justament.de, 7.10.2024: EoC – jetzt auch im Kino
Recht cineastisch, Teil 46: “Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin” von Charly Hübner
Thomas Claer
Das fehlte natürlich noch im Œuvre der großartigen Band Element of Crime: ein Film über ihre Historie und Gegenwart mit ganz viel Musik, zahlreichen Interviews und jeder Menge Einspielungen aus den Archiven. Nun hat sich Charly Hübner an ein solches Werk gewagt – und man kann sagen, dass es ihm in vollem Umfang gelungen ist. Klar, es ist kein objektives Zeugnis daraus geworden, vielmehr ein Film von einem großen Fan dieser Band für unzählige andere große Fans, zu denen selbstredend auch der Rezensent gehört, keine Frage.
Einwenden ließe sich allenfalls, dass die Bandgeschichte seit 1985 zuvor bereits im ausgezeichneten Podcast “Narzissen und Kakteen” hinlänglich erzählt worden ist und einem daher manches, wovon nun berichtet wird, schon ziemlich bekannt vorkommt. Doch erstens hört man als wahrer Elementianer solcherlei auch gerne zweimal, und zweitens sorgen die bewegten Bilder dazu, insbesondere jene aus den frühen Jahren ausgegrabenen, noch für Erlebnisse ganz anderer Art. Kurzum, dieser Film ist ein Geschenk für jeden Interessenten. Und womöglich kommen durch ihn ja sogar noch neue hinzu.
Ergänzend zum Film ist übrigens auch dessen Soundtrack erschienen, der sich aus den Höhepunkten von fünf Berliner Konzerten in verschiedenen Locations der Stadt im Sommer 2023 zusammensetzt, die im Film gleichsam als roter Faden dienen, wodurch ganz nebenbei auch noch sehr viel Stadtgeschichte der letzten Jahrzehnte miterzählt wird. Demnächst werden wir uns dem besagten Soundtrack noch einmal gesondert in unserer Rubrik “Scheiben vor Gericht” widmen. Wer aber “Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin” im Kino sehen möchte, der sollte sich beeilen, denn der Film wird voraussichtlich nur noch für kurze Zeit gezeigt werden.
Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin
Deutschland 2024
94 Minuten; FSK: 0
Regie: Charly Hübner
Drehbuch: Charly Hübner
Darsteller: Element of Crime u.v.a.
justament.de, 16.10.2023: Er hat das Loch in der Welt geseh’n
Scheiben Spezial: Vor 25 Jahren erschien die zweite Platte von Fink
Thomas Claer
Dass Element of Crime einzigartig sind und es nichts Vergleichbares unter dem deutschen Musikhimmel gibt, weiß mittlerweile wohl jeder, der es wissen will. Doch ist das längst nicht immer so gewesen, denn es gab einmal, ungefähr von Mitte der Neunziger bis Mitte der Nullerjahre, eine Band aus Hamburg, die den Elements nicht nur in vielfacher Hinsicht das Wasser reichen konnte, sondern auch eine beachtliche stilistische Nähe zu ihnen aufwies. Kenner wissen das alles schon lange. Die Rede ist natürlich von Fink, der etwas schrägen Country-Combo des leider viel zu früh verstorbenen Texters, Sängers und Gitarristen Nils Koppruch (1965-2012). Eine Zeit lang waren Fink passenderweise sogar die Vorgruppe von EoC. Und dann spielte auch noch Sven Regener in mehreren Fink-Stücken Trompete.
