Tag Archives: Konzeptalbum

justament.de, 7.4.2025: Dunkle Zauberei

Die Heiterkeit mit “Schwarze Magie”

Thomas Claer

Da hat sie nun, ach!, komponiert, getextet und auch musiziert, ins Mikrofon geleiert. Heißt Indie-Hoffnung, Popstar gar und wurde nun schon manches Jahr von Kritikern gefeiert. Da steht sie nun, die arme Torin und ist nicht klüger als wie vorhin. Zwar gilt sie viel, doch will sie alles gelten, dass ihr zu Füßen liegt die Welt, denn: Dass manche sie so gar nicht preisen – das will ihr schier das Herz zerreißen. Es mag kein Honk so länger leben – drum hat sie sich: der Magie ergeben!

Sechs Jahre nach dem grandiosen Vorgänger “Was passiert ist” hat Stella Sommers Band “Die Heiterkeit” nun endlich ihre fünfte Platte vorgelegt. Ein düsteres Konzeptalbum mit dem programmatischen Titel “Schwarze Magie” hat nun das Licht der Welt erblickt – in sich stimmig vom pechschwarzen Cover-Design (mit Stella Sommers ernstem Gesicht und langfingriger rechter Hand als blütenweißen Kontrapunkten) bis zu den Songtiteln.

Und das Konzept überzeugt durchaus, wenn auch nicht jeder einzelne Song. “Dunkle Gewitter” etwa ist großartig, nicht zuletzt auch durch seine kraftvolle Textdichtung. Nahtlos geht dieser Song über ins anschließende “Teufelsberg”, das bereits als “Vorab-Single” bekannt war. Weitere Höhepunkte der Platte sind das locker-folkige Titelstück, “Wir erholten uns vom Fieber” und “Santa Ana”. Hier zeigt Stella Sommer, was sie kann, auch wenn der Gesamteindruck angesichts einiger schwächerer Lieder dann doch hinter dem des Vorgängers zurückbleibt. Vieles erinnert eher an ihre drei Soloalben aus den letzten Jahren als an die vorangegangenen Heiterkeit-Platten.

Doch sollte man Stella Sommer auch nicht Unrecht tun, denn dass sie sich wie bisher mit jedem weiteren Heiterkeit-Album steigern können würde, das hätte man auch nicht annehmen dürfen. Sei’s drum: Auch auf ihrer neuen CD beweist Stella Sommer ihre Klasse. Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte). Und am kommenden Mittwoch um 20 Uhr spielt “Die Heiterkeit” live im Lido in Kreuzberg.

Die Heiterkeit
Schwarze Magie
Buback 2025
UPC/EAN: 4015698265316

www.justament.de, 4.6.2018: Schwere See ein Vierteljahrhundert

Scheiben vor Gericht Spezial: Vor 25 Jahren erschien „Weißes Papier“ von Element of Crime

Thomas Claer

Es war ein neuer Lebensabschnitt, den dieses außergewöhnliche Album einer mir bis dahin völlig unbekannten Band für mich einläutete. Damals, 1993, absolvierte ich meinen Zivildienst in einem Bremer Krankenhaus und bekam dort, genauer gesagt in der Teestube, wo ich den Patienten heiße Getränke zubereitete und servierte, eine Indie-Musikzeitschrift in die Finger, die einen Text enthielt, der mich neugierig machte: Das zweite deutschsprachige Album von Element of Crime wurde dort besprochen. Und ein Sänger und Texter namens Sven Regener erging sich in grundlegenden Betrachtungen über die Kulturindustrie, über Basis und Überbau, über die deutsche Musiklandschaft und die politische Relevanz von Liedern über die Liebe. Immer wieder las ich diese brillant geschriebene Rezension, bis ich schließlich einige Wochen später den Weg zum CD-Verleih fand (Ja, zum CD-Verleih! Heute weiß keiner mehr, dass es so etwas einmal gegeben hat!) und mir „Weißes Papier“ besorgte. Seinerzeit waren die Elements noch ein absoluter Geheimtipp, und ich kannte niemanden in ganz Bremen, mit dem ich mich über sie hätte austauschen können. Das sollte sich auch erst ein Jahr später im zweiten Semester meines Studiums in Bielefeld ändern. Bis dahin war „Weißes Papier“, die ich mittlerweile auch als rares Vinyl besaß, natürlich längst zu einer meiner Lieblingsplatten geworden.

Nun sollte man ja eigentlich, wie es ein alter lateinischer Spruch so treffend sagt, zuerst leben und erst anschließend darüber philosophieren. Doch bei mir war es, wie bei vielen anderen eher in der Theorie als deren praktischer Umsetzung begabten Zeitgenossen, umgekehrt. War ich bis weit nach dem Abitur sozusagen noch ein „unbeschriebenes Blatt“ auf dem Feld der (praktizierten) Liebe gewesen, so weckte „Weißes Papier“ in mir die Sehnsucht nach einschlägigen Erfahrungen, die sich bald darauf auch auf dramatische Weise einstellen sollten… Eine bessere Vorbereitung auf diese bittersüßen und schmerzhaft-schönen Erschütterungen, die mich für mindestens vier Semester völlig aus der Bahn warfen (und mich schließlich schon nach vier weiteren Semestern in den sicheren Hafen der Ehe führen sollten), hätte ich mir nicht wünschen können. „Weißes Papier“ ist, wenn man so will, ein großes Konzeptalbum über Liebe und Vergänglichkeit. Mit jederzeit absturzgefährdetem Pathos werden in Regeners Texten, die am Ende aber traumwandlerisch alle Klippen des Schwulstes und Kitsches souverän umfahren, beinahe alle Facetten der damit verbundenen Leidenschaften verhandelt, von der zarten Anbahnung („Draußen hinterm Fenster“) über die Feier des beglückten Augenblicks („Alten Resten eine Chance“), den Krieg der Geschlechter („Mehr als sie erlaubt“), den existentiellen Kampf mit dem Nebenbuhler („Du hast die Wahl“) bis zur tieftraurigen Ernüchterung (im Titelstück „Weißes Papier“) sowie der finalen Resignation („Und du wartest“). Und wie das Motto dieser Platte insgesamt liest sich die Titelzeile jenes Stücks, das auf atemberaubende Weise eine Brücke zwischen See- und Liebeskrankheit schlägt: „Schwere See, mein Herz“. Lange Jahre konnte ich mir dieses Album gar nicht mehr anhören, weil ich es vor seelischen Schmerzen nicht ertragen hätte. So richtig erholt habe ich mich davon wohl bis heute nicht. Das Urteil lautet: sehr gut (17 Punkte).

Element of Crime
Weißes Papier
Polydor (Universal Music) 1993
ASIN: B000025NBYv