justament.de, 1.5.2023: Verlassen in Berlin
Element of Crime auf ihrem 15. Studio-Album “Morgens um vier”
Thomas Claer
Dass Element of Crime, die erklärten Lieblinge überwiegend großstädtischer Nachtmenschen, Melancholiker und Romantiker, sich zuletzt auf jeder neuen Platte noch etwas stärker als jeweils zuvor präsentierten, das konnte man so langsam fast schon beängstigend finden. Doch nun, im 39. Jahr ihrer Bandhistorie, ist dieser langjährige Trend gebrochen. Mit ihrem jüngst erschienenen neuen Album lassen sie, auf hohem Niveau zwar, aber doch unverkennbar, ein wenig nach. Aber auch wenn “Morgens um vier” nicht ganz mit dem Vorgänger “Schafe, Monster und Mäuse” von 2018 mithalten kann, so hält es für den geneigten Hörer doch genügend Höhenpunkte bereit, um ihm zumindest den diesjährigen bislang so nasskalten Frühling gebührend zu versüßen.
Überzeugen kann vor allem der Beginn. Das erkennbar in der Corona-Zeit entstandene “Unscharf mit Katze” ist ein mustergültiger EoC-Song erster Güte, der all das enthält, was diese Band so groß und bedeutsam gemacht hat: scheppernde Gitarrenriffs, wuchtige Trompeteneinschübe, Sven Regeners knarzig-angerauten Gesang und eine wie gewohnt ausgefeilte, hintersinnige Textdichtung. Doch gerade hier, bei den Texten, läuft es diesmal, wenn man das ganze Album betrachtet, weniger rund als zuletzt. Neben lyrischen Glanzleistungen (“Aus unsren Mündern kommen Schall und Rauch”) stehen mitunter wenig schlüssige Sprachbilder wie bereits im Eröffnungssong das von der unscharf aufgenommenen Katze und der Axt in den Händen, bei denen man sich in der Tat fragen muss, worauf sie hinauslaufen sollen. Dies gilt auch für manche Passage der anderen Songs, etwa den rätselhaften Refrain “Was mein ist, ist auch dein”. Nachvollziehbarer ist da schon das auf recht witzige Weise den Trivialautor Johannes Mario Simmel zitierende “Liebe ist nur ein Wort”. Sehr schön und stimmungsvoll geraten, sowohl textlich wie auch musikalisch, sind das Titel- und zugleich Schlussstück “Morgens um vier” sowie das gemeinsam mit dem Isolation-Berlin-Sänger Tobias Bamborschke eingesungene “Dann kommst du wieder”, das einen irgendwie an den mehr als dreißig Jahre alten “Weeping Song” von Nick Cave im Duett mit Blixa Bargeld erinnert.
Thematisch kreisen die Lieder auf bewährte Weise – und insofern dann doch ans Vorgängeralbum anknüpfend – auffällig oft um die Themenfelder liebeskrankes, verlassenes lyrisches Ich und Berlin, gerne auch beides miteinander verbindend wie in “Ohne Liebe geht es auch” und “Wieder Sonntag”, das endlich einmal der Flohmarktkultur unserer Hauptstadt ein verdientes Denkmal setzt. Was die Kompositionen auf dieser Platte angeht, so fallen zwar auch sie etwas hinter diejenigen auf den vorherigen Alben zurück, doch sind sie dabei nicht unbedingt schlechter als etwa auf “Immer da wo du bist bin ich nie” (2009) oder “Psycho” (1999). Kurzum, für die Liebhaber der Elements hat dieses Album, wenn es auch nicht gerade ihr bestes sein mag, durchaus eine Menge zu bieten. Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).
