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Justament Dez. 2008: Im Trend: zentral, alt, saniert

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Heute heiß begehrt: Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg (Foto: TC)

Ein Streifzug durch den Berliner Wohnimmobilienmarkt

Thomas Claer

“Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so gut töten wie mit einer Axt!” So sprach Heinrich Zille (1858-1929), Zeichner des Berliner “Milljöhs”, und meinte die berüchtigten Mietskasernen in den Berliner Arbeiterbezirken, die ihm wegen ihrer engen, jeden Sonnenstrahl verschluckenden Bauweise nur als schreckliche Bausünden erscheinen konnten. Private Spekulanten hatten diese Wohnhäuser in der schnell wachsenden Industriemetropole Berlin zwischen 1870 und Anfang des 20. Jahrhunderts in großer Zahl errichtet. Die Grundstücke wurden im Rahmen der Bauordnung maximal ausgenutzt. Vorderhaus, Seitenflügel, Quergebäude und ein Innenhof, dessen Größe immerhin für ein Feuerwehrfahrzeug zum Wenden reichen musste, bildeten die Grundstruktur der Bebauung. Mitunter waren fünf bis sieben Höfe hintereinander angeordnet. Hinzu kam natürlich, dass die betreffenden Wohnungen zumeist von ziemlich vielen Personen gleichzeitig genutzt wurden: Bis zu sieben Menschen sollen noch um 1900 in vielen Einzimmerwohnungen gehaust haben. Die Einwohnerzahl Berlins war von 1870 bis 1905 von 800.000 auf über 2 Millionen gestiegen, ohne dass sich das Stadtgebiet nennenswert erweitert hätte. Bis 1925 sollte sie sich nochmals auf 4 Millionen (heute sind es 3,4 Millionen) verdoppeln, was allerdings zum Teil auch an der Eingemeindung der zuvor selbständigen Großstädte Charlottenburg, Neukölln, Schöneberg, Lichtenberg, Wilmersdorf und Spandau im Jahr 1920 lag.

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Zille-Zeichnung: “Wollt ihr weg von de Blume! Spielt mit’n Müllkasten!”

Baustopp für Mietskasernen
Mit dem Einzug der Demokratie und einer größeren Sensibilität für Soziales wurde in der Weimarer Republik die Entstehung weiterer Mietskasernen gestoppt. Die am 1. Dezember 1925 in Kraft getretene Bauordnung Berlins, angelehnt an die preußische Einheitsbauordnung von 1919, und der auf ihrer Grundlage entstandene Bauzonenplan verboten fortan die berüchtigte Hinterhofbauweise.
Es folgte die Geburtsstunde des sozialen Wohnungsbaus: Durch rationales und den Bedürfnissen des “modernen Menschen” entsprechendes Bauen sollte die Forderung nach “Licht, Luft und einer Wohnung für alle” (Bruno Taut) verwirklicht werden. Wie sonst nur im ebenfalls “roten” Wien entstanden seit 1925 in ganz Berlin zahlreiche Reformsiedlungen mit kleineren und niedrigeren, aber nach funktionellen Gesichtspunkten geschnittenen Wohnungen mit überwiegend zwar noch geschlossenen, jedoch grünen und voluminösen Innenhöfen. Diverse Bauhaus-Architekten und Wegbereiter der Architektonischen Moderne wie Walter Gropius, der zitierte Bruno Taut, Hans Scharoun und Otto Bartning schufen so eine spezifische “Berliner Moderne” im Stil des “Neuen Bauens”.

