justament.de, 7.11.2022: Godfather der Sexfilm-Klamotte
Recht cineastisch Spezial: 50 Jahre „Lass jucken, Kumpel“. Zur Kulturgeschichte des deutschen Klamauk-Sexfilms
Thomas Claer
Für bestimmte kulturelle Erzeugnisse gibt es ein enges Zeitfenster: Ein paar Jahre früher hätten sie noch nicht entstehen können, einige Zeit später aber auch schon nicht mehr. Aus heutiger Sicht erscheint es als geradezu unglaublich, dass damals, in den frühen Siebzigern, vier Millionen bundesdeutsche Kino-Zuschauer einen Film sehen wollten, dessen weitgehend schwachsinnige Handlung nur eine untergeordnete Bedeutung hatte und in dem es hauptsächlich um die gelegentliche Zurschaustellung von nackter Haut, unterlegt mit reichlich derb-anzüglichen Sprüchen, ging. Und doch wurde „Lass jucken, Kumpel“ von Franz Marischka (1918-2009), die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Hans Henning Claer (1931-2002), der darin auch selbst in einer Nebenrolle zu sehen war, wegen seines großen Erfolgs mit dem Preis „Goldene Leinwand“ ausgezeichnet und in diesem Genre nur vom noch populäreren ersten Teil des „Schulmädchenreports“ (1970) übertroffen. In den Jahren darauf erschienen dann noch zahlreiche weitere Fortsetzungen und Abwandlungen dieser so überaus populären Klamauk-Sexfilme. Schon Anfang der Achtziger dünnte deren Produktion dann aber merklich aus und kam bald darauf zum Erliegen.
Sex-Welle währte nur ein Jahrzehnt
So können wir heute vor allem auf die Siebzigerjahre als das Jahrzehnt der Sexfilm-Klamotte zurückblicken. Am Anfang hatte es – neben einigen rechtlichen Liberalisierungen – den emanzipatorischen Geist der 1968er Bewegung gebraucht, der dafür sorgte, dass alle Hemmungen und Geschmacksgrenzen zumindest auf der Kino-Leinwand fallen sollten. Doch die fortschreitende technische Entwicklung grub dieser Entwicklung schon bald wieder das Wasser ab: „‘nen Videorecorder hab ich mir bestellt / Mit so schweinische Filme – was kostet die Welt?“, heißt es im Song „Sex“ von Marius Müller-Westernhagen aus dem Jahr 1981. Seit immer explizitere Werke in großer Zahl verfügbar waren, deren öffentliche Aufführung freilich nur in schmuddeligen „Sex-Kinos“ erlaubt war, konnte man mit Softcore-Produktionen irgendwann keinen Blumentopf mehr gewinnen. So ebbte die cineastische Sex-Welle nach nur einem Jahrzehnt schon wieder ab und verlagerte sich nun dank zeitgemäßer technischer Ausstattung der Konsumenten vor allem ins Private.
Renaissance im Privatfernsehen
Doch erlebten die Sexfilm-Klamotten aus den Siebzigern seit Mitte der Achtzigerjahre einen zweiten Frühling im Nachtprogramm der jungen Privatfernsehsender, namentlich bei RTL plus und SAT 1. Hier waren sie insbesondere für jene Zuschauer relevant, die entweder nur ein flüchtiges und oberflächliches Interesse an sexuellen Inhalten mitbrachten oder denen es am Zugang zu härterem Material fehlte. Zu letzteren gehörten vor allem auch die Bewohner der damaligen DDR, soweit sie überhaupt das Glück hatten, in der Nähe der innerdeutschen Grenze zu leben, wo allein sich die neuen westlichen Privatfernsehsender empfangen ließen. Für damalige Pubertierende mit den alterstypischen hormonellen Aufwallungen konnten solche Filme mit Titeln wie „Frau Wirtin bläst Trompete“ oder „Beim Jodeln juckt die Unterhose“, von denen jeden Samstag um 23.00 Uhr jeweils einer zeitgleich auf RTL plus und Sat 1 ausgestrahlt wurde, leicht zu besonderen Wochenend-Höhepunkten werden, denen man die ganze Woche lang vorfreudig entgegenfieberte, vorausgesetzt, man hatte