Angefangen hatte es mit Fink-Veröffentlichungen 1997, als ihr Debütalbum “Vogelbeobachtung im Winter” erschien, das zwar schon durchaus bemerkenswert war, doch hatte die Band darauf ihren Stil noch nicht endgültig gefunden. Dies geschah dann erst ein Jahr später, 1998, vor 25 Jahren, auf dem Album “Loch in der Welt”, das damals, genau wie seine Interpreten, noch ein echter Geheimtipp war. Wunderbar lakonisch kamen diese Songs daher, voll poetischer Tiefe und schwärzester Romantik: “Werft mich in einen Fluss, und wenn ihr Pech habt, hab ich Glück/ Und komm mit einem Fisch im Maul zurück.” Sven Regeners obligatorischer Trompeten-Einsatz ertönt im vierten Stück der Platte mit dem programmatischen Titel “Als einer einmal nicht kam”. Eine wirklich sehr düstere Stimmung durchzieht beinahe das ganze Album: “Wir werden seh’n, ob das Warten sich lohnt/ Und irgendwann… und irgendwann bin ich tot.” Das mit der Frage, ob das Warten sich lohne, textete Nils Koppruch übrigens drei Jahre vor Regener, der es im Song “Es regnet” auf der EoC-Platte “Romantik” wieder aufgreift, allerdings ohne die buchstäblich tödliche Konsequenz seines Kollegen Koppruch.
Ja, das tragisch frühe Ende des so begabten Songwriters Nils Koppruch kam bei Lichte betrachtet keineswegs aus heiterem Himmel. Immer wieder, wohl mindestens einmal auf jeder Fink-Platte, kreisten seine Texte um Sterben und Tod. Und dass es auch auf fast jeder ihrer Platten ausgerechnet 13 Titel sein mussten, hat sich offenbar auch nicht gerade als Glücksbringer erwiesen… Noch zwei weitere zumindest punktuell sehr starke Alben folgten aufs überragende “Loch in der Welt” (1998), nämlich “Mondscheiner” (1999) und das selbstbetitelte rote Album “Fink” (2001). Dann hellte sich, wohl auch bedingt durch den zunehmenden Ruhm und Verkaufserfolge, die Stimmung auf den beiden darauffolgenden Platten zusehends auf, was denen aber nicht unbedingt gutgetan hat. Auch die Band schien mit “Haiku Ambulanz” (2003) und “Bam Bam Bam” (2005) nicht mehr richtig glücklich gewesen zu sein und löste sich schließlich auf. Es folgten noch zweieinhalb Soloalben von Nils Koppruch, und dann… und dann war er tot. Das Urteil für “Loch in der Welt” lautet: gut (14 Punkte).
Fink
Loch in der Welt
XXS Records/Indigo 1998
justament.de, 1.5.2023: Verlassen in Berlin
Element of Crime auf ihrem 15. Studio-Album “Morgens um vier”
Thomas Claer
Dass Element of Crime, die erklärten Lieblinge überwiegend großstädtischer Nachtmenschen, Melancholiker und Romantiker, sich zuletzt auf jeder neuen Platte noch etwas stärker als jeweils zuvor präsentierten, das konnte man so langsam fast schon beängstigend finden. Doch nun, im 39. Jahr ihrer Bandhistorie, ist dieser langjährige Trend gebrochen. Mit ihrem jüngst erschienenen neuen Album lassen sie, auf hohem Niveau zwar, aber doch unverkennbar, ein wenig nach. Aber auch wenn “Morgens um vier” nicht ganz mit dem Vorgänger “Schafe, Monster und Mäuse” von 2018 mithalten kann, so hält es für den geneigten Hörer doch genügend Höhenpunkte bereit, um ihm zumindest den diesjährigen bislang so nasskalten Frühling gebührend zu versüßen.
Überzeugen kann vor allem der Beginn. Das erkennbar in der Corona-Zeit entstandene “Unscharf mit Katze” ist ein mustergültiger EoC-Song erster Güte, der all das enthält, was diese Band so groß und bedeutsam gemacht hat: scheppernde Gitarrenriffs, wuchtige Trompeteneinschübe, Sven Regeners knarzig-angerauten Gesang und eine wie gewohnt ausgefeilte, hintersinnige Textdichtung. Doch gerade hier, bei den Texten, läuft es diesmal, wenn man das ganze Album betrachtet, weniger rund als zuletzt. Neben lyrischen Glanzleistungen (“Aus unsren Mündern kommen Schall und Rauch”) stehen mitunter wenig schlüssige Sprachbilder wie bereits im Eröffnungssong das von der unscharf aufgenommenen Katze und der Axt in den Händen, bei denen man sich in der Tat fragen muss, worauf sie hinauslaufen sollen. Dies gilt auch für manche Passage der anderen Songs, etwa den rätselhaften Refrain “Was mein ist, ist auch dein”. Nachvollziehbarer ist da schon das auf recht witzige Weise den Trivialautor Johannes Mario Simmel zitierende “Liebe ist nur ein Wort”. Sehr schön und stimmungsvoll geraten, sowohl textlich wie auch musikalisch, sind das Titel- und zugleich Schlussstück “Morgens um vier” sowie das gemeinsam mit dem Isolation-Berlin-Sänger Tobias Bamborschke eingesungene “Dann kommst du wieder”, das einen irgendwie an den mehr als dreißig Jahre alten “Weeping Song” von Nick Cave im Duett mit Blixa Bargeld erinnert.
Thematisch kreisen die Lieder auf bewährte Weise – und insofern dann doch ans Vorgängeralbum anknüpfend – auffällig oft um die Themenfelder liebeskrankes, verlassenes lyrisches Ich und Berlin, gerne auch beides miteinander verbindend wie in “Ohne Liebe geht es auch” und “Wieder Sonntag”, das endlich einmal der Flohmarktkultur unserer Hauptstadt ein verdientes Denkmal setzt. Was die Kompositionen auf dieser Platte angeht, so fallen zwar auch sie etwas hinter diejenigen auf den vorherigen Alben zurück, doch sind sie dabei nicht unbedingt schlechter als etwa auf “Immer da wo du bist bin ich nie” (2009) oder “Psycho” (1999). Kurzum, für die Liebhaber der Elements hat dieses Album, wenn es auch nicht gerade ihr bestes sein mag, durchaus eine Menge zu bieten. Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).
Element of Crime
Morgens um vier
Vertigo Berlin (Universal Music)
ASIN: B0BTNSM71K
justament.de, 6.9.2021: Das einzig umstrittene EoC-Album
Sentimentale Betrachtungen nach 27 1/2 Jahren
Thomas Claer
Von Element of Crime mag man entweder alles oder nichts. Darüber wenigstens herrscht wohl noch weitgehende Einigkeit. Nur über ihr siebtes Studio-Album mit dem klangvollen Titel „An einem Sonntag im April“ gehen die Meinungen, selbst unter eingefleischten EoC-Anhängern, bis heute erheblich auseinander…
Für mich jedenfalls war diese Platte, damals, im Frühjahr 1994, eine riesige Enttäuschung. Mit „Weißes Papier“ hatte es bei mir 1993 angefangen, dann besorgte ich mir das zwei Jahre zuvor erschienene „Damals hinterm Mond“ und war bereits zum ehrfürchtigen Bewunderer dieser Musik und insbesondere auch ihrer stets hintergründigen Texte geworden. Klar, so mit Anfang 20 ist man ja oftmals sehr begeisterungsfähig… Doch während ich noch damit beschäftigt war, mir das englischsprachige Frühwerk dieser Band zu erarbeiten und auch dabei Songperlen in großer Zahl entdeckte, ging bereits ihre dritte deutschsprachige Platte an den Start. Beim ersten Hören fiel ich dann aber leider aus allen Wolken. Schlagerhaft und seicht kamen die neuen Songs mir vor. Was hatte dieses saft- und kraftlose Zeug mit der Band zu tun, die ich so ins Herz geschlossen hatte?! Immerhin, die zweite Hälfte des Albums wurde dann etwas besser, und mit „Im vorigen Jahr“ war sogar noch ein richtig starker Titel dabei. Aber alles andere war für mich nur schwer zu ertragen. Umso irritierender allerdings war es für mich, dass die Platte in den seinerzeit noch sehr einflussreichen Musikzeitschriften durchweg hervorragende Kritiken bekam. War denn vielleicht mit mir etwas nicht in Ordnung?!
