewissens, wenn er an das biblische Gebot dachte – er hatte vergessen, das wievielte es war – „Du sollst nicht begehren deines Nächsten … Haus.“ Da erblickte er eines Tages, er hatte gerade in ein Falafel vom Imbiss gebissen, auf dem Balkon der besagten Wohnung eine Frau in den Dreißigern, die gerade ihre Wäsche aufhängte. So unauffällig, wie er konnte, beobachtete Johannes K. die Frau, die seinen Blick aber sofort bemerkt hatte und ihn neugierig ansah. Sie war brünett und wirkte irgendwie südländisch, jedoch völlig ohne die bildungsferne Ausstrahlung, die vielen anderen Bewohnern dieser noch längst nicht vollständig gentrifizierten Gegend zu eigen war. Sogar eine große Hipsterbrille trug sie auf der Nase. Johannes K. war sich nicht sicher, ob die Frau mit ihm flirten wollte. Erschrocken wendete er augenblicklich seinen Blick in eine andere Richtung und beschleunigte seine Schritte. Doch hatte er sich ihre Gesichtszüge gut eingeprägt.
Einige Wochen später bot sich dann endlich die rettende Gelegenheit. Die Eingangstür des hässlichen Hauses stand weit offen, und es war kein Mensch zu sehen. Geistesgegenwärtig betrat Johannes K. das Haus, bog den Flur nach links ab, und schon hatte er die Tür zur Wohnung seiner Träume gefunden. An der Tür stand ein Name, den Johannes K. beim Hinausgehen mit den Namen auf dem Klingelbrett an der Hauseingangstür abglich. Tatsächlich, irgendwo in der Mitte stand er, und neben ihm mit Schrägstrich noch ein weiterer Name. Johannes K. merkte sich beide Namen und gab sie zu Hause am Computer in die Googlemaske ein – mit dem Zusatz „Berlin“, versteht sich. Und schon hatte er die beiden gefunden. Es waren zwei Arbeitskollegen aus dem IT-Sektor, die in ihrer Firmenzeitung mit Bild porträtiert und ausführlich interviewt wurden. Die Frau vom Balkon, deren Name zwar nicht an der Wohnungstür, aber mit Schrägstrich hinter dem Namen von der Tür auf einem der Schilder am Klingelbrett der Hauseingangstür stand, hatte er gleich wieder erkannt. Sie war 37, stammte aus Italien, sprach fünf Sprachen, darunter Chinesisch, hatte schon an den unterschiedlichsten Orten der Welt gelebt und gearbeitet, darunter in Shanghai und Sydney, lebte seit fünf Jahren in Berlin und erklärte im Interview mit der Firmenzeitung, dass sie sich gerne immer wieder in neue, andere Städte verliebte. Der junge Mann, dessen Name an der Wohnungstür und am Klingelbrett stand, war 24 und stammte aus Mecklenburg-Vorpommern. Egal in welchem Verhältnis zueinander die beiden standen und wer von beiden dauerhaft in der kleinen Wohnung lebte. Johannes K. verfügte nun über die Namen der Bewohner. Und außerdem stand jetzt fest, dass die Wohnung definitiv nicht von alten, unkündbaren Sozialmietern, sondern von ausgesprochenen Gentrifizierern bewohnt wurde, die früher oder später ganz aus freien Stücken ausziehen würden, was den Wert der Wohnung signifikant erhöhte. Johannes K. berauschte sich regelrecht an der Vorstellung, dass er nun über einen bedeutenden Wissensvorsprung gegenüber den meisten seiner Bietkonkurrenten verfügte. Er hielt es sogar für angebracht, sein Maximalgebot, das er bei der Versteigerung äußerstenfalls abzugeben gedachte, gedanklich noch einmal etwas nach oben zu setzen.
Zwei Wochen vor dem Versteigerungstermin suchte Johannes K. noch einmal das Gericht auf, um den aktuellen Stand der Versteigerungsakte zu studieren. Dort fand er u.a. den kurzen Vermerk, dass der Schuldner aus dem Grunewald im vergangenen Herbst in letzter Sekunde alle Forderungen seiner Gläubiger bedient hatte, woraufhin diese das Zwangsvollstreckungsverfahren kurzerhand einstellen ließen. Doch seitdem hatte er dann abermals keine Hausgelder mehr gezahlt, so dass die Gläubiger die Vollstreckung wieder aufgenommen hatten. Johannes K. musste sich eingestehen, dass eine Menge dafür sprach, dass der Schuldner vielleicht auch diesmal wieder auf den letzten Drücker seine Schuld bezahlen würde. Dennoch wollte er aber zumindest bereit stehen, falls sich doch noch eine interessante Gelegenheit für ihn ergeben würde.
Doch in den Tagen, bevor Johannes K. die 3.300 Euro, die er sich inzwischen mühsam zusammengespart hatte, ans Gericht überweisen wollte, kam er immer mehr ins Grübeln, zumal auch seine ursprünglich stattlichen Gewinne an der Börse wegen der sich zuspitzenden Griechenlandkrise in den letzten Wochen zusammengeschmolzen waren wie der Schnee in der Sonne. Als dann Anfang Juli auch noch das irre Athener Referendum abgehalten wurde und die Aktienkurse immer weiter abgestürzt waren, fand es Johannes K. inzwischen fast schon zu schade, seine Anteile auf diesem niedrigen Niveau verkaufen zu müssen, und sei es für die begehrte Wohnung. Als schließlich Angela Merkel in den Fernsehnachrichten verkündete, es werde nun aber unwiderruflich innerhalb weniger Tage eine endgültige Lösung für Griechenland geben, so oder so, da tippte Johannes K. in seine Überweisungsvorlage kurzentschlossen nicht die IBAN-Nr. des Amtsgerichts, sondern die seines Aktiendepots. Seine Lebenserfahrung sagte ihm, dass es noch immer besser gewesen sei, auf die wahrscheinlichen Ereignisse zu setzen, und nicht auf jene, die man sich bloß wünscht. Am nächsten Tag orderte er vormittags zusätzliche Aktien für sein Depot, und schon am Nachmittag standen die Kurse deutlich höher. Eine Woche und eine qualvolle Einigung auf dem EU-Gipfel in Brüssel später hatte der DAX um satte 1.000 Punkte zugelegt. Doch wollte Johannes K. wenigstens interessehalber zur Versteigerung der Wohnungen gehen, schon um festzustellen, ob er denn mit seinem Gebot eine Chance gehabt hätte. Als er am Abend vor dem Termin noch einmal die Internetseite mit den Versteigerungen aufrief, stand dort in roter Schrift neben allen drei Wohnungen: „Termin ist aufgehoben!“ Johannes K. empfand darüber eine tiefe Genugtuung und sah sich nun wieder andere Wohnungsangebote an. Aber schon in der Woche darauf waren die Aktienkurse erneut eingebrochen…
Justament Sept. 2013: Die Börse ist unser Schicksal
Von den unterschätzten Möglichkeiten des Aktiensparens
Thomas Claer
Im Jahr 1784 beklagte der Philosoph Immanuel Kant die Unaufgeklärtheit seiner Mitmenschen: “Es ist so bequem unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen” (aus: I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?). Gewiss, in jenen finsteren Zeiten vor der Französischen Revolution war die breite Masse (darunter, so Kant, “das ganze schöne Geschlecht”), noch ziemlich unemanzipiert. Aber sind wir heute wirklich so viel weiter?
Geht es um die Anlage des eigenen Geldes, so folgen gegenwärtig die meisten von uns der Maxime: Habe ich eine Bank, bei der ich ein Sparkonto unterhalten und die mir ein “Finanzprodukt” verkaufen kann, muss ich mir ja selbst keine weiteren Gedanken darüber machen. Gleichzeitig halten viele (nach einer jüngeren Umfrage waren es stolze 42 Prozent) Aktienbesitzer für “gewissenlose Spekulanten”. Was die Banken dann aber ihrerseits mit unserem oft sauer verdienten und mühsam vom Munde abgesparten Geld so anstellen, wird gerne ausgeblendet. Die Antwort ist: Sie investieren es (wenn es gut geht), spekulieren damit (hier wird es schon bedenklicher) oder verzocken es sogar (dann muss eben der Staat einspringen und der Steuerzahler dafür aufkommen).
Weltwunder Zinseszins
Natürlich geht es auch anders: Man kann sein Geld in Scheinen oder in Form von Goldbarren unter die Matratze legen und sich dadurch auch noch des – wenn es hoch kommt – kleinen Inflationsausgleichs berauben, den uns die Banken gönnerhaft in Form von Zinsen im mikroskopischen Bereich gewähren. Oder man nimmt die Sache selbst in die Hand und legt sich ein Wertpapierdepot an. Das immerhin gibt es bei vielen Online-Banken kostenlos! Und dann gilt es, sich mit Umsicht und Bedacht ein langfristig ausgerichtetes Portfolio aus mehreren exzellenten und gerade günstig bewerteten Einzelwerten zusammenzustellen und dabei immer auf ausreichend Liquidität zu achten, also niemals alles auf eine Karte und niemals alles auf einmal einzusetzen. Dabei sollte man heftige Schwankungen aushalten können, aber immer dann beherzt zugreifen, wenn sich an den Märkten wieder einmal Weltuntergangsstimmung ausbreitet. Es geht um Teilhabe am nachhaltigen Wachstum der Weltwirtschaft und an außergewöhnlich gut arbeitenden und wirtschaftenden Unternehmen in zukunftsträchtigen Branchen. Mit Casino-Mentalität hat das wenig zu tun, auch nicht mit dem Traum vom schnellen und leicht verdienten Reichtum. Auch wenn manche Trader anderes behaupten: Viel Hin und Her macht am Ende meistens doch die Taschen leer, zumal die Depotbank bei jedem Trade die Hand aufhält.
Was man beim langfristigen Aktiensparen so verdienen kann? Durchschnittliche Renditen zwischen 8 und 10 Prozent pro Jahr sind auf lange Sicht (also in Zeiträumen von mindestens zehn Jahren) absolut realistisch. Klingt nicht schlecht, wird mancher denken, aber doch keineswegs überwältigend. Aber wer wenig anzulegen hat, kann doch auf diese Weise niemals zu viel Geld kommen, oder doch? Und hier kommt nun der Zinseszins-Effekt ins Spiel, der mitunter auch als das “achte Weltwunder” bezeichnet wird: Die untenstehende Grafik zeigt, wo der DAX (der seit 1988 bestehende deutsche Aktienindex, der die 30 wichtigsten Standardwerte umfasst) am Ende unseres Jahrhunderts stehen könnte, wenn er künftig in etwa so weiter zulegt wie in seinen bisherigen 25 Jahren, also jährlich im Schnitt um gut 8 Prozent, was keine sonderlich abenteuerliche Annahme ist. Und geht man davon aus, dass die heute 20-Jährigen deutlich über 90 Jahre alt werden dürften, ist das ein für uns durchaus relevanter Zeitraum. Wir sehen also, dass die Zeit (der “Anlagehorizont”) der alles entscheidende Faktor ist.
Auch für Geringverdiener
Jetzt werden viele einwenden: “Das hat doch nichts mit mir zu tun. Ich hab doch gar nicht genug Geld, das ich anlegen könnte.” Dieser verbreiteten Auffassung liegt ein fundamentales Missverständnis zu Grunde. Gerade für Geringverdiener kann ein langfristig ausgerichtetes Aktiendepot – anders als etwa die renditearmen, aber kostenreichen Riester-Produkte – ein ganz erhebliches Zubrot bei der eigenen Altersvorsorge sein und zur Unabhängigkeit von staatlichen Transferleistungen bis ins hohe Alter führen. Wer auch nur fünfzig oder hundert Euro monatlich zur Seite legt, hat schon nach wenigen Jahren das nötige Startkapital fürs eigene Depot beisammen. Leitet man dann auch weiterhin regelmäßig Summen dieser Größenordnung ins Depot, so lässt sich diese Liquidität später zu günstigen Nachkäufen in Krisenzeiten nutzen.
Zugegeben, ganz so einfach, wie es jetzt vielleicht klingen mag, ist das Geldanlegen an der Börse zwar nicht. Aber wer es systematisch angeht und sich ausgiebig mit den Hintergründen beschäftigt, auf seine eigene Urteilskraft vertraut, diszipliniert und geduldig ist und schließlich auch noch das notwendige Quäntchen Glück mitbringt, kann es an der Börse auch mit niedrigem Kapitaleinsatz ziemlich weit bringen.
DAX-Stand bei durchschnittlichem Zuwachs von ca. 8 % p.a.:
Jahr: Punktestand
1988: 1.000
2013: 8.000
2023: 17.271
2033: 37.286
2063: 375.202
2100: 6.470.593
Justament-Autor Thomas Claer ist Autor des Buches “Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger (Verlag BOD, Norderstedt 2012, 10,00 €, ISBN-10: 3844818146 / E-Book 8,49 €).
www.justament.de, 17.6.2013: Alles ist zyklisch
Der FinanzBuch Verlag druckt das Frühwerk des Börsen-Experten Robert Rethfeld und seines Mitstreiters Klaus Singer „Weltsichten – Weitsichten“ nun immerhin wieder auf Bestellung
Thomas Claer
Manchmal werden schwer greifbare Nebenwerke semiprominenter Autoren mit eher speziellem Inhalt allein durch ihre Knappheit zu regelrechten Kultbüchern, ganz ähnlich wie wir es etwa von bestimmten Popmusik-Schallplatten kennen. Auch für die „Weltsichten – Weitsichten“ von Robert Rethfeld, dem Betreiber des inzwischen recht erfolgreichen Finanzmarkt-Onlineportals www.wellenreiter-invest.de, und seinem Co-Autor Klaus Singer aus dem Jahr 2004 musste man bisher beim antiquarischen Erwerb schon etwas tiefer in die Tasche greifen. Doch seit Ende 2012 bietet der FinanzBuch Verlag das Werk in einer broschierten Ausgabe wieder an. Bei Nachfrage erfährt man dann allerdings, dass es nur auf Bestellung gedruckt wird. Aber immerhin. Neugierig beginnt man also die Lektüre am Computerbildschirm, um bald wenig überrascht festzustellen, dass der immer wieder so originelle und verblüffende Ansatz des Wellenreiters hier bereits, um es in seiner typischen Diktion zu sagen, antizipiert wird. Eine ganz eigentümliche Weltsicht tut sich in diesem Buch auf: die Interpretation alles wirtschaftlichen und politischen Geschehens als Abläufe von Entwicklungszyklen.
Im ersten der drei Teile des Buches erfolgt eine Analyse der Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es geht um Bevölkerungswachstum, die globale Erwärmung, den Arbeitsmarkt in der Dauerkrise bis hin zu Themenfeldern wie „Korpulenz und Konsum“ oder den steigenden Selbstmordraten. Das muss man heute, fast zehn Jahre nach dem Erscheinen, nicht mehr unbedingt so genau lesen. (Gleichwohl finden sich dort etliche aufschlussreiche Passagen, etwa über den Zusammenhang von Wirtschaftsentwicklung und Stilepochen.) Viel interessanter sind aber die beiden anderen Teile. Ausgesprochen geschichtsphilosophisch wird es im zweiten Teil „Was die Welt bewegt“. Schon immer wollten die Menschen – und das aus ganz unterschiedlichen Motiven – die Zukunft voraussehen können und suchten nach Gesetzmäßigkeiten, die dem Lauf der Welt zugrunde liegen. Dass es hier kein sicheres Wissen geben kann, ist nach dem fast globalen Zusammenbruch des Staatskommunismus zwar Allgemeingut geworden. Doch gäbe es nicht immer wieder bestimmte Wahrscheinlichkeiten, sich häufig wiederholende Entwicklungsmuster, die Fortsetzung bereits begonnener Trends und Zyklen, so wäre es unmöglich, mit einer darauf basierenden Strategie an den Finanzmärkten eine nennenswerte „Outperformance“ zu erzielen. Robert Rethfeld ist mit seinen vielfach treffsicheren Prognosen der lebende Beweis dafür, dass der Blick in die Glaskugel gelingen kann. Doch was vielleicht die größte Überraschung des Buches ist: Neben den erwarteten einschlägigen Theorien von Charles Dow (dem Begründer der Charttechnik; nach ihm ist der amerikanische Aktienindex benannt), Ralph Nelson Elliott (dem Schöpfer der gleichnamigen Wellen-Theorie) und Nikolai Kondratjew (der die nach ihm benannten wirtschaftlichen Groß-Zyklen begründete), kommt sehr ausführlich ein Denker zu Wort, den man im erzkapitalistischen Metier der Kapitalmarktvorhersage eher weniger erwartet hätte: nämlich Karl Marx. „Für das Verständnis heutiger wirtschaftlicher Entwicklungen sind Kenntnisse über den von Marx geprägten dialektischen Materialismus und seine politische Ökonomie äußerst nützlich“, heißt es schon im Vorwort. Und weiter hinten im Buch wird es konkret: „Drei entscheidende Gesetze, die dem Kapitalismus innewohnen“ habe die Marxsche politische Ökonomie herausgearbeitet: den tendenziellen Fall der Profitrate, die Tendenz zur Akkumulation des Kapitals und die Rolle des „fiktiven Kapitals“. Im übrigen sei hier daran erinnert, dass Karl Marx auch ein tüchtiger Börsenspekulant war; ein Umstand, dem er immerhin sein Häuschen in London verdankte, was im Lichte dieses Buches gesehen wohl auch kein Zufall war.
Überhaupt kommen bei Rethfeld und Singer gerade jene Denker besonders gut weg, die der kritische Rationalist Karl R. Popper in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ als „orakelnde Geschichtsphilosophen“ verdammt und bekämpft hat: Oswald Spengler, Arnold Toynbee und eben Karl Marx. Hervorzuheben ist aber die völlig unideologische Herangehensweise der beiden Verfasser: Sie greifen sich aus dem Werk der genannten, z.T. durchaus unter Ideologieverdacht stehenden Autoren einfach (nur) das heraus, was sie für ihre Zwecke brauchen können. Andererseits offenbaren sich dem Leser dann aber auch oftmals ungeahnte Zusammenhänge: So geht Elliotts Wellenprinzip auf die Zahlenreihe nach Leonardo Fibonacci zurück, die dieser im 13. Jahrhundert auf der Suche nach einer Regel für die Kaninchenfortpflanzung entdeckt haben soll. Ein neues Mitglied der Zahlenreihe ergibt sich jeweils durch Addition seiner beiden Vorgänger. „Außerdem tendiert das Verhältnis einer Zahl zur nächsthöheren mit fortschreitendem Rang immer mehr in Richtung der Zahl Phi (0,618).“ Diese wiederum und ihr Kehrwert (1,618), die schon lange vor Fibonacci bekannt waren, spielen beim „Goldenen Schnitt“ eine wichtige Rolle, der das menschliche Harmonie- und Schönheitsempfinden maßgeblich beeinflusst. Heute benutzen Chart-Theoretiker die „Fibonacci-Spiegelung“ zur Projektion vergangener Kursverläufe auf die Zukunft, was dem in der modernen Chaos-Theorie postulierten Prinzip der Selbstähnlichkeit komplexer Strukturen entspricht. Und schließlich: „Das Prinzip der Selbstähnlichkeit findet ebenfalls in der assoziativen Art des Menschen, Schlüsse zu ziehen, eine Entsprechung.“ Das kann man wohl sagen!
Schließlich handelt der dritte Teil des Buches von den jeweils separat vorgebrachten Zukunftsszenarien der beiden Autoren, die einander durchaus punktuell widersprechen. Man muss ihren Mut zur ganz konkreten Prognose herausstellen, denn das Risiko, dabei auch mal grundfalsch zu liegen, ist so natürlich besonders groß. Umso bemerkenswerter ist es, dass beide Autoren bereits im Jahr 2004 die große Finanz- und zwischenzeitliche Weltwirtschaftskrise kommen sahen, die wir seit 2007 erleben. Bei Singer heißt es auf S. 301: „Die nähere Zukunft bringt also eine auf breiter Front nachlassende wirtschaftliche Dynamik. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine schwere Finanzkrise näher rückt – in zeitlicher und geographischer Hinsicht.“ Rethfeld schreibt auf S. 331 in seinem Rückblick aus dem Jahr 2015: „Blickt man auf die ersten 15 Jahre des 21. Jahrhunderts zurück, so muss man diese Zeit als einen bedeutenden Wendepunkt der Menschheitsgeschichte einstufen. Zwei Ereignisse, die sich lange angekündigt hatten, trafen viele Menschen dennoch unvorbereitet. Sie mussten erstens lernen, dass die Förderung der fossilen Brennstoffe Erdöl und Erdgas den steigenden Bedarf nicht mehr decken konnte; die Folge war eine Energiekrise. Doch noch viel stärker machte sich – zweitens – eine den Globus umspannende Finanzkrise bemerkbar. Ausgangspunkt waren die USA und dort spezifisch der US-Dollar. Beide Ereignisse führten zu schweren Verwerfungen in Wirtschaft und Gesellschaft.“ Die Energiekrise ist uns bislang noch erspart geblieben…
Abschließend noch ein Blick zurück aus dem Jahr 2030, in das sich Robert Rethfeld mal eben gebeamt hat: „Der große Bären-Markt der ersten beiden Dekaden dieses Jahrhunderts ist Vergangenheit. Die weltweite Währungsreform sowie die neuen Entwicklungen besonders im Energiesektor treiben einen neuen Bullen-Markt. Neue Unternehmen und Technologien sind entstanden. Dieser Bullen-Markt ist in erster Linie – aber nicht ausschließlich – ein asiatisches Phänomen. Kreative Kräfte aus Shanghai und Bombay entwickeln und leisten Erstaunliches, geschürt durch die weltweit führenden Finanzzentren eben jener Städte. Seit der weltweiten Finanzkrise Ende des ersten Jahrzehnts hat New York seine Pole-Position an Schanghai abgeben müssen.“ Das ist gut zu wissen.
Robert Rethfeld / Klaus Singer
Weltsichten – Weitsichten
FinanzBuchVerlag 2012 (Reprint von 2004)
358 Seiten, broschiert, EUR 29,99
ISBN-10: 3898797678
Justament-Rezensent Thomas Claer ist Autor des Buches „Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger“, BoD 2012, 132 Seiten, EUR 10,00, ISBN 978-3844818147.
www.justament.de, 17.12.2012: Rettet die Million! (2)
Der „Börsenguru“ Max Otte demonstriert in seinem Buch „Endlich mit Aktien Geld verdienen“ die reine Lehre des Value Investings
Thomas Claer
Klappern gehört natürlich zum Handwerk. Wer zu leise ist, wird gar nicht erst wahrgenommen. Selbst ein so versierter und allseits geschätzter Experte wie der Wormser BWL-Proferssor Max Otte, einem breiten Publikum als einsamer Prophet der seit 2007 währenden Finanzkrise bekanntgeworden und seitdem präsent auf allen Fernsehkanälen, ist da keine Ausnahme. Der Ruhm muss gepflegt werden, und sei es durch reißerische Buchtitel mit einer an Boulevardzeitungen erinnernden Schriftgröße und knallharte Botschaften auf dem Umschlag. Von innen ist das Buch „Endlich mit Aktien Geld verdienen“ dann aber längst nicht so grobkörnig, wie es der äußere Anschein suggeriert. Otte liefert eine fundierte Anleitung zum überlegten und einträglichen Operieren an der Börse, die anders als die Werke mancher Konkurrenten sehr schnell zum entscheidenden Punkt gelangt, der Auswahl aussichtsreicher Einzelwerte, in die zu investieren sich lohnt. Das Wozu und Warum der Aktienanlage setzt er bei seinen Lesern mehr oder weniger als bekannt voraus, da reichen ein paar allgemeine Hinweise in der Einleitung und im ersten Kapitel.
Welche „Papiere“ sollte man also kaufen? Das ist, wenn man es so anfängt wie Max Otte, keinesfalls eine leichte Sache. Zunächst kommt man noch ganz gut mit, wenn er zwischen Buchwert und Ertragswert eines Unternehmens unterscheidet. Aber sobald die ersten betriebswirtschaftlichen Formeln ins Spiel kommen, wird man sehr genau daran erinnert, warum man damals nie BWL studieren wollte. Wenn einem später auch nach mehrmaliger geduldiger Lektüre an manchen Stellen einfach kein Licht aufgehen will, ist es immerhin beruhigend zu erfahren, dass es etlichen anderen Lesern, glaubt man ihren Kommentaren auf der Amazon-Website, bei der Lektüre ähnlich ergangen ist. Manche gehen sogar so weit, dem „Börsenguru“ fachliche Fehler zu unterstellen. Auch wenn das angesichts der Vielzahl seiner Publikationen in kurzer Zeit noch nicht einmal verwunderlich wäre, würden wir uns ein solches Urteil niemals anmaßen wollen.
Die gute Nachricht für alle Anleger ist aber diese: Es kommt überhaupt nicht drauf an. Zwar gibt es zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Strategien und Theorien darüber, wie sich an der Börse erfolgreich agieren lässt. Und das Value Investing gehört sicherlich zu den besseren unter ihnen, denn es ist vernünftig und plausibel und gibt einem das (allerdings manchmal trügerische) Gefühl, die Dinge irgendwie im Griff zu haben. Aber die magische Formel für die garantiert hohen Gewinne an der Börse, die gibt es nun einmal nicht. Und jemand, der, sagen wir, eine einfachere Variante des Value Investings bevorzugt, die ohne betriebswirtschaftliche Formeln auskommt, kann damit auch auf lange Sicht mindestens ebenso gut fahren wie mit den Formeln von Prof. Max Otte. Und manche Trendfolger oder Chart- oder Zyklentheoretiker schaffen das auch irgendwie, jeder auf seine Weise. Nein, ganz beliebig ist die Strategie, von der man sich leiten lässt, zwar nicht, doch sind die Faktoren Glück und vor allem Geduld an der Börse am Ende doch mächtiger als alle Theorie, denn im Zweifel laufen die Kurse dann doch anders, als man denkt, zumindest kurzfristig. Doch lassen sich vor allem durch geschickte Streuung der Anlagen und die Beachtung bestimmter Vorsichtsregeln die systemimmanenten Risiken auf lange Sicht noch halbwegs beherrschen.
Auch hierüber enthält das Buch viel Wissenswertes. Besondere Anerkennung verdient Otte dafür, dass er sich entgegen der einhelligen Überzeugung fast sämtlicher Börsenexperten gegen den Einsatz von Stop-Loss-Marken wendet. Wer sich mit großem gedanklichem Aufwand für ein Investment entschieden hat, der sollte an ihm auch festhalten, wenn die Kurse fallen, und dann natürlich erst recht zugreifen und seine Position aufstocken, denn langfristig wird der Markt ihm wahrscheinlich Recht geben. (Andere behaupten das Gegenteil und haben dafür auch gute Gründe. Jeder sollte ganz einfach das tun, was ihm am meisten einleuchtet.)
Am Ende des Buches erläutert Max Otte – wohl nicht ganz ohne die Absicht der Eigenwerbung – wie er seinen durchaus gut performenden Fonds zu managen pflegt. Selbstkritisch räumt er dabei auch immer wieder „Fehler“ ein, meistens den, diese oder jene Position zu früh verkauft und in andere vermeintlich aussichtsreichere Werte umgeschichtet zu haben. Manchmal hat das zwar gut funktioniert, manchmal aber auch nicht. (Wie das eben so ist an der Börse.) Aber dass ausgerechnet ein so erfahrener Investor wie Otte in seinem Fonds die simple Börsenweisheit des „Hin und her macht Taschen leer“ so systematisch missachtet, erstaunt dann doch. Wofür sollten die Anleger ihren „Guru“ aber schließlich sonst bezahlen, wenn er den Fonds nur alle Jubeljahre mal umschichten würde. Als Fondsmanager ist man nun einmal ein Getriebener seiner Kunden und das nicht nur in der Finanzindustrie (im engeren Sinne). Dabei ist es keineswegs abwegig zu behaupten: Durch weniger häufiges Umschichten und mehr Liquiditätsmanagement hätte der Fonds von Max Otte sehr wahrscheinlich eine noch bessere Performance erzielt.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass Max Otte eine über weite Strecken, wenn auch nicht durchgängig, gut lesbare Anleitung zum Value Investing geschrieben hat, aus der wir Kleinanleger großen Nutzen ziehen können. Doch besteht kein Anlass, seine „Methode Prof. Max Otte“ (so nennt er sie wirklich!) zu verabsolutieren, sondern vielmehr dazu, sie kritisch zu hinterfragen, um so idealerweise auch die eigene Vorgehensweise optimieren zu können. Wer sich überhaupt nicht eigenständig mit dem Thema Geldanlage beschäftigen möchte, dessen Geld ist in Prof. Ottes Fonds sicherlich besser aufgehoben als in manchem anderen. Wer aber dieses oder ein ähnlich konzipiertes Buch mit wachem Bewusstsein gelesen hat, wer sich fortwährend eigene Gedanken zum Thema Geldanlage macht und sich schließlich auch noch zutraut, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten, der braucht keinen Fonds, denn er kann es auch allein.
Max Otte
Endlich mit Aktien Geld verdienen. Die Strategien und Techniken, die Erfolg versprechen
FinanzBuch Verlag 2012
304 Seiten, EUR 22,99
ISBN 978-3-3898796316
Justament-Rezensent Thomas Claer ist Autor des Buches „Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger“, BoD 2012, 132 Seiten, EUR 10,00, ISBN 978-3844818147.
www.justament.de, 12.11.2012: Rettet die Million!