Kahlschlagsanierung
An Nazizeit und zweiten Weltkrieg schloss sich im frisch geteilten Berlin eine Phase an, in der die Architektur eher der nackten Not gehorchte und weitgehend ambitionslos für Dächer über den Köpfen sorgte. Als Ausnahmen vom Generaltrend dieser Jahre können jene Bauwerke gelten, die der Renommiersucht im kalten Krieg geschuldet waren wie etwa die prächtigen Wohnblöcke aus den 1950er Jahren im Stil des Sozialistischen Klassizismus in der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) in Friedrichshain. Doch bald schon wehte im Westen wie im Osten ein neuer städtebaulicher Wind, der Plattenbausiedlungen zum Ideal erhob. Vor allem aber wurden nun die alten Mietskasernen, denen der Zahn der Zeit inzwischen auch mächtig zugesetzt hatte, als empörende Schandflecke einer neuen Stadtkultur erkannt. Systemübergreifend einig war man sich, dass solche Häuser am besten abgerissen und durch 60er und 70er Jahre-Zweckbauten ersetzt gehörten. In Westberlin sah das “Erste Programm zur Stadterneuerung” vom 18. März 1963 zwei Sanierungsmethoden vor: Die erste war der Totalabriss und eine nachfolgende Neubebauung, die zweite war der Teilabriss durch Entkernung und die Komplettierung bzw. Modernisierung der verbliebenen Restsubstanz. Der Umfang der sanierungsbedürftigen Wohnungen wurde 1962 im “Ersten Bericht über die Stadterneuerung in Berlin” mit 430.000 von insgesamt 849.918 (1960) vorhandenen Wohnungen angegeben. Davon waren 250.000 abbruchreif und 180.000 sanierungsbedürftig. Gesagt, getan: Der Südosten des Westberliner Arbeiterbezirks Wedding etwa musste komplett dran glauben. Fast kein Altbau hat im Gebiet rings um die nördliche Brunnenstraße die anschließende Kahlschlagsanierung überlebt.

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Zille-Zeichnung: “Mutta, schmeiß Stulle runter!”

Verwahrlosung und Protestkulturen
Wenige hundert Meter weiter östlich hingegen, im früheren Zwillings-Unterschichtenbezirk Prenzlauer Berg konnte – durch eine glückliche Fügung – genau dies vermieden werden. Die ewig klamme DDR hatte einfach nicht genug Geld für die jahrzehntelang geplante Abrisssanierung. Stattdessen entstand in den zunehmend verwahrlosten und von Ratten und Feuchtigkeit gepeinigten Hinterhöfen eine subversive Parallelwelt aus Künstlern und Oppositionellen, denen die Regierung – trotz zahlreicher Stasispitzel in der Szene – niemals ganz Herr werden konnte. Auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel rühmt sich heute, dort einige Studienjahre lang in einfachsten Verhältnissen gewohnt zu haben.
Ebenfalls eine Parallelwelt entstand in den 1970er Jahren im Westberliner Bezirk Kreuzberg, wo autonome Gruppen sich im Protest gegen die Sanierungspläne des Senats der erhaltenswerten Altbausubstanz annahmen und zwischen 1979 und 1981 über 150 Gebäude besetzten. Die Bilder von handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Hausbesetzern und Polizei gingen durch Presse und Fernsehen. Juristisch waren die Hausbesetzungen natürlich
Hausfriedensbrüche und im (nicht seltenen) Fall der Beeinträchtigung von Einrichtungen und Bausubstanz auch Sachbeschädigungen. Gleichwohl trugen die militanten Besetzer auf ihre Weise zu einem allmählichen Umdenken im Umgang mit den Altbauten bei. Die hohen Decken mit Stuck, die großen Türen und Hausflure – all das galt zunehmend als schick und cool. Heinrich Zille hätte sich verwundert die Augen gerieben. 1982 wurden die zwölf Grundsätze einer behutsamen Stadterneuerung formuliert. Das Berliner Abgeordnetenhaus stimmte diesen schließlich zu.