Im Laufe der Jahre wurde mein Urteil dann allerdings zunehmend milder. Auch wenn der „Sonntag im April“ bei weitem nicht mit den Vorgänger- und Nachfolgeralben der Elements mithalten konnte, so sah ich ihn doch immer mehr als interessanten Exkurs in stilistisch abgelegene Gebiete mit ganz eigenem Charme. Und das besagte „Im vorigen Jahr“ mit seinen unwiderstehlichen Streicher-Passagen und seiner wunderbar lakonischen Beschreibung einer behutsamen Annäherung in Zeitlupe wurde sogar zu einem meiner Allzeit-Favoriten aus dem Oeuvre der Band.
Doch nun das. In ihrem aktuellen Podcast „Narzissen und Kakteen“, das in 15 Folgen Gespräche der drei maßgeblichen Protagonisten über alle ihre Langspiel-Publikationen bis zu „Lieblingsfarben und Tiere“ enthält, distanzieren sich die Musiker nunmehr scharf von dieser (aber auch nur von dieser!) Platte: Ein Schnellschuss sei der „Sonntag im April“ gewesen, die Band sei damit auf Abwege geraten, eine einzige Verirrung sei diese Platte gewesen. Und nur weniger als eine Handvoll Höhepunkte auf dieser lassen sie gelten, darunter das grandiose Streicher-Arrangement von Orm Finnendahl in „Im vorigen Jahr“. So wie ein bekannter Regisseur einmal bekundet habe, manche Filme mache man nur wegen einer einzigen Szene, seien die Streicher im „Vorigen Jahr“ also gewissermaßen diese „Szene“ im Album, das man ansonsten weitgehend vergessen könne, auch wenn es ja durchaus seine Liebhaber gefunden habe, aber diese Musik sei nun einmal wirklich nicht das, was die Band eigentlich ausmache, und auch die Texte seien ziemlich schwach…
Insofern sei es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Band kaum jemals ein Lied von diesem Album live gespielt habe, nicht einmal „Im vorigen Jahr“, denn darin, so Sven Regener, sei ihm die Stimmlage zu tief, das könne er live einfach nicht singen. Was aber wirklich sehr schade ist! Und daher hier nun folgender Vorschlag: „Im vorigen Jahr“ wird noch einmal neu eingespielt (und später dann auch entsprechend live zum Besten gegeben), und zwar im stimmlichen Duett mit Stella Sommer von „Die Heiterkeit“, die alle tieferen Passagen übernimmt und deren Stimme mühelos bis in alle Tiefen hinabreichen dürfte. Und bei dieser Gelegenheit wird das bisher dreistrophige Lied, das sich textlich nacheinander – warum auch immer – lediglich dem Frühling, dem Sommer und dem Winter widmet, noch um eine längst überfällige vierte bzw. dann einzufügende neue dritte Strophe über die bislang zu Unrecht ausgesparte Jahreszeit Herbst ergänzt. Dafür hier ein Textvorschlag aus der Feder des Rezensenten zur freien Verwendung:
Bunte Blätter wuseln im Wind
Ein halbwegs Erwachsener stellt sich blind
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Ein altes Brett und ein Fliegerschein
Mehr brauchte es nicht, um dabei zu sein
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Wenn unsere Drachen sich zufällig trafen
Dann hast du gelächelt und ich war peinlich berührt
Denn täglich hab ich dich dort ausspioniert
Und du mich an der ganz langen Leine geführt
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Element of Crime
An einem Sonntag im April
Universal Music 1994
ASIN: B000026V8O
justament.de, 7.6.2021: Jazz geht’s los!
Drei Musiker von Element Of Crime haben ein Jazz-Album aufgenommen
Thomas Claer
Das Tolle an der Jazz-Musik ist, dass sie kaum zum Pathos tendiert und ebenso wenig zur Sentimentalität. Da ist z.B. die Klassische Musik doch weitaus gefährdeter, und Rock- und Popmusik sind es natürlich erst recht. Jazz dagegen ist eine Musik, die beinahe ohne Schwere auskommt, die aber in all ihrer Leichtigkeit dennoch nur selten ins Banale abrutscht, denn dazu ist sie viel zu cool und distanziert.
