Justament April 2005: Klassenkampf im Gerichtssaal

Helmut Brunn und Thomas Kirn erzählen von den “Linksanwälten” der 70er Jahre

Thomas Claer

Linksanwälte CoverDie Thematik ist in doppelter Hinsicht aktuell. Zum einen ist mit der jubiläumsbedingten ausufernden medialen Inszenierung der NS-Verbrechensgeschichte auch die andere finstere deutsche Sensations-Story der letzten Jahrzehnte, der RAF-Terrorismus, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Eine vieldiskutierte Ausstellung und ein nicht nur alle Zeitgrenzen verwischender, in seiner Aussage zweifelhafter Film geben dafür die anschaulichsten Beispiele. Zum anderen aber erleben wir derzeit eine durchaus an die 70er Jahre erinnernde Debatte um die angemessene Reaktion des Rechtsstaats auf die terroristische Herausforderung. So werden Begriffe wie “Feindstrafrecht”, die damals von Seiten der Terroristen selbst ins Spiel gebracht wurden, inzwischen wieder eifrig diskutiert – wie jüngst auf dem Strafverteidigertag im März in Aachen. Vielleicht, so lässt sich aus heutiger Sicht befürchten, waren die versprengten brutalen Wichtigtuer des “roten Jahrzehnts” ja nur die Vorboten eines globalen Terrorismus, der seine größten Schrecken (womöglich auch für die Institution Rechtsstaat) erst noch entfalten wird. Rechtsanwalt Helmut Brunn (Jahrgang 1945), selbst ehemaliger Aktivist der 68er Bewegung, und der etwa gleichaltrige Thomas Kirn, langjähriger Gerichtsreporter der FAZ, erzählen nun die drei Jahrzehnte zurückliegende Epoche aus juristischer Perspektive und sind dabei stets um eine sachliche, ausgewogene Beurteilung der Ereignisse bemüht.
Die “Linksanwälte”, das waren etwa 600 meist junge Rechtsanwälte (von damals ca. 30000 Anwälten insgesamt), die ihre Tätigkeit als Beitrag zum Klassenkampf und zur Überwindung des kapitalistischen Systems verstanden. Sie verteidigten als Strafverteidiger bevorzugt Terrorverdächtige, bestanden dabei auf die strikte Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensweisen, wurden vom Staate schließlich mit strafrechtlichen oder standesrechtlichen Verfahren überzogen und des Sympathisierens mit dem Terrorismus beschuldigt. Anders als es der Titel suggeriert, wird das Geschehen hier aber nicht in erster Linie an diesen Personen festgemacht. (Ein Namensregister fehlt sogar ganz, was eigentlich unverzeihlich ist.) Vielmehr lassen die Autoren einen Panoramablick über das relevante Geschehen kreisen und folgen dabei weder einer Chronologie, noch sonst einer erkennbaren Struktur. Sie denken und erzählen in Assoziationen und Anekdoten – und gerade das macht das Buch so lesenswert und unterhaltsam. Auf diejenigen, die mit der Materie schon eng vertraut sind, wird manche Wiederauftischung des Altbekannten ermüdend wirken. Alle anderen, zumal die Jüngeren, die damals Kinder oder noch nicht geboren waren, bekommen einen tiefen Einblick in eine merkwürdige Zeit und erfahren daneben noch allerhand Kurioses. So wurde der heutige Bundestagsabgeordnete Ströbele von der Verteidigung des Top-Terroristen Andreas Baader gemäß § 138 a StPO allein deshalb ausgeschlossen, weil er sich als Sozialisten bezeichnet und die Mandanten mit “Genossen” angeredet habe. Der heutige Innenminister Schily wurde als Wahlverteidiger der inhaftierten Terroristen Baader, Ensslin und Raspe dringend des Kassiberschmuggels aus der Isolationszelle verdächtigt. Und Terrorist Baader, so wird es bis heute kolportiert, habe während eines ungestörten Gesprächs mit einer Wahlverteidigerin ein Kind gezeugt.

Helmut Brunn/Thomas Kirn
Rechtsanwälte – Linksanwälte. 1071 bis 1981 – Das rote Jahrzehnt vor Gericht
Eichborn Verlag Frankfurt am Main 2004
396 Seiten
EUR 22,90
ISBN: 3 8218-55586-X

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