justament.de, 5.5.2019: Widersprüchlicher Weltverbesserer
Recht cineastisch Spezial: „Goldene Lola“ für „Gundermann“ von Andreas Dresen
Thomas Claer
Nein, diesen Film wollte ich eigentlich gar nicht sehen. Musikfilme sind eigentlich nicht so meine Richtung, zumal die Songs des stasiverstrickten DDR-Liedermachers und Baggerfahrers Gerhard Gundermann (1955-1998) bislang auch nicht gerade zu meinen großen Vorlieben zählten. Doch nun bin ich sehr froh, doch noch den Weg ins Kino „Casablanca“ in Adlershof gefunden zu haben, wo „Gundermann“ (D 2018) anlässlich der Preisverleihung am Wochenende noch einmal gezeigt wurde. Beinahe hätte man uns nicht mehr reingelassen. Eine lange Schlange von Interessenten stand vor dem Kino bis auf die Straße. Als wir mit leichter Verspätung eintrafen, hörten wir eine laute Stimme rufen: „Ich frage jetzt zum letzten Mal: Hat noch jemand Online-Tickets nicht abgeholt??“ Ja, das waren wir. Zum Glück hatten wir schon vorher gebucht. Seufzend und stöhnend lief die enttäuschte Menschenmenge auseinander, denn unsere beiden Karten waren die letzten verfügbaren.
Ob einem dieser Gundermann gefällt oder nicht, er ist eine hochinteressante Figur. Und mit ihm hat Regisseur Andreas Dresen auf seine leise unaufdringliche Weise auch gleich noch die ganze alte versunkene schäbige DDR-Welt wieder zum Leben erweckt. Wer eine möglichst genaue Vorstellung vom damaligen Leben jenseits des eisernen Vorhangs bekommen möchte, sollte unbedingt diesen Film sehen. Die Schauspieler wirken, wie so oft in Andreas-Dresen-Filmen, allesamt beinahe so echt wie in einem Dokumentarfilm.
Wer es schon immer unverständlich fand, wie ein sensibler Künstler, ein Weltverbesserer mit höchstem moralischen Anspruch, jahrelang seine Mitmenschen ausspionieren und an die Stasi verpfeifen konnte und sich hinterher dafür gar nicht richtig entschuldigen mochte, wird durch diesen Film zwar auch nicht unbedingt schlauer, denn die nachvollziehbaren Gründe dafür gibt es einfach nicht. Aber man blickt nach diesen über zwei Stunden doch mit anderen Augen auf all diese Dinge. Manches hat eine gewisse Logik und dann auch wieder nicht. Vieles ist Psychologie. Dieser hochreflektierte, belesene, immer wieder Karl Marx zitierende Dichter und Musiker Gundermann lebt in einer ganz eigenen Welt, in der Welt seiner Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen vor allem. Obwohl er so vieles in seiner Gesellschaft kritisch hinterfragt, glaubt er doch felsenfest daran, etwas Gutes zu tun, wenn er Fluchtwillige verrät.
Grandios dargestellt ist, wie stark sich Politisches, Privates und Künstlerisches im Leben dieses merkwürdigen Musikpoeten immer wieder gegenseitig beeinflusst. Seine künstlerisch besten Jahre hat er ausgerechnet während seiner aktiven Zeit als Stasi-Spitzel – und während seiner jahrelangen unglücklichen Liebe zur anderweitig verheirateten schönen Conny. Unzählige Lieder schreibt er für sie, bis sie dann doch noch zur Frau an seiner Seite wird. Felsenfest steht sie zu ihm, als er nach der Wende als Stasi-Informant enttarnt wird. Doch Gundermann selbst zerbricht daran und stirbt mit gerade erst 43 Jahren.
Gundermann
Deutschland 2018
Länge: 127 Minuten
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Darsteller: Alexander Scheer (Gerhard Gundermann), Anna Unterberger (Conny), Benjamin Krause (Wenni) u.v.a.
www.justament.de, 30.3.2015: Fünf Freunde
Recht cineastisch, Teil 21: „Als wir träumten“ von Andreas Dresen
Thomas Claer
Schon zweimal hat sich die Zusammenarbeit von Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase als Glücksfall erwiesen: in der Künstlerkomödie „Whisky, Wodka und Tango im Gesicht“ (2009) und im wunderbaren Prenzlauer Berg-Film „Sommer vorm Balkon“ (2006), vielleicht einem der schönsten Berlin-Filme überhaupt. Der 51-jährige Dresen und der 32 Jahre ältere Kohlhaase, haben, wie sie einmal selbst erklärten, „dieselbe Sicht auf die Welt“. Vielleicht liegt es ja an der Sozialisation beider im Osten, an der frühen Desillusionierung und an der doch strengen ästhetischen Schule. Kohlhaase: „Von Kunst wurde in der DDR viel erhofft – und zugleich viel befürchtet.” Typisch für beide ist der zarte Blick auf die kleinen Leute, die ewigen Verlierer. Nun haben sich Dresen und Kohlhaase also der Romanvorlage „Als wir träumten“ des gefeierten Leipziger Krawall-Poeten Clemens Meyer, 37, angenommen, in der dieser von seiner eigenen chaotischen Jugend in den Nachwendejahren berichtet. Man durfte gespannt sein, wie die beiden erprobten Leisetreter wohl mit diesem harten Action-Stoff zurechtkommen würden.
Die Geschichte geht so: Fünf Freunde, die schon seit Jahren gemeinsam die Schulbank gedrückt haben, werden als Jugendliche im Nachwende-Leipzig, das damals noch weit davon entfernt war, zum Hypezig, ja zum besseren Berlin geadelt zu werden, eine Straßengang, deren Leben sich vornehmlich um Kleinkriminalität, Alkohol, Drogen und Gewalt dreht. Mit großer Selbstverständlichkeit knacken sie Autos, rauben Supermärkte aus und zertrümmern reihenweise Schaufensterscheiben. Wie schon viele andere junge Leute vor ihnen fühlen sie sich als „die Größten“, doch gibt es in den Nachwende-Wirren kaum noch Autoritäten, die ihnen Grenzen setzen könnten. Besonders verstörend wirken die immer wieder eingeschobenen Rückblenden auf den einst gemeinsam erlebten sozialistischen Schulalltag. Welch ein Kontