Tag Archives: Udo Lindenberg

justament.de, 29.5.2023: Einfach nur zusammen sein

Scheiben Spezial: Vor 50 Jahren gelang Udo Lindenberg der Durchbruch mit “Alles klar auf der Andrea Doria”

Thomas Claer

Im Frühjahr 1973, in einem Alter, in dem andere legendäre Popstars schon drauf und dran waren, sich mittels Überdosis oder Schrotflinte in die ewigen Jagdgründe des Musikerhimmels zu befördern, hatte der Sänger und Schlagzeuger Udo Lindenberg gerade erst seinen ganz großen Wurf gelandet. Und entgegen aller Wahrscheinlichkeit, trotz fortwährender Alkohol- und Nikotinexzesse, weilt er sogar heute noch unter uns und hat gerade erst seinen 77. Geburtstag würdevoll begangen – bei bester Gesundheit, nach allem, was man weiß.
Damals, vor 50 Jahren, hatte der Panikrocker im Frühstadium immerhin schon ein beachtliches Frühwerk mit kleinen Hits wie “Hoch im Norden” und “Candy Jane vorgelegt, dem er nun mit “Alles klar auf der Andrea Doria” sein ultimatives Meisterwerk folgen ließ. Auf dieser Platte stimmte einfach alles, jeder Song ein Volltreffer!
Vor allem aber widmete sich der junge Lindenberg in seinen Songtexten mit viel Chuzpe, Naivität und gesundem Menschenverstand auch heiklen politischen Fragen wie den innerdeutschen Beziehungen: Wenn man sich innerhalb ein und derselben Stadt nicht frei bewegen darf und der westliche Besucher seine östliche Geliebte hinter Mauern eingesperrt zurücklassen muss, dann ist etwas ganz grundsätzlich nicht in Ordnung. “Wir woll’n doch einfach nur zusammen sein”, heißt es im Song “Mädchen aus Ost-Berlin”, mit dem die sehr spezielle Beziehung zwischen dem “kleinen Udo” und der seitdem immer größer werdenden Zahl seiner Fans in der Deutschen Demokratischen Republik ihren Anfang nahm. Immer wieder gab es fortan DDR-Bezüge in den Lindenberg-Songs, kulminierend im “Sonderzug nach Pankow”, der 1983 sogar für eine Art kleine deutsch-deutsche Staatsaffäre sorgte. Wenn sich in 40 Jahren deutscher Teilung dann doch noch so viel Verbindendes zwischen Ost- und Westdeutschen erhalten hat, dann ist das nicht zuletzt solchen unermüdlichen Brückenbauern wie Udo Lindenberg zu verdanken.
Weiterhin finden sich auf der “Andrea Doria”-Platte epochale Songperlen wie das zarte Liebeslied“ Cello”, das fast schon existentialistische “Er wollte nach London” oder das melancholische “Nichts haut einen Seemann um”. Und wie radikal modern war seinerzeit der Text von “Ganz egal”: “Und wieso auch nicht / Es ist doch ganz egal / Ob du ein Junge oder ‘n Mädchen bist”. Kurzum, diese Platte und ihr Nachfolger “Ball Pompös” (1974) sind das Beste, was Udo Lindenberg jemals geschaffen hat. Das Urteil lautet: sehr gut (16 Punkte).

Udo Lindenberg & das Panikorchester
Alles klar auf der Andrea Doria
Telefunken/ Warner 1973
ASIN: B000069K14

www.justament.de, 16.5.2016: Uns Udo wird 70

Scheiben vor Gericht Spezial

Thomas Claer

Udo LindenbergRockmusik in deutscher Sprache, das musste man sich erst mal trauen. Udo Lindenberg gehörte in den frühen Siebzigern zu den ersten, die sich daran versuchten. Zum einen bereicherte er mit den Texten seiner mitreißenden Songs die deutsche Sprache als origineller Sprücheklopfer („Alles klar auf der Andrea Doria“, „Die Rock’n‘ Roll-Gespenster sind weg vom Fenster“). Im Kosmos der Lindenberg-Texte war immer irgendwie „alles easy“, auch noch, als irgendwann niemand mehr so sprach wie er und schon gar nicht die Jugend.

Aber zum anderen war da auch noch der empfindsame junge Mann mit den langen Haaren und zunächst noch ohne den später obligatorischen Hut, der seine Irritation über diese Welt auf anrührende Weise besang: „Du spieltest Cello/ in jedem Saal in unserer Gegend / ich saß immer in der ersten Reihe/ und ich fand dich so erregend“. Unglaublich schöne, poetische, zärtliche, romantische Songs sind in diesen frühen Jahren entstanden: „Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klau‘n“ etwa oder „Bitte keine Love-Story“. Und natürlich auch das berühmte „Mädchen aus Ost-Berlin“ (1973), das die zwischenmenschliche Seite der deutschen Teilung aus westlicher Sicht beschreibt.

