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justament.de, 30.6.2025: Anspruch und Wirklichkeit

Anspruch und Wirklichkeit

Die Dauerausstellung “Alltag in der DDR” im Museum in der Kulturbrauerei

Thomas Claer

Die DDR ist bekanntlich vor 35 Jahren untergegangen, und das ist natürlich auch gut so. Doch lebt sie unzweifelhaft weiter in der bereits 2013 eingerichteten und seitdem kontinuierlich erweiterten Dauerausstellung “Alltag in der DDR” im Museum in der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg. Für null Euro Eintritt kann sich hier jeder, der möchte, einen sehr lebendigen Eindruck davon verschaffen, wie sich das tägliche Leben hinter Mauern und Stacheldraht seinerzeit so angefühlt haben mag. Man steht dann also neben einem echten Trabant, läuft durch eine mit viel Liebe zum Detail nachgebaute HO-Kaufhalle, blättert in Stasi-Akten, liest Briefe von unglücklichen NVA-Soldaten und vieles andere mehr. Die Ambivalenzen des DDR-Alltags sollen hier gezielt gezeigt werden, und das gelingt auf grandiose Weise. In diesem Staat war nämlich beinahe alles ambivalent: einerseits sich großspurig fortschrittlich gebend, andererseits kleinkariert und verbiestert. Und kaum irgendwo sonst auf der Welt ist wohl jemals die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so übermächtig gewesen wie im real existierenden Sozialismus deutscher Prägung.

Es bleibt nicht aus, dass man als gelernter DDR-Bürger an diesem Ort sentimental wird, wenn plötzlich die Kulissen der eigene Kindheit und Jugend wieder vor einem auferstehen. Stundenlang könnte ich mich durch diese Räume treiben lassen und würde wohl immernoch irgendwo etwas neues Altbekanntes entdecken. Mein Lieblingsexponat in der Ausstellung ist selbstverständlich der Original-DDR-Zeitungskiosk mit lauter ostdeutschen Printprodukten aus jener Zeit – und dazu noch mit DDR-Fähnchen und einem Propaganda-Aushang zum 1.Mai, dem Kampftag der Arbeiterklasse. Klar, so lange, wie ich zurückdenken kann, gehörten Zeitungskioske trotz all ihrer damaligen Beschränktheit zu meinen Lieblingsorten. Und dieser hier rekonstruierte ist fürwahr wirklichkeitsgetreu gestaltet, zumindest auf den ersten Blick. Tatsächlich ist er dies dann freilich doch nicht, wenn man bedenkt, dass sicherlich an keinem Kiosk in der ganzen DDR die Bezirkszeitungen unterschiedlicher Regionen (wie hier “Schweriner Volkszeitung”, “Leipziger Volkszeitung” und noch weitere) nebeneinanderliegend offeriert worden sein dürften. Es gab jeweils nur entweder die eine oder die andere, je nachdem, wo man sich gerade befand. Und auch solche typische “Bückware” wie die qualitativ bemerkenswert hochwertige Zeitschrift “Wochenpost” habe ich seinerzeit nie an einem Zeitungskiosk ausliegen gesehen. Sie ging entweder an ihre glücklichen Abonnenten (darunter meine Großeltern) oder nur an die privilegierte Kundschaft der Kioskfrau. Überhaupt waren damals nach meiner Erinnerung eigentlich alle auch nur ansatzweise interessanten Printprodukte regelmäßig schon nach kurzer Zeit ausverkauft. Wirklich immer vorhanden waren in der Auslage im DDR-Zeitungskiosk nur langweilige Journale wie die legendäre “Sowjetfrau”, auf deren Cover immer Damen mit unfassbar altmodischen Kleidern und Frisuren prangten. Aber das sind Feinheiten, die hier kaum ins Gewicht fallen. Kurzum, das Museum in der Kulturbraurei sollte zum Pflichtprogramm eines jeden Berlin-Besuchers gehören.

justament.de, 17.3.2025: Auf nach Eisenhüttenstadt!

Die Ausstellung “PURe Visionen” im Museum Utopie und Alltag

Thomas Claer

Nach Eisenhüttenstadt, das bis 1961 den Namen Stalinstadt trug, wollte ich nie, denn dort musste es, so glaubte ich, ganz furchtbar sein: eine seelenlose Retortenstadt, errichtet in den Fünfzigerjahren irgendwo in der märkischen Pampa für die Arbeiter des EKO, des Eisenhüttenkombinats Ost, und von der DDR-Propaganda zur sozialistischen Musterstadt überhöht. Ohne mich für weitere Einzelheiten zu interessieren, stellte ich mir Eisenhüttenstadt bisher mein Leben lang als eine Art graue Betonwüste vor mit Hochhäusern im Brutaismus-Stil. Aber es empfiehlt sich immer, die eigenen Vorurteile auch einmal vor Ort zu überprüfen. Tatsächlich ist Eisenhüttenstadt nämlich, was ich nie für möglich gehalten hätte, ein architektonisches Juwel. Hochhäuser gibt es dort in Wirklichkeit keine, stattdessen überall top sanierte und wunderbar farbenfroh herausgeputzte Fünfgeschosser im Zuckerbäcker-Stil, die keineswegs an die triste Marzahner Allee der Kosmonauten erinnern, sondern vielmehr an die prächtige Karl-Marx-Allee in Berlin-Mitte und Friedrichhain.

