Author Archive: thomyc

justament.de, 23.1.2023: Beim Barte der Kassandren

Vor einem Jahr erschien “Nie wieder Krieg” von Tocotronic. Eine verspätete Rezension

Thomas Claer

Als im Januar 2022 die Band Tocotronic ihr 13. Studio-Album “Nie wieder Krieg” herausbrachte, da dachte man: Was soll denn das jetzt? Warum bloß ein so pathetischer und völlig aus der Zeit gefallener Titel?! Sind wir jetzt in den Achtzigern, oder was? Als ob irgendwo ein Krieg vor der Tür stünde… Na gut, es gibt natürlich schon eine Menge Kriege in der Welt, aber doch nicht hier bei uns, mitten in Europa…

Kurz darauf wurde man bekanntlich durch Putins Überfall auf die Ukraine aus allen Wolken gerissen und musste bei Tocotronic Abbitte leisten. Sie hatten es vielleicht nicht gerade kommen sehen, aber doch irgendwie… Wenn es nicht so despektierlich klänge, könnte man fast sagen: den richtigen Riecher gehabt. Kunstwerke sind ja, wie es so schön heißt, oftmals klüger als die Künstler, die sie in die Welt gesetzt haben. Und nicht nur der Titel- und zugleich Eröffnungssong trifft textlich den Nagel auf den Kopf (“Keine Verhetzung mehr!”), auch der darauffolgende Track “Komm mit in meine freie Welt” wirkt seltsam prophetisch, ebenso wie das Lied danach “Jugend ohne Gott gegen Faschismus”. Und es geht ja noch weiter mit Songtiteln wie “Ich gehe unter”, “Ich hasse es hier”, “Ein Monster kam am Morgen” und “Crash”. Noch mehr Zeitgeist auf einer Platte als hier lässt sich kaum vorstellen!

Soweit zur inhaltlichen Seite von Tocotronics aktuellem Album. Aber ist es denn auch künstlerisch gelungen? Nun, zumindest über weite Strecken. Musikalisch eher schwach geraten sind eigentlich nur der besagte Titelsong sowie die beiden letzten Stücke “Hoffnung” und “Liebe”. Der Rest ist ziemlich überzeugend, allen voran “Ich tauche auf”, das gesangliche Duett von Bandleader Dirk von Lowtzow mit Soap & Skin, worunter sich eine 33-jährige recht anmutige österreichische Sängerin verbirgt. Die beiden liefern hier den vielleicht schönsten und ergreifendsten Paargesang in der Popmusik seit Nick Cave und PJ Harvey ab. Andere würden vielleicht sagen: seit Nick Cave und Kylie Minogue… Und dies gilt ausdrücklich auch für das begleitende Musikvideo!

Es gibt aber auch noch weitere starke Titel auf “Nie wieder Krieg”, die interessanterweise auf jeweils unterschiedliche Schaffensphasen der einstigen Hamburger-Schule-Band verweisen. “Ich gehe unter” und “Leicht lädiert” klingen wirklich sehr nach ihrem Frühwerk, besonders letzteres in seiner ungelenken Fremdwörter radebrechenden Textdichtung. Ganz toll! “Crash” hingegen mit seinem Smiths-Gitarrenspiel erinnert deutlich an ihre entsprechend ausgerichtete Phase in den mittleren bis späten Nullerjahren mit dem Album “Kapitulation”. Vielleicht sind dies ja in Wirklichkeit auch Lieder von damals, die es seinerzeit nur nicht aufs jeweilige Album geschafft haben. Aber was macht das schon? Überaus raffiniert ist auch der Text von “Nachtflug”. Zuerst vermutet man darin eine üble Klima-Sauerei mitsamt Anwohner-Belästigung, bis sich allmählich herausstellt, dass das lyrische Ich wohl nur rein metaphorisch durchs Berliner Nachtleben fliegt…

Alles in allem also mal wieder eine reife Leistung der Tocos. Das Urteil lautet: gut (13 Punkte).

Tocotronic
Nie wieder Krieg
Vertigo Berlin 2022

justament.de, 16.1.2023: Und schuld daran war nur die SPD

Klassenkampf am Abendbrotstisch: Vor 50 Jahren hatte die Serie “Ein Herz und eine Seele” TV-Premiere 

Thomas Claer 

Vor ein paar Jahren fragte mich meine türkische Nachhilfeschülerin, was eigentlich meine Lieblingsserie sei. Meine Antwort war, dass ich mich damit nicht auskenne und gar keine Serien gucke. Aber meine Schülerin insistierte: “Wie, Sie gucken keine Serien?! Jeder guckt Serien!!” Und dann fiel mir ein, dass ich ja eigentlich doch eine Lieblingsserie habe. Die ist nur mittlerweile 50 Jahre alt und für die heutige junge Generation begreiflicherweise nicht besonders relevant. Doch zählt “Ein Herz und eine Serie” aus der Feder von Wolfgang Menge bis heute unbestritten zu den absoluten Sternstunden deutscher TV-Unterhaltung.

Natürlich war das damals Zeitgeist pur: Die Jahre nach 1968. In den (westdeutschen) Familien, am kleinbürgerlichen Abendbrotstisch prallten nicht selten sehr entgegengesetzte Weltsichten aufeinander. Und besonders schön ließ sich das illustrieren, wenn zwei Paare, die zugleich stellvertretend für ihre Generationen standen (damals hatte dieser notorisch unscharfe Begriff noch seine Berechtigung durch unabweisbare Evidenz ) unter demselben Dach wohnten, genauer gesagt in einem Reihenhaus im Ruhrgebiet: der Büroangestellte Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert) und seine etwas einfältige Gattin Else (Elisabeth Wiedemann), deren Tochter Rita (Hildegard Krekel) und der aufmüpfige Schwiegersohn Michi (Diether Krebs). “Ekel” Alfred verkörperte dabei den nur mühsam an die bundesrepublikanischen Verhältnisse angepassten altdeutschen autoritären Obrigkeitsgeist, konservativ und deutschnational bis auf die Knochen. Schwiegersohn Michi hingegen, Willy Brandt-Anhänger und SPD-Mitglied, stand gewissermaßen für die neue Zeit.

Wer heute eine Spaltung der Gesellschaft beklagt, der sollte sich einmal diese Sitcom-Serie der ersten Stunde zu Gemüte führen. Mit welch schweren Geschützen damals verbal aufeinander gefeuert wurde… Es war aber auch unglaublich witzig, besonders wenn “Ekel” Alfred loslegte und seinem Schwiegersohn die Leviten las: “Ihr habt doch sogar extra eine Partei gegründet, um den anständigen Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen!”, befand er hinsichtlich der auch damals gerade heftig grassierenden Inflation, für die er natürlich “die Sozis” verantwortlich machte. Getreu nach der seinerzeit auch von Rudi Carrell besungenen Maxime: “Schuld daran ist nur die SPD”.

Seine eher nicht so kluge Ehefrau Else bemerkte aber immerhin sofort, wenn ihr Mann einmal ausnahmsweise einen SPD-Politiker lobte, nämlich den schneidigen früheren Wehrmachts-Offizier Helmut Schmidt, und am damaligen Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) herummäkelte. Wofür sich Alfred dann mit den Worten rechtfertigte: “Dis is Dialektik, dis verstehst du nich, du dusselige Kuh.” Und hinsichtlich seiner Nachbarin Frau Suhrbier befand er: “Ist Hausbesitzerin und wählt SPD. Die fällt ihrer eigenen Klasse in den Rücken.”

Eigentlich sollten doch, so denkt man sich, auch die heutigen bewegten Zeiten reichlich Stoff für eine lustige politische Familienserie ähnlicher Art liefern, aber bisher ist, zumindest nach meiner Kenntnis, noch nichts Vergleichbares entstanden. Warum eigentlich nicht?

justament.de, 9.1.2023: Ein Kind der Sesamstraße

Justament-Autor Thomas Claer gratuliert zum 50. Geburtstag ihrer deutschen Version 

Wodurch ist ein DDR-Kind in den Siebzigerjahren am nachhaltigsten beeinflusst worden? Das mag bei jedem anders gewesen sein. Für mich jedenfalls kann ich voll Dankbarkeit sagen: nicht nur durch die nach heutigen Maßstäben ziemlich autoritäre Erziehung in Elternhaus und staatlichen Einrichtungen, wo es immer nur hieß “Du sollst…”, “Du musst… oder “Du darfst nicht…”, sondern mindestens ebenso durch die tägliche “Sesamstraße” aus dem Westfernsehen, deren Motto etwa im grandiosen “Egal-Song” lautete: “Es ist egal, du bist, wie du bist.” Man könnte das auch übersetzen mit “Die Würde des Kindes ist unantastbar.”