Element of Crime
Morgens um vier
Vertigo Berlin (Universal Music)
ASIN: B0BTNSM71K
justament.de, 6.9.2021: Das einzig umstrittene EoC-Album
Sentimentale Betrachtungen nach 27 1/2 Jahren
Thomas Claer
Von Element of Crime mag man entweder alles oder nichts. Darüber wenigstens herrscht wohl noch weitgehende Einigkeit. Nur über ihr siebtes Studio-Album mit dem klangvollen Titel „An einem Sonntag im April“ gehen die Meinungen, selbst unter eingefleischten EoC-Anhängern, bis heute erheblich auseinander…
Für mich jedenfalls war diese Platte, damals, im Frühjahr 1994, eine riesige Enttäuschung. Mit „Weißes Papier“ hatte es bei mir 1993 angefangen, dann besorgte ich mir das zwei Jahre zuvor erschienene „Damals hinterm Mond“ und war bereits zum ehrfürchtigen Bewunderer dieser Musik und insbesondere auch ihrer stets hintergründigen Texte geworden. Klar, so mit Anfang 20 ist man ja oftmals sehr begeisterungsfähig… Doch während ich noch damit beschäftigt war, mir das englischsprachige Frühwerk dieser Band zu erarbeiten und auch dabei Songperlen in großer Zahl entdeckte, ging bereits ihre dritte deutschsprachige Platte an den Start. Beim ersten Hören fiel ich dann aber leider aus allen Wolken. Schlagerhaft und seicht kamen die neuen Songs mir vor. Was hatte dieses saft- und kraftlose Zeug mit der Band zu tun, die ich so ins Herz geschlossen hatte?! Immerhin, die zweite Hälfte des Albums wurde dann etwas besser, und mit „Im vorigen Jahr“ war sogar noch ein richtig starker Titel dabei. Aber alles andere war für mich nur schwer zu ertragen. Umso irritierender allerdings war es für mich, dass die Platte in den seinerzeit noch sehr einflussreichen Musikzeitschriften durchweg hervorragende Kritiken bekam. War denn vielleicht mit mir etwas nicht in Ordnung?!
Im Laufe der Jahre wurde mein Urteil dann allerdings zunehmend milder. Auch wenn der „Sonntag im April“ bei weitem nicht mit den Vorgänger- und Nachfolgeralben der Elements mithalten konnte, so sah ich ihn doch immer mehr als interessanten Exkurs in stilistisch abgelegene Gebiete mit ganz eigenem Charme. Und das besagte „Im vorigen Jahr“ mit seinen unwiderstehlichen Streicher-Passagen und seiner wunderbar lakonischen Beschreibung einer behutsamen Annäherung in Zeitlupe wurde sogar zu einem meiner Allzeit-Favoriten aus dem Oeuvre der Band.
Doch nun das. In ihrem aktuellen Podcast „Narzissen und Kakteen“, das in 15 Folgen Gespräche der drei maßgeblichen Protagonisten über alle ihre Langspiel-Publikationen bis zu „Lieblingsfarben und Tiere“ enthält, distanzieren sich die Musiker nunmehr scharf von dieser (aber auch nur von dieser!) Platte: Ein Schnellschuss sei der „Sonntag im April“ gewesen, die Band sei damit auf Abwege geraten, eine einzige Verirrung sei diese Platte gewesen. Und nur weniger als eine Handvoll Höhepunkte auf dieser lassen sie gelten, darunter das grandiose Streicher-Arrangement von Orm Finnendahl in „Im vorigen Jahr“. So wie ein bekannter Regisseur einmal bekundet habe, manche Filme mache man nur wegen einer einzigen Szene, seien die Streicher im „Vorigen Jahr“ also gewissermaßen diese „Szene“ im Album, das man ansonsten weitgehend vergessen könne, auch wenn es ja durchaus seine Liebhaber gefunden habe, aber diese Musik sei nun einmal wirklich nicht das, was die Band eigentlich ausmache, und auch die Texte seien ziemlich schwach…
Insofern sei es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Band kaum jemals ein Lied von diesem Album live gespielt habe, nicht einmal „Im vorigen Jahr“, denn darin, so Sven Regener, sei ihm die Stimmlage zu tief, das könne er live einfach nicht singen. Was aber wirklich sehr schade ist! Und daher hier nun folgender Vorschlag: „Im vorigen Jahr“ wird noch einmal neu eingespielt (und später dann auch entsprechend live zum Besten gegeben), und zwar im stimmlichen Duett mit Stella Sommer von „Die Heiterkeit“, die alle tieferen Passagen übernimmt und deren Stimme mühelos bis in alle Tiefen hinabreichen dürfte. Und bei dieser Gelegenheit wird das bisher dreistrophige Lied, das sich textlich nacheinander – warum auch immer – lediglich dem Frühling, dem Sommer und dem Winter widmet, noch um eine längst überfällige vierte bzw. dann einzufügende neue dritte Strophe über die bislang zu Unrecht ausgesparte Jahreszeit Herbst ergänzt. Dafür hier ein Textvorschlag aus der Feder des Rezensenten zur freien Verwendung:
Bunte Blätter wuseln im Wind
Ein halbwegs Erwachsener stellt sich blind
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Ein altes Brett und ein Fliegerschein
Mehr brauchte es nicht, um dabei zu sein
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Wenn unsere Drachen sich zufällig trafen
Dann hast du gelächelt und ich war peinlich berührt
Denn täglich hab ich dich dort ausspioniert
Und du mich an der ganz langen Leine geführt
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Element of Crime
An einem Sonntag im April
Universal Music 1994
ASIN: B000026V8O
justament.de, 7.6.2021: Jazz geht’s los!
Drei Musiker von Element Of Crime haben ein Jazz-Album aufgenommen
Thomas Claer
Das Tolle an der Jazz-Musik ist, dass sie kaum zum Pathos tendiert und ebenso wenig zur Sentimentalität. Da ist z.B. die Klassische Musik doch weitaus gefährdeter, und Rock- und Popmusik sind es natürlich erst recht. Jazz dagegen ist eine Musik, die beinahe ohne Schwere auskommt, die aber in all ihrer Leichtigkeit dennoch nur selten ins Banale abrutscht, denn dazu ist sie viel zu cool und distanziert.
Kann man das so sagen? Keine Ahnung, denn ich verstehe nicht viel vom Jazz. Zumindest aber empfinde ich es so, wenn ich an einem viel zu kalten und dann auch noch verregneten Frühlingstag – also unter den, wie sich bald herausstellen wird, bestmöglichen Umständen für diese Musik – den Klängen von „Ask Me Now“ lausche, der Debüt-Platte des Trios Regener Pappik Busch, hinter dem sich ein Nebenprojekt der Band Element Of Crime verbirgt, das wiederum aus den drei wohlbekannten Musikern Sven Regener (Trompete), Richard Pappik (Drums) und Ekki Busch (Piano) besteht. Diese drei alten Kempen, alle um die sechzig, haben also ein Album mit Coverversionen berühmter Jazz-Klassiker aufgenommen. Alles ist rein instrumental, es gibt keinen Gesang. Stücke von den ganz Großen sind dabei, von Thelonius Monk und John Coltrane. Hingegen sucht man Dave Brubeck vergeblich, und die anderen auf der Platte kennt man schon gar nicht mehr.
Warum machen die Drei sowas überhaupt? Diese Frage drängt sich natürlich auf. Vielleicht weil sie in einem Alter sind, in dem sie gerne noch mal etwas Neues ausprobieren wollen. Zumal das Risiko gering ist, dass ihre treuen Fans diesen gewissermaßen exotischen Ausflug ihrer Lieblinge nicht goutieren werden. Kann sein, dass sie auch ihre über den überschaubaren EOC-Kosmos hinausreichenden – und ja auch in der Tat beachtlichen – musikalischen Fähigkeiten demonstrieren möchten. Womöglich ist es aber auch ein Akt der musikpädagogischen Fürsorge gegenüber ihrer Fangemeinde, denn ohne diesen Anstoß wäre zweifellos ein Großteil der Element-Anhänger niemals darauf gekommen, sich näher mit Jazzmusik zu befassen. Der Rezensent zumindest bestimmt nicht…
Was Jazz-Puristen dazu sagen würden, vermag ich also nicht zu beurteilen. Mir jedenfalls gefällt diese Platte. Und einen besonderen Nerv treffen dabei die melancholischen Stücke dieses Albums, allen voran „Don’t Explain“ von Arthur Herzog und Billie Holiday. Gerade weil einen die Traurigkeit hier nicht so brutal überfällt, sondern sich gewissermaßen ganz sachte von hinten anschleicht…
Regener Pappik Busch
Ask Me Now
Universal 2021
justament.de, 4.1.2021: Nostalgie ist ihre Strategie
Scheiben Spezial: Element Of Crime machen einen 17-teiligen Podcast über jede ihrer Platten
Thomas Claer
Das wirklich wahre Leben ist, wie jeder Proustianer weiß, das Schwelgen in den eigenen Erinnerungen. Das dachten sich offenbar auch unsere Lieblings-Helden von Element Of Crime und haben für sich selbst und alle ihre Fans gesprächsweise noch einmal die guten alten Zeiten wieder aufleben lassen. 17 Teile – für jede Platte einen – umfasst ihre neue und zugleich erste Podcast-Serie. Es funktioniert ganz einfach: Man muss nur auf den folgenden Link klicken:
und landet dann, ohne sich noch umständlich irgendwo anmelden zu müssen, direkt in diesen bedeutsamen Männer-Gesprächen. Tatsächlich sind es einfach nur Worte, nichts als Worte, die Sven Regener, Jakob Ilja und Richard Pappik hier zum Besten geben. Doch wie könnte es anders sein: Schon nach den ersten beiden Folgen fühlt man sich als alter EOC-Fan reichlich beschenkt. Die 39 Minuten über ihr Debüt “Basically Sad” (1986) und mehr noch die 1 Stunde und 22 Minuten über den Nachfolger “Try To Be Mensch” vergehen wie im Fluge. Die Entstehungsgeschichte beinahe jedes einzelnen Songs und wie sich die Band überhaupt zusammengefunden (und zwischenzeitlich auch immer wieder zerstritten) hat, die prekäre wirtschaftliche Lage der Musiker in den ersten Jahren… Will man das alles wirklich so genau wissen? Die klare und erschöpfende Antwort darauf lautet: ja! Und was dann selbstredend auch noch dazukommt: Vor dem inneren Auge des Hörers werden dabei auch jene entrückten Momente wieder lebendig, als man diese Musik seinerzeit selbst zum ersten Mal und später dann immer wieder gehört hat… Das Urteil lautet: Spitze!
