Tag Archives: Juli Zeh

www.justament.de, 8.6.2009: Keine Panik!

Gestern im ZDF: Juristen stürmen Sloterdijks Philosophisches Quartett

Thomas Claer

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Juli Zeh (Foto: Wikipedia)

Eine illustre Runde fand sich da gestern zu später Stunde im “Philosophischen Quartett” zusammen. Gleich zwei gelernte Rechtswissenschaftler hatten Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski ins VW-Haus nach Wolfsburg (ohne Sponsor geht natürlich gar nichts) geladen: die Schriftstellerin Juli Zeh und den Zukunftsforscher Meinhard Miegel. Das Thema war: “Was hält unsere Gesellschaft eigentlich noch zusammen?” Gleich zu Beginn mutmaßte Gastgeber Peter Sloterdijk (61), es mit einer ” Verschwörung der Juristen auf diesem Podium” zu tun zu haben. Doch praktizieren beide Gäste längst nur noch sporadisch auf ihrem Stammgebiet. Einserjuristin und Bummeldoktorandin Juli Zeh (34) gewinnt mit ihren Romanen – trotz mäßiger Kritiken in den Feuilletons – einen Literaturpreis nach dem anderen. Allround-Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel (70), bis vor kurzem noch eher neoliberaler Warner vor einem wuchernden und künftig nicht mehr bezahlbaren Sozialstaat, hat nun ein Buch geschrieben, indem er dafür plädiert, endlich von der Wachstumsideologie abzurücken und allen mehr Bescheidenheit empfiehlt. Zu bedenken gibt er aber, dass hierzulande durch die sich verstärkt öffnende Schere zwischen Arm und Reich bald der soziale Zusammenhalt gefährdet sein könnte. Co-Gastgeber Rüdiger Safranski (64) paraphrasierte Miegel dahingehend, dass als sozialer Kitt in den Staaten Europas die längste Zeit die Religion gewirkt habe, welche vorübergehend von der Nation abgelöst und nun seit mehr als einem halben Jahrhundert vom Versprechen ständigen Wirtschaftswachstums verdrängt worden sei. Doch bereits hier intervenierte Juli Zeh, die gerade einen kulturpessimistischen Roman über eine Gesellschaft im Jahr 2057 publiziert hat, in der das Rauchen auch nur einer einzigen Zigarette unter schwerster Strafe steht. Frau Zeh also widersprach der These vom Wachstum als sozialem Kitt, denn in ihrem Umfeld – seit 2007 lebt sie zurückgezogen in einem einsamen Gehöft in Barnewitz, Landkreis Havelland, Brandenburg – glaube ohnehin niemand mehr an Wachstum.
Diesem Muster folgte die Sendung auch im weiteren Verlauf: Die frisch-fröhliche Jung-Autorin bot den alten Herren zwar mutig Paroli, zeigte sich aber – vermutlich bedingt durch ihre, auch mediale Abgeschiedenheit (“Ich habe keinen Fernseher!”) – ein ums andere Mal nicht gut informiert (“Die meisten leben auf dem Lande!”) oder überraschte mit gewagten Thesen (“Wir brauchen überhaupt keine deutsche oder europäische Identität, das eigene Dorf genügt!”). Die älteren Herren protestierten nur milde. Da sich die Runde jedoch zunehmend in Nebensächlichkeiten verlor, vor allem Juli Zeh ihre besondere Vorliebe für Haarspaltereien demonstrierte und nicht einmal Meinhard Miegels vorsichtige Definition eines historisch-kulturell, institutionell und mentalitätsstrukturell  bedingten deutschen Gemeinschaftsgefühls akzeptierte (“Haben Sie mal versucht, Einvernehmen zwischen einem Bayern und einem Ostfriesen herzustellen?”), gelangte man während der Sendezeit kaum zu tieferen Einsichten. Immerhin versicherten beide Gäste wiederholt, wenn auch von völlig unterschiedlicher Position aus argumentierend, es bestehe nun wirklich kein Anlass zur Panik angesichts einer vom Zerfall bedrohten Gesellschaft. Die Gastgeber zeigten sich insofern sichtlich enttäuscht: Sloterdijk sprach von einem beschämenden Ergebnis für die Moderatoren, Safranski gar von einem solchen für das Medium Fernsehen, dessen Erregungspotentiale man leider nicht habe ausschöpfen können. Unterhaltsam war das Ganze allerdings durchaus.