Tatsächlich jeden Tag eine halbe Stunde lang lief in meiner Kindheit die Sesamstraße, außer donnerstags, da kam die ähnlich gute “Sendung mit der “Maus”. Und dieser fröhlich-bunte Spaß mit Puppen und Monstern und lustigen Liedern war ein ziemlicher Kontrast zum Kinderfernsehen Ost, das schon rein quantitativ nicht mit seinem westlichen Pendent mithalten konnte. Nun hatte das DDR-Programm für den Nachwuchs zweifellos auch seine Vorzüge, doch spielte es sich bezeichnenderweise zumeist in einer Parallelwelt zum Alltagsleben ab – im “Märchenwald”, und der lag wiederum im “Märchenland”. Anders die ganz überwiegend im damaligen “Hier und Jetzt” angesiedelte Sesamstraße. Ironischerweise waren nämlich in der Zeit nach 1968 die westlichen Kindersendungen oftmals politischer als die östlichen. Bürgte unter den ideologisch strengen DDR-Verhältnissen vor allem der unpolitische Charakter des Kinderprogramms für dessen Qualität, war es im freien Westen genau andersherum. In der “Sesamstraße” wehte ein neuer frischer Wind, der nicht zuletzt auch die überkommenen deutschen Erziehungskonzepte infrage stellte. Man muss betonen, dass es zu jener Zeit noch gang und gäbe war, im Osten wie im Westen, zu sagen: “Eine ordentliche Tracht Prügel hat noch keinem Kind geschadet.” Und dass Kinder grundsätzlich den Mund zu halten hatten, das ist wohl noch bis zum Ende der DDR so geblieben.

Für mich jedenfalls war das westliche Reformpädagogik-Fernsehen ganz großartig. Zumal die Macher der deutschen “Sesamstraße” gewissermaßen auch der ersten Generation dieser besagten Erziehung im neuen Geiste angehörten. Alles wirkte so frisch und unbekümmert, so experimentell und improvisiert. Und wie liebte ich die Puppen und Darsteller, besonders eine ganze Reihe von Nebenfiguren. Vor Graf Zahl, das muss ich zugeben, hatte ich in jüngeren Jahren noch richtig Angst, aber natürlich war es ein wohliges Gruseln. Umwerfend komisch war z.B. Don Schnulze, der genialische Sänger und Pianist, der immer wieder verzweifelt mit dem Kopf auf die Tasten schlug, wenn ihm zu seinen Kompositionen die passende Textzeile nicht einfallen wollte. Nicht minder witzig war Schlemihl, der zwielichtige Geschäftsmann, der die Verlautbarungen seines Gegenübers vorzugsweise mit einem “Psssst, genau!” kommentierte. Oder Herbert Leichtfuß, der freundliche Erfinder, der immer geduldig seine neuesten technischen Werke erklärte und sich nicht einmal durch unkontrollierte Aktionen des Krümelmonsters aus dem Konzept bringen ließ. Auch Sherlock Humbug, der sich am Ende seiner Ermittlungen meistens selbst als Übeltäter überführte, sich für diese Erkenntnisse aber anschließend noch von seinen jeweiligen Auftraggebern bezahlen ließ, war eine großartige Figur. Und dann natürlich Ernie und Bert, die beiden grundverschiedenen alterslosen Freunde eindeutig männlichen Geschlechts, die ohne Eltern oder sonstige Erzieher in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebten und sogar das Bett miteinander teilten. Kein Wunder, dass sie Jahrzehnte später zu Ikonen der Schwulenbewegung avancierten…

Was für ein Vergnügen es mir heute bereitet, mich durch die alten Sesamstraßen-Filmchen auf YouTube zu klicken! Sieht man sich dagegen mal eine heutige Sesamstraßen-Folge an, dann ist das eine fast schon schmerzhafte Erfahrung. Die neuen Puppen sind längst nicht mehr so gut wie die alten! Und die Puppen, die es früher schon gab, haben jetzt alle andere Stimmen, die überhaupt nicht zu ihnen passen. Auch inhaltlich ist das alles gar nicht mehr mit früher zu vergleichen. Nein, die Sesamstraße war früher wirklich um Längen besser! Die armen heutigen Kinder! Aber es ist ja schließlich auch kein Wunder, dass sich sowohl die Sesamstraße als auch man selbst in fünf Jahrzehnten ein wenig verändert haben. Alles Gute zum Jubiläum!

Jahresende 2022: Ahnenforschung Claer, Teil 14

In diesem Jahr bleibt mein “Forschungsbericht” zwar von seinem Umfang her hinter denen der letzten Jahre zurück. Was aber viel wichtiger ist: Inhaltlich ist uns erfreulicherweise ein großer Schritt nach vorne gelungen! Würden sich nicht militärische Metaphern in diesen Zeiten verbieten, könnte man mit Fug und Recht von einem Volltreffer sprechen… Und hinzu kommen weiter hinten sogar noch weitere spektakuläre Entdeckungen von einem anderen Forschenden.

1. Die Claers in Bieberswalde 

“Es gibt so viele Puzzleteile”, hatte mir vor einigen Jahren mein Vetter vierten Grades Manfred Claer geschrieben, “und nur bei uns passen sie zusammen.” Diese Aussage bezog sich auf die Entdeckung, dass sein Ururgroßvater August Hermann Claer (1833-????) und mein Ururgroßvater Franz Claer (1841-1906) Brüder waren. Nun passen wieder zwei Puzzleteile zusammen: ein schon vor zwei Jahrzehnten und ein erst vor einigen Monaten gefundenes.

a) Zufallsfund 1: Ein Familiengrab auf dem Friedhof 

Vor mehr als zwanzig Jahren besuchte meine Tante dritten Grades Lorelies Claer-Fischer gemeinsam mit einer Freundin das frühere Ostpreußen, beide auf der Suche nach Spuren ihrer Vorfahren. Auf dem Friedhof von Bieberswalde, das seit 1945 den polnischen Namen Liwa trägt, wurde zwar nicht die an diesem Ort etwas suchende Freundin fündig, dafür aber ganz unerwartet Tante Lorelies, die dort auf eine Steintafel mit der Aufschrift “Ruhestätte der Familie Claer” stieß, siehe Foto.

Über ihre anschließende Recherche berichtete mir Tante Lorelies wie folgt:

“Ich war seinerzeit, das war 2004, bei den Mormonen und habe dort nur Kirchenbücher durchgesehen, bis Mitte 1700 sogar, die jedoch sehr unordentlich geschrieben waren, so dass ich kaum etwas entziffern konnte. Verlaufene Tinte, Sütterlin. Ich weiß nicht mehr, mit welchem Jahrgang ich anfangen konnte.”

Die Suche blieb also vorerst ergebnislos. Die Claers in Bieberswalde waren damals – und blieben auch noch später – nicht zuzuordnen.

b) Wie kam Franz Claer (1841-1906) von Eichenberg nach Usdau? 

In meinem letzten Forschungsbericht vor einem Jahr widmete sich ein Kapitel dem Wirken meines besagten Ururgroßvaters Franz Claer (dem Urgroßvater von Tante Lorelies) als Postangestellter in Usdau. Und ich warf die Frage auf:

“Aber wie ist Franz, der als jüngster Sohn meines Urururgroßvaters, des Jägers Friedrich Claer (1799-18??) in Eichenberg/Drusken, Amt Wehlau (gelegen einige Kilometer östlich von Königsberg) geboren wurde, ins relativ weit entfernte Usdau gekommen bzw. wie konnte er meine dort lebende Ururgroßmutter Henriette überhaupt kennenlernen? Laut Google Maps beträgt die Entfernung zwischen dem heute russischen Snamensk (dem früheren Wehlau) und Uzdowo (Usdau) mindestens 224 Kilometer, was einer heutigen Fahrzeit mit dem Auto von mehr als drei Stunden entspricht.”

Sodann spekulierte ich auf berufsbedingte Gründe:

“Bevor Franz Claer sich also mit Anfang dreißig in Usdau niedergelassen und als Landbriefträger verdingt hat, seine Frau Henriette geheiratet und mit ihr seine ersten beiden Söhne Otto und Georg bekommen hat (denen später noch der dritte Sohn Richard sowie die Töchter Amelia/Armanda, Martha und Hedwig folgen sollten), war er als Postschaffner tätig und ist als solcher vermutlich viel herumgereist.”

Doch nun lässt ein weiterer Fund alles in neuem Licht erscheinen.

c) Zufallsfund 2: Friedrich Claers Versetzung nach Bieberswalde 

Vor einigen Monaten fand ich, als ich bei Google “Clair Bieberswalde” eingab, im mittlerweile digitalisierten und online verfügbaren Namens- und Ortsregister des Amtsblatts der Königl. Regierung zu Königsberg für das Jahr 1855” den Eintrag: “Clär s. Förster in Bieberswalde S.26”

Und auf S.26 dann die Notiz: “Der Förster Clair ist von der Försterei Lebkoyen, Oberförsterei Drusken, nach der Försterei Bieberswalde, Oberförsterei Gauleben, versetzt worden.”

So war das also! Mein Urururgroßvater Friedrich Clair/Clär/Claer (1799-18??) war demnach 1855, im Alter von 56 Jahren, ein weiteres Mal auf eine andere Försterstelle versetzt worden, und zwar von Eichenberg/Drusken, Kreis Wehlau, nach Bieberswalde. Seine laut Hochzeitsurkunde vier Jahre jüngere Frau Justine Claer, geb. Knaebe/Knebe/Knebel, die er 1824 in Corjeiten geheiratet hatte (und deren Todesjahr wir ebenfalls nicht kennen), war sicherlich ebenso mit dabei wie zumindest sein mutmaßlich jüngster Sohn Franz, damals 13- oder 14-jährig, mein Ururgroßvater.

Die Entfernung vom Kreis Wehlau, dem heute russischen Snamensk, nach Bieberswalde, dem heute polnischen Liwa, beträgt laut Google Maps immerhin 188 Kilometer.

Dieser Ortswechsel macht auch plausibler, wie mein Ururgroßvater Franz nach Usdau kommen konnte, denn von Bieberswalde (Liwa) bis nach Usdau (Uzdowo) sind es nach Google Maps gerade einmal 56,8 km.