Kann man das so sagen? Keine Ahnung, denn ich verstehe nicht viel vom Jazz. Zumindest aber empfinde ich es so, wenn ich an einem viel zu kalten und dann auch noch verregneten Frühlingstag – also unter den, wie sich bald herausstellen wird, bestmöglichen Umständen für diese Musik – den Klängen von „Ask Me Now“ lausche, der Debüt-Platte des Trios Regener Pappik Busch, hinter dem sich ein Nebenprojekt der Band Element Of Crime verbirgt, das wiederum aus den drei wohlbekannten Musikern Sven Regener (Trompete), Richard Pappik (Drums) und Ekki Busch (Piano) besteht. Diese drei alten Kempen, alle um die sechzig, haben also ein Album mit Coverversionen berühmter Jazz-Klassiker aufgenommen. Alles ist rein instrumental, es gibt keinen Gesang. Stücke von den ganz Großen sind dabei, von Thelonius Monk und John Coltrane. Hingegen sucht man Dave Brubeck vergeblich, und die anderen auf der Platte kennt man schon gar nicht mehr.
Warum machen die Drei sowas überhaupt? Diese Frage drängt sich natürlich auf. Vielleicht weil sie in einem Alter sind, in dem sie gerne noch mal etwas Neues ausprobieren wollen. Zumal das Risiko gering ist, dass ihre treuen Fans diesen gewissermaßen exotischen Ausflug ihrer Lieblinge nicht goutieren werden. Kann sein, dass sie auch ihre über den überschaubaren EOC-Kosmos hinausreichenden – und ja auch in der Tat beachtlichen – musikalischen Fähigkeiten demonstrieren möchten. Womöglich ist es aber auch ein Akt der musikpädagogischen Fürsorge gegenüber ihrer Fangemeinde, denn ohne diesen Anstoß wäre zweifellos ein Großteil der Element-Anhänger niemals darauf gekommen, sich näher mit Jazzmusik zu befassen. Der Rezensent zumindest bestimmt nicht…
Was Jazz-Puristen dazu sagen würden, vermag ich also nicht zu beurteilen. Mir jedenfalls gefällt diese Platte. Und einen besonderen Nerv treffen dabei die melancholischen Stücke dieses Albums, allen voran „Don’t Explain“ von Arthur Herzog und Billie Holiday. Gerade weil einen die Traurigkeit hier nicht so brutal überfällt, sondern sich gewissermaßen ganz sachte von hinten anschleicht…
Regener Pappik Busch
Ask Me Now
Universal 2021
justament.de, 4.1.2021: Nostalgie ist ihre Strategie
Scheiben Spezial: Element Of Crime machen einen 17-teiligen Podcast über jede ihrer Platten
Thomas Claer
Das wirklich wahre Leben ist, wie jeder Proustianer weiß, das Schwelgen in den eigenen Erinnerungen. Das dachten sich offenbar auch unsere Lieblings-Helden von Element Of Crime und haben für sich selbst und alle ihre Fans gesprächsweise noch einmal die guten alten Zeiten wieder aufleben lassen. 17 Teile – für jede Platte einen – umfasst ihre neue und zugleich erste Podcast-Serie. Es funktioniert ganz einfach: Man muss nur auf den folgenden Link klicken:
und landet dann, ohne sich noch umständlich irgendwo anmelden zu müssen, direkt in diesen bedeutsamen Männer-Gesprächen. Tatsächlich sind es einfach nur Worte, nichts als Worte, die Sven Regener, Jakob Ilja und Richard Pappik hier zum Besten geben. Doch wie könnte es anders sein: Schon nach den ersten beiden Folgen fühlt man sich als alter EOC-Fan reichlich beschenkt. Die 39 Minuten über ihr Debüt “Basically Sad” (1986) und mehr noch die 1 Stunde und 22 Minuten über den Nachfolger “Try To Be Mensch” vergehen wie im Fluge. Die Entstehungsgeschichte beinahe jedes einzelnen Songs und wie sich die Band überhaupt zusammengefunden (und zwischenzeitlich auch immer wieder zerstritten) hat, die prekäre wirtschaftliche Lage der Musiker in den ersten Jahren… Will man das alles wirklich so genau wissen? Die klare und erschöpfende Antwort darauf lautet: ja! Und was dann selbstredend auch noch dazukommt: Vor dem inneren Auge des Hörers werden dabei auch jene entrückten Momente wieder lebendig, als man diese Musik seinerzeit selbst zum ersten Mal und später dann immer wieder gehört hat… Das Urteil lautet: Spitze!