einen eigenen Fernseher im Zimmer. Praktisch war, dass sich die Längen dieser Filme zwischen den interessanten Szenen leicht dadurch überbrücken ließen, dass man währenddessen zum jeweils anderen Film im konkurrierenden Sender switchten konnte. Nur ganz selten hatte man für einige Minuten die Qual der Wahl, weil es auf beiden Kanälen gleichzeitig zur Sache ging. Dass man von der Handlung der Filme nicht viel mitbekam, zumal man sie ja aus Vorsichts- und Diskretionsgründen auch nur in stark gedämpfter Lautstärke verfolgen konnte, störte wenig, da es nicht viel Bedeutsames gab, das man hätte verpassen können. Ganz anders standen die Dinge allerdings bei den faktischen Konkurrenzprodukten der deutschen Klamotten-Sexfilme, den erotischen Filmen des italienischen oder französischen Kinos der Siebziger- und Achtzigerjahre, in denen es oft sehr freizügig zuging. Nur waren das in der Regel „richtige“ Filme mit „ernsthaften“ Inhalten, mitunter überaus kunstvoll gemacht. Hier hätte man schon gerne Genaueres vom Inhalt mitbekommen, doch leider wäre es viel zu peinlich gewesen, solche Filme in normaler Lautstärke anzusehen. Es hätte ja überraschend jemand ins Zimmer kommen können…
Nische für Nostalgiker
Nach der deutschen Wiedervereinigung konnten sich dann alle Deutschen in West und Ost, die das wollten (und alle sonstigen Zugezogenen und deren Abkömmlinge natürlich ebenso), einen Videorecorder anschaffen, denn diese wurden nun immer besser und preiswerter. Als bald darauf auch noch die DVD ihren Siegeszug antrat und gestochen scharfe Bilder lieferte (so glaubte man es zumindest, bis lange Jahre später das HD-Format erfunden wurde), schossen sogenannte Erotik-DVD-Videotheken wie Pilze aus der Erde, die das alte Schmuddel-Image ihrer VHS-Vorgänger allmählich ablegten und sich schon bald immer größerer Beliebtheit erfreuten. Oftmals gab es in diesen Häusern zusätzlich noch ganze Etagen nur mit Spitzenunterwäsche und Sexspielzeugen für Frauen, um auch das weibliche Geschlecht „abzuholen“, wie man heute sagen würde. Für die Klamauk-Sexfilme aus den Siebzigern jedoch war die Zeit damit abgelaufen, denn sie waren nun angesichts der niedrigschwelligen, für jedermann leicht zugänglichen Fülle von explizitem Material endgültig nicht mehr konkurrenzfähig. Doch gab es offenbar eine Menge Nostalgiker, die ihrem Verschwinden aus dem Fernsehprogramm nachtrauerten, denn seitdem sind unzählige DVD-Sammeleditionen wohl nahezu aller Sex-Klamotten-Filme erschienen, nach denen offenbar bis heute eine erstaunlich große Nachfrage besteht… Was aber in den Erotik-Videotheken der Neunziger- und Nullerjahre noch vom alten Geist des Klamotten-Sexfilms überlebt hatte, waren die Beschriftungen der Leih-DVD-Hüllen mit durchweg beträchtlichem humoristischen Potenzial. Jede war mit einem einschlägigen Begleittext versehen nach dem Motto: „Uschi ist ein geiles Luder, das nie an etwas anderes denken kann als immer nur…“
Große Freiheit der Lüste
Der bis heute überaus schlechte Ruf der Pornografie in feministischen Kreisen (und ganz besonders in alt-feministischen, versteht sich) resultiert vermutlich noch aus der mittlerweile vergangenen Epoche der quasi-industriellen Fertigung pornographischen Materials. Denn mit dem immer besser und schneller werdenden Internet begann vor anderthalb Jahrzehnten die große Freiheit der Lüste, die die alte „Porno-Industrie“, in der gerne noch überkommene Geschlechter-Klischees und ausbeuterische Strukturen gepflegt wurden, inzwischen längst marginalisiert hat (womit