Bei einer weiteren Google-Recherche stieß ich sogar noch auf ein Foto vom alten Forsthaus in Bieberswalde. Ob hier tatsächlich die Försterfamilie Claer gewohnt hat?! 

d) Urkunden aus Biberswalde digitalisiert im Netz 

Wie ich bereits vor einem Jahr in meinem vorigen Bericht geschildert habe, gibt es seit 1874, infolge der deutschen Reichsgründung drei Jahre zuvor, in ganz Deutschland einheitliche Standesämter mit Urkundsstellen, die durch Ausstellung von Geburts-, Sterbe- und Heiratsurkunden die zuvor maßgeblichen Kirchenbücher abgelöst haben. Verbunden war dies auch mit einer seitdem in der Regel einheitlichen Namensschreibweise, was bis dahin oftmals von Ort zu Ort recht unterschiedlich gehandhabt worden war. Und glücklicherweise sind diese standesamtlichen Urkunden von Bieberswalde ab 1874 neben vielen weiteren Dokumenten aus dem Kreis Allenstein (seit 1945 Olsztyn) mittlerweile vollständig digitalisiert im Netz verfügbar unter

https://olsztyn.ap.gov.pl/baza/wynik.php

Nur leider gibt es dort kein Namenregister und keine Suchfunktion, so dass man als Interessent in mühsamer Kleinarbeit Urkunde für Urkunde durchzusehen hat. Hinzu kommt, dass Friedrich und Justine im Jahr 1874, sofern sie noch gelebt haben, schon 75 und 71 Jahre alt hätten sein müssen, was in den damaligen, von früher Sterblichkeit geprägten Zeiten schon eine sportliche Annahme wäre. (Und mit jedem Jahr, das man sich in den Urkunden chronologisch nach vorne arbeitet, sinkt die Wahrscheinlichkeit, noch auf ihre Sterbeeinträge zu stoßen.) Doch zumindest hat Tante Lorelies sie in den Kirchenbüchern vor 1874 nicht gefunden. Und die “modernere” Namensschreibweise Claer auf der Steintafel des Familiengrabs (verglichen mit Clair und Clär in den Einträgen von 1855, siehe oben) deutet auch auf eine eher spätere Errichtung der Familienruhestätte. Hinzu kommt, dass es, sofern die Einrichtung eines Familiengrabes einen Sinn gehabt hat, auch noch weitere Familienangehörige gegeben haben muss, die auf dem Bieberswalder Friedhof neben Friedrich und Justine bestattet wurden. Und dass die Tafel mit der Aufschrift zumindest vor 20 Jahren noch erkennbar und vorhanden war könnte ebenfalls für deren eher späteres Entstehungsdatum, also nach 1874, sprechen.

Allein, meine bisherige Suche in den Urkunden ab 1874 verlief leider ergebnislos. Bislang konnte ich nur die Sterbeurkunden von 1874 bis 1882 und die Heiratsurkunden von 1874 bis 1877 komplett durchsehen, leider ohne Treffer. Es ist daher wohl zu vermuten, dass Friedrich und Justine doch bereits vor 1874 verstorben sind, was eine erneute Recherche in den Bieberswalder Kirchenbüchern von 1855 bis 1873 nahelegen würde. Dennoch werde ich im kommenden Jahr zunächst weiter die standesamtlichen Urkunden durchsehen in der Hoffnung, darin vielleicht doch noch auf weitere Familienangehörige zu stoßen…

e) Die kinderreiche Jägerfamilie Claer 

Die Frage ist nur, wer das sein könnte. Friedrich Clairs Vater Friedrich Wilhelm war bereits 1815 in Ludwigswalde (?) gestorben. Friedrichs mutmaßlicher Onkel Johann Friedrich Clair und Friedrichs jüngerer Bruder Johann Wilhelm Clair drängen sich als etwaige Mitbewohner in Bieberswalde nicht so recht auf. Da kommen schon eher die zahlreichen Kinder von Friedrich und Justine in Betracht. Hier noch einmal eine Auflistung jener, von denen wir wissen:

Kinder von Friedrich (1799-18??) und Justine Clair/Claer, geb. Knaebe/Knebel (ca. 1803-18??)  

– 1824 Wilhelm Friedrich (23. Oktober) in Corjeiten – verstorben 15.6.1889 in Rahnkalwen/Dittlaken 

– 1826 Heinrich Julius (17. Dezember) in Juditten  

– 1828 Amalia Dorothea (??. November) in Juditten 

– 1830 Albert Eduard (14. November) in Juditten 

– 1833 Herrmann August (8. Januar) in Juditten 

– 1835 Justina Wilhelmine (??. Februar) in Juditten 

– 1837 Auguste Ernestine (11. März) in Juditten 

– 1839 Otto Conrad (14. April) in Juditten 

– 1841 Franz Claer (27. September) in Eichenberg/Drusken, Kr. Wehlau – verstorben 16.10.1906 in Neidenburg 

In einem meiner früheren Berichte schrieb ich hierzu:

„An dieser Stelle ist ergänzend auf die handschriftlichen Aufzeichnungen meines Großvaters Gerhard Claer hinzuweisen, wonach im Kirchenregister der ev. Kirche Judithen bei Neidenburg, Jahrgang 1828, Seite 451 Nr. 61 einige Male Clair mit „ai“ erscheint, nämlich: „Heinrich Clair, Förster; Otto C., Gendarm u.s.w., Franz u.s.w. Postbeamter// Geschwister Amelie (?) geb. Clair“. Er geht offenbar von einer Verwandtschaft aus und wertet die dem Französischen näher stehende Schreibweise als Indiz für die ursprünglich französische Herkunft der Familie… Die vollständige Notiz meines Opas Gerhard enthielt außerdem noch den Zusatz: 9 Knaben, 3 Mädchen. Sollte dies die Anzahl der Kinder von Friedrich Claer und Justine Knaebe sein?”

Wenn das mit den neun Knaben und drei Mädchen stimmte, dann gäbe es noch drei weitere Brüder. Wann könnten die zur Welt gekommen sein, wenn nicht erst nach 1841? In diesem Fall wäre mein Urururgroßvater Franz entgegen meiner bisherigen Annahme also gar nicht der jüngste Sohn seiner Eltern gewesen. Bei weiterer Einhaltung eines jeweils zweijährigen Abstands zwischen den Geburten, siehe oben, kämen als Geburtsjahre folglich 1843, 1845 und 1847 in Betracht (jeweils in Eichenberg/Drusken). Dann hätte meine Urururgroßmutter Justine bei deren Geburten aber schon 40, 42 und 44 Jahre alt gewesen sein müssen. Aus heutiger Sicht gut vorstellbar, nach damaligen Maßstäben vielleicht ambitioniert. Aber warum nicht? Diese eventuellen jüngeren Brüder (nach deren Geburtseinträgen man in den Kirchenbüchern von Drusken bzw. dem Kreis Wehlau noch recherchieren könnte) wären zur Zeit des Ortswechsels der Familie nach Bieberswalde im Jahr 1855 demnach 11/12, 9/10 und 7/8 Jahre alt gewesen und könnten, wie möglicherweise auch das eine oder andere ältere Geschwister, siehe oben, auch nach dem Tod der Eltern in Bieberswalde geblieben sein, was die Einrichtung eines Familiengrabes dort nachvollziehbar erscheinen ließe.

Allerdings könnte es auch ganz anders gewesen sein. Da im Amtsblatt der Königl. Regierung für den Förster Clair kein Vorname angegeben ist, wäre es auch denkbar, dass gar nicht Friedrich die Försterstelle in Bieberswalde angetreten hat, zumal dieser bereits bei seiner Berufung nach Drusken 1840 im Amtsblatt als “invalider Jäger” bezeichnet worden war. Womöglich hatte mittlerweile auch einer seiner Söhne eine weitere Försterstelle in Drusken angetreten und war dann nach Bierberswalde versetzt worden. Laut Aufzeichnung meines Großvaters Gerhard, siehe oben, war ja – neben dem Erstgeborenen Friedrich Wilhelm, über dessen späteren Werdegang wir relativ gut Bescheid wissen – zumindest auch der zweitälteste Sohn Heinrich Clair, geb. 1826, wie sein Vater und Großvater Jäger geworden.

Doch könnte darüber nur ein Fund in den weiteren Urkunden in Bieberswalde Aufschluss geben, die ich also – wie bereits erwähnt – weiter untersuchen werde.

f) Das Familiengrab im 19. Jahrhundert

Doch wie war das überhaupt mit Familiengräbern zu jener Zeit? Seit wann gab es so etwas und welche Bedeutung und Funktion kam diesen zu? Hierzu fand ich im Netz einen sehr erhellenden fachhistorischen Aufsatz (Archiv für Sozialgeschichte 55, 2015, S. 19 ff.: Anna-Maria Götz – Zwischen Status, Prestige und Distinktion. Das bürgerliche Familiengrab und der Wandel des Bestattungswesens im 19. Jahrhundert), aus dem ich im Folgenden die wichtigsten Passagen zitiere:  

“Das 19. Jahrhundert ist in der Sozialgeschichte auch als das bürgerliche Zeitalter bekannt und eben dieses Bürgertum differenzierte sich in seinen ideellen Vorstellungen sowie im sozialen Habitus bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert immer weiter aus. Was in den Jahrzehnten nach der Französischen Revolution und der Aufklärung als egalitär proklamiert wurde, offenbarte sich im Alltagsleben nicht selten auf elitäre Weise. Diesen Paradigmenwechsel finden wir auf den Friedhöfen der Jahrhundertwende mit einer weiten Bandbreite an bürgerlichen Grabanlagen mit monumentalem Grabschmuck, mehrdeutigen Bildschöpfungen und kostspieligen Materialen. Hier lässt sich im Sinne Pierre Bourdieus ein vielschichtiges Geflecht der sogenannten feinen Unterschiede erahnen, das es im Folgenden näher zu untersuchen gilt.” (S.19) 

Die Verfasserin betont das

“Phänomen, das historische Friedhöfe als Accessoirelandschaften des bürgerlichen Habitus erscheinen lässt. Erst ab dem 19. Jahrhundert bot sich mit der Einrichtung kommunaler Zentralfriedhöfe ausreichend Platz, um die früheren Massen- und Schichtgräber durch individuelle Einzelgräber abzulösen. Die Professionalisierung des Bestattungswesens im späten 19. Jahrhundert sowie das Aufkommen von Gewerbezweigen rund um Beisetzung, Verabschiedung und Grabgestaltung lassen vermuten, dass die Bestattungs- und Grabmalkultur zu diesem Zeitpunkt immer weiter ausdifferenziert wurde. Insbesondere die monumentalen, dauerhaft angelegten Gräber bürgerlicher Familien veranschaulichen facettenreich, dass sich das Andenken um die Verstorbenen auf repräsentative und äußerst individuelle Weise in Szene setzen ließ.” (S.19)

Und weiter heißt es, dass

“Friedhöfe eine überregionale Reputation hatten. All diese Aspekte lassen vermuten, dass hier im Laufe des 19. Jahrhunderts Bedingungen gegeben waren, unter denen sich bürgerliche Kreise gegenüber anderen sozialen Gruppen zu behaupten versuchten und ein spezifisch bürgerliches Bestattungswesen und Andenken kultivierten.” (S.21) 

“Neben Lage und Größte konnten auch Materialien Mittel zu sozialer Statusbekundung und schichtspezifischer Abgrenzung sein. An die physische Beschaffenheit und den materiellen, ökonomischen Wert bestimmter Werkstoffe war eine soziokulturelle Codierung gekoppelt: »Materialien sind Indikatoren gesellschaftlicher Empfindlichkeiten, denn an ihnen lagert sich die Geschichte ihrer Verwendungsweisen an.«28 Als besonders hochwertig galten Materialien wie Sandstein, Marmor, Granit oder auch Bronze, da sie bis zum 19. Jahrhundert den Repräsentanzbauten des Adels und der Kirchen vorbehalten waren. Während derart exklusive Materialien entlang der Hauptalleen gewissermaßen in Reinform zu finden waren, zeigen sich in den zweiten und dritten Reihen auch Grabstätten in Form von Amalgamen. Eine kostengünstigere Variante war es beispielsweise, auf einen Sandsteinsockel aus der Region eine Plastik aus importiertem Marmor in Szene zu setzen. Ebenfalls von Bedeutung für die Reputation eines Grabs war die Art der Fertigung als 
Unikat, als Reproduktion oder als serielle Katalogware. (S.31) 

“Bürgerliche Familiengräber des 19. Jahrhunderts wurden für die Ewigkeit angelegt, oder genauer: für die Hoffnung auf Erinnerung der Hinterbliebenen in Ewigkeit.” (S.35) 

Das Bürgertum ist dabei als eine heterogene Gruppe von Akteuren zu verstehen, die durch erkämpfte Rechte und erarbeiteten Status diskursprägend war und sich gegenüber aufstrebenden Schichten als vorbildlich erachtete. Allein der Umstand, dass sich viele bürgerliche Familien ein Familiengrab mit monumentaler Grabanlage finanzieren konnten, grenzt diese Gruppe der Grabbesitzer von unteren sozialen Schichten ab. Der Friedhofsraum spielte dabei die Rolle eines Spielfelds der sozialen Ordnung. Die Einrichtung der Grabstätte fungierte dabei als eine Art Seismograf bürgerlicher Identität (S.36) 

“Offensichtlich ist jedoch, dass allein die Dauerhaftigkeit und Monumentalität der vorgestellten Grabanlagen einen ausgeprägten Wunsch demonstrieren, das Andenken an die Toten im Diesseits repräsentativ auszustatten.” (S.37) 

Was folgt daraus nun für unsere Betrachtungen? Zwar kann bei der Försterfamilie Claer nicht unbedingt von großbürgerlichem Habitus und elitärer Renommiersucht auf dem Friedhof ausgegangen werden. Die Steintafel ist auch vergleichsweise schlicht gehalten, und von der damaligen Ausstattung der eigentlichen Grabstätte wissen wir nichts. Doch war zu jener Zeit – noch vor den Bismarckschen Sozialreformen mitsamt Einführung einer Rentenversicherung – eine Existenz als königlicher Förster, also quasi im sicheren Staatsdienst, mit mindestens sechs, vielleicht sogar neun männlichen Nachkommen, die womöglich allesamt ihrerseits sicher in Lohn und Brot standen, keine schlechte Voraussetzung für die Errichtung einer zumindest dezent repräsentativen Familiengrabstätte im von den Friedhofs-Bodenpreisen her sicherlich noch kostengünstigen ländlichen Raum.

Im nächsten Forschungsbericht in einem Jahr, vielleicht mit Funden aus den Bieberswalder Urkunden, könnten wir Genaueres wissen…

2. Die Claers in Gerdauen 1872 

Einen weiteren kleinen Treffer landete ich auf der Internetseite Portal-Ostpreußen:

Demnach wurden in Gerdauen, Kirchspiel Muldzen, in den jahren 1871 und 1872 die Kinder Anna Johanna Claer (24.6.1871) und Max Friedrich Claer (24.11.1872) geboren. Die Eltern waren jeweils ein Herrmann Claer und seine Frau Anna Gutzki.

Besonders interessant ist ferner, dass als Geburtsort im Falle von Anna Johanna “Ilmsdorf Forsthaus” angegeben wird. Dies deutet auf eine weitere Försterfamilie Claer hin, von der wir bisher noch nichts wussten!

Gerdauen liegt etwas südlich von Wehlau und südöstlich von Königsberg, also ziemlich dicht an Eichenberg/Drusken, wo – wie oben geschildert – die Förster-Familie von Friedrich Clair bis zur Versetzung nach Bieberswalde 1855 gelebt hat. Auch deren frühere Wohnorte Juditten und Corjeiten sowie Friedrichs Geburtsort Ludwigswalde sind nicht weit.

Wie aber lassen sich diese Claers in Gerdauen nun einordenen? Der Name des Vaters Herrmann erinnert natürlich gleich an Hermann August Clair, Friedrich und Justines viertältesten Sohn, geboren 1833 in Juditten, den Ururgroßvater meines anfangs erwähnten Cousins vierten Grades Manfred Claer. Der mutmaßliche Förster Herrmann Claer aus Gerdauen könnte bei der Geburt seiner Kinder 1871/72 (rein statistisch betrachtet) ca. 20 bis 30 Jahre alt gewesen sein, womit sein Geburtsdatum zwischen 1841 und 1851 liegen könnte. Unter Berücksichtigung der damals weit verbreiteten Gepflogenheit, den ältesten Sohn einer Familie nach dem Vater und die weiteren Söhne nach dessen Brüdern, also ihren Onkeln, zu benennen, könnte der Gerdauer Herrmann folglich der älteste Sohn oder ein Neffe von Manfreds Ururgroßvater Hermann August gewesen sein.

Da Manfreds Ururgroßvater Hermann August (geb. 1833 in Juditten) aber laut Geburtsurkunde von Manfreds Urgroßvater Franz Richard Claer (geb. 1872 in Geidlauken) Müller war – er hatte in die Müllerfamilie seiner Frau Henriette Mettschul eingeheiratet –, hätte vermutlich der älteste Sohn die Mühle übernommen und wäre nicht Jäger geworden. (So wie es ja auch naheliegend ist, dass Franz Richard als vermutlich erst spät geborener, weiterer Sohn seines Vaters neue berufliche Wege ging bzw. fuhr, denn er wurde Fuhrmann und verliebte sich während eines Frachttransports im Rheinland, wo er dann hängenblieb, siehe meine früheren Berichte.) Demnach dürfte der Gerdauer Jäger Herrmann Claer eher ein Neffe des Müllers Hermann August gewesen sein, der nach diesem benannt wurde. Und falls Herrmanns Vater, wofür vieles spricht, auch Jäger gewesen sein sollte, könnte er der Jäger Heinrich Julius Clair (geb. 1826 in Juditten) oder auch Albert Eduard Clair (geb. 1830 in Juditten), dessen Beruf wir nicht kennen, gewesen sein; aber eher nicht Otto Conrad Clair (geb. 1839 in Juditten), denn der soll ja laut meinem Opa Gerhard Gendarm gewesen sein. Genauso denkbar wäre aber auch, dass der Gerdauer Jäger Herrmann Claer aus der Linie von Friedrichs Bruder, dem Oberförster Johann Wilhelm Clair, geb. 1802 in Ludwigswalde, stammt; oder von noch woanders…

Noch dazu spricht für die Neffen-These, dass Gerdauen nur überschaubare 50 km von Geidlauken entfernt ist. Noch dichter liegt übrigens Geidlauken an Eichenberg/Drusken, und auch Ludwigswalde und Juditten und Gumbinnen (wo sich die ersten Clairs 1712 aus St. Imier in der Schweiz kommend angesiedelt haben) sind nicht weit. Demnach haben sich die Clairs lange Zeit im nördlichen Ostpreußen aufgehalten – bis zur Versetzung von Friedrich nach Bieberswalde im Jahr 1855!

3. Wie es Förster Otto Wilhelm Claer 1890 von Ostpreußen nach Schlesien verschlug

Um einen Ortswechsel noch viel größeren Ausmaßes geht es nun in den folgenden Ausführungen, die mir mein Neffe vierten Grades Andreas Z. aus Moritzburg bei Dresden dankenswerterweise zur Verwendung überlassen hat. Sein Ururgroßvater, der Förster Otto Wilhelm Claer (1859-1937), Sohn des Försters Wilhelm Friedrich Claer (1824-1889), welcher wiederum der älteste Sohn von unseren besagten Friedrich Cair (geb. 1799) und Justine Knaebe (geb. ca. 1803) ist, siedelte offenbar der Liebe wegen 1890 von Ostpreußen nach Schlesien um. Die folgenden Passagen von Andreas Z. bringen nun erstmals Licht in die näheren Begleitumstände, wobei bedauerlicherweise seine Großmutter, deren Mutter selbst eine geborene Claer war, diese Entdeckungen nicht mehr miterleben kann, da sie vor wenigen Jahren hochbetagt verstorben ist…

Noch dazu hat mir Andreas dieses großartige Foto des Försters Otto Wilhelm Claer (1859-1937) in Dienstkleidung zur Verfügung gestellt:

“Unsere und Omis große Frage war ja, weshalb ihr Opa Otto Wilhelm Claer, geb. 1859 in Argenthal/Ostpreußen, nach Schlesien übergesiedelt ist. Diese Frage hatte Omi sich gestellt und nicht beantworten können. Sie hat sie auch nie ihrem Opa gestellt. Wir haben das Rätsel nun lüften können. 🙂 

Nur zur kurzen Einordnung. Der Vater von Otto Wilhelm Claer war Friedrich Wilhelm Claer, geb. 1824 in Corjeiten, Kreis Fischhausen/Ostpreußen. Das war uns ja bereits bekannt. 

– Otto Wilhelm Claer hat 1890 im schlesischen Leutmannsdorf eine Minna Klara Hübner geheiratet. Sie ist die Tochter des Friedrich Wilhem Hübner. …der Name war Friedrich Wilhelm Programm 🙂 Hier entstand die Frage, weshalb er in Ostpreußen geboren wurde, dort Förster wurde und in Schlesien dann geheiratet hat. Er war auch bereits 31 Jahre. Weshalb ist er nach Schlesien? Nun, er war Förster und es wäre denkbar, dass er in Schlesien eine Stelle angetreten hat, weil möglicherweise in Schlesien eine Försterstelle ausgeschrieben war. Nicht undenkbar, allerdings für uns eher unwahrscheinlich, denn die Claers waren in Ostpreußen ja schon lange Förster und es war eine waldreiche Region. Weshalb also die lange „Fahrt“ und einen Umzug antreten? Es war zu dieser Zeit ja sicher nicht wie heute, in der ein Umzug für eine Stelle über mehrere 100km kein Problem und eher normal ist. Also diese Försterstellentheorie war für uns eher nicht so griffig. Da musste noch mehr sein 🙂 

Hier kommt die Entdeckung! Wir haben eine Geburtsurkunde aus Ostpreußen entdeckt, in der der Förster Friedrich Wilhelm Claer anzeigt, dass seine Tochter 1879 eine Tochter zur Welt gebracht hat. Viel wichtiger ist jedoch die handschriftliche Ergänzung auf der linken Seite. Wir haben diese entschlüsselt:  

“Der Revierförster Richard Hübner, evangelischer Religion, wohnhaft in Ludwigsdorf, Landkreis Schweidnitz hat laut Heiratsurkunde Nr. 4 des Standesamtes zu Eschenbruch vom 5. September 1879 mit Emma Marianne Claer der Mutter des nebenbezeichneten Kindes, die Ehe geschlossen und in einer unterm 28. September 1903 vor dem königlichen Notar Ludwig Kottman in Schweidnitz errichteten Urkunde die Vaterschaft zu dem nebenbezeichneten Kinde anerkannt 

Didlaken, den 1. Oktober 1903.  

Der Standesbeamte in Insterburg Dekars 

hier nachträglich eingetragen Insterburg, den 7. Oktober 1903“ 

 ALSO: Ein Richard Hübner aus Schlesien, aus dem Landkreis Schweidnitz hat in Ostpreußen ein uneheliches Kind mit der Tochter des Friedrich Wilhelm Claer (geb. 1824) gezeugt. Richard Hübner, selbst Förster, war zu dieser Zeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Ostpreußen stationiert. Wir wissen ja, dass viele Förster einige Zeit im Militär gedient haben. So ist es sicher zu erklären, dass Richard Hübner in Ostpreußen war und dort die sicherlich überaus bezaubernde Emma Marianne Claer getroffen hat und ein Kindelein entstanden ist 🙂  Und es ist sehr naheliegend, dass Omis Opa, Otto Wilhelm Claer, mit Richard Hübners Familie in Kontakt kam und die Schwester von Richard Hübner kennengelernt hat…und dann 1890 die Schwester von Richard Hübner geheiratet hat. Das ist also die Verbindung, die wir immer gesucht haben. Otto Wilhelm hat aufgrund der Verbindung zwischen seiner Schwester und Richard Hübner den Kontakt nach Schlesien gehabt. Da er und Richard Förster waren, ist die Vermittlung einer Försterstelle in Schlesien sicher einfacher gewesen und Otto Wilhelm ist dann seiner Schwester nach Schlesien gefolgt.  

Wir sind über die Eintragung in der Geburtsurkunde so glücklich und entzückt. Omi hätte sich sicher so gefreut diese Antwort zu bekommen.” 

Allerdings ist an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, dass es auch schon zuvor in Schlesien Clairs gegeben hat, die vermutlich aus Ostpreußen stammten. Es sei hier nur an den Förster Clair in Mellendorf erinnert, der dort 61-jährig im Jahr 1822 ein Wildschwein im Kampf von Angesicht zu Angesicht bezwungen hat, worüber dann mehrere Zeitungen, darunter auch Fachzeitschriften für Jägerei berichteten, siehe meine früheren Texte.

4. Heiratseintrag der Elisabeth Clair (Tochter des Jacob Clair), Gumbinnen 1834 – auf Französisch! 

Und noch ein weiterer spektakulärer Fund ist Andreas Z. gelungen. Hier ist der französischsprachige Heiratseintrag von 1734 der Elisabeth Clair, der Tochter des Jacob Clair aus Gumbinnen, der gemeinsam mit David Clair und weiteren Angehörigen 1712 aus St. Imier in der Schweiz neben vielen weiteren französischsprachigen Zuwanderern nach Gumbinnen in die “Schweizer Kolonie” gekommen war, siehe meine früheren Texte.

Inhaltlich war uns das aber schon bekannt. Neu für uns ist die Ansicht des Eintrags. Wirklich schade, dass wir  die “Lücke” zwischen den Clairs in Gumbinnen und den Förstern in Ludwigswalde um 1800 bisher nicht schließen konnten, wobei das Geburtsjahr “unseres” Friedrich Wilhelm Klaer, der wohl erst in den 1790ern nach Ludwigswalde gekommen ist, nach einem (ungesicherten) Datenbankeintrag 1770 gewesen sein soll, siehe meine früheren Texte. 

5. Weitere Fotos von Erich Claer (1901-1950)

Abschließend noch ein Zeitsprung um zwei Jahrhunderte nach vorne. Tante Lorelies hatte mir freundlicherweise noch weitere Bilder ihres Vaters Erich Claer (1901-1950) zur Verfügung gestellt, meines Großonkels zweiten Grades, über den wir dank der Kondolenzbriefe und zahlreicher weiterer Unterlagen (siehe meine Berichte aus den letzten beiden Jahren) schon ziemlich gut Bescheid wissen. Hier also sind die Fotos (teilweise mit Erichs Söhnen Hans-Henning “Moppel” und Dieter), jeweils mit den Erklärungen von Tante Lorelies:

Bild 1: Vor dem Krieg in Gröben mit Frido Finno Fitz von der Niederlausitz, unserem Schäferhund, der auf der Flucht verschollen ist. 

2: Das Foto hatte meine Mutter auf der Flucht bei sich, ein Russenbengel zerriss es vor ihren Augen und klaute alles, was sie in ihre Kleider eingenäht hatte.

3: Juni 1947, erstes Foto nach der Gefangenschaft.

4: 1949 im Stadtpark Steglitz, wo Moppel auch immer trainierte zwischen 4 Bäumen, mit einem Seil drum (rechts im Bild Dieter).

5: Bei einer Festveranstaltung der Fa. Meyer, wo er Personalchef war, neben ihm Dieter, der mit durfte.

6: Das letzte Passbild 1950.