justament.de, 27.1.2020: Verwirrt, träge und verliebt
Element of Crime live im Tempodrom
Thomas Claer
Die erst zweite Live-LP von Element of Crime in 35 Jahren Bandgeschichte ist im letzten Herbst erschienen. Nun endlich haben wir sie vollständig durchgehört und können sie ohne Bedenken mit dem Signum „empfehlenswert“ versehen. Nicht weniger als 25 Songs finden sich auf den zwei CDs respektive drei Vinylscheiben, und doch wird man als beständiger Fan dieser Band so manches Lied vermissen. Aber auch umgekehrt lässt sich sagen: Hätten sie 25 andere Stücke ausgewählt, so wäre vermutlich ein ähnlich gutes Album herausgekommen.
Ein Werk auf beinahe durchgängig höchstem Niveau haben EoC über die Jahre geschaffen, dabei ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt und diesen allmählich noch perfektioniert. Während andere Musiker in der Qualität und Originalität ihres Songwritings mit der Zeit naturgemäß nachlassen, sind die Elements, man traut es sich kaum zu sagen, vor allem in den letzten Jahren sogar immer besser geworden. So geht es auch vollkommen in Ordnung, dass gleich elf der 25 Tracks dieses Live-Albums von ihrer aktuellen (Studio-) Platte „Schafe, Monster und Mäuse“ stammen.
Dennoch lauscht man besonders gespannt ihren älteren Titeln, vor allem jenen, die sie schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gespielt haben. Und natürlich, auch Lieder unterliegen einer Art Alterung, selbst die Unsterblichen unter ihnen. Was für ein abgründiger Song ist doch „Wer ich wirklich bin“ aus dem Jahr 1996! Einst der Feder eines 34-Jährigen entflossen, berührt er nun aus dem Munde eines 58-Jährigen auf ganz neue Weise. Oder „Schwere See“ von 1993, ursprünglich ein Ausbund an jugendlicher Romantik, beschwört hier umfassend den Sog der maritimen Elemente und die magischen Momente nautischer Zweisamkeit. Und ganz besonders, immer wieder, entzückt „Weißes Papier“: „Nicht mal das Meer darf ich wiedersehn / Wo der Wind deine Haare vermisst. / Wo jede Welle ein Seufzer / Und jedes Sandkorn ein Blick von dir ist.“ Hat schon irgendwann jemand eindringlicher Vergleichbares ausgedrückt?
Am Ende dieses gelungenen Live-Spektakels stellt sich beim Zuhörer ein Gefühl der Beglückung ein. Da sitzt man dann also fest wie in einem ihrer berühmtesten Songs: „verwirrt, träge und verliebt“ – genau in dieser Reihenfolge! Das Urteil lautet: gut (14 Punkte).
