Tag Archives: Carlos Peron

justament.de, 9.8.2021: Geheimnisvoller Geheimtipp

Scheiben vor Gericht Spezial: Vor zehn Jahren starb die Berliner Songwriterin Barbara Gosza (1966-2011)

Thomas Claer

Wenn Pop-Musiker in jungen Jahren sterben, werden sie schnell zur Legende. Ein wenig ist es auch mit der Sängerin und Songwriterin Barbara Gosza so gekommen, die vor zehn Jahren, im Mai 2011, tot in ihrer Berliner Wohnung aufgefunden wurde, auf tragische Weise verstorben an den Folgen eines epileptischen Anfalls.

Ein bemerkenswertes, wenn auch relativ überschaubares Werk hat sie uns hinterlassen, aus dem vor allem das wundervolle Album „Beckett & Buddha“ aus dem Jahr 1992 hervorzuheben ist: eine in sich ruhende, melancholische, vollendet schöne Folk-Platte, produziert von Sven Regener, der Jahre später hierzu lediglich zu Protokoll gegeben hat, dass ihm diese temperamentvolle Dame als „sehr anstrengend“ in Erinnerung geblieben sei… Wohl auch zur Legendenbildung beigetragen hat offenbar der Umstand, dass Barbara Gosza zeit ihres Lebens ein Geheimtipp geblieben ist, dem zumindest ein größerer kommerzieller Durchbruch nicht vergönnt war, obwohl an schwärmerischen Bewunderern – vor allem unter den Musikkritikern – gewiss kein Mangel geherrscht hat…

Die unsichere Quellenlage bezüglich dieser semiprominenten Musikerin bringt es mit sich, dass im Netz zum Teil widersprüchliche Angaben zu ihrer Biographie kursieren. Als gesichert gelten kann, dass sie 1966 geboren wurde, als Tochter tschechischer Einwanderer zunächst in Chicago aufgewachsen ist und dann einen großen Teil ihrer Kindheit in Athen verbracht hat. Nach anderen Quellen soll sie aber auch in München aufgewachsen sein und ihr Boheme-Leben als Metro-Musikerin in Paris begonnen haben. Wiederum woanders heißt es, ihre künstlerische Sozialisation sei in den Cabarets von Berlin erfolgt.

Sicher ist zumindest, dass sie dort um 1990 herum lebte, als ihre erste Platte, „Love it is“, auf dem Bremer Indie-Label „Strangeways“ erschien. Nach dem vielbeachteten – und bis heute heiß geliebten – Nachfolgewerk „Beckett & Buddha“, auf dem u.a. Christian Komorowski (Deine Lakaien, EoC-Umfeld) Geige spielte (1992), ging Barbara Gosza für einige Jahre nach Frankreich und brachte dort zwei Platten heraus: „Ceremonies“ (1995) erschien auf dem französischen Ableger von BMG/Ariola – offenbar hatte ihr also das überschwängliche Kritiker-Lob des Vorgänger-Albums einen Major-Plattenvertrag verschafft. Vier Jahre später folgte dann auf dem Naive-Label das von Carlos Peron (ex YELLO) produzierte „Purify“.

In der Zwischenzeit, d.h. in den Jahren zwischen diesen beiden Veröffentlichungen, soll sie beim Schweizer Maler HR Giger (1940-2014) Malerei studiert und außerdem mehrere Gedichts-Sammlungen herausgebracht haben (von denen sich aber keine Spuren mehr finden lassen). Zurück in Berlin produzierte sie nach langer Pause erneut mit Carlos Peron ein weiteres, ihr fünftes und letztes, Studioalbum namens „Passion Play“ für das Label Blue Note, das bei diesem allerdings nie erschienen, heute jedoch gottlob als Download sowie auf YouTube verfügbar ist, ebenso wie ein Live-Konzertmitschnitt aus Paris von 1999.

Das ist so ziemlich alles, was heute noch in Erfahrung zu bringen ist über die mysteriöse und bezaubernde Barbara Gosza, die sich leider viel zu früh in den Musiker-Himmel verabschiedet hat.