Nur die Anbindung nach und von Berlin aus lässt zu wünschen übrig. Unser Zug nach Frankfurt an der Oder hatte so getrödelt, dass wir dort den Anschlusszug nach Eisenhüttenstadt verpassten und eine geschlagene Stunde bis zum nächsten ausharren mussten. Auf Entschuldigungen oder auch nur erklärende Lautsprecherdurchsagen auf dem Frankfurter Bahnhof warteten wir leider vergeblich. Doch wer sich schließlich bis Eisenhüttenstadt durchgekämpft hat, wird reichlich entschädigt. Natürlich ist es dort wie überall sonst in der ostdeutschen Provinz: Es hat seit 1990 eine starke Abwanderung gegeben. Die Zurückgebliebenen maulen und schimpfen auf den Westen, wählen AfD und BSW. Doch trotz allem hat diese Stadt ihre beinahe magische Aura behalten (oder zumindest diese infolge der umfassenden Wiederaufbauarbeiten der letzten Jahre wieder vollständig zurückerlangt). Noch sieben Dekaden nach seiner Errichtung innerhalb weniger Jahre atmet Eisenhüttenstdt den sehr besonderen Charme des ewig Experimentellen.

Das “Museum Utopie und Alltag”, das allerhand stilprägende Gegenstände aus der DDR beherbergt, befindet sich in einem früheren Kindergarten, der nach den aufgestellten Erkärungsschildern ein ganz außergewöhnlicher gewesen sein muss. Bei aller Kritik am totäliär-ideologischen Hintergrund sollte doch niemand den emphatischen Aufbruchsgeist der frühen Nachkriegszeit auch im sozialistischen deutschen Teilstaat unterschätzen. Hier waren großartige Architekten am Werk, vermutlich von echter idealistischer Begeisterung getragen, die alles, was ihnen zur Verfügung stand, in die Waagschale warfen. Das seit den Siebzigerjahren immer mehr um sich greifende realsozialistische Frustrations- und Erschöpfungssyndrom war zu jener frühen DDR-Zeit offenbar noch weit weg.

Dass die Deutsche Demokratische Republik aber auch noch in ihren letzten beiden Lebensjahrzehnten mitunter Beachtliches hervorgebracht hat, zeigt die besonders sehenswerte Sonderausstellung “PURe Visionen”, die sich ostdeutschen Design-Klassikern vom “Känguruh-Stuhl” bis zum “Garten-Ei” widmet und deren jeweilige Entstehungsgeschichte beleuchtet. Überraschenderweise haben viele dieser formgestalterischen Besonderheiten einen Ost-West-Hintergrund, wie es in jenen Jahren der Entspannungspolitik und vielfältigen systemübergreifenden deutsch-deutschen Kooperationen durchaus häufiger vorgekommen ist. So macht man sich letztendlich voller bewegender Eindrücke auf den Heimweg nach Berlin und ist froh darüber, das eigene bislang so grotesk ungerechte Bild von Eisenhüttenstadt nun endlich einmal substantiell korrigiert zu haben.

PURe Visionen
Sonderausstellung im Museum Utopie und Alltag
Erich-Weinert-Allee 3, 15890 Eisenhüttenstadt
Noch bis 30. März 2025
Eintritt: 4,00 Euro (ermäßigt 2,00 Euro)

justament.de, 21.11.2022: Ästhetische Negativität

Ästhetische Negativität

Ein Besuch im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, neuerdings im Theaterbau am Schloss Charlottenburg

Thomas Claer

Das Käthe-Kollwitz-Museum ist vor einigen Wochen umgezogen: aus der Fasanenstraße nahe dem Ku’damm, wo es seit 1986 seinen Sitz hatte, in den Theaterbau am Schloss Charlottenburg. Und wenn man schon nur ein paar Ecken davon entfernt wohnt, ist es doch – und nicht nur im buchstäblichen Sinne – naheliegend, es endlich einmal zu besuchen, zumal man dies schon immer mal vorhatte.