6. Ausblick

Damit endet mein Bericht in diesem Jahr. Die Fortsetzung folgt wie immer in 12 Monaten.

justament.de, 26.12.2022: Ganz großer Kleinkünstler

Scheiben Spezial: Zum 80. Geburtstag von Reinhard Mey

Thomas Claer

Neulich habe ich nach langer Zeit mal wieder den “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars” gehört, den satirischen Song des Berliner Liedermachers Reinhard Mey aus dem Jahr 1977, der darin in sieben Strophen die deutsche Bürokratie treffsicher auf den Punkt bringt und zugleich durch den Kakao zieht. Auf seinem langen Weg zum begehrten Antragsformular kämpft sich das lyrische Ich tapfer durch den Behördendschungel, trifft dort auf durchweg freundliche und hilfsbereite Amtsträger (insofern ist das Lied wohl eher noch beschönigend), die auch im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ihr Möglichstes tun. Doch ist in diesem Wust von Unübersichtlichkeit und Ineffizienz leider kein Vorankommen möglich, und am Ende sorgt nur ein grotesker Zufallsfund für das nicht mehr für möglich gehaltene Erfolgserlebnis. Erst in der vorletzten Strophe gerät der Ich-Erzähler, der bis dahin alles geduldig über sich ergehen lässt, aus der Fassung…  Es ist so witzig. Man kann sich immer wieder aufs Neue darüber amüsieren, egal wie oft man es schon gehört hat. Gäbe es ein Ranking der lustigsten Lieder aller Zeiten, dann stünde dieses Lied, jedenfalls wenn es nach mir ginge, unangefochten an erster Stelle (gefolgt von Torfrocks Blasphemie-Klassiker “Rollos Taufe” und dem “Sonnenschein-Song” aus der Sesamstraße).

Natürlich ist der “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars” auch ein Zeitdokument. Ja, genauso war das damals in den Siebzigern:

“Tja”, sagte der Herr am Schreibtisch, “alles, was Sie wollen, nur 
Ich bin hier Vertretung, der Sachbearbeiter ist zur Kur 
Allenfalls könnte ich Ihnen, wenn Ihnen das etwas nützt 
Die Broschüre überlassen, ,Wie man sich vor Karies schützt’” 

Die Sozialdemokratie hatte gesiegt. Im Mittelpunkt stand nun der arbeitende Mensch, dem man allerhand Privilegien angedeihen ließ. So etwas wie Kundenfreundlichkeit hingegen war noch nicht erfunden:

“… In die Abwertungsabteilung für den Formularausschuss. 
Bloß, beeil’n Se sich ein bisschen, denn um zwei Uhr ist da Schluss” 

… 

“Und die Nebendienststelle, die sonst Härtefälle betreut, 
Ist seit elf Uhr zu, die feiern da ein Jubiläum heut’ 
Frau Schlibrowski ist auf Urlaub, tja, da bleibt Ihnen wohl nur 
Es im Neubau zu probier’n, vielleicht hat da die Registratur…” 

Überhaupt tritt man dem Musiker und großen Textdichter Reihard Mey wohl nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass er seine beste Zeit in den besagten Siebzigern hatte. Wohl alle seine Lieder, an die man sich heute noch erinnert, stammen aus jenem Jahrzehnt: Vom heute wieder sehr aktuellen “Ich bin Klempner von Beruf” über die wirklich großartige “Ballade vom Pfeifer” bis zu “Über den Wolken”, seinem größten “Hit”, ohne den auch nach fast einem halben Jahrhundert kaum eine Schlagerparty auskommt. Als dieses Lied geschrieben wurde, war das Fliegen im Flugzeug noch keine schambehaftete Klima-Sauerei, sondern ein für die breite Masse unbezahlbarer und grenzenlose Freiheit verheißender romantischer Traum:

“In den Pfützen schwimmt Benzin 
Schillernd wie ein Regenbogen 
Wolken spiegeln sich darin 
Ich wär gern mitgeflogen.” 

Am Mittwoch letzter Woche hat Reinhard Mey seinen 80. Geburtstag begangen.

justament.de, 12.12.2022: Runde Sache

Die Pixies überzeugen auf ihrer neuen Platte „Doggerel“ 

Thomas Claer 

Wieder ein neues Album von den Pixies? Da kann einen schon mal ein mulmiges Gefühl beschleichen. Schließlich haben sie vor drei Jahren auf ihrem Vorgänger „Beneath the Eyrie“ streckenweise arg enttäuscht. Würden sie, die Indie-Gitarrenrock-Supergruppe aus den späten Achtzigern, nun weiter ihr eigenes Denkmal demontieren? Doch kann hier Entwarnung gegeben werden: „Doggerel“, was so viel wie „Schimpfwörter“ bedeutet, kann rundweg überzeugen. Allenfalls ließe sich bemängeln, dass sich diesmal kein epochaler Über-Song auf der Platte befindet, wie es „St. Nazaire“ auf dem ansonsten durchwachsenen vorigen oder „Baal’s Back“ auf dem vorvorigen Album gewesen waren. Doch dafür besticht „Doggerel“ durch Konstanz und Abgeklärtheit. Kein einziger schwächerer Song ist dabei. Alle gehen sie beim spätestens dritten Abspielen ins Ohr und sind auch, was sonst keineswegs immer kennzeichnend für die Musik der Pixies gewesen ist, bemerkenswert homogen. Sie sind weniger laut als früher (wirklich leise nun aber auch nicht gerade), nicht mehr ganz so schnell und wirken durchgängig sehr entspannt. Was außerdem besonders erfreut: Fast alle ihre Melodien durchzieht ein leichter Anflug von Melancholie, aber nur ganz beiläufig, nur in Spurenelementen, was sehr angenehm zu hören ist. Es fällt schwer, einzelne dieser Lieder hervorzuheben, weil sie eigentlich alle ähnlich gut gelungen sind. Besonders empfehlenswert sind beispielsweise „There’s a Moon on“ oder „Who’s More Sorrow Now?“.

Nun ist „Doggerel“ bereits das achte Album der Pixies, und wenn man ihre Debüt-Mini-LP „Come on Pilgrim“ von 1987 mitrechnet, sogar schon das neunte. Vier davon, also quasi die Hälfte, haben sie seit ihrer Comeback-Platte „Indie Cindy“ (2014) ihrem fulminanten Frühwerk (1987-1991) noch hinzugefügt. Damals, bis 1991, haben Bandleader Black Francis und die damalige Bassistin Kim Deal noch alle Songs gemeinsam geschrieben, was bekanntlich immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen beiden geführt hatte. Schon während der Aufnahmen zu „Indie Cindy“ waren die alten Streitereien wieder ausgebrochen und haben Kim Deal dann zum endgültigen Ausstieg aus dem Bandprojekt veranlasst. (Oder die anderen haben sie rausgeschmissen, das lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen.) Bald darauf stieß die deutlich jüngere Paz Lenchantin als Ersatz für Kim Deal zur Formation, und fortan nahm Black Francis das Songwriting allein in die Hand. Man kann wohl sagen, dass er dabei gerade wieder einen ziemlich guten Lauf hat. Das Urteil für „Doggerel“ lautet: voll befriedigend (12 Punkte).

Pixies
Doggerel
Bmg Rights Management (Warner)
ASIN: B0B3GBJKY8

justament.de, 5.12.2022: Meerjungfrauen-Fetisch und Produktivität im Bett

Die letzten kleinen Schriften des verstorbenen Karl Heinz Bohrer sind eine fesselnde Lektüre

Thomas Claer

Dieser kleine rote Essay-Band mit „Dreizehn alltäglichen Phantasiestücken“ des großen Literaturwissenschaftlers und -kritikers Karl Heinz Bohrer (1932-2021) ist kurz nach seinem Tod erschienen und zeigt den Verfasser – man kann es nicht anders sagen – noch einmal in schriftstellerischer Bestform. Auf jeweils nur zehn bis fünfzehn Seiten widmet er sich darin ganz unterschiedlichen Themen, von der apokalyptisch anmutenden Sommerhitze auf einer Bahnfahrt von Köln nach London bis zur „Seuche von heute mit ihrem fast schon poetischen Namen Corona-Virus“. Viele der Texte sind sehr persönlich gehalten, fungieren gewissermaßen als Nachträge zu seiner zweibändigen Autobiographie und sind in der Summe eine Art von „Was ich noch sagen wollte“ geworden, wie Ex-Kanzler Helmut Schmidt vor einigen Jahren seine finalen Abhandlungen genannt hat, in denen er seinen Lesern quasi auf den letzten Metern noch einige durchaus heikle Dinge offenbarte. Dies tut nun auch Bohrer, indem er sich etwa über Freundschaften auslässt und noch einmal detailliert auf bestimmte Aspekte seiner Kindheit und Jugend zurückblickt: zum einen auf die „Kampfspiele“, d.h. seine Indianer- und Fußballbegeisterung, zum anderen auf sein sexuelles Erwachen.