Barbara Gosza
Love it is
Strange Ways Records 1990

Barbara Gosza
Beckett & Buddha
Strange Ways Records 1992

Barbara Gosza
Ceremonies
Semantic/BMG/Ariola 1995

Barbara Gosza
Purify
Naive 1999

Barbara Gosza
Passion Play
Nur als Download 2009

Barbara Gosza
Live at Strasbourg, 23.9.1999
Nur als Download 2020

justament.de, 7.10.2019: 25 Years of Lust

Vor 25 Jahren erschien der legendäre Fetisch-Soundtrack „La Salle Blanche“ von Carlos Perón

Thomas Claer

Die Musik von Carlos Peron, dem heute 67-jährigen Klang-Magier aus der Schweiz, war immer irgendwo zwischen Pop und Avantgarde angesiedelt, im Zweifel aber doch eher Avantgarde als Pop. Angefangen hatte er in den späten Siebzigern als Gründungsmitglied von YELLO (und deren Vorläuferformation Tranceonic), die er aber bereits 1983 wieder verließ, um sich fortan nur noch seinen vielfältigen ambitionierten Solo-Projekten zu widmen. Diese reichten von atonalen elektronischen Spielereien („Impersonator“) bis zu atmosphärisch dichten Literaturvertonungen („Ritter und Unholde“) und nahmen dann im Jahr 1994 mit dem heute als Klassiker seines Genres geltenden Fetisch-Soundtrack „La Salle Blanche“ eine abermals überraschende Wendung.

Wirklich überraschend war dies aber nur für nicht Eingeweihte, denn schon zu jener Zeit wurde gemunkelt, dass sich die frühen Perón-Platten wie „Impersonator I“ und auch „Nothing is True, Everything is Permitted“ in der Fetisch- und Darkwave-Szene großer Beliebtheit erfreuten und insbesondere wohl auch gerne auf entsprechenden Partys gespielt wurden. Mit „La Salle Blanche“, das ursprünglich als Soundtrack zum Fetisch-Film „The White Room“ konzipiert war, brachen dann gewissermaßen alle Dämme. Der CD war ein Bestell-Coupon für Handschellen, Peitschen und die einschlägige Lack- und Lederkluft beigelegt. Angeblich wurde Carlos Perón sogar zugetragen, dass Fans zur Musik von „La Salle Blanche“ ihre Kinder gezeugt hätten…

So folgten Peróns Fetisch-Erstling ob seiner begeisterten Rezeption beim Publikum noch eine Reihe von ähnlich angelegten Nachfolgewerken in den Neunziger- und Nullerjahren, die sich als munteres Farbenspiel präsentierten und inhaltlich bevorzugt auf die Werke des Marquis de Sade bezogen: La Comtesse Rouge, La Salle Violette, La Salle Noire, Terminatrix, Der Luzidus. Den Schluss- und zugleich Höhepunkt bildete dann die opulente 11-CD-Box „11 Deadly Sins: Music for Fetish Erotic Sessions“ aus dem Jahr 2011 (siehe Cover-Abbildung), die alle genannten Werke seit 1994 sowie noch weitere bis dahin unveröffentlichte Kompositionen derselben – man verzeihe mir diesen platten Kalauer – Stoßrichtung enthielt. Außerdem ist dieser (noch heute in kleiner Restauflage erhältlichen) Pracht-Box ein exklusives Erotik-Spielzeug für die geneigte Dame beigelegt, über dessen Praktikabilität der Rezensent allerdings keine Auskunft zu geben vermag. (Wäre ja dann doch etwas zu peinlich, es von der eigenen Ehefrau testen zu lassen…) Im übrigen, das muss man ausdrücklich betonen, eignet sich diese Musik auch ohne weiteres für Hörerinnen und Hörer, die zumindest dieser Spielart des Fetischismus – Sado/Maso, Fesselspiele, Peitschen, Lack und Leder – nicht viel abgewinnen können. Zum Beispiel zur stimmungsvollen Untermalung eines ausgedehnten Frühsports…

www.justament.de, 24.9.2018: Der Klassiker zur Literaturvertonung

Scheiben vor Gericht Spezial: Vor 25 Jahren erschien „Ritter und Unholde“ von Carlos Peron und Peter Ehrlich