Wer seine Kindheit und Jugend in der DDR verbracht hat, der kennt natürlich Käthe Kollwitz (1867-1945), die bekannte Berliner Grafikerin, Malerin und Bildhauerin, aus den offiziellen Schulbüchern, in denen viele ihrer Werke immer wieder abgedruckt, erläutert und gewürdigt wurden. Käthe Kollwitz galt sozusagen als sozialistische Künstlerin par excellence, was aber genau genommen nicht ganz richtig ist; wirklich falsch ist es allerdings auch nicht. Zwar war sie niemals Mitglied einer politischen Partei, doch hat sie aus ihrer Sympathie für die sozialistische (und wohl auch kommunistische) Bewegung nie ein Geheimnis gemacht und vor allem auch in ihrer Kunst – so wurde es zumindest weithin empfunden – stets einen eindeutigen „Klassenstandpunkt“ vertreten. Allerdings war es für die DDR auch denkbar einfach, sie voll und ganz für ihre Sache zu vereinnahmen, denn sie konnte sich ja infolge ihres Todes bereits kurz vor Kriegsende nicht mehr dagegen wehren. Eine offene Frage bleibt indessen, ob sie den neuen Machthabern im Arbeiter- und Bauern-Staat womöglich kritisch begegnet wäre, sich ihnen – horribile dictu – sogar durch Abwanderung in den Westen entzogen hätte oder ob sie, was ihren Nachruhm angeht, von Glück sagen kann, dass sie nicht noch länger gelebt hat, da sie ansonsten leicht zur stalinistischen Kulturfunktionärin hätte werden können. (So wie z.B. der „progressive“ Schriftsteller Heinrich Mann nach aktuellem Stand der Forschung nur durch sein vorzeitiges Ableben vor einer solchen, eigentlich schon mit ihm ausgehandelten Rolle in der DDR bewahrt wurde.)

Wie auch immer, zumindest hat ihre politische Wirkung und posthume propagandistische Instrumentalisierung Käthe Kollwitz bis heute nicht nachhaltig geschadet. Denn künstlerisch hat sie in der Tat Außerordentliches zu bieten. Der erste Eindruck ihrer im Theaterbau versammelten Werke, die einen Großteil ihres Schaffens ausmachen dürften, ist überwältigend. Eindringlich, grell und enorm plakativ wirken ihre Bilder, obwohl sie alle nur in Schwarz-Weiß gehalten sind. Man merkt, dass sie vom Expressionismus kommt. Schließlich ist sie gerade einmal 14 Jahre jünger als Vincent van Gogh (1853-1890). Und ganz ähnlich intensiv wie bei diesem sind ihre Werke, nur ohne jede Leichtigkeit. Die Stimmungslage geht bei ihr vielmehr ins Anti-Euphorische, ins abgrundtief Traurig-Verzweifelte, allzeit Schwermütige. Aber nicht in stillem Leiden, sondern gleichsam immerfort laut aufschreiend, nur eben bildlich. (Man fühlt sich in dieser Ausstellung auch ständig an den „Schrei“ von Munk erinnert.) Thematisch geht es immer um die Not und das Elend der kleinen Leute, der Arbeiter und Bauern, die mörderische Sinnlosigkeit der Kriege.

Nur stellt man sich im Laufe der Besichtigung dann irgendwann doch die Frage, woher die geradezu monomanische Obsession dieser Künstlerin für all das kommt. Keine Frage, ihre Empörung über die sozialen Missstände ihrer Zeit, über Krieg und Militarismus ist vollauf berechtigt. Aber es gibt bei ihr tatsächlich keine anderen Themen und vor allem auch keine anderen Stimmungen. Niemals entsteht so etwas wie Frohsinn, Entspannung oder vielleicht Sinnlichkeit. Selbst ihren Aktzeichnungen und -skulpturen fehlt wirklich jede Spur, ja jeder Hauch von Erotik. Die Schönheit der Natur oder von Architektur? Kommt bei ihr nicht vor. Und was ihrer Kunst erst recht abgeht, sind Humor oder gar Ironie. Wie anders hat doch ihr Kollege Heinrich Zille (1858-1929) seine ganz ähnlichen Sujets – sogar mit ähnlichen Mitteln – wiedergegeben: heiter, spitzbübisch, augenzwinkernd. Bei Käthe Kollwitz dagegen herrscht nur existentieller Ernst. Wenn nicht alles so nüchtern wäre, könnte man dazu fast sagen: bierernst.

Natürlich ist so etwas immer auch eine Temperamentsfrage. Vielleicht hat diese Künstlerin ja wirklich ein Leben im mentalen Ausnahmezustand geführt. Einen ihrer beiden Söhne und dazu noch einen Enkel hat sie in den beiden Weltkriegen verloren. Aber ihr Sohn hatte sich im Alter von 18 Jahren freiwillig zum Kriegseinsatz an der Front gemeldet, obgleich seine Eltern zweifellos bereits zu dieser Zeit (1914) offen pazifistisch und antinationalistisch eingestellt gewesen waren. Und ihr Enkelsohn wollte sogar „nicht der Enkel von Käthe Kollwitz sein“ und verstand sich als überzeugter Nationalsozialist, als er 1940 tödlich verwundet wurde. Wieviel Protesthaltung gegen die dominante Mutter respektive Großmutter wird dabei im Spiel gewesen sein? Im menschlichen Umgang war Käthe Kollwitz vermutlich nicht immer so ganz einfach…

Dennoch sollte, wer es noch nicht getan hat, unbedingt das Käthe-Kollwitz-Museum besuchen. Auch wenn es, was eigentlich denkbar unpassend ist, nun in einem alten preußischen Schloss untergebracht ist. Oder sollte der Hintergedanke dieser Ortsauswahl gerade darin liegen, die verblichenen Hohenzollernkönige mit sozialer Not und Kriegselend zu konfrontieren, was sie während ihrer Herrschaft kaum jemals interessiert haben dürfte?