Element of Crime
Live im Tempodrom (Doppel-CD/ 3 LP)
Vertigo Berlin (Universal Music) 2019
ASIN: B07X3QFY7B
justament.de, 2.9.2019: Und wieder im Oktober…
Live-Album von EoC erscheint am 10.10.2019
Thomas Claer
Auch in diesem Jahr können wir also in freudiger Erwartung dem Monat Oktober entgegenfiebern, denn wie schon im Vorjahr bringen unsere Lieblinge von Element of Crime in diesem Herbst abermals eine neue Platte heraus. Und das hat es wirklich seit 1990 nicht mehr gegeben: Es wird ein reguläres Live-Album sein und den Titel „Live im Tempodrom“ tragen. „Live im was?“, wird vielleicht der eine oder andere Ignorant nun fragen. Und hiermit sei ihm gesagt, dass das Tempodrom ein bekanntes und noch dazu traditionsreiches Berliner Veranstaltungszentrum ist, unter dessen Dach sich übrigens auch noch das beliebte Erholungsbad Liquidrom befindet, das unsereiner bislang aber leider ebenfalls nur vom Hörensagen kennt. Und treffenderweise heißt der erste Song von diesem Album, der sich bereits auf YouTube ansehen lässt: „Geh doch hin“.
Abgesehen von dem glänzenden Einfall, ausgerechnet einen Song mit diesem Titel als Appetitmacher für ein Live-Album auszuwählen, weist „Geh doch hin“, dieses grandiose Lied aus dem Jahr 1991 über die zwischenmenschliche Eifersucht, aber auch schon der ganzen Platte die Richtung. Denn wie sich der ebenso bereits feststehenden Titelliste entnehmen lässt, wird sie zahlreiche ältere Songs aus den Oeuvre der Elements enthalten, die schon seit Ewigkeiten nicht mehr in Konzerten von ihnen zu hören waren, so auch das wohl philosophischste aller EoC-Stücke: „Wer ich wirklich bin“ von 1996. Ansonsten stammen von den 25 Liedern, die sowohl auf einer Doppel-CD als auch wahlweise auf einer Dreifach-LP erhältlich sein werden, gleich zehn vom aktuellen Studio-Album „Schafe, Monster und Mäuse“, was angesichts der herausragenden Qualität dieser Platte auch völlig in Ordnung geht. Worauf jedenfalls ich mich aber am meisten freue, ist die neue Live-Version von „Schwere See, mein Herz“ aus dem Jahr 1993.
www.justament.de, 15.10.2018: Die elementare Berlin-Platte
Element Of Crime auf „Schafe, Monster und Mäuse“
Thomas Claer
Schon so manches Berlin-Album hat es in der Geschichte der Popmusik gegeben. „Berlin“ von Lou Reed ist vielleicht das berühmteste, von David Bowie gibt es aus den Siebzigern sogar eine „Berlin-Trilogie“. Nun haben also auch Element Of Crime ein solches Konzeptalbum herausgebracht, wenn auch – aus Gründen des für diese Band so typischen Understatements – ohne es entsprechend zu benennen. Doch verbirgt sich hinter dem harmlos klingenden „Schafe, Monster und Mäuse“ vor allem eine überschwängliche Hommage an unsere Hauptstadt: Zehn der zwölf Lieder auf dieser Platte enthalten mehr oder weniger eindeutige textliche Berlin-Bezüge; nur in „Immer noch Liebe in mir“ und „Stein, Schere, Papier“ fehlen solche.
Zwar haben vereinzelt auch schon frühere Songs der Elements explizit in Berlin gespielt, etwa „Jung und schön“ (1999) oder der U-Bahn-Song „Alle vier Minuten“ (2001), doch gleicht das neue Album nun beinahe einer musikalischen Stadtrundfahrt: Von der fröhlichen „Party am Schlesischen Tor“ (unter den Hochbahn-Gleisen!) geht es weiter zum „Prater in Prenzlauer Berg“. Das – wie so oft – liebesleidgequälte lyrische Ich geht bekümmert „den Kurfürstendamm entlang“, trauert still „Im Prinzenbad allein“ und sitzt nachts „in U-Bahn-Zügen, die nirgends halten und trotzdem nicht fahren“. „Der Wald vor deiner Haustür ist nur ein Friedrichshain“, “Auch im Halensee wohnt ein Meer“ und „eingeklemmt und blau“ fühlt man sich „Silvester am Brandenburger Tor“. Im Jahn-Sportpark wird gejoggt, hinterm KaDeWe hält ein LkW und im Grunewald ist Holzauktion. Schließlich liefert das auch von der musikalischen Umsetzung her sehr ansprechende „Nimm dir, was du willst“ eine Art universelle Gebrauchsanweisung für Berlin: „Karneval, FC Union, Ramadan und Hertha BSC“. Da ist für jeden was dabei, und jeder, wie er kann, „Aber nerv mich nicht!“.