Der „Börsenguru“ Gottfried Heller weist den „einfachen Weg zum Wohlstand“
Thomas Claer
Wenn einem ein Buchtitel den „einfachen Weg zum Wohlstand“ verspricht, wenn er behauptet, man könne zugleich „mehr verdienen, weniger riskieren und besser schlafen“, dann ist natürlich höchste Vorsicht angebracht. Schließlich haben viele dergleichen schon zur Genüge von ihrem Riestervertrags-Vermittler oder Bankberater gehört, um am Ende doch mit renditearmen oder gar kapitalvernichtenden Anlagen abgespeist worden zu sein. Doch wollen einem diesmal ausnahmsweise nicht provisionsgetriebene Lakaien der Finanzindustrie ihre zweifelhaften Produkte andrehen. Vielmehr appelliert hier ein hartgesottener Börsen-Profi sehr nachdrücklich an die Leserschaft, ihre größtenteils ablehnende Haltung gegenüber der Geldanlage in Aktien noch einmal zu überdenken. Und er hat, gerade in Zeiten wie unseren, keine schlechten Argumente.
Die Rede ist natürlich von Gottfried Heller, Jahrgang 1935, dem langjährigen Freund und Partner des legendären Andre Kostolany. Um es gleich vorweg zu sagen: Gottfried Heller ist ein selten cooler Hund. August 2011: Die Euro-Schuldenkrise spitzt sich zu. Die Börse crasht gerade zum dritten Mal innerhalb einer Dekade, der Dax rauscht innerhalb weniger Tagen um 25 Prozent in die Tiefe. Bleiche Gesichter in den Redaktionen der Börsensender. Zugeschaltet ist Gottfried Heller, völlig entspannt. Ja, er habe 90 Prozent seines Vermögens in Aktien investiert und schlafe nachts weiterhin sehr gut. Ach, da habe er wirklich schon ganz andere Crashs erlebt. Damals, 1987, da verlor die Börse 23 Prozent an einem Tag. Nach kurzer Besprechung mit Kostolany habe er damals gleich kräftig nachgekauft. So ein Sell-Off sei doch immer eine gute Einstiegsgelegenheit, da nun der Markt bereinigt sei und die „Zittrigen“ schon alle verkauft hätten. Ob er denn jetzt etwa auch gekauft habe? Na was denn sonst…
Gottfried Heller ist kein Vielschreiber. „Der einfache Weg zum Wohlstand“ ist erst sein zweites Buch überhaupt (das erste erschien 1992). Und er redet Klartext, wenn er bekennt, sich in seinem Alter und nach seinem Rückzug aus dem operativen Geschäft der „Fiduka-Vermögensverwaltung“, deren Senior Partner er noch ist, nunmehr ganz freimütig äußern zu können. Dass die vollmundigen Worte seines Buchtitels durchaus nicht zu hoch gegriffen sind, wird deutlich, wenn er sie erklärt. Unter „Wohlstand“ versteht er nicht unbedingt „Reichtum“, aber doch Unabhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, auf welche ja nach neuesten Renten-Berechnungen aus dem Bundesarbeitsministerium künftig mehr als die Hälfte aller Berufstätigen im Ruhestand angewiesen sein werden, bis ins hohe Alter. Vergleicht man dann die Risiken und Renditen des staatlichen Rentensystems und der fragwürdigen Riester-Produkte auf der einen Seite mit einem breit gestreuten und langfristig orientierten Wertpapierdepot auf der anderen Seite, dann lässt sich mit letzterem, wenn man es richtig anstellt, sicherlich mehr verdienen (sogar erheblich mehr!), weniger riskieren (denn eher gehen heutzutage Staaten Pleite als grundsolide Unternehmen) und sogar besser schlafen (wenn man das alles nämlich richtig bedenkt!). Dass der Weg dorthin „einfach“ wäre, lässt sich allerdings nur in einem sehr relativen Sinne sagen. Zwar gilt unverändert das Diktum des Kostolany: „Wenn die Börsenspekulation leicht wäre, gäbe es keine Bergarbeiter, Holzfäller und andere Schwerarbeiter. Jeder wäre Spekulant.“ Doch so kompliziert, wie es von interessierter Seite – nämlich der Finanzindustrie – gerne dargestellt wird, ist es nun auch wieder nicht. Insofern kann man Gottfried Heller für seine Aufklärungsarbeit danken, wenn er einräumt, dass zwar Anleger, die partout keine Mühe und Zeit aufwenden wollen oder können, gut bei einem kompetenten Berater aufgehoben sind – Lieber diesen mitverdienen lassen, als das schöne Geld weiter auf Sparkonten versauern zu lassen! – jedoch könnten es (fast) alle anderen, so lässt der Autor durchblicken, auch ganz gut alleine schaffen.
Um nun also diesen „einfachen Weg zum Wohlstand“ zu skizzieren, holt Heller ziemlich weit aus, erklärt zunächst die Zeitenwende, in der wir uns befinden, die Finanzkrise, deren Eindämmung durch die Geldpolitik der Notenbanken und den daraus resultierenden Anlagenotstand sowie schließlich die Megatrends, die unser Leben beeinflussen, von der Bevölkerungszunahme bis zum Aufstieg der Schwellenländer. Es folgen eine ebenso zutreffende wie vernichtende Einschätzung unseres Altersvorsorgesystems und eine ebenfalls sehr kritische Darstellung der Beraterbranche. Eher knapp gehalten sind die Ausführungen darüber, wie man denn nun die Geldanlage in die eigene Hand nehmen kann, dafür aber mit vielen konkreten Tipps zu ETFs und Standardwerten versehen, die Heller als kaufenswürdig ansieht. (Selbstverständlich sind seine Tipps richtigerweise ziemlich konservativ. Zertifikate sind für ihn „Massenvernichtungswaffen“ und Optionen „Zockerpapiere“) Auf diese Weise geht es wirklich relativ einfach, denn wer sich aus diesen Vorschlägen ein Depot zusammenstellt und genug Zeit mitbringt, wird damit wahrscheinlich früher oder später zumindest besser dastehen als mit Tagesgeld oder Bausparvertrag. Sofern er oder sie angesichts der oft erheblichen Schwankungen nicht zwischenzeitlich die Nerven verliert, versteht sich. Wie sich die Rendite aber aller Voraussicht nach noch kräftig steigern lässt, wie man selbst die besonders lukrativen Perlen unter den Nebenwerten herausfischen kann, dazu beschränkt sich das Buch allerdings nur auf grobe Andeutungen.
Wer regelmäßig den Wirtschaftsteil einer überregionalen Tageszeitung liest, wird in diesem Buch wohl nicht viel Neues erfahren. (Den anderen kann es gut als Einführung in die grundlegenden Zusammenhänge dienen.) Doch finden sich immer wieder sehr gelungene Zuspitzungen: Heutzutage noch eine Lebensversicherung abschließen? Ein Wahnsinn! Riester-Produkte? Alles Murks. Die staatliche Altersvorsorge? Vergleichen manche mit einem Schneeballsystem. Dass der Staat 2009 die Spekulationsfrist bei Wertpapiergewinnen abgeschafft und somit langfristiges Aktiensparen der Zockerei gleichgestellt hat? Ist einfach nur Dummheit, denn so wird der Staat bald die Hälfte der Rentner mit Grundsicherung alimentieren müssen.