justament.de, 27.1.2020: Verwirrt, träge und verliebt
Element of Crime live im Tempodrom
Thomas Claer
Die erst zweite Live-LP von Element of Crime in 35 Jahren Bandgeschichte ist im letzten Herbst erschienen. Nun endlich haben wir sie vollständig durchgehört und können sie ohne Bedenken mit dem Signum „empfehlenswert“ versehen. Nicht weniger als 25 Songs finden sich auf den zwei CDs respektive drei Vinylscheiben, und doch wird man als beständiger Fan dieser Band so manches Lied vermissen. Aber auch umgekehrt lässt sich sagen: Hätten sie 25 andere Stücke ausgewählt, so wäre vermutlich ein ähnlich gutes Album herausgekommen.
Ein Werk auf beinahe durchgängig höchstem Niveau haben EoC über die Jahre geschaffen, dabei ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt und diesen allmählich noch perfektioniert. Während andere Musiker in der Qualität und Originalität ihres Songwritings mit der Zeit naturgemäß nachlassen, sind die Elements, man traut es sich kaum zu sagen, vor allem in den letzten Jahren sogar immer besser geworden. So geht es auch vollkommen in Ordnung, dass gleich elf der 25 Tracks dieses Live-Albums von ihrer aktuellen (Studio-) Platte „Schafe, Monster und Mäuse“ stammen.
Dennoch lauscht man besonders gespannt ihren älteren Titeln, vor allem jenen, die sie schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gespielt haben. Und natürlich, auch Lieder unterliegen einer Art Alterung, selbst die Unsterblichen unter ihnen. Was für ein abgründiger Song ist doch „Wer ich wirklich bin“ aus dem Jahr 1996! Einst der Feder eines 34-Jährigen entflossen, berührt er nun aus dem Munde eines 58-Jährigen auf ganz neue Weise. Oder „Schwere See“ von 1993, ursprünglich ein Ausbund an jugendlicher Romantik, beschwört hier umfassend den Sog der maritimen Elemente und die magischen Momente nautischer Zweisamkeit. Und ganz besonders, immer wieder, entzückt „Weißes Papier“: „Nicht mal das Meer darf ich wiedersehn / Wo der Wind deine Haare vermisst. / Wo jede Welle ein Seufzer / Und jedes Sandkorn ein Blick von dir ist.“ Hat schon irgendwann jemand eindringlicher Vergleichbares ausgedrückt?
Am Ende dieses gelungenen Live-Spektakels stellt sich beim Zuhörer ein Gefühl der Beglückung ein. Da sitzt man dann also fest wie in einem ihrer berühmtesten Songs: „verwirrt, träge und verliebt“ – genau in dieser Reihenfolge! Das Urteil lautet: gut (14 Punkte).
Element of Crime
Live im Tempodrom (Doppel-CD/ 3 LP)
Vertigo Berlin (Universal Music) 2019
ASIN: B07X3QFY7B
justament.de, 2.9.2019: Und wieder im Oktober…
Live-Album von EoC erscheint am 10.10.2019
Thomas Claer
Auch in diesem Jahr können wir also in freudiger Erwartung dem Monat Oktober entgegenfiebern, denn wie schon im Vorjahr bringen unsere Lieblinge von Element of Crime in diesem Herbst abermals eine neue Platte heraus. Und das hat es wirklich seit 1990 nicht mehr gegeben: Es wird ein reguläres Live-Album sein und den Titel „Live im Tempodrom“ tragen. „Live im was?“, wird vielleicht der eine oder andere Ignorant nun fragen. Und hiermit sei ihm gesagt, dass das Tempodrom ein bekanntes und noch dazu traditionsreiches Berliner Veranstaltungszentrum ist, unter dessen Dach sich übrigens auch noch das beliebte Erholungsbad Liquidrom befindet, das unsereiner bislang aber leider ebenfalls nur vom Hörensagen kennt. Und treffenderweise heißt der erste Song von diesem Album, der sich bereits auf YouTube ansehen lässt: „Geh doch hin“.