Justament Sept. 2008: Juristen als Literaten

Thomas Claer

Literatur Recht CoverSchriftstellernde Juristen gibt es zuhauf. Doch wenn zwei prominente und mit Preisen überhäufte Autoren über den Einfluss ihrer juristischen Ausbildung auf ihr literarisches Werk Auskunft geben, hört man gerne zu. Nachzulesen sind die Schilderungen von Juli Zeh, geboren 1974 in Bonn, und Martin Mosebach, geboren 1951 in Frankfurt am Main, auf einer Tagung namens “Literatur und Recht” in dem vorzüglichen Sammelband “Literatur, Recht, Musik”. Dieser harrte schon geraume Zeit auf dem Schreibtisch des Rezensenten einer Besprechung und erhielt nun endlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit, auch wenn die erwähnte Tagung bereits 2005 stattgefunden hat.
Einserjuristin Juli Zeh wollte nach dem zweien Staatsexamen eigentlich Richterin werden, entschied sich aber dann “nach einigen schlaflosen Nächten” dagegen, weil sie sich nicht zutraute, nur nebenher Schriftstellerin zu sein, auf das Schreiben aber keinesfalls verzichten wollte. Seitdem begrenzt sie ihre juristische Tätigkeit auf ihre Dissertation im Völkerrecht, an der sie schon einige Jahre nebenher werkelt. Aktuell hat sie noch eine Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass eingelegt. Außer ihren von der Literaturkritik zuletzt eher zwiespältig aufgenommenen Romanen verfasst sie vor allem Essays und mischt sich permanent und streitlustig in politische und sonstige Debatten ein. Ihre Bücher (“Adler und Engel”, “Spieltrieb”, “Schilf”) sind voll mit Bezügen zur Juristerei. Ihr künstlerisches Schaffen, so die Autorin, sähe völlig anders aus, wenn sie dem Recht nicht begegnet wäre: “Ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt in der Lage wäre, Romane zu schreiben, wenn ich nicht Jura studiert hätte.” Das Verfassen von Romanen erfordere strukturierte Denkvorgänge, und die juristische Ausbildung habe eine “ganz wertvolle Konstruktionsfähigkeit” in ihrem Denken geschaffen, die ihr dabei helfe, “große Formen und große Texte einfach zu verwalten”.
Martin Mosebach, Büchnerpreisträger von 2007, ist hingegen mit der Rechtswissenschaft nie recht warm geworden. Er habe großen Respekt vor Amtsrichtern oder Rechtsanwälten, die Romane schreiben, doch würde seine Vitalität für beides zugleich nicht hinreichen. Dafür sei das Romanschreiben für ihn zu anstrengend. Doch räumt er für sich “eine gewisse Zähmung und Erziehung durch die Jurisprudenz ein im Bedürfnis, Charaktere wahrscheinlich zu machen”. Er erkenne aber leider erst in großem zeitlichen Abstand, was für interessante Aspekte die Welt des Rechts in sich berge. In seinem umfangreichen literarischen Werk wirft er nur ein einziges Mal einen Blick auf das juristische Milieu, im Roman “Eine lange Nacht” (2000), der Geschichte eines verkrachten Juristen und schöngeistigen Taugenichts.

Hermann Weber (Hrsg.)
Literatur, Recht, Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg
BWV Berliner Wissenschafts-Verlag 2007
224 Seiten, EUR 40,00
ISBN: 978-3-8305-1339-1

Justament Okt. 2004: Böse Geister in Bonn

Die Juristin Juli Zeh schildert in ihrem zweiten Roman die Verwirrungen
pubertierender Schüler

Thomas Claer

Juli Zeh coverDie Erfolgsautorin Juli Zeh – ihr Roman-Debüt “Adler und Engel” (2001) ist
mittlerweile in zwanzig Sprachen übersetzt worden – hat ein Problem, um das
man sie beneiden könnte: den Überdruss an erreichbaren Zielen, “denn was
machst du, wenn du es geschafft hast? Dann stehst du dumm da”, erläuterte
sie kürzlich in einem Interview. Daher setze sie sich grundsätzlich nur
noch Ziele, die immer etwas über dem Erreichbaren lägen. So beabsichtige
sie etwa, “das Buch zu schreiben, das alles in sich aufnimmt, was ich je zu
denken, zu sagen und zu fühlen hatte.” Mit diesem Ziel könne sie
gemütlich mit jedem neuen Versuch scheitern.

Geht’s nicht eine Nummer kleiner?
Vielleicht sollte ihr jemand den Tipp geben, es doch lieber mal eine Nummer
kleiner zu versuchen, denn ihre neue Veröffentlichung “Spieltrieb” will
nicht nur ein vielschichtiger Roman sein, was streckenweise sehr gut
gelingt, sondern auch noch explizit unser Zeitalter erklären, was den Bogen
dann aber weit überspannt und zwischen den Zeilen besser aufgehoben gewesen
wäre.
Die 15-jährige Ada ist Schülerin eines Privatgymnasiums in der alten
Bundeshauptstadt Bonn, dort Jahrgangsbeste und nicht recht ausgelastet, so
dass sie neben ihrem Schulpensum noch wöchentlich drei Werke der
Weltliteratur verschlingt. Ihren von ihr schlichtweg für dumm gehaltenen
Mitschülern bringt sie nur Verachtung entgegen – bis der charismatische,
drei Jahre ältere Halbägypter Alev in ihre Klasse kommt, dessen Charisma
sie in kürzester Zeit verfällt. Er wird als ein zeitgenössischer
Wiedergänger von Mephistopheles gezeichnet, ist impotent und spricht unter
dem halbverdauten Einfluss von Macchiavelli und Nietzsche gelegentlich
zynische Wahrheiten aus, erzählt daneben aber auch jede Menge aberwitziges
Zeug, das von Ada begierig aufgesaugt wird.