Sanierte Altbauten plötzlich todschick
Der Rest ist schnell erzählt. Nach der Wende wurde in Prenzlauer Berg und Teilen Kreuzbergs und Friedrichshains vollendet, was Stadtsoziologen als Gentrifizierung bezeichnen: die Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete. Das Muster ist stets gleich, weiß Wikipedia: “Wegen niedriger Mietpreise werden die Stadtteile für “Pioniere” (Studenten, Künstler, Subkultur) attraktiv. Die werten in einem ersten Schritt die Stadtteile auf und setzen einen Segregationsprozess in Gang. Viele Studenten steigen ins Berufsleben ein, verdienen deutlich mehr Geld als die ansässigen Bewohner; Künstler etablieren sich und bringen weiter Kapital in die Stadtteile. Investoren sehen Chancen zur Wertsteigerung. Erste Häuser und Wohnungen werden restauriert, Szene-Clubs und Kneipen entstehen. Die Mieten steigen. Alteingesessene wandern wegen Mieterhöhungen ab. Auch die neu zugewanderten Studenten oder Künstler können sich die höheren Mietpreise nicht mehr leisten und siedeln sich in anderen Stadtteilen an. Eine neue, wohlhabendere Klientel siedelt sich an und setzt andere Lebensstandards durch. Immobilienunternehmen entdecken das Interesse und sanieren weitere Häuser luxuriös. Die ursprüngliche Bevölkerungsstruktur und der Charakter der Viertel wandeln sich.” Nur notorische Spötter wie der SZ-Feuilletonist Jens Bisky finden, dass Prenzlauer Berg heute der Ort sei, wo man “für viel Geld proletarisch wohnen” könne.

Globaler Trend zur Innenstadt

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Noch unterschätzt: Zwischenkriegsbauten wie hier in Charlottenburg am Landgericht (Foto: TC)

Verstärkt werden solche Gentrifizierungstendenzen seit geraumer Zeit durch den globalen Trend einer generellen Aufwertung der Innenstädte. Träumte die Welt noch vor zwei Jahrzehnten den Traum von der unbegrenzten Mobilität und zersiedelte die Landschaft mit Häusern “im Grünen”, hat sich nun erkennbar ein Wandel vollzogen: Bedingt durch steigende Rohstoffpreise einerseits und den zunehmenden Zerfall der konventionellen Familienstrukturen andererseits sind nunmehr wieder kürzere Wege und eine perfekte Infrastruktur gefragt. Doch nicht die Lage allein bestimmt den Wert der Großstadtimmobilien: Wie der GSW Wohnmarktreport für Berlin 2008 ermittelte, sind es vor allem innerstädtische Lagen mit starkem Altbaubestand (Baujahr vor 1918), die hinsichtlich Miet- und Kaufpreisen einen stabilen Aufwärtstrend verzeichnen, der allerdings aktuell infolge der Finanzkrise zum Teil unterbrochen wurde. Hinzu kommen aber zunehmend auch Luxus-Neubauten in gefragten Lagen (Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, aber auch Pankow), z.B. sogenannte Townhouses, deren Baustil in mancher Hinsicht (z.B. Deckenhöhe und Fenstergröße) auf Anleihen bei der klassischen Mietskaserne hindeutet, die nachteilige Enge letzterer im Hofbereich aber vermeidet. Während in anderen deutschen Großstädten wie München oder Hamburg die Aufwertung der Innenstädte aber bereits abgeschlossen oder in vollem Gange ist, hinkt das strukturschwache Berlin hier deutlich hinterher. Zentral oder citynah gelegene “Problembezirke” mit solider Altbausubstanz wie Teile Weddings oder das nördliche Neukölln haben die Gentrifizierung jedenfalls noch vor sich.
Weniger gefragt sind auf dem Wohnimmobilien-Markt vor allem Nachkriegsbauten mit Baujahren vor 1990, die nur bei exzellenter Citylage (relative) Spitzenpreise erzielen können. Ebenfalls weniger goutiert werden Zwischenkriegsbauten (1919-1939), denen man ihre vergleichsweise kleine (aber die der Nachkriegsbauten doch weit übertreffende) Dimensionierung in Zimmergröße und Deckenhöhe verübelt, dabei aber solche Vorzüge wie altbautypische Holzdielenfußböden, Doppelholzfenster und Messingtürgriffe in Verbindung mit teilweise äußerst geräumigen geschlossenen grünen Innenhöfen ohne Hinterhäuser übersieht. In diesem Jahr verlieh die Unesco sechs Berliner Reformsiedlungen der 1920er und 1930er Jahre den Rang als Weltkulturerbe.