Das südkoreanische Juristenausbildungssystem übertrifft das deutsche an Rigorosität
Thomas Claer
Einen Namen gemacht hat sich Südkorea als Tigerstaat, der – abgesehen vom Asien-Krisen-Knick Mitte der Neunziger – seit Jahrzehnten ein exorbitantes Wirtschaftswachstum vorweisen kann und bei “ungehindertem Geschehensablauf” wohl in nicht allzu ferner Zukunft zum stagnierenden Nachbarn Japan aufschließen wird. In der für Deutschland so blamablen PISA-Studie belegten die Schüler Südkoreas hinter Finnland den zweiten Platz (was in den koreanischen Medien kaum Beachtung fand). Wie funktioniert in einem solchen aufstrebenden Land die Juristenausbildung?
Wenige Juristen
So wie in Deutschland muss, wer sich in Südkorea examinierter Jurist nennen will, zwei Staatsprüfungen bestehen. Die Parallelen sind nicht zufällig, wurde doch das formale Rechtssystem in Korea während der japanischen Kolonialherrschaft (1907-1945) etabliert und hatte Japan wiederum das seine nach dem Muster Preußens errichtet. Doch bildet Korea keine Einheitsjuristen aus. Es gibt drei unterschiedliche Staatsexamen: ein zivilrechtliches, das zwar auch das Strafrecht, hingegen das öffentliche Recht nur in Grundzügen umfasst, ferner ein öffentlich-rechtliches für alle Verwaltungsberufe und schließlich eins für den diplomatischen Dienst. Auch bewegt sich, anders als in Deutschland, das derzeit unter einer Juristenschwemme leidet, die Zahl der erfolgreich abschließenden Juristen in Korea bis heute auf eher preußischem Niveau: Genau 1000 Absolventen (bei ca. 50 Millionen Einwohnern) – diese Zahl ist festgeschrieben – kommen pro Jahr durchs zweite zivilrechtliche Staatsexamen. Bis 1997 waren es nur 500. Im öffentlich-rechtlichen und im Diplomaten-Examen lässt man noch deutlich weniger Kandidaten bestehen. Und diese wenigen Glücklichen haben – wie die vielen unglücklichen “Durchfaller” – einen nervenaufreibenden Lernmarathon durchlaufen, der selbst die gewiss nicht komfortable deutsche Examensvorbereitung in den Schatten stellt.
Voraussetzungen
Um sich für eines der koreanischen Staatsexamen anzumelden, bedarf es keinerlei formaler Voraussetzungen. Ein Jurastudium ist zwar hilfreich, aber genauso wenig vorgeschrieben wie ein bestimmter Schulabschluss. Wer es so will oder muss (z.B. weil er keinen der begehrten und streng limitierten Studienplätze bekommen hat), bereitet sich selbständig aufs Examen vor. Der jetzige Präsident der Republik Korea, Roh Moo Hyun, ist Jurist geworden, ohne jemals an einer Universität studiert zu haben. Das – wie alle Studiengänge in Korea – ziemlich verschulte Jurastudium ist zwar inhaltlich voll und ganz auf die Staatsexamen fixiert, bietet aber einen eigenen universitätsinternen Bachelor-Abschluss an, den auch üblicherweise der jeweils gesamte Jahrgang erreicht. Fast alle Jura-Studenten versuchen sich anschließend aber auch im ersten Staatsexamen, das immerhin ca. 10 Prozent von ihnen bestehen. Hinzu kommen noch die etwa zwanzig Prozent der erfolgreichen Examens-Prüflinge, die zuvor nicht Jura, sondern etwas anderes oder gar nicht studiert haben. Wer beim Examen scheitert oder diesen Weg gar nicht erst einschlagen will, kann immer noch einen aufbauenden Master-Studiengang absolvieren, der wiederum unverzichtbar für eine spätere Promotion ist, welche ihrerseits den Weg zu einer, in Korea nicht sonderlich attraktiven, Professur an einer Universität ebnen kann – und das alles ohne Staatsexamen.
Examensindustrie
Die eigentliche Examensvorbereitung erfolgt aber – wie in Deutschland – in den allermeisten Fällen beim “Rep”. Die absolvierten privaten examensvorbereitenden Kurse dauern mindestens ein Jahr, oft aber auch länger – je nach Selbsteinschätzung der Kandidaten. Manche sollen bis zu 10 Jahre für ihr Examen lernen. Die Intensität ist beträchtlich. Üblicherweise quartieren sich die Kursteilnehmer in den Lernräumen der Repetitorien ein (Übernachtungen sind in den Preisen von umgerechnet ca. 1000 Euro monatlich bereits enthalten) und büffeln dort buchstäblich Tag und Nacht. In der Nähe der renommierten Seoul-Uni, der koreanischen Eliteuniversität schlechthin, gibt es einen so genannten “Juristenexamensbezirk”, in dem sich eine Vielzahl dieser “Paukschulen” befindet.
Staatsexamen
Die zentrale Prüfung zum ersten Staatsexamen findet jeweils einmal jährlich für einige Tage in der Hauptstadt Seoul statt. Im ersten Durchgang müssen die zigtausend Kandidaten durch einen Multiple-Choice-Test, dessen Bestehen die Voraussetzung für die Teilnahme am zweiten Durchgang ist und der das Feld der Aspiranten bereits deutlich dezimiert. Dann folgt der Klausuren-Teil, zu dem neben der üblichen Fallbearbeitung, wie wir sie kennen, auch regelmäßig “Besinnungs-Aufsätze” mit Aufgabenstellungen wie “Stellen Sie Ihre Kenntnisse über die Meinungsfreiheit dar!” gehören. Wer hier zu den besten 1000 gehört, hat es so gut wie geschafft. Die abschließende mündliche Prüfung der “Sieger” dient dann nur noch der gelegentlichen Auslese aufgrund eines mangelhaften Persönlichkeitsbildes.
Vorbereitungsdienst
Auf das erfolgreiche erste Examen folgt dann ein zweijähriger staatlicher Vorbereitungsdienst, ähnlich unserem Referendariat. Im ersten Jahr erhalten die verbeamteten und besoldeten angehenden Juristen einen schulartigen, aber rechtspraxisnahen Unterricht an einem Institut. Das zweite Jahr wird nur noch in der Praxis absolviert. Grundsätzlich jeder besteht das darauf folgende zweite Staatsexamen. Allerdings verliert bei einem – nur selten vorkommenden – Scheitern im zweiten Examen auch das erste seine Gültigkeit. Je nach Examensnote dürfen die Absolventen dann Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte (von denen es in Korea nur einen Bruchteil der in Deutschland zugelassenen Zahl gibt) werden. In jedem Falle haben die auf solche Weise examinierten Juristen exzellente Berufs- und Verdienstaussichten.