Urenkel der Nihilisten
Schließlich hat er sie so weit, dass sie sich mit umfassendstem
Körpereinsatz an der Umsetzung seines Planes, der Verführung und
anschließenden Erpressung des sympathischen Lehrers Smutek beteiligt. Als
einziges Motiv für ihr Vorgehen dient den beiden die Auslebung eines – nach
dem Ende der Begründbarkeit jeglicher Werte und Moral als alleinige
Triebfeder menschlichen Verhaltens angenommenen – Spieltriebes. Die
Pennäler wähnen sich in jugendlichem Größenwahn als Aventgarde auf dem
Weg in eine neue Epoche und als Urenkel der Nihilisten. Dafür werden sie,
als alles auffliegt, von der Jugendrichterin erstaunlich ernst genommen und
tatsächlich für die Vorhut einer künftigen gesellschaftszersetzenden
Teufelsbrut gehalten.

Hölle der Pubertät
Juli Zeh, das beweist sie hier erneut, kann schreiben. Ihre Personen, nicht
zuletzt Adas hysterische Mutter und sämtliche Lehrerfiguren, sind
überzeugend konzipiert, der Plot wohldurchdacht und spannungsreich
inszeniert. Es gelingt ihr, die Hölle Pubertät aus der ungeschminkten
Perspektive von zwei Außenseitern zu schildern, die trotz enormer
Bildungsbeflissenheit letztlich genauso ratlos vor den Schrecken des
Erwachsenwerdens stehen wie ihre oberflächlichen und konsumorientierten
Altersgenossen. Ungeachtet des nicht unerheblichen Umfangs verläuft die
Geschichte meist tempo- und ereignisreich. Selbst die manchmal sehr bemüht
und weit hergeholt wirkenden Vergleiche sowie die eine oder andere
missglückte Naturschilderung wären der Autorin nachzusehen, wenn nur nicht
dieser pathetische und bedeutungsvoll von einer herannahenden Zeitenwende
raunende Rahmen wäre. Man mag die Reflexionen der Verfasserin über Recht,
Moral und den vielfach diagnostizierten Werteverfall für begründet halten
– der plumpe Transport von ideologischer Tendenz zieht das Buch an diesen
Stellen künstlerisch in den Keller: “Wenn das alles ein Spiel ist, sind wir
verloren. Wenn nicht, erst recht.” Du lieber Himmel!
Formal orientiert sich Juli Zeh vornehmlich an den großen Romanen des 19.
Jahrhunderts, die ihr auch die ewig aktuellen Themen der
zwischenmenschlichen Beziehungen an die Hand geben, namentlich das der
Machtausübung über andere, wie es in Dostojewskis “Dämonen” behandelt
wird. Daneben fungiert als großer Stichwortgeber Robert Musil – nicht nur
mit dem fleißig debattierten “Mann ohne Eigenschaften”, sondern mehr noch
mit den “Verwirrungen des Zöglings Törleß”.

Juli Zeh – Spieltrieb. Roman
Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung Frankfurt am Main 2004
566 Seiten
EUR 24,80
ISBN 3-89561-056-9

Juli Zeh, geboren am 30.6.1974 in Bonn. 1,0-Abitur, Jurastudium in Passau
und Leipzig, 1998 erstes juristisches Staatsexamen mit der besten
Abschlussnote in Sachsen, 2003 zweites Staatsexamen. 1996 bis 2000 Studium
am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1999 bis 2001 Juristischer
Aufbaustudiengang “Recht der Europäischen Integration (Magister,
LL.M.Eur.). Bücher: 2001 Roman “Adler und Engel”; 2002 Reisebericht “Die
Stille ist ein Geräusch – Eine Fahrt nach Bosnien”, 2002 “Recht auf
Beitritt? Ansprüche von Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union”,
September 2004 Roman “Spieltrieb”. Diverse Kurzgeschichten und Essays.
Preise: 1999 Preis der Humboldt Universität im Beiragswettbewerb “Recht und
Wandel”; 2000 Caroline Schlegel Preis für Essayistik; 2001 Bremer
Literaturpreis; 2002 Rauriser Literaturpreis und Deutscher Bücherpreis
(bestes Debüt); 2003 Förderpreis zum Hölderlin-Preis; 2003
Ernst-Toller-Preis; 2004 Preis als Inselschreiber auf Sylt.
www.juli-zeh.de