dann auch die Videotheken obsolet wurden). Stattdessen ist seitdem im Netz eine Porno-Industrie ganz neuen Typs entstanden, die nur noch aus den Betreibern der einschlägigen Portale (mitsamt ihren ausgefeilten Algorithmus-Systemen) besteht, welche aber mit den dort gezeigten Inhalten kaum noch etwas zu tun haben. Vielmehr sind es inzwischen die „User“ selbst, die den „Content“ liefern: Jeder und jede kann sich dank kinderleicht beherrschbarer Technik nach Belieben selbst ausstellen und/oder anderen dabei zuschauen. Manche verfolgen damit eigene kommerzielle Interessen, andere nicht. Die einen sind bereit, dafür zu bezahlen, für andere käme das nie infrage. Doch jede und jeder Suchende dürfte am Ende irgendwo fündig werden – außer vielleicht diejenigen, deren Vorlieben sich angesichts der permanenten Reizüberflutungen so hochgradig ausdifferenziert haben, dass ihr erotischer Hunger schlichtweg nicht mehr zu stillen ist…
Kritik vom Papst
Kritisch beäugt wird diese Entwicklung heute – außer von den besagten Altfeministinnen und besorgten Psychiatern – wohl nur noch von religiöser Seite. So warnte Papst Franziskus jüngst eindringlich vor „den Versuchungen der digitalen Pornografie“, auch vor der „einigermaßen normalen“. Es handele sich um ein Laster, das auch viele Priester und Nonnen hätten, denn „so tritt der Teufel ein.“ „Das reine Herz, das Jesus jeden Tag empfängt, darf solche pornografischen Informationen nicht empfangen.“ Es sei „eine Sache, die den Geist schwächt“. Immerhin hat er nicht gesagt, dass dadurch das Rückenmark geschädigt oder dass man davon blind wird. Doch befindet er sich mit dieser Haltung ganz im Einklang mit dem – wie Dieter Nuhr einmal treffend sagte – ungeschriebenen ersten Gebot aller Religionen: „Du sollst keinen Spaß haben.“
Die Zukunft der Pornografie
Was aber wird passieren, wenn dank der weiter fortschreitenden technischen Entwicklung in einigen Jahren jeder Mensch mit jedem beliebigen anderen lebensechten virtuellen Sex haben kann (ohne dass der jeweils andere davon erfahren würde)? Der jetzige Zustand der bislang lediglich visuellen Verfügbarkeit einer beinahe unendlich großen Zahl an optisch mehr oder weniger reizvollen Mitmenschen erführe dann noch einmal – vielleicht zum letzten Mal? – eine bedeutsame Steigerung ins Monströse. Und was hieße hier schon „lebensechter Sex“? Es wäre natürlich viel, viel besser und intensiver… Wie bescheiden wirken dagegen etwa die gerade einmal 72 Jungfrauen im Märtyrer-Paradies der Muslime (die noch dazu für eine Ewigkeit genügen sollten!). Vermutlich droht uns wohl schon in absehbarer Zeit ein allgemeines Verhungern in der Fülle.
Justament Sept. 2013: Mächtig gewaltig
Vor 45 Jahren gab es den ersten Film der Olsenbande
Thomas Claer
Etwas Besseres kann einem eigentlich gar nicht passieren, als an einem freien Sonntagnachmittag beim Durchzappen vor dem Fernseher beim MDR oder RBB hängenzubleiben, wenn dort ein kleinen Mann im verbeulten Anzug mit altmodischem Hut und Zigarre strahlenden Auges verkündet: “Ich hab einen Plan!” Und ein anderer Mann im etwas lächerlichen karierten Jackett kommentiert das stets mit den Worten “Mächtig gewaltig, Egon!” Auch wenn man alle 14 Folgen der “Olsenbande”, so der Titel dieser aus Dänemark stammenden Gangsterkomödien-Reihe aus den 70er und 80er Jahren, nicht nur einmal und nicht nur mehrmals, sondern wohl schon unzählige Male gesehen hat, wird man es kaum über sich bringen, die Episode, in die man zufällig hineingeraten ist, nicht bis zum Ende weiterzugucken.