Besonders faszinierend ist aber eine Grafik, die angibt, welches Endvermögen aus gerade einmal 100 Euro monatlicher Sparleistung bei einer jährlichen Rendite von 10 Prozent (die mit Aktien auf lange Sicht, insbesondere für kundige Privatanleger, durchaus erreichbar ist) nach 10, 20 , 30 und 40 Jahren entsteht, wenn die Erträge nur konsequent wieder angelegt werden. Der Zinseszinseffekt, die eigentliche Quelle jedes langfristigen Kapitalaufbaus, schlägt hier in voller Wucht zu Buche. Es ist fast so wie mit den Reiskörnern auf dem Schachbrett: Nach 10 Jahren hat man 20.161 €, nach 20 Jahren 72.453 €, nach 30 Jahren schon 208.085 € und nach 40 Jahren 559.880 €. Das heißt auch: Wer statt 100 € vielleicht das Doppelte monatlich zurücklegen kann, sollte selbst dann noch zu seiner Million kommen, wenn er erst nach 2009 mit dem Aktiensparen angefangen hat und ihm der Staat folglich von allen Gewinnen etwas mehr als ein Viertel Abgeltungssteuer abzieht. Denn eine Verdopplung der monatlichen Rücklagen sollte letztendlich weit mehr als eine Verdopplung des Endvermögens zur Folge haben, dem exponentiellen Wachstum sei Dank. Doch muss man berücksichtigen, dass das nur nominale Werte sind! Real, d.h. nach Abzug der jährlichen Inflationsrate, ist die Million in 40 Jahren wohl bestenfalls noch die Hälfte wert, eher weniger. Dennoch ist hier ein – selbst für Geringverdiener gangbarer – überaus eleganter Weg zur ersten Million, der sprichwörtlich immer am schwersten verdienten, beschrieben. Klar, andere schaffen es in nur drei Jahren mit einem Nebenjob als Redner, noch andere machen eine Erbschaft oder gewinnen im Lotto oder in einer Fernsehshow, wieder andere bekleiden zwanzig Jahre lang eine Führungsposition und lassen sich dabei graue Haare und Magengeschwüre wachsen. Der Unterschied ist aber, dass die Aktienspar-Methode, anders als alle anderen, so ziemlich jedem offen steht. Man muss nur früh genug damit anfangen, denn der Faktor Zeit ist der alles entscheidende.
Gottfried Heller
Der einfache Weg zum Wohlstand. Mehr verdienen, weniger riskieren und besser schlafen
FinanzBuchVerlag 2012
304 Seiten, EUR 24,99
ISBN 978-3-89879-701-6
Justament-Rezensent Thomas Claer ist Autor des Buches „Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger“, BoD 2012, 132 Seiten, EUR 10,00, ISBN 978-3844818147.
Justament März 2012: Pflichtlektüre für Kleinanleger
Thomas Claer erklärt das „Aktiensparen auf eigene Faust“
Benjamin Pinkerneil
Mit „Auf eigene Faust“ ist Thomas Claer ein ebenso ungewöhnliches wie nutzbringendes Buch gelungen. Es verzichtet auf ausschweifende Marktanalysen und umständliche Einzeldepotbetrachtungen. Stattdessen gibt es wertvolle Handlungsrichtlinien, anhand derer jeder Kleinanleger sich ein individuelles Portfolio zusammenstellen kann. Insofern ist das Buch ein wohltuender Gegenentwurf zu manchen anderen Werken, die es mitunter bis in die angesehene Tages- und Boulevardpresse geschafft haben und deren Autoren doch nur schildern, wie sie ihr Geld mit bestimmten Einzelaktien gemehrt haben und dies als generell erfolgversprechend darstellen. Dass solche Strategien allenfalls eine kurze Lebenszeit haben, hat die Finanzkrise samt Ihren Folgen drastisch gezeigt. Strategien dieser Art erinnern an den legendären Affen einer amerikanischen Sonntagszeitung, der im Wettstreit mit Analysten per Filzstift seine Lieblingswerte im Dow Jones markiert – angeblich gewinnt durchaus auch mal der Affe. Mit „nachhaltiger“ Anlagestrategie haben solche Tipps à la Großmutters Hausrezept nichts zu tun.
Claer hingegen geht solide vor: Nach einer ausführlichen Einleitung, in der er internationale Börsenhistorie und -geschehen reflektiert sowie rationale Argumente zur Investition in Aktien liefert, geht er „in medias res“: Wann soll man kaufen, was soll man kaufen, wann soll man verkaufen? Dabei verzichtet er auf lächerliche Einzelwertempfehlungen, sondern gibt fundamentale, nachhaltige Ratschläge, z.B. „keine Pennystocks“, „auf transparente Informationspolitik der Unternehmen achten“, „Konjunkturresistenz berücksichtigen“. Er koppelt seine Empfehlungen hierbei oft mit Bonmots bekannter Börsengrößen wie André Kostolany oder Warren Buffet, die ihr Können hinlänglich bewiesen haben. Wohltuend ist zudem, dass Claer stets Warnungen mit einfließen lässt, die viele in Zeiten der Börseneuphorie gern ignorieren, u.a. nicht auf Pump zu spekulieren, sorgsam zu diversifizieren und stets auf Liquidität zu achten. Er lässt nie den Eindruck aufkommen, an der Börse sei der „schnelle Euro“ zu machen, sondern versucht der Komplexität der Märkte durch kluge Analysen und nachhaltige Empfehlungen gerecht zu werden.
Schließlich lässt er im Schlusskapitel auch ethische Überlegungen einfließen und erläutert, warum Börse nicht „per se“ unmoralisch ist und dass sich Börsenerfolg und Unternehmensmoral nicht ausschließen müssen. Ein rundum gelungenes Werk, das zur Pflichtlektüre von Kleinanlegern werden sollte, die sich dem „Wagnis Börse“ stellen möchten.
Thomas Claer
Auf eigene Faust. Aktiensparen für Kleinanleger
Verlag BoD Norderstedt 2012
132 Seiten, 10,00 €
ISBN-10: 3844818146
Justament Dez. 2007: Nicht nur für Geldsäcke
Wie sich unsereins auf den Finanzmärkten verhalten sollte
Thomas Claer
Geldanlage auf den Finanzmärkten – das ist, so denkt man, etwas für Profis oder allenfalls noch für Kleinanleger. Und was sich Kleinanleger nennt, das sind in den Augen des gemeinhin nahezu mittellosen jungen Juristen schon fast Geldsäcke. Erst irgendwann später wird das große Geld kommen, jedenfalls für einige von uns. So sieht es aus. Aber es geht auch anders. Zum Beispiel so: Erst einmal jeden Monat hundert Euro – oder auch mehr – beiseite legen. Das ist oft schon dadurch zu schaffen, dass man nur noch beim Discounter einkauft, sich Bücher auf dem Flohmarkt und CDs bei Ebay beschafft, Restaurants und Cafes zu Tabuzonen erklärt und den Urlaub auf dem Campingplatz verbringt. Wenn man das auch noch seiner Freundin vermitteln kann, ist die größte Hürde schon genommen. Ein paar Jahre sollte man es aber schon durchhalten. Natürlich wird das Geld inzwischen auf hochverzinsten Tages- oder Festgeldkonten geparkt, was auch noch ein wenig abwirft. Und am Ende dieser ersten Phase steht ein Grundkapital von einigen tausend Euro. Mindestens. Nun wird es interessant. Was also weiter mit der Kohle tun?
