Was südkoreanische Jurastudenten und -doktoranden über ihr Gastgeberland Deutschland denken
Thomas Claer
Unter den ausländischen Studierenden an deutschen Universitäten stellen die Südkoreaner nach den Chinesen die zweitgrößte “Landsmannschaft” aus Fernost. Darunter sind – im regulären oder im Promotionsstudium – auch etliche (angehende) Juristen. Warum fiel ihre Wahl gerade auf Deutschland, was denken Sie über ihr Gastgeberland und sein Rechtssystem? Und was gefällt ihnen in Deutschland besser, was finden sie hier schlechter als in ihrer Heimat? Wir haben drei in Bielefeld lebende koreanische Studenten befragt.
Hyung-Dun Kwon, 37 Jahre, Promotionsstudent
Ich bin 1996 nach Deutschland gekommen um in meinem Spezialgebiet, Verfassungsrecht mit Schwerpunkt Medienrecht, zu promovieren. Deutschland war für mich besonders interessant, weil bei der Kodifikation unserer südkoreanischen Verfassung 1948 auch Einflüsse aus Deutschland eine wichtige Rolle spielten: Es wurden damals nicht nur liberale, sondern auch soziale Grundsätze in die Verfassung geschrieben. Auch die weitere Entwicklung der koreanischen Verfassung war stark vom Bonner Grundgesetz beeinflusst. Der heutige deutsche Rechtsstaat ist dem koreanischen zwar formal recht ähnlich, funktioniert aber insgesamt besser, wie man beispielsweise an den Kontrollsystemen für Machtmissbrauch in der Politik sehen kann. Auch halte ich das deutsche Sozialsystem trotz aller gegenwärtigen Probleme für besser als das koreanische, vor allem gilt das für das Solidarprinzip in der Krankenversicherung. In Korea müssen Arme, wenn sie schwer krank werden, häufig auf ihr Leben verzichten, weil sie sich die erforderliche Behandlung nicht leisten können. Gut sind in Deutschland auch der Umweltschutz und die vielen sicheren Fahrrad- und Fußgängerwege. Schlecht finde ich in Deutschland die viele Bürokratie, auch den Umgang der Beamten mit ausländischen Studenten. An das deutsche Essen habe ich mich mit der Zeit etwas gewöhnt, aber das schlechte und wechselhafte Wetter stört mich noch immer. Sehr beeindruckt hat mich, wie manchmal deutsche Studenten im Seminar ihrem Professor widersprechen. Das wäre in Korea kaum vorstellbar. Eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft wie die koreanische hat Vor- und Nachteile. Aber in der Wissenschaft sind flache Hierarchien sicherlich günstiger.
Sang-Mi Lee, 27 Jahre, Studentin der Rechtswissenschaften
Ich habe in Korea bereits ein Germanistikstudium abgeschlossen und studiere nun seit drei Jahren in Deutschland Jura. Deutschland habe ich mir ausgesucht, weil ich durch mein vorheriges Studium schon einige Sprach- und kulturelle Kenntnisse über das Land erlangen konnte. Meine Angst vor einem Leben allein im Ausland war daher bezüglich Deutschland am geringsten. Sehr ungewöhnlich war es anfangs für mich, das Studium selbst organisieren zu müssen. Dieses deutsche System der studentischen Freiheit hat sicherlich große Vorteile, aber zum Studium ist viel Selbstdisziplin erforderlich. Meine Mitbewohner in der WG zum Beispiel gehen ausnahmslos jede Woche auf irgendwelche Partys. Das ist schon anders als in Korea, wo insgesamt intensiver gelernt wird. Gut gefällt mir, dass im deutschen Jurastudium bereits von Anfang an Fälle gelöst werden und nicht wie in Korea erst im Hauptstudium. Sehr gerne mag ich das deutsche Bier, das hier auch viel billiger ist als in Korea. Allerdings finde ich das Freizeitangebot in Korea besser, es gibt hier nicht so viele Sachen zum Genießen, z.B. kaum Karaoke-Bars und nur wenige Internet-Cafes. Schlecht finde ich in Deutschland die kurzen Öffnungszeiten der Geschäfte. Das ist schon manchmal sehr unpraktisch.
Wan-Tae Kim, 36 Jahre, Promotionsstudent
Ich bin 1994 nach Deutschland gekommen, habe den Jura-LL.M-Studiengang in Bielefeld abgeschlossen und promoviere nun an der Uni Frankfurt am Main. Deutschland schien mir als Studienort im Hinblick auf sein Wissenschaftsniveau, die vielfältigen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur, aber auch von der Lebensqualität her sehr geeignet zu sein. Die Verwirklichung von Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip galt als vorbildlich. Die Krankenversicherungskosten und die Studiengebühren waren damals sehr günstig. Zwar sind die Rechtssysteme in Deutschland und Korea sehr ähnlich, doch die Rechtsanwendung ist in Korea eher amerikanisch. Allgemein ist das Lebenstempo in Deutschland langsam. Man braucht hier für alle Dinge viel Geduld. Die Regulierungen und Gesetze sind sehr umfangreich und es gibt keinen ausreichenden Service im Dienstleistungsbereich. Die Deutschen sind logisch, rational, sparsam und verantwortungsvoll. Vorteilhaft an Deutschland ist, dass hier sehr viel Freizeit genossen wird. Negativ an Deutschland finde ich die viel zu starke Bürokratisierung und eine oft sinnlose und überflüssige Genauigkeit, wenn ich an manche Ausweiskontrollen denke, bei denen auf dem Personalausweis bestanden und nicht ersatzweise der Führerschein akzeptiert wird.