Abgesehen von dem glänzenden Einfall, ausgerechnet einen Song mit diesem Titel als Appetitmacher für ein Live-Album auszuwählen, weist „Geh doch hin“, dieses grandiose Lied aus dem Jahr 1991 über die zwischenmenschliche Eifersucht, aber auch schon der ganzen Platte die Richtung. Denn wie sich der ebenso bereits feststehenden Titelliste entnehmen lässt, wird sie zahlreiche ältere Songs aus den Oeuvre der Elements enthalten, die schon seit Ewigkeiten nicht mehr in Konzerten von ihnen zu hören waren, so auch das wohl philosophischste aller EoC-Stücke: „Wer ich wirklich bin“ von 1996. Ansonsten stammen von den 25 Liedern, die sowohl auf einer Doppel-CD als auch wahlweise auf einer Dreifach-LP erhältlich sein werden, gleich zehn vom aktuellen Studio-Album „Schafe, Monster und Mäuse“, was angesichts der herausragenden Qualität dieser Platte auch völlig in Ordnung geht. Worauf jedenfalls ich mich aber am meisten freue, ist die neue Live-Version von „Schwere See, mein Herz“ aus dem Jahr 1993.
www.justament.de, 15.10.2018: Die elementare Berlin-Platte
Element Of Crime auf „Schafe, Monster und Mäuse“
Thomas Claer
Schon so manches Berlin-Album hat es in der Geschichte der Popmusik gegeben. „Berlin“ von Lou Reed ist vielleicht das berühmteste, von David Bowie gibt es aus den Siebzigern sogar eine „Berlin-Trilogie“. Nun haben also auch Element Of Crime ein solches Konzeptalbum herausgebracht, wenn auch – aus Gründen des für diese Band so typischen Understatements – ohne es entsprechend zu benennen. Doch verbirgt sich hinter dem harmlos klingenden „Schafe, Monster und Mäuse“ vor allem eine überschwängliche Hommage an unsere Hauptstadt: Zehn der zwölf Lieder auf dieser Platte enthalten mehr oder weniger eindeutige textliche Berlin-Bezüge; nur in „Immer noch Liebe in mir“ und „Stein, Schere, Papier“ fehlen solche.
Zwar haben vereinzelt auch schon frühere Songs der Elements explizit in Berlin gespielt, etwa „Jung und schön“ (1999) oder der U-Bahn-Song „Alle vier Minuten“ (2001), doch gleicht das neue Album nun beinahe einer musikalischen Stadtrundfahrt: Von der fröhlichen „Party am Schlesischen Tor“ (unter den Hochbahn-Gleisen!) geht es weiter zum „Prater in Prenzlauer Berg“. Das – wie so oft – liebesleidgequälte lyrische Ich geht bekümmert „den Kurfürstendamm entlang“, trauert still „Im Prinzenbad allein“ und sitzt nachts „in U-Bahn-Zügen, die nirgends halten und trotzdem nicht fahren“. „Der Wald vor deiner Haustür ist nur ein Friedrichshain“, “Auch im Halensee wohnt ein Meer“ und „eingeklemmt und blau“ fühlt man sich „Silvester am Brandenburger Tor“. Im Jahn-Sportpark wird gejoggt, hinterm KaDeWe hält ein LkW und im Grunewald ist Holzauktion. Schließlich liefert das auch von der musikalischen Umsetzung her sehr ansprechende „Nimm dir, was du willst“ eine Art universelle Gebrauchsanweisung für Berlin: „Karneval, FC Union, Ramadan und Hertha BSC“. Da ist für jeden was dabei, und jeder, wie er kann, „Aber nerv mich nicht!“.
Auch ansonsten lässt sich das Album, musikalisch wie textlich, als über weite Strecken sehr gelungen bezeichnen. Trotz einer Rekordlänge von mehr als 55 Minuten Spielzeit enthält es keinen einzigen missglückten Song. Regelrecht opulent ist diesmal die Instrumentierung geraten: Ausgefeilte Streicher- und Bläser-Arrangements kommen zum Einsatz und sorgen für viel Abwechslung im gewohnten Gitarre-Bass-Schlagzeug-Trompeten-Sound. Manche Lieder lassen slawische und/oder bretonische folkloristische Einflüsse erkennen, andere sind eher jazzig, manchmal swingt und groovt es. Als weibliche stimmliche Verstärkung macht Sven Regeners Tochter Alexandra insbesondere in „Karin, Karin“ eine gute Figur. In mehreren Songs werden, was schon recht gewagt ist, aber noch gerade so in Ordnung geht, gemischte Chöre aufgeboten. Fehlten früheren Veröffentlichungen dieser Band oftmals die Überraschungsmomente, haben wir sie diesmal in Hülle und Fülle.
