Peter Sloterdijk vollendet seine Sphären-Trilogie
Thomas Claer
Unter deutschen Intellektuellen, insbesondere bei seinen Fachkollegen, haftet dem Philosophen Peter Sloterdijk, geboren 1947, hartnäckig der zweifelhafte Ruf des unseriösen Gauklers, ja des Scharlatans an, der – eine sensationsgierige Öffentlichkeit bedienend – mit großer Formulierungskunst unverantwortliche Ideen in die Welt setzt. 1998 hatte er mit seiner Elmauer Rede “Regeln für den Menschenpark” für einen Skandal im Kulturbetrieb gesorgt und sich mit seiner Forderung eines “Codex der Anthropotechniken” zur Menschenzüchtung dem Faschismusverdacht ausgesetzt. Wer wie er die vieldeutig-ironische Geste und Darstellung liebt, läuft mitunter Gefahr, auf groteske Weise missverstanden zu werden. Hinzu kommt der in gewissen Kreisen als anstößig geltende Umstand, dass Sloterdijk Fernsehauftritte nicht scheut, wenngleich sich seine Präsenz auf die vorgerücktesten Sendezeiten beschränkt.
Andere sehen in ihm dagegen den glänzender Stilisten, der es unternimmt, die Philosophie auf die Höhe der Zeit zu bringen. Daran arbeitet er auch im nun vorliegenden dritten Band “Schäume” seiner vor sechs Jahren mit “Blasen” begonnenen und ein Jahr darauf mit “Globen” fortgesetzten “Sphärologie”, die dem Leser nicht weniger als eine hochkomplexe Theorie der Gegenwart zumutet. Im Umfang gewichtig (zusammen sind es über 2500 Seiten), inhaltlich gleichwohl von einer beschwingten Leichtigkeit, wird hier alle metaphysische Schwere über Bord geworfen. Der Schaum, traditionell das Denkbild des Unzuverlässigen, Flüchtigen, aber auch Unkonventionellen, dient dabei als Metapher der menschlichen Gesellschaft: eine fragile Struktur, auf unwahrscheinliche Weise zusammenhängende luftige Elemente (die Lebenssphären der Individuen), stets vom Zerplatzen bedroht.
“Schäume”, das sich auch ohne weiteres so lesen lässt, als wäre es der erste der drei Teile, nimmt sich vornehmlich drängender “gesellschaftlicher” Fragen an und macht dabei “anthropogene Inseln” aus, darunter auch das “Nomotop”: Jede Kultureinheit insuliere sich spontan durch ihre normative Verfassung eine Art sittlichen Äther. Die Geltung von Recht und Sitte innerhalb der Gruppe übe einen permanenten selbst-stressierenden Reiz auf die Mitglieder aus und versetze das Kollektiv so in eine symbolische Vibration, die man am ehesten mit der endogen stabilisierten Körpertemperatur eines warmblütigen Lebewesens vergleichen könne. Eine zentrale Rolle spiele dabei die Kommunikation, die aber keinesfalls als ein Miteinander-Einigwerden im Sinne der “Konsensusidealisten” (eine Breitseite gegen den philosophischen Erzrivalen Habermas) gedacht werden dürfe, sondern – viel kühler und nüchterner – als ein bloßes Aufeinander-Bezugnehmen. Ein solcher Kommunikationsbegriff liege näher am Modell des Parasitismus als bei der Verständigung unter Chancengleichen. Das soziale Feld lasse sich so auch als ein Netzwerk von selbstbedienenden Anknüpfungen an den Leistungen anderer verstehen und die Umwelt wird zum Verzeichnis der von einem gegebenen Standort aus parasitierbaren Adressen bzw. zur Liste der Parasiten, auf deren Besuch man gefasst sein sollte.
Gibt es Einwände gegen dieses desillusionierende Panorama zeitgenössischer Anthroposphären? Schopenhauer hat in seiner Parabel die bürgerliche Gesellschaft nicht als “Gruppen frierender Igel”, sondern frierender Stachelschweine charakterisiert (S.305) und es heißt schon seit längerem nicht mehr “Deutsche Bundesbahn”, sondern Deutsche Bahn AG (S.469). Geschenkt.
Peter Sloterdijk
Sphären III. Schäume
Broschiert
Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004
916 Seiten
EUR 29,90
ISBN: 3-518-41466-6