Immer vorausgesetzt allerdings, man hat seine Sozialisation in der DDR erlebt, denn einem Westdeutschen die Olsenbanden-Filme nahebringen zu wollen, ist ein völlig sinnloses Unterfangen. Er wird es schlichtweg nie begreifen. In den Kritiken der Zeitschrift TV-Spielfilm ist bislang noch jede Olsenbanden-Folge als unsäglich albern und banal, als billigster Klamauk abgekanzelt worden. Hingegen erblicken Filmexperten aus dem Osten in den Filmen mit dem dänischen Gauner-Trio Sternstunden der Filmgeschichte, etwa in jener berühmten Szene, als die Olsenbande sich im “Königlichen Theater” in Kopenhagen während der Overtüre von Friedrich Kuhlaus “Elverhoj” im Takt der Musik mit Hilfe von Brecheisen und Sprengsätzen unbemerkt bis in den Zuschauerraum vorarbeitet, wo sie eine kostbare Vase und einen Geldkoffer entwenden kann (“Die Olsenbande sieht rot”, 1976). Es ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon ausgiebig diskutiert worden, sogar in Universitätsseminaren der Filmwissenschaften, woran diese so unterschiedliche Rezeption der Olsenbanden-Filme in Ost- und West wohl liegen könnte. Erkannten die Ostdeutschen in Egon Olsens immer wieder vergeblichen Bemühungen um den ganz großen Coup wirklich ihre zum Scheitern verurteilte Planwirtschaft wieder? Lag es an der sehr gelungenen, ganz eigene Akzente setzenden DEFA-Synchronisation mit zahlreichen Insider-Jokes? Manche Diskutanten konstatierten am Ende eine tiefgreifende mentale Andersartigkeit von Ost- und Westdeutschen und ihres jeweiligen Humors und resümierten, die DDR hätte sich statt mit der BRD doch lieber mit Dänemark vereinigen sollen.
Mit heutigen Augen betrachtet taucht man in diesen Filmen allerdings in eine in vieler Hinsicht längst vergangene Zeit ein, bei deren Betrachtung sogar die alten Ost- und West-Unterschiede ein wenig verblassen. Was da überall an alltäglicher Gemächlichkeit und Gemütlichkeit vorexerziert wird, man denke nur an die ausgiebig Kaffee trinkenden verbiesterten Bahnbeamten in “Die Olsenbande stellt die Weichen” (1975), das hat es damals wohl ganz ähnlich im Westen wie im Osten, in beiden Deutschlands wie in Dänemark gegeben. Heute ist all das in unserer von Controllern gnadenlos auf schlanke Strukturen, Kostenersparnis und Effektivität getrimmten Welt nahezu vollkommen verschwunden.
Es war jene (auch im östlichen Realsozialismus) zutiefst sozialdemokratische Ära kurz vor dem von Maggy Thatcher und Ronald Reagan angeschobenen Neoliberalismus, in der man noch grundsätzlich fünfe gerade sein ließ und nichts so heiß gegessen wurde, wie es gekocht worden war. Ja, gerade diese so weit verbreitete Nachlässigkeit und Gutmütigkeit all der Wachmänner und Beamten, der Müllkutscher und sogar der Geldleute war es, die Schlitzohr Egon Olsen und seinen beiden loyalen Mitstreitern Benny und Kjeld ein ums andere Mal die Chance eröffnete, mit sehr einfachen Mitteln immense kleinkriminelle Husarenstücke zu vollbringen und dabei sogar den ganz großen Wirtschaftsverbrechern in die Quere zu kommen.
In einer der letzten Folgen deutet sich allerdings der drohende Epochenwechsel an: Ein Computerexperte namens Georg hat ebenfalls einen – allerdings auf modernste Technik setzenden – Plan, lässt Benny und Kjeld für sich arbeiten und Bandenchef Egon vorübergehend ganz schön alt aussehen. Doch Egon kann mit einem raffinierten Akt der Sabotage (ein in der Öffnung eines Computers versenkter Nagel legt die gesamte IT-Anlage lahm) noch einmal den Status Quo und die Gefolgschaft seiner beiden Kumpane zurückerobern.
Heute lässt sich bei Wikipedia der Plot jeder einzelnen Folge nachlesen. Vor allem die immer wieder auftretenden haarsträubenden Korruptionsfälle in Politik und Großkapital, die Lenkung der Polizei per Telefon durch den zuständigen Minister persönlich, die unbedingt verhindern soll, dass bestimmte brisante Fälle jemals aufgeklärt werden, zeigen, welche überaus kapitalismuskritische Gesellschaftssatire diesen Klamauk-Krimis dann doch zugrundelag.
Aus juristischer Sicht ist noch anzumerken, dass die Olsenbande in ihren 14 Filmen zwar Diebstähle und Unterschlagungen, Sachbeschädigungen und kleinere Betrügereien in großer Zahl beging, auch – allerdings eher zufällig und ohne selbst das Ausmaß zu überblicken – einige kapitale Wirtschaftsdelikte, doch niemals Tötungen oder auch nur Körperverletzungen, letztere allenfalls fahrlässig oder in mittelbarer Täterschaft. Der allererste Olsenbanden-Film, in dem allerdings einige später stilbildende Details noch nicht ganz ausgereift waren, erblickte vor 45 Jahren das Licht der Welt.