Nur hier und dort gibt es punktuelle Schwächen. So kommt einem mancher Liedanfang schon arg bekannt vor (vor allem „Gewitter“ erinnert sehr an “Alles, was blieb“ von 1999; „Der erste Sonntag nach dem Weltuntergang“ ist weitgehend abgekupfert vom zweiten Track des fünf Jahre alten Soundtracks von „Haialarm am Müggelsee“; „Bevor ich dich traf“ hat frappierende Ähnlichkeit mit „Die letzte U-Bahn geht später“ von 2005), während „Immer noch Liebe in mir“, das treue EoC-Fans bereits von der zwei Jahre alten Vinyl-EP „Wenn der Wolf schläft“ kennen, mit seinem Rumtata-Rhythmus fast schon karnevalskompatibel ist. Doch reißt der jeweils ausgezeichnete Text am Ende stets alles wieder raus: „Gewitter“ vermittelt düstere Endzeit-Visionen („Und ein heißer Wind verweht, die Jahre, die ihr kennt“), und „Immer noch Liebe in mir“ knüpft inhaltlich an das seinerseits schon recht delikate „Alten Resten eine Chance“ von 1993 an. Auch im sehr melancholischen Titelstück (und diese Platte enthält selbst für EoC-Verhältnisse besonders viele melancholische Stücke) und im etwas kinderliedhaften „Karin, Karin“ verhindert nicht zuletzt die kraftvolle Songlyrik ein Abgleiten ins Sentimentale. Überhaupt werden Sven Regeners Songtexte im Laufe der Jahre wirklich immer, immer besser. Im bewährten dialektischen Drei-Strophen-Muster zumeist auf eine verblüffende oder versöhnliche Schlusspointe zusteuernd, erweist er sich als ungekrönter König des Binnenreims. Insbesondere für das äußerst hintergründige „Stein, Schere, Papier“ sollte man ihm auf der Stelle einen Lyrikpreis verleihen; wobei dieses Lied auch musikalisch zu den stärksten des Albums gehört. Ähnliches lässt sich über „Karin, Karin“ sagen, das im Refrain ganz nebenbei einen alten DDR-Propaganda-Song persifliert. Und dann „Ein Brot und eine Tüte“ – der Song über die Berliner Schimpfkultur…
Kurz gesagt: Diese Platte kann einen über eine Menge hinwegtrösten, besonders „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“. Das Urteil lautet: gut (14 Punkte).
Element Of Crime
Schafe, Monster und Mäuse
Vertigo Berlin (Universal Music)
ASIN: B07G1XK97T
www.justament.de, 13.8.2018: Neues von EoC!
Anfang Oktober hat das Warten ein Ende
Thomas Claer
Das mittlerweile vierzehnte Studioalbum unserer Lieblingsband – und dies im dreiunddreißigsten Jahr ihres Bestehens – ist angekündigt für den 5.10.2018. Auch der Titel steht schon fest: „Schafe, Monster und Mäuse“ – was immer das zu bedeuten hat. Einen Vorgeschmack darauf gibt es bereits mit dem Song „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“, der sich hier anhören lässt. Noch dazu ist schon seit Längerem ein weiteres Lied von der kommenden Platte in der Welt. Es heißt „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ und wurde von der Band bereits des Öfteren live gespielt, zum Beispiel hier.
Dann also mal frisch auf YouTube geklickt und die neuen Songs getestet. Nun ja, der erste Eindruck vom „Ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“ ist nicht unbedingt der beste. Irgendwie etwas lahm das Ganze, musikalisch eher uninspiriert. Beim zweiten Hören sollte man vielleicht auch mal genauer auf den Text achten. Und siehe da! Plötzlich gefällt es einem dann doch, und mit jedem weiteren Mal noch ein wenig besser. „Weltuntergang“ ist zweifellos ein großes Wort, das derzeit angesichts der deprimierenden politischen Weltlage in vielen Köpfen herumspuken dürfte. Doch machen wir uns nichts vor: Die wahren Weltuntergänge in unserem Leben sind die kleinen und größeren zwischenmenschlichen Katastrophen, vor allem aber die sich immer wieder einstellenden Enttäuschungen in der Liebe. Und genau darum geht es im „Ersten Sonntag“: „Grausam ist der Haifisch/ Und grausam warst auch du“. Passenderweise legt dann auch „der Regen noch einen Zahn zu“ und überflutet den Weg hinter dem S-Bahn-Übergang. Ja, so ist das: „Treulos ist die Sonne/ Und treulos warst auch du“. Das immer neue alte Lied. Solche als apokalyptisch empfundenen Unglücke trotz allem mit Haltung und Würde zu ertragen, davon handeln viele Songtexte der Elements. Was tut man also als lyrisches Ich in solch einer verzweifelten Lage? Man geht „noch einmal den Kurfürstendamm entlang“ und reflektiert: „Schön war das Leben,/ Schlecht war die Welt./ Gut war die Liebe,/ Böse das Geld… Doch heute ist es genau umgekehrt.“ Es geht doch nichts über eine solch vortreffliche Alltagslyrik! Haben wir eigentlich derzeit bessere Lyriker als Sven Regener? Mir jedenfalls fällt keiner ein.