Thomas Claer

Es ist ein ganz eigenes Genre, sui generis gewissermaßen. Manchmal ist es (im traditionellen Sinne) Musik, manchmal sind es „nur“ Klanggebilde, mit denen Carlos Peron (geb. 1952), der geniale Schweizer Pionier der elektronischen Soundtüftelei und Gründungsmitglied von YELLO, die literarischen Texte, vorgetragen mit tiefschwarzer Stimme von Burgschauspieler Peter Ehrlich (1933-2015), unterlegt. 25 Jahre sind seit dem Erscheinen von „Ritter und Unholde“ vergangen, doch ist seither, soweit ich sehe, nichts Vergleichbares mehr auf diesem Gebiet unternommen worden; vielleicht weil das Vorbild so übermächtig ist. Peron und Ehrlich gelingt es in den knapp 75 Minuten Laufzeit dieses Tonträgers, den alten Texten, die allesamt von Rittern handeln, neues Leben einzuhauchen, indem sie um sie herum eine Atmosphäre erschaffen, die den Hörer (insbesondere wenn er die Augen schließt) beinahe zum Teil des Geschehens werden lässt.

Das erste Drittel der CD umfasst Auszüge aus dem Nibelungenlied, der mittelalterlichen deutschen Dichtung par excellence, die jeder gut kennen sollte, der den Nazi-Größenwahn verstehen will. Kriegerische Ehre, unstillbarer Durst nach Rache, Nibelungentreue bis in den Tod – hier fanden die NS-Größen ihre geistigen Inspirationen. Doch steht das Nibelungenlied in literarischer Raffinesse und überraschender Vielschichtigkeit wohl selbst hinter der Ilias oder der Odyssee kaum zurück. Man beachte insbesondere die verhängnisvollen Frauenfiguren, also Kriemhild und Brünhild, die man in ihrer Besessenheit von Eifersucht, Hass und Geltungsdrang mit Fug und Recht als die eigentlichen Triebkräfte des heraufziehenden Unheils ansehen kann. „Die junge Kriemhild“, der zweite Track des Albums, zeigt, wie unschuldig all das begonnen hat…

Doch kommen auf dieser CD neben den Nibelungenkönigen und –recken natürlich auch noch mehrere andere Ritter aus der Literaturgeschichte zu ihrem Recht. Wer jetzt als erstes an „Don Quijote“ von Cervantes denkt, liegt genau richtig. Die fast 15 Minuten aus diesem Roman bilden den längsten Einzeltrack – und einen der gelungensten des ganzen Albums noch dazu! Das düstere spanische Gitarrenspiel im Hintergrund lässt bereits ahnen, wie der Ritter von der traurigen Gestalt in seinen künftigen Windmühlenkämpfen auf die Nase fallen wird. Ebenfalls auf besondere Weise geglückt ist „Der Apfelschuss“ von … Falsch! Nicht der von „Wilhelm Tell“! Für diesen hatte sich Friedrich Schiller nämlich auch nur aus einer ungleich älteren Quelle bedient: aus der nordischen Saga „Wieland der Schmied“. Peron und Ehrlich inszenieren hieraus das Kapitel „Wie Eibel seinen Bruder Wieland besuchte“ als ganz großes Kopfkino. Darüber hinaus darf Goethes „Götz von Berlichingen“ (mit seinem berühmten Arsch-Zitat) hier selbstredend nicht fehlen, ebenso wenig Richard Wagners „Lohengrin“ und der Komtur aus der „Schwarzen Spinne“ von Jeremias Gotthelf. Die vielleicht größte aller Heldentaten auf dieser CD vollbringt aber der liebeskranke Ritter Delorges in Schillers „Handschuh“, indem er seine unwürdige Herzensdame, die auf niederträchtige Weise mit seinen Gefühlen spielt, mittels eines gezielten Handschuhwurfes in die Wüste schickt.

Drei Jahre später, 1996, haben Carlos Peron und Peter Ehrlich noch eine Fortsetzungs-CD namens „Ritter, Tod und Teufel“ herausgebracht, die auch nicht schlecht war, aber längst nicht so überragend wie „Ritter und Unholde“. Das Urteil lautet: sehr gut (16 Punkte).

Carlos Peron
Ritter und Unholde – gesprochen von Peter Ehrlich
Dark Star/Indigo 1993
LC 6526 – Spark 24
Neuauflage: Revisited Records 2006
10,44 EUR (bei Amazon)