Hier wird es natürlich besonders interessant, denn es passiert unendlich viel im Inneren des heranreifenden Jugendlichen, was auch in den buntesten Farben geschildert, jedoch – Spoiler – kaum jemals von entsprechenden „äußeren Ereignissen“ begleitet wird, bis der Bericht des Erzählers im Alter von 17 Jahren jählings abbricht… Karl Heinz Bohrers erste große Liebe war – wie könnte es anders sein – eine literarische Figur, genauer gesagt deren Abbildung. In seinem Märchenbuch befand sich eine hocherotische Darstellung von Hans Christian Andersens „Kleiner Meerjungfrau“, die er schon im frühen Kindesalter über lange Zeiträume hinweg mehrmals täglich ausgiebig betrachtete, dabei aber stets blitzschnell eine andere Seite aufschlug, sobald seine Mutter sein Zimmer betrat. Der Autor ist der Ansicht, dass seine lebenslange obsessive Fixierung auf weibliche Brüste letztlich aus dieser Märchenbuch-Illustration resultiere, wobei jedoch relativierend anzumerken ist, dass eine solche Vorliebe unter seinen Geschlechtsgenossen nicht gerade Seltenheitswert haben dürfte. Weitaus ungewöhnlicher ist da schon des Verfassers Begeisterung für den Fischschwanz der Meerjungfrau… Ein „reales“ Erlebnis, das ihn in jungen Jahren ähnlich tief geprägt hat, hatte er, als seine Mutter während der Abwesenheit des Vaters Besuch von einer Freundin erhielt, die dann gemeinsam mit der Mutter leicht bekleidet und Schokolade essend im Bett lag, wobei die Freundin der Mutter kurzzeitig vor dem Jungen ihre Brust entblößte… Karl Heinz Bohrers zweite große Liebe war dann einige Jahre später erneut eine Figur aus der Literatur, nämlich die feurige Gruschenka aus dem Roman „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski. Bereits als Teenager schlägt ihm dann eine von ihm heiß begehrte Mitschülerin namens Helga einen gemeinsamen Waldspaziergang vor. Doch außer verstockten Gesprächen und heißen Blickwechseln geschieht dabei letztendlich nicht viel… Weitere Annäherungen an das weibliche Geschlecht verlaufen ähnlich ergebnislos.

Ein ebenfalls großartiger Text widmet sich dem Thema Schlaflosigkeit. Diese muss für einen Geistesarbeiter, anders als für gewöhnliche Menschen, die oftmals sehr darunter leiden, gar kein Unglück sein: „Denn der Schlaflose unterscheidet sich von demjenigen, der bloß ohne Schlaf bleibt, durch seine reflexive Existenz. Er denkt in der Nacht über Phänomene und Eindrücke nach, über die er in alltäglich wachem Zustand vielleicht nicht nachdenken würde.“ Dabei kann er dann sogar überaus produktiv werden und all das schon vorab druckreif konzipieren, was er dann beim eigentlichen Schreibvorgang am Folgetag nur noch aus dem Gedächtnis abzurufen braucht. Dem kann man übrigens auch als kleiner Rezensent nur beipflichten: Der überwiegende Teil des Geschriebenen entsteht auch bei einem selbst keineswegs am Schreibtisch, sondern entweder beim Warten aufs Einschlafen in der Horizontalen oder während monotoner Tätigkeiten wie Wäsche aufhängen, Spülmaschine ausräumen, Staub saugen und dergleichen. Oder in der Schlange an der Supermarktkasse. Karl Heinz Bohrer jedenfalls nennt seine in schlaflosen Nächten entstandenen Texte in Anlehnung an E.T.A. Hoffmann „Phantasiestücke“, was den Untertitel dieser kleinen Schriftensammlung erklärt.

Weitere Aufsätze behandeln die Fragen, was gute Filme und was gute Literatur ausmacht. In letzterem findet sich Bohrers ästhetische Theorie komprimiert auf wenigen Seiten: Einen besseren Einstieg in sein Gesamtwerk wird man schwerlich finden. In „Schöne, hässliche, interessante Städte“ wiederum verrät der passionierte Großstadt-Flaneur seine Präferenzen und kommt zum Befund, dass schöne Städte oftmals nicht besonders interessant, interessante Städte hingegen oft nicht besonders schön seien. „Was Berlin betrifft, so kommt eben das Interessante ins Spiel. Doch warum ist diese Stadt, manchmal schön und meistens hässlich, so interessant? (…) Wohin man auch fährt oder geht, wo immer man aussteigt – man ist konfrontiert: mit Aussichten, die das Interesse entweder in historisch-politischer oder kultureller Hinsicht wecken.“ Und ganz ähnlich geht es einem auch beim Lesen in diesem wunderbaren Büchlein: Wohin man auch blättert, es wird nie langweilig.

Karl Heinz Bohrer
Was alles so vorkommt. Dreizehn alltägliche Phantasiestücke
Suhrkamp Verlag 2021
185 Seiten; 18,00 Euro
ISBN 978-3-518-47213-2

justament.de, 5.12.2022: Ikone des Feminismus

Zum 80. Geburtstag von Alice Schwarzer

Thomas Claer

An Alice Schwarzer scheiden sich zumeist die Geister. Die einen preisen sie für ihren unermüdlichen lebenslangen Einsatz für Gleichberechtigung und Frauenrechte. Den anderen ist sie wohl schon immer schrecklich auf die Nerven gegangen. Nun, nach acht wirkungs- und ereignisreichen Jahrzehnten, sollte man sich aber unbedingt vor ihrem Lebenswerk verneigen. Mit ihrem Engagement hat sie nämlich den Weg für alle weiblichen Wesen geebnet, die heute wie selbstverständlich die Früchte ihrer Bemühungen ernten, oftmals sogar ohne sich dessen bewusst zu sein…

Dass Alice Schwarzer als streitbare Publizistin immer auch viel Widerspruch provoziert hat, spricht keineswegs gegen sie. Und dass sie als altlinke Kämpferin zuletzt zweimal in Folge mit CDU-Ticket (!) als Prominente in der Bundesversammlung saß, verrät vermutlich mehr über den Wandel des Zeitgeistes und den unserer konservativen Volkspartei als über ihren eigenen, denn anders als bei vielen ausgeprägten Renegaten aus ihrer Generation hat sich ihre inhaltliche Positionierung über die Jahre hin eigentlich kaum verändert. Gegen muslimische Kopftücher ist sie auch schon vor vierzig Jahren gewesen. Nur ist damals noch niemand auf die Idee gekommen, ihr deshalb Rassismus vorzuwerfen.

Manchmal wünschte man sich heute von ihr allerdings die eine oder andere Aktualisierung ihres Weltbildes, denn mittlerweile funktioniert ein Großteil der von ihr stets vehement kritisierten Prostitution ganz ohne Zuhälter und ein ebenso erheblicher Anteil der von ihr ebenso geschmähten Pornographie ohne jegliche Ausbeutung. Nun könnte man natürlich einwerfen, genauso sei es doch auch mit dem muslimischen Kopftuch, denn inzwischen tragen es doch zweifellos viele muslimische Frauen ganz selbstbewusst und freiwillig. So wie andere Frauen viel Freude aus ihrer Arbeit als Sexarbeiterinnen ziehen oder sich vollkommen selbstbestimmt freizügig im Netz exponieren. Womöglich sind das sogar alles Spielarten eines modernen Feminismus – im Gegensatz zu Alice Schwarzers altbackenem Altfeminismus. Wobei ich aber zugeben muss, dass mich davon die Umdeutung des berüchtigten Unterdrückungssymbols Kopftuch zur Insignie praktizierter religiöser Freiheit am wenigsten überzeugt… Hier sehe ich mich eher bei Alice Schwarzer.

Ganz anders als aktuell in der Ukraine-Frage. Ihren gemeinsam mit anderen verfassten „offenen Brief“ gegen Waffenlieferungen an die Ukraine halte ich für gefährlichen Unfug, der letztlich der Logik des Aggressors folgt. Aber gemessen an ihrer Lebensleistung fällt dies nicht so sehr ins Gewicht. Zum Glück hat sie mitunter sogar richtig viel Humor bewiesen. Es ist wirklich ein Jammer, dass ihr großartiger Talkshowauftritt aus den Achtzigern („NDR-Talkshow“ oder „3nach9“?), als sie den Schauspieler Klaus Löwitsch für sein Machotum durch den Kakao zog, bei YouTube nicht auffindbar ist. Herzlichen Glückwunsch an Alice Schwarzer zum Achtzigsten!

justament.de, 28.11.2022: Der letzte Großintellektuelle?

Zum Tod von Hans Magnus Enzensberger (1929-2022)

Thomas Claer

Seine literarische Lieblingsfigur, so hat Hans Magnus Enzensberger einmal gesagt, sei immer der „Fliegende Robert“ aus dem „Struwwelpeter“ gewesen, der sich trotz aller Warnungen und Ermahnungen so gerne hinaus ins stürmische Ungewisse begeben hat und genussvoll in ihm treiben ließ: „Wo der Wind ihn hingetragen? Nein, das weiß kein Mensch zu sagen.“ Mit ganz ähnlicher Leichtigkeit hat sich dieser gelernte Lyriker, der schon in relativ jungen Jahren zum intellektuellen Superstar avancierte, durch die Winde des Zeitgeistes bewegt, sich mal hierhin, mal dorthin treiben lassen, immer seiner Maxime verpflichtet: „Du sollst nicht langweilen!“. Auch wenn sich seine Standpunkte und Haltungen des Öfteren verändert haben, an Originalität und an der spielerischen Lust zur polemischen Zuspitzung hat es ihm nie gemangelt, ebenso wenig an selbstbewusstem Stolz bei der Verwaltung seines Ruhms. Es gab eine Zeit, in den Jahren nach der Wiedervereinigung, da erreichte der SPIEGEL seine höchsten Verkaufszahlen stets dann, wenn er mit einem Enzensberger-Essay zu aktuellen Zeitgeistfragen erschien. Und Enzensberger ließ sich seine Popularität auch gehörig versilbern, feilschte bei jedem neuen Text mit den SPIEGEL-Verantwortlichen um ein noch fürstlicheres Honorar. (Das weiß ich aus sicherer Quelle, die allerdings ihrerseits nicht mehr am Leben ist.)

