Vor 45 Jahren gab es den ersten Film der Olsenbande
Thomas Claer
Etwas Besseres kann einem eigentlich gar nicht passieren, als an einem freien Sonntagnachmittag beim Durchzappen vor dem Fernseher beim MDR oder RBB hängenzubleiben, wenn dort ein kleinen Mann im verbeulten Anzug mit altmodischem Hut und Zigarre strahlenden Auges verkündet: “Ich hab einen Plan!” Und ein anderer Mann im etwas lächerlichen karierten Jackett kommentiert das stets mit den Worten “Mächtig gewaltig, Egon!” Auch wenn man alle 14 Folgen der “Olsenbande”, so der Titel dieser aus Dänemark stammenden Gangsterkomödien-Reihe aus den 70er und 80er Jahren, nicht nur einmal und nicht nur mehrmals, sondern wohl schon unzählige Male gesehen hat, wird man es kaum über sich bringen, die Episode, in die man zufällig hineingeraten ist, nicht bis zum Ende weiterzugucken.
Immer vorausgesetzt allerdings, man hat seine Sozialisation in der DDR erlebt, denn einem Westdeutschen die Olsenbanden-Filme nahebringen zu wollen, ist ein völlig sinnloses Unterfangen. Er wird es schlichtweg nie begreifen. In den Kritiken der Zeitschrift TV-Spielfilm ist bislang noch jede Olsenbanden-Folge als unsäglich albern und banal, als billigster Klamauk abgekanzelt worden. Hingegen erblicken Filmexperten aus dem Osten in den Filmen mit dem dänischen Gauner-Trio Sternstunden der Filmgeschichte, etwa in jener berühmten Szene, als die Olsenbande sich im “Königlichen Theater” in Kopenhagen während der Overtüre von Friedrich Kuhlaus “Elverhoj” im Takt der Musik mit Hilfe von Brecheisen und Sprengsätzen unbemerkt bis in den Zuschauerraum vorarbeitet, wo sie eine kostbare Vase und einen Geldkoffer entwenden kann (“Die Olsenbande sieht rot”, 1976). Es ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon ausgiebig diskutiert worden, sogar in Universitätsseminaren der Filmwissenschaften, woran diese so unterschiedliche Rezeption der Olsenbanden-Filme in Ost- und West wohl liegen könnte. Erkannten die Ostdeutschen in Egon Olsens immer wieder vergeblichen Bemühungen um den ganz großen Coup wirklich ihre zum Scheitern verurteilte Planwirtschaft wieder? Lag es an der sehr gelungenen, ganz eigene Akzente setzenden DEFA-Synchronisation mit zahlreichen Insider-Jokes? Manche Diskutanten konstatierten am Ende eine tiefgreifende mentale Andersartigkeit von Ost- und Westdeutschen und ihres jeweiligen Humors und resümierten, die DDR hätte sich statt mit der BRD doch lieber mit Dänemark vereinigen sollen.
Mit heutigen Augen betrachtet taucht man in diesen Filmen allerdings in eine in vieler Hinsicht längst vergangene Zeit ein, bei deren Betrachtung sogar die alten Ost- und West-Unterschiede ein wenig verblassen. Was da überall an alltäglicher Gemächlichkeit und Gemütlichkeit vorexerziert wird, man denke nur an die ausgiebig Kaffee trinkenden verbiesterten Bahnbeamten in “Die Olsenbande stellt die Weichen” (1975), das hat es damals wohl ganz ähnlich im Westen wie im Osten, in beiden Deutschlands wie in Dänemark gegeben. Heute ist all das in unserer von Controllern gnadenlos auf schlanke Strukturen, Kostenersparnis und Effektivität getrimmten Welt nahezu vollkommen verschwunden.
Es war jene (auch im östlichen Realsozialismus) zutiefst sozialdemokratische Ära kurz vor dem von Maggy Thatcher und Ronald Reagan angeschobenen Neoliberalismus, in der man noch grundsätzlich fünfe gerade sein ließ und nichts so heiß gegessen wurde, wie es gekocht worden war. Ja, gerade diese so weit verbreitete Nachlässigkeit und Gutmütigkeit all der Wachmänner und Beamten, der Müllkutscher und sogar der Geldleute war es, die Schlitzohr Egon Olsen und seinen beiden loyalen Mitstreitern Benny und Kjeld ein ums andere Mal die Chance eröffnete, mit sehr einfachen Mitteln immense kleinkriminelle Husarenstücke zu vollbringen und dabei sogar den ganz großen Wirtschaftsverbrechern in die Quere zu kommen.
In einer der letzten Folgen deutet sich allerdings der drohende Epochenwechsel an: Ein Computerexperte namens Georg hat ebenfalls einen – allerdings auf modernste Technik setzenden – Plan, lässt Benny und Kjeld für sich arbeiten und Bandenchef Egon vorübergehend ganz schön alt aussehen. Doch Egon kann mit einem raffinierten Akt der Sabotage (ein in der Öffnung eines Computers versenkter Nagel legt die gesamte IT-Anlage lahm) noch einmal den Status Quo und die Gefolgschaft seiner beiden Kumpane zurückerobern.
Heute lässt sich bei Wikipedia der Plot jeder einzelnen Folge nachlesen. Vor allem die immer wieder auftretenden haarsträubenden Korruptionsfälle in Politik und Großkapital, die Lenkung der Polizei per Telefon durch den zuständigen Minister persönlich, die unbedingt verhindern soll, dass bestimmte brisante Fälle jemals aufgeklärt werden, zeigen, welche überaus kapitalismuskritische Gesellschaftssatire diesen Klamauk-Krimis dann doch zugrundelag.
Aus juristischer Sicht ist noch anzumerken, dass die Olsenbande in ihren 14 Filmen zwar Diebstähle und Unterschlagungen, Sachbeschädigungen und kleinere Betrügereien in großer Zahl beging, auch – allerdings eher zufällig und ohne selbst das Ausmaß zu überblicken – einige kapitale Wirtschaftsdelikte, doch niemals Tötungen oder auch nur Körperverletzungen, letztere allenfalls fahrlässig oder in mittelbarer Täterschaft. Der allererste Olsenbanden-Film, in dem allerdings einige später stilbildende Details noch nicht ganz ausgereift waren, erblickte vor 45 Jahren das Licht der Welt.