Private Equity Fonds und Hedgefonds zu heiß
Vor allem sollte man wissen, was man um Himmels willen nicht tun sollte: Alles auf eine Karte setzen! Das macht – ähnlich wie das desaströs kapitalvernichtende Lottospielen – zwar gelegentlich jemanden reich, zumeist aber viele arm. Auch kommen bestimmte Anlageformen schon aus strukturellen Gründen nicht in Betracht: Private Equity Fonds, neuerdings kann man sich da manchmal schon ab 2000 Euro beteiligen, sind so risikobehaftet, dass ihr Anteil zehn Prozent der Anlagesumme niemals überschreiten sollte. Noch viel heißer sind Hedgefonds oder gar Derivate wie Hebel-Zertifikate. Wer sich aber auch nicht mit Lebensversicherungen, Bausparverträgen und Bundesschatzbriefen abspeisen lassen will, deren Verzinsung nur geringfügig über der Inflationsrate liegt, der wird am Ende auf die gute alte Aktie kommen. Nun kann man natürlich, um das Risiko zu streuen, in einen Aktienfonds investieren, doch bekanntlich erreichen zwei Drittel dieser Fonds regelmäßig nicht einmal die Wertentwicklung des Vergleichsindexes. Das spricht für ein simples und kostengünstigeres Investment in Indexzertifikate. Kann man machen, wobei man durch den Spread zwischen Ein- und Verkaufspreis und die Bankgebühren letztlich doch wieder unter der Index-Performance liegt, aber nur ein wenig. Mehr als das Sparbuch bringt es im langjährigen Durchschnitt allemal. Doch lautet ein latent chauvinistischer Börsen-Spruch, dass Indexzertifikate etwa so sexy sind, wie seine eigene Schwester zu küssen. Das heißt, und da ist was dran: Es macht keinen Spaß. Wer sich ein paar Einzelwerte ins Depot legt, bekommt nach Jahren wahrscheinlich Ähnliches heraus, investiert aber viel mehr Kraft und Zeit und Nerven – und genau hierin liegt der Reiz. Denn es bleibt immer die Hoffnung, dass man doch besser abschneiden könnte als der Markt. Es kann aber auch schlechter laufen.
Depot Marke Eigenbau
Wer nun also nach reiflicher Überlegung sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt und sich selbst ein Depot zusammenstellt, muss wissen: Eine echte Diversifizierung gibt es erst bei mindestens fünf Einzelwerten. Ideal sind zwanzig, dann liegt der Anteil jeder Position an der Gesamtsumme bei gerade fünf Prozent. Doch die dazu nötige Liquidität will erst einmal verdient sein. Andere Stimmen raten hingegen von zu großer Diversifizierung ab, denn – wieder so ein Chauvi-Spruch – man(n) könne sich auch nicht um mehr als fünf Frauen gleichzeitig kümmern. (Doch das ist alles Imponier-Gehabe der männlichen Börsianer. Untersuchungen zeigen, dass Frauen die signifikant besseren Anleger sind.)
Und welche Werte gehören nun in ein gutes Depot? Vor allem sollte da niemand auf seinen Bankberater hören (sondern dann schon lieber selbst in eine Bankaktie investieren) und auch nicht auf gute Tipps von Bekannten. Ständig bieten Tageszeitungen allgemeine Einführungen in das nötige Börsen-Know how. Und alle wesentlichen Informationen gibt es frei verfügbar im Internet, zum Beispiel auf den unten angeführten Seiten. Entscheidend ist zum einen die Mischung: Man decke viele verschiedene Branchen ab, die der eigene gesunde Menschenverstand als aussichtsreich ansieht und die nicht zuviel miteinander zu tun haben sollten. Müssen es auch viele verschiedene Länder sein, wie immer wieder gesagt wird? Nicht unbedingt, denn durch die zunehmende globale Verflechtung sind auch einheimische Unternehmen auf verschiedensten Märkten präsent und das mit geringerem Risiko. Und man versteht auch wirklich alle Unternehmensmeldungen. Zum anderen sollten es Top-Unternehmen sein, mit kontinuierlicher Gewinnentwicklung und zuverlässiger Informationspolitik, die zudem gerade eine günstige Bewertung aufweisen (also z.B. niedriges KGV und hohe Dividendenrendite). Wer hier Kompromisse macht, wird es oft bitter bereuen.
Erkenne dich selbst!
Letztlich muss jede und jeder selbst herausfinden, welcher Anlegertyp sie oder er ist: offensiv oder defensiv, Zocker oder kühler Rechner. Wichtiger als alle Sachkenntnis (sofern man sich keinen Schrott ins Depot legt) ist die Geduld, denn die Börsianer wissen: Hin und her macht Taschen leer. Wem plötzlich nach einigen Monaten einfällt, dass er das Geld eigentlich doch für etwas anderes braucht, ist an der Börse fehl am Platze. Und keiner sollte sich jemals dazu hinreißen lassen, vor anderen mit seinen Gewinnen zu prahlen, auch nicht nach dem dritten Bier. Das rächt sich immer, wissen die abergläubischen Spekulanten.
Informationen:
http://www.finanznachrichten.de
www. wallstreet-online.de
www. boerse.de
http://www.insiderdaten.de
Justament Okt. 2005: Sorgen in der Zeit
Ein drängendes Thema: private Altersvorsorge für junge Juristen
Thomas Claer
Einst, in fernen Zeiten, glaubte man noch den treuherzigen Worten eines kleinwüchsigen Arbeitsministers, die Renten seien sicher. Heute müssen die Beitragszahler der staatlichen Rentenversicherung befürchten, eines Tages nicht einmal mehr das zurückzuerhalten, was sie nach langen Jahren in die Kasse eingezahlt haben werden. Schuld ist die Demographie. Kinder kriegen die Leute, anders als der erste deutsche Bundeskanzler glaubte, eben nicht immer. Zur Vermeidung eines in Bälde zu befürchtenden Kollabierens des Rentensystems wird daher von Experten ein Mix aus der Anhebung des Renteneintrittsalters, einer Erhöhung der Beitragssätze sowie vor allem dem weiteren Ausbau der privaten Altersvorsorge favorisiert. Das alles würde natürlich schrittweise und über Jahre hin in zahllosen Stufen geschehen, ohne dass ein Ende abzusehen wäre. Früher oder später, so ist anzunehmen, wird auch die Politik ihren Bürgern die ebenso unpopulären wie unausweichlichen Maßnahmen, auf die es letztlich hinauslaufen wird, nicht mehr verheimlichen können.
Trend zur privaten Absicherung
Bereits seit Jahren erheben sich dementsprechend in den Wirtschafts- und Kulturteilen der Qualitätspresse die Kassandrastimmen, dass alle, die im Alter nicht hoffnungslos verarmen wollten, gut daran täten, jetzt den Gürtel enger zu schnallen und sich bitteschön privat abzusichern. Tatsächlich wird das, was wir heute Alter nennen – den Fortschritten der Medizin sei es gedankt – bald schon ein ansehnlich langer Lebensabschnitt sein: Wer heute 35 ist, hat einschlägigen Projektionen zufolge eine durchschnittliche Lebenserwartung von 91 Jahren. Kein Weg wird daher für die meisten an einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge vorbeiführen. Für junge Juristen folgt daraus zweierlei: Zum einen können sich aus diesem Trend interessante berufliche Tätigkeitsfelder ergeben: Wem es liegt, seine Klientel von den Vorzügen von Lebensversicherungen, Fondsparplänen und dergleichen zu überzeugen, der kann z. B. auf Provisionsbasis bei einem Finanzdienstleister einsteigen. Manche Kollegen sollen schon jetzt davon leben können. Zum anderen macht sich der junge Jurist aber auch Gedanken über die Absicherung der eigenen Zukunft.