Sogar noch gelungener, vor allem musikalisch, ist „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“. Und auch dieser Text ist eine dichterische Glanzleistung. Er handelt von Gummibärchen („Da gibt’s die gelben und die roten,/ Das sind alles Vollidioten“), Glühweintrinken (Da geht immer viel daneben / So wie überall im Leben“) und Smog („Wo die Luft am schlimmsten ist/ Ist das Atmen intensiver und das Husten attraktiver“). Nur um schließlich doch noch zum Punkt zu kommen, zum komplizierten Verhältnis zwischen lyrischem Ich und lyrischem Du nämlich, und einen zwar desillusionierenden, aber doch nicht ganz hoffnungslosen Ausblick zu geben… Das vorläufige Urteil lautet: vielversprechend.
www.justament.de, 4.6.2018: Schwere See ein Vierteljahrhundert
Scheiben vor Gericht Spezial: Vor 25 Jahren erschien „Weißes Papier“ von Element of Crime
Thomas Claer
Es war ein neuer Lebensabschnitt, den dieses außergewöhnliche Album einer mir bis dahin völlig unbekannten Band für mich einläutete. Damals, 1993, absolvierte ich meinen Zivildienst in einem Bremer Krankenhaus und bekam dort, genauer gesagt in der Teestube, wo ich den Patienten heiße Getränke zubereitete und servierte, eine Indie-Musikzeitschrift in die Finger, die einen Text enthielt, der mich neugierig machte: Das zweite deutschsprachige Album von Element of Crime wurde dort besprochen. Und ein Sänger und Texter namens Sven Regener erging sich in grundlegenden Betrachtungen über die Kulturindustrie, über Basis und Überbau, über die deutsche Musiklandschaft und die politische Relevanz von Liedern über die Liebe. Immer wieder las ich diese brillant geschriebene Rezension, bis ich schließlich einige Wochen später den Weg zum CD-Verleih fand (Ja, zum CD-Verleih! Heute weiß keiner mehr, dass es so etwas einmal gegeben hat!) und mir „Weißes Papier“ besorgte. Seinerzeit waren die Elements noch ein absoluter Geheimtipp, und ich kannte niemanden in ganz Bremen, mit dem ich mich über sie hätte austauschen können. Das sollte sich auch erst ein Jahr später im zweiten Semester meines Studiums in Bielefeld ändern. Bis dahin war „Weißes Papier“, die ich mittlerweile auch als rares Vinyl besaß, natürlich längst zu einer meiner Lieblingsplatten geworden.
Nun sollte man ja eigentlich, wie es ein alter lateinischer Spruch so treffend sagt, zuerst leben und erst anschließend darüber philosophieren. Doch bei mir war es, wie bei vielen anderen eher in der Theorie als deren praktischer Umsetzung begabten Zeitgenossen, umgekehrt. War ich bis weit nach dem Abitur sozusagen noch ein „unbeschriebenes Blatt“ auf dem Feld der (praktizierten) Liebe gewesen, so weckte „Weißes Papier“ in mir die Sehnsucht nach einschlägigen Erfahrungen, die sich bald darauf auch auf dramatische Weise einstellen sollten… Eine bessere Vorbereitung auf diese bittersüßen und schmerzhaft-schönen Erschütterungen, die mich für mindestens vier Semester völlig aus der Bahn warfen (und mich schließlich schon nach vier weiteren Semestern in den sicheren Hafen der Ehe führen sollten), hätte ich mir nicht wünschen können. „Weißes Papier“ ist, wenn man so will, ein großes Konzeptalbum über Liebe und Vergänglichkeit. Mit jederzeit absturzgefährdetem Pathos werden in Regeners Texten, die am Ende aber traumwandlerisch alle Klippen des Schwulstes und Kitsches souverän umfahren, beinahe alle Facetten der damit verbundenen Leidenschaften verhandelt, von der zarten Anbahnung („Draußen hinterm Fenster“) über die Feier des beglückten Augenblicks („Alten Resten eine Chance“), den Krieg der Geschlechter („Mehr als sie erlaubt“), den existentiellen Kampf mit dem Nebenbuhler („Du hast die Wahl“) bis zur tieftraurigen Ernüchterung (im Titelstück „Weißes Papier“) sowie der finalen Resignation („Und du wartest“). Und wie das Motto dieser Platte insgesamt liest sich die Titelzeile jenes Stücks, das auf atemberaubende Weise eine Brücke zwischen See- und Liebeskrankheit schlägt: „Schwere See, mein Herz“. Lange Jahre konnte ich mir dieses Album gar nicht mehr anhören, weil ich es vor seelischen Schmerzen nicht ertragen hätte. So richtig erholt habe ich mich davon wohl bis heute nicht. Das Urteil lautet: sehr gut (17 Punkte).