Sein Lieblingsgenre neben der Versdichtung war der freie Essay, der „Nomade im Regal“, der schon deshalb seine bevorzugte Form war, weil er sich darin – von keinerlei Regelwerk gestört – nach Herzenslust und Laune austoben konnte. Während sein Schriftstellerkollege Thomas Bernhard einmal verzweifelt beklagte, niemals habe er in seinen Schriften das ausdrücken können, was er wirklich sagen wollte, fand der stets fröhlich-heitere Enzensberger, es sei doch prima, wenn man am Anfang eines Textes noch nicht wisse, wohin er sich letztlich entwickeln werde. Schließlich sei es langweilig, wenn das Ergebnis schon von vornherein feststünde, dann sei es doch kein „Essai“, also Versuch, mehr, und es mache ihm sogar riesigen Spaß, sich immer wieder von sich selbst überraschen zu lassen.

Über die Schriftstellerei hinaus war Enzensberger, der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sehr erfolgreich als Schwarzmarkthändler tätig gewesen sein soll, auch eine Art Projektmacher. Mehre Zeitschriften brachte er heraus, allen voran das berühmte „Kursbuch“, aber auch die „Andere Bibliothek“, die vergessene und verschollene literarische Schätze vergangener Epochen in Prachtausgaben neu erscheinen ließ und ihnen mit dem Nachdruck des eigenen Renommees zu Aufmerksamkeit verhalf. Kurzum, Enzensberger ist eine Institution in unserer geistigen Landschaft gewesen. Aber war er wirklich der letzte Großintellektuelle aus der Weltkriegsgeneration, der nun 93-jährig ins Gras gebissen und damit auch einen Schlussstrich unter die Ära der Nachkriegszeit gezogen hat? Nein, nicht ganz, denn der Allerletzte war er nicht. Noch leben schließlich Großphilosoph Jürgen Habermas (93) und Großschriftsteller Martin Walser (95), wobei letzterer Umstand die schöne Pointe mit sich bringt, dass ausgerechnet Walser mit seinen Trinkgewohnheiten (von denen zu berichten Marcel Reich-Ranicki einmal die Indiskretion hatte) nunmehr alle Autorenkollegen seiner Generation überlebt hat…

Aber zurück zu Enzensberger. Von ihm bleiben werden nicht zuletzt einige wunderbare Zitate wie dieses: „Heiterkeit ist eine moralische Frage. Mürrische Leute, die andere mit ihren Problemen behelligen, die halte ich für rücksichtslos.“ Oder dieses: „Wer ist überhaupt dieser Herr Konrad Duden? Irgendein Sesselfurzer!“ Man sollte noch betonen, dass mit Hans Magnus Enzensberger auch einer der witzigsten Intellektuellen deutscher Sprache von der Bühne gegangen ist.

justament.de, 21.11.2022: Ästhetische Negativität

Ästhetische Negativität

Ein Besuch im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, neuerdings im Theaterbau am Schloss Charlottenburg

Thomas Claer

Das Käthe-Kollwitz-Museum ist vor einigen Wochen umgezogen: aus der Fasanenstraße nahe dem Ku’damm, wo es seit 1986 seinen Sitz hatte, in den Theaterbau am Schloss Charlottenburg. Und wenn man schon nur ein paar Ecken davon entfernt wohnt, ist es doch – und nicht nur im buchstäblichen Sinne – naheliegend, es endlich einmal zu besuchen, zumal man dies schon immer mal vorhatte.

Wer seine Kindheit und Jugend in der DDR verbracht hat, der kennt natürlich Käthe Kollwitz (1867-1945), die bekannte Berliner Grafikerin, Malerin und Bildhauerin, aus den offiziellen Schulbüchern, in denen viele ihrer Werke immer wieder abgedruckt, erläutert und gewürdigt wurden. Käthe Kollwitz galt sozusagen als sozialistische Künstlerin par excellence, was aber genau genommen nicht ganz richtig ist; wirklich falsch ist es allerdings auch nicht. Zwar war sie niemals Mitglied einer politischen Partei, doch hat sie aus ihrer Sympathie für die sozialistische (und wohl auch kommunistische) Bewegung nie ein Geheimnis gemacht und vor allem auch in ihrer Kunst – so wurde es zumindest weithin empfunden – stets einen eindeutigen „Klassenstandpunkt“ vertreten. Allerdings war es für die DDR auch denkbar einfach, sie voll und ganz für ihre Sache zu vereinnahmen, denn sie konnte sich ja infolge ihres Todes bereits kurz vor Kriegsende nicht mehr dagegen wehren. Eine offene Frage bleibt indessen, ob sie den neuen Machthabern im Arbeiter- und Bauern-Staat womöglich kritisch begegnet wäre, sich ihnen – horribile dictu – sogar durch Abwanderung in den Westen entzogen hätte oder ob sie, was ihren Nachruhm angeht, von Glück sagen kann, dass sie nicht noch länger gelebt hat, da sie ansonsten leicht zur stalinistischen Kulturfunktionärin hätte werden können. (So wie z.B. der „progressive“ Schriftsteller Heinrich Mann nach aktuellem Stand der Forschung nur durch sein vorzeitiges Ableben vor einer solchen, eigentlich schon mit ihm ausgehandelten Rolle in der DDR bewahrt wurde.)

Wie auch immer, zumindest hat ihre politische Wirkung und posthume propagandistische Instrumentalisierung Käthe Kollwitz bis heute nicht nachhaltig geschadet. Denn künstlerisch hat sie in der Tat Außerordentliches zu bieten. Der erste Eindruck ihrer im Theaterbau versammelten Werke, die einen Großteil ihres Schaffens ausmachen dürften, ist überwältigend. Eindringlich, grell und enorm plakativ wirken ihre Bilder, obwohl sie alle nur in Schwarz-Weiß gehalten sind. Man merkt, dass sie vom Expressionismus kommt. Schließlich ist sie gerade einmal 14 Jahre jünger als Vincent van Gogh (1853-1890). Und ganz ähnlich intensiv wie bei diesem sind ihre Werke, nur ohne jede Leichtigkeit. Die Stimmungslage geht bei ihr vielmehr ins Anti-Euphorische, ins abgrundtief Traurig-Verzweifelte, allzeit Schwermütige. Aber nicht in stillem Leiden, sondern gleichsam immerfort laut aufschreiend, nur eben bildlich. (Man fühlt sich in dieser Ausstellung auch ständig an den „Schrei“ von Munk erinnert.) Thematisch geht es immer um die Not und das Elend der kleinen Leute, der Arbeiter und Bauern, die mörderische Sinnlosigkeit der Kriege.

Nur stellt man sich im Laufe der Besichtigung dann irgendwann doch die Frage, woher die geradezu monomanische Obsession dieser Künstlerin für all das kommt. Keine Frage, ihre Empörung über die sozialen Missstände ihrer Zeit, über Krieg und Militarismus ist vollauf berechtigt. Aber es gibt bei ihr tatsächlich keine anderen Themen und vor allem auch keine anderen Stimmungen. Niemals entsteht so etwas wie Frohsinn, Entspannung oder vielleicht Sinnlichkeit. Selbst ihren Aktzeichnungen und -skulpturen fehlt wirklich jede Spur, ja jeder Hauch von Erotik. Die Schönheit der Natur oder von Architektur? Kommt bei ihr nicht vor. Und was ihrer Kunst erst recht abgeht, sind Humor oder gar Ironie. Wie anders hat doch ihr Kollege Heinrich Zille (1858-1929) seine ganz ähnlichen Sujets – sogar mit ähnlichen Mitteln – wiedergegeben: heiter, spitzbübisch, augenzwinkernd. Bei Käthe Kollwitz dagegen herrscht nur existentieller Ernst. Wenn nicht alles so nüchtern wäre, könnte man dazu fast sagen: bierernst.

Natürlich ist so etwas immer auch eine Temperamentsfrage. Vielleicht hat diese Künstlerin ja wirklich ein Leben im mentalen Ausnahmezustand geführt. Einen ihrer beiden Söhne und dazu noch einen Enkel hat sie in den beiden Weltkriegen verloren. Aber ihr Sohn hatte sich im Alter von 18 Jahren freiwillig zum Kriegseinsatz an der Front gemeldet, obgleich seine Eltern zweifellos bereits zu dieser Zeit (1914) offen pazifistisch und antinationalistisch eingestellt gewesen waren. Und ihr Enkelsohn wollte sogar „nicht der Enkel von Käthe Kollwitz sein“ und verstand sich als überzeugter Nationalsozialist, als er 1940 tödlich verwundet wurde. Wieviel Protesthaltung gegen die dominante Mutter respektive Großmutter wird dabei im Spiel gewesen sein? Im menschlichen Umgang war Käthe Kollwitz vermutlich nicht immer so ganz einfach…

Dennoch sollte, wer es noch nicht getan hat, unbedingt das Käthe-Kollwitz-Museum besuchen. Auch wenn es, was eigentlich denkbar unpassend ist, nun in einem alten preußischen Schloss untergebracht ist. Oder sollte der Hintergedanke dieser Ortsauswahl gerade darin liegen, die verblichenen Hohenzollernkönige mit sozialer Not und Kriegselend zu konfrontieren, was sie während ihrer Herrschaft kaum jemals interessiert haben dürfte?