Vielleicht war das Bemerkenswerteste an Udo Lindenbergs späteren Schaffensperioden, die in künstlerischer Hinsicht längst nicht mehr mit seinem überwältigenden Frühwerk mithalten konnten, sein unablässiges Engagement für seine vielen Fans in der DDR. Zu einer Zeit als sich die westdeutsche Jugend schon lange nicht mehr für ihre ostdeutschen Altersgenossen interessierte und Kritik an den Zuständen im Realsozialismus mitunter als entspannungsfeindliche Hetze verpönt war, forderte er unverdrossen eine „Rock’n‘ Roll-Arena in Jena“, wollte mit dem „Sonderzug nach Pankow“ zu Erich Honecker fahren, der ihn jahrelang nicht in der DDR auftreten ließ, und veralberte den notorisch humorlosen Staats- und Parteichef später erneut in „Der Generalsekretär“.

Nach der Wiedervereinigung fiel Udo Lindenberg dann in eine tiefe Schaffenskrise, aus der er sich erst 2008 mit dem fulminanten Comeback-Album „Stark wie zwei“ befreite. Seitdem ist er wieder obenauf, tourt unablässig und füllt ganze Stadien, woran früher nicht zu denken war. Es sei ihm von Herzen gegönnt. Besonders hoch anzurechnen ist ihm ferner sein beharrlicher Einsatz gegen Rechtsextremismus, insbesondere in Ostdeutschland. Am 17. Mai feiert der große Udo Lindenberg seinen 70. Geburtstag. Prostata!

Justament Dez. 2008: (K)ein alter Hut

Udo Lindenbergs starkes Comeback

Thomas Claer

15 SCHEIBEN Cover udo_lindenbergEr war schon einer von gestern. Udo Lindenberg, der große Pionier der deutschsprachigen Rockmusik, drohte allmählich zur traurigen Figur zu werden. Bei YouTube fand man von ihm fast nur Parodien (darunter aber eine umwerfend komische von Helge Schneider). Ohne Plattenvertrag, nur mit Gastauftritten in den Musikvideos der jüngeren Kollegen, die ihn immerhin noch unermüdlich weiter verehrten, schlug er sich seit der Jahrhundertwende irgendwie durch. Bis endlich ein findiger Produzent, ein “Johnny Controlletti”, so hätte Udo früher gesagt, in diesem Frühjahr den alten Lindenberg neu erfand und mit ihm ein Album einspielte, das stärker geworden ist als fast alles von Udo seit den Siebzigern. Unglaublich frisch, ja regelrecht mitreißend klingt “Stark wie zwei”. Und Udos junge Freunde mischen auf der Platte so munter mit, dass es eine Freude ist: Jan Delay näselt mit Udo in “Ganz anders” um die Wette, Goldkehlchen Stefanie Kloß von “Silbermond” schmettert mit ihm in “Der Deal” ein grandioses Duett. Und sogar der allerdings auch nicht mehr ganz taufrische Helge Schneider hat maßgeblich am witzigen “Chubby Checker” mitgewirkt. Doch hätte auch diese hochkarätige Präsenz verpuffen müssen ohne den wahrhaft fulminanten Qualitätssprung im Songwriting des Zweiundsechzigjährigen. Man kann es natürlich auch so erklären, dass hier eben einfach die besten Ideen aus acht Jahren Eingang gefunden haben. Doch schließlich erreicht die Platte auch textlich ungeahnte Höhen: “Auch der härteste Scheiß/ geht irgendwann/ wieder vorbei”. Auf  diese glänzende Metapher wäre zweifellos sogar ein Bertolt Brecht stolz gewesen. Klar, man könnte es auch anders sagen, z.B.: “Immer, immer wieder geht die Sonne auf”. Das ist vom anderen Udo und auch nicht schlecht. Aber die Lindenbergische “Scheiß”-Metapher hat den Vorzug der einfach noch viel pointierteren Evidenz. Und alles andere, so heißt es auch auf der CD, “geht uns am Arsch vorbei”. Im übrigen groovt die Scheibe von vorne bis hinten. Oder sagen wir: fast bis hinten. Die letzten vier Lieder fallen etwas ab. Hätte man die nicht einfach weglassen können? Aber das ist wieder die alte Diskussion, ob einem lieber Masse oder Klasse auf den Tonträgern geboten werden sollte. Klasse hat diese CD jedenfalls allemal. Das Gesamturteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).

Udo Lindenberg
Stark wie zwei
Starwatch (Warner) 2008
Ca. EUR 17,00
ASIN: B0014ZFMEE