Als Anwalt auf der sicheren Seite?
Noch bis vor kurzem galt als bombensicherer Geheimtipp zur sicheren Rente die Zulassung als Rechtsanwalt. Raus aus der staatlichen Rentenversicherung, rein ins Rechtsanwaltsversorgungswerk – und die Zukunft schien in trockenen Tüchern: Die alten Anwälte, hieß es, seien oft bis ins hohe Alter im Geschäft und nähmen das Versorgungswerk daher nicht in Anspruch, genug junge Kollegen strömten nach und zahlten ein. Ergo: volle Kassen und sichere Altersbezüge. Inzwischen hat sich aber Skepsis breitgemacht. Diskutiert wird nämlich eine jährliche Nachweispflicht aller Rechtsanwälte hinsichtlich ihrer beruflichen Weiterbildung. Die dadurch drohende Kostenlawine, die die Vorteile bei der Altersvorsorge rasch konterkarieren würde, lässt bereits viele “Nebenheranwälte” erzittern. Darüber hinaus ist für die Zukunft eine strikte Zulassungsbeschränkung für junge Anwälte im Gespräch. Das aber würde bedeuten: Wenn die quantitativ riesige Gruppe der in den letzten zwanzig Jahren neu zugelassenen Anwälte ins Rentenalter kommt, aus ihr dann nur die wenigsten ihre berufliche Tätigkeit im Alter fortsetzen und die Lebenserwartung weiter steigt, steht diesen Leistungsbeziehern eine zahlenmäßig recht beschränkte Gruppe an Beitragszahlern gegenüber. Die Überschüsse im Anwaltsversorgungswerk wären schnell verbraucht und die sichere Rente nur noch eine Fata Morgana.
Renditen rar gesät
Es hilft also alles nichts. Auch die jungen Juristen müssen, sofern sie sich nicht auf die Hartz IV-Schiene begeben wollen (dort lohnt sich alles Sparen nur noch begrenzt) Geld beiseite legen und attraktive Renditen suchen, auf dass sich das Kapital munter vermehre – so wenig es anfangs auch sein mag. Wohlan denn, beim Finanzberater des Vertrauens warten “Finanzprodukte” für jeden Anlegertyp, die nur eines gemeinsam haben: ihre äußerst magere Rendite knapp über der Inflationsrate. Der jährliche Garantiezins für Lebensversicherungen, der zuletzt Anfang 2004 auf 2,75 % gesenkt worden war, soll wegen niedriger Erträge auf dem Anleihenmarkt ab 2007 noch einmal auf 2,25 oder gar 2,00 % reduziert werden (SZ vom 16.9.05, S.34). Die Sparpläne der Banken sind meist noch jämmerlicher. Und die so genannten Mischfonds aus Sparzinsen, Renten, Immobilienanteilen und/oder Aktien, auf deren Auswahl der Kunde keinen Einfluss hat, kombinieren einen nach Abzug der Fondmanagementgebühren bestenfalls bescheidenen Gewinn mit dem zum Teil beachtlichen Risiko, gar keinen solchen zu erzielen. Wer hingegen ein Fondprodukt erwirbt, bei dem er am Ende garantiert seinen Einsatz zurückerhält, begibt sich bei der Rendite rasch wieder auf Sparbuchniveau. Wirklich geholfen ist mit all dem nur den Vermittlern, die damit ihre Provision verdienen. Doch genau diese Anlageformen sind es, die mit einem heute noch moderaten, bald aber schon ganz ansehnlichen jährlichen staatlichen Zuschuss (“Riester-Rente”) gefördert werden. Das freut die Finanzbranche und dämpft ein wenig den Verdruss der Vorsorgewilligen.
Wer nicht wagt …
Auf deutlich höhere Erträge kann im Zeitalter historisch niedriger Zinsen nur hoffen, wer den Mut aufbringt (und den Kraft- und Zeitaufwand nicht scheut), ein zumindest scheinbar höheres Risiko einzugehen und sich getreu dem Motto Immanuel Kants seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Weltwirtschaft wächst kontinuierlich und mit ihr die international aufgestellten heimischen Unternehmen längst nicht nur der ersten Reihe. Untersuchungen unabhängiger Institute zeigen, dass Aktien in den vergangenen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten jährliche Zuwachsraten von durchschnittlich über 10 % erzielten, was keine andere Anlageform erreicht hat. Zwar muss dies nicht bis in alle Ewigkeit gelten, doch verspricht der Prozess der fortschreitenden Globalisierung genug Wachstum und Unternehmensgewinne, um auch in absehbarer Zeit die Kurse beflügeln zu können. Und ein Crash, der Schrecken jedes Anlegers, wie er alle paar Jahrzehnte einmal eintreten und im Extremfall zu Totalverlusten führen kann (häufig nach Phasen heftiger Übertreibungen), liegt gerade erst einige Jahre hinter uns. Kurzfristig birgt das ständige Auf und Ab für den Anleger also immense Risiken. Über längere Zeit betrachtet, zumal bei einem Anlagehorizont von 20 Jahren oder länger, überwiegen die Chancen die Risiken beträchtlich. Auch lässt sich – wenn es die Not gebietet – ein Einzelwert aus einem Aktien-Depot leichter zu Bargeld machen als sich ein Ausstieg aus komplizierten Sparplänen oder Lebensversicherungen bewerkstelligen ließe, ganz zu schweigen von der Veräußerung einer kreditfinanzierten Immobilie.
Aber Vorsicht!
Unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass ein Aktienportfolio zur soliden Altersvorsorge und nicht zur unseriösen Zockerei wird, ist allerdings eine konsequente Streuung der Risiken durch die stetige Diversifizierung der Bestände. Als Einstieg eignen sich beispielsweise Indexzertifikate, die einem bestimmten Börsenindex nachgebildet sind, jedoch den Nachteil haben, dass dem Anleger die jährlichen Gewinnausschüttungen der gelisteten Unternehmen, d. h. die mitunter recht attraktiven Dividenden, durch die Lappen gehen. Mit den meisten der aktiv gemanagten Aktienfonds, für die regelmäßig hohe Gebühren fällig werden, können die deutlich kostengünstigeren Indexpapiere in der “Performance”, also der Wertentwicklung, allerdings ohne weiteres mithalten.
Schließlich sollte jeder, der seine Altersvorsorge selbst in die Hand nehmen will, noch bestimmte charakterliche Voraussetzungen mitbringen; zumindest aber sollte er bereit sein, sich diese mit der Zeit anzueignen. Ein notorischer Spielertyp, der zum “Alles oder nichts” tendiert, wird nur selten den langen Atem mitbringen, den es braucht, um an der Börse nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften. Es dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, mit welchem Körperteil dort das meiste Geld verdient wird. Was in Amerika oder England, wo die Mehrheit der Bevölkerung an den Kapitalmärkten investiert ist, als selbstverständlich gilt, muss im Shareholder-Entwicklungsland Deutschland erst noch gelernt werden: Mit äußerster Vorsicht und strenger Disziplin bei der Auswahl der Werte und dazu der nötigen Geduld lässt es sich – auch für junge Juristen – auf dem glatten Börsenparkett recht gut aushalten und sogar ganz ordentlich vorsorgen. Darüber hinaus haben Investments an der Börse noch einen interessanten Nebenaspekt: Sie sind der Bildung förderlich, denn der Anleger muss, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können, über alle Belange der Weltwirtschaft und -politik nebst ihren kulturellen Hintergründen stets gut unterrichtet, d. h. im Bilde sein.