Element of Crime
Weißes Papier
Polydor (Universal Music) 1993
ASIN: B000025NBYv
www.justament.de, 20.6.2016: As Time Goes By
Die Vinyl-EP “Wenn der Wolf schläft” von Element of Crime
Thomas Claer
Die subjektive Zeitwahrnehmung beschleunigt sich im Laufe des menschlichen Lebens bekanntlich zusehends. Immer schneller vergehen einem die Stunden und Tage, und hast du nicht gesehen, ist schon wieder ein Jahr vorbei. Für unsere Lieblingsband Element Of Crime, die aus vier inzwischen leidlich reifen Herren in den Fünfzigern respektive Sechzigern besteht, folgt daraus, dass nur noch bestenfalls alle fünf Jahre ein neues Album herausgebracht wird. Und warum auch nicht? Denn gefühlt sind die Intervalle zwischen den Veröffentlichungen damit in etwa so groß wie damals in den Achtzigern, als noch jedes Jahr eine neue EOC-Platte erschienen ist. Aber wie schafft man es, in der Zwischenzeit dennoch im Gespräch zu bleiben und in unserer schnelllebigen Zeit nicht völlig vergessen zu werden? Richtig, man bringt jedes Jahr wenigstens eine neue Single heraus, die ein Stück des vorigen Albums nebst ein paar ausgesuchten Spezialitäten für den geneigten Fan enthält. Und das dann, um den Kultfaktor zu erhöhen (wie man früher einmal sagte), auch noch als 10“-Vinyl.
Und also halten wir nun die inzwischen bereits dritte Single-Auskopplung aus dem 2014er Album „Lieblingsfarben und Tiere“ in den Händen, die den Namen trägt „Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhn“. Warum bloß gerade dieser Song?, denkt man sich. Da hätte es doch weitaus stärkere auf dem Album gegeben. Doch haben wir hier im musikalisch höchst mittelmäßigen Gewand einen geradezu philosophischen Text, der die Auswahl dieses Stücks allemal rechtfertigt. Wohl jeder, der durchs Leben geht, muss sich irgendwann mit der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“, wie es ein großer Denker einmal genannt hat, arrangieren, also kurz gesagt: mit der Wiederholung. Genau davon handelt dieses nachdenklich stimmende Lied, das en passant auch noch eine präzise Analyse der Marktstellung unserer Elements enthält: „Hinter uns sind die, die keiner mag, und vor uns die, die jeder Trottel liebt.“ Ja, genauso ist es.
An zweiter Stelle auf der Platte folgt ein uralter Bluessong namens „You’re Gonna Need Somebody on Your Bond”. Großartig. Wo haben sie den nur wieder ausgegraben? Unsere Recherche führt uns zum US-amerikanischen Sänger und Gitarristen Blind Willie Johnson (1897-1945). Laut Wikipedia ist er 48-jährig gestorben, weil sein Haus niederbrannte und er wegen seiner Armut in den Ruinen wohnen bleiben musste, wo er sich eine Lungenentzündung zuzog. Zuvor hatte er sich jahrelang als Straßenmusiker über Wasser gehalten. Unglaubliche Geschichte.
Song Nr. 3 ist ein ganz neuer EOC-Song. Nun mag man „Da ist immer noch Liebe in mir“ in musikalischer Hinsicht eine Spur zu gefällig finden, doch hat es auch dieses Lied textlich in sich: „Rot ist der Mond und grau ist die Sonne“. Keine Frage, das ist tiefste Romantik! Am Ende der Platte gibt es dann noch eine gelungene aktuelle Live-Version des EOC-Klassikers „Damals hinterm Mond“ vom ersten deutschsprachigen Album 1991. Das Gesamturteil lautet: voll befriedigend (11 Punkte).
Element Of Crime
Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhn
10“ Vinyl
Vertigo Berlin (Universal Music) 2016
ca. 11,00 EUR
ASIN: B01AIXG97G
(auch als Download für 2,50 EUR erhältlich)