Auch ansonsten lässt sich das Album, musikalisch wie textlich, als über weite Strecken sehr gelungen bezeichnen. Trotz einer Rekordlänge von mehr als 55 Minuten Spielzeit enthält es keinen einzigen missglückten Song. Regelrecht opulent ist diesmal die Instrumentierung geraten: Ausgefeilte Streicher- und Bläser-Arrangements kommen zum Einsatz und sorgen für viel Abwechslung im gewohnten Gitarre-Bass-Schlagzeug-Trompeten-Sound. Manche Lieder lassen slawische und/oder bretonische folkloristische Einflüsse erkennen, andere sind eher jazzig, manchmal swingt und groovt es. Als weibliche stimmliche Verstärkung macht Sven Regeners Tochter Alexandra insbesondere in „Karin, Karin“ eine gute Figur. In mehreren Songs werden, was schon recht gewagt ist, aber noch gerade so in Ordnung geht, gemischte Chöre aufgeboten. Fehlten früheren Veröffentlichungen dieser Band oftmals die Überraschungsmomente, haben wir sie diesmal in Hülle und Fülle.
Nur hier und dort gibt es punktuelle Schwächen. So kommt einem mancher Liedanfang schon arg bekannt vor (vor allem „Gewitter“ erinnert sehr an “Alles, was blieb“ von 1999; „Der erste Sonntag nach dem Weltuntergang“ ist weitgehend abgekupfert vom zweiten Track des fünf Jahre alten Soundtracks von „Haialarm am Müggelsee“; „Bevor ich dich traf“ hat frappierende Ähnlichkeit mit „Die letzte U-Bahn geht später“ von 2005), während „Immer noch Liebe in mir“, das treue EoC-Fans bereits von der zwei Jahre alten Vinyl-EP „Wenn der Wolf schläft“ kennen, mit seinem Rumtata-Rhythmus fast schon karnevalskompatibel ist. Doch reißt der jeweils ausgezeichnete Text am Ende stets alles wieder raus: „Gewitter“ vermittelt düstere Endzeit-Visionen („Und ein heißer Wind verweht, die Jahre, die ihr kennt“), und „Immer noch Liebe in mir“ knüpft inhaltlich an das seinerseits schon recht delikate „Alten Resten eine Chance“ von 1993 an. Auch im sehr melancholischen Titelstück (und diese Platte enthält selbst für EoC-Verhältnisse besonders viele melancholische Stücke) und im etwas kinderliedhaften „Karin, Karin“ verhindert nicht zuletzt die kraftvolle Songlyrik ein Abgleiten ins Sentimentale. Überhaupt werden Sven Regeners Songtexte im Laufe der Jahre wirklich immer, immer besser. Im bewährten dialektischen Drei-Strophen-Muster zumeist auf eine verblüffende oder versöhnliche Schlusspointe zusteuernd, erweist er sich als ungekrönter König des Binnenreims. Insbesondere für das äußerst hintergründige „Stein, Schere, Papier“ sollte man ihm auf der Stelle einen Lyrikpreis verleihen; wobei dieses Lied auch musikalisch zu den stärksten des Albums gehört. Ähnliches lässt sich über „Karin, Karin“ sagen, das im Refrain ganz nebenbei einen alten DDR-Propaganda-Song persifliert. Und dann „Ein Brot und eine Tüte“ – der Song über die Berliner Schimpfkultur…
Kurz gesagt: Diese Platte kann einen über eine Menge hinwegtrösten, besonders „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“. Das Urteil lautet: gut (14 Punkte).
Element Of Crime
Schafe, Monster und Mäuse
Vertigo Berlin (Universal Music)
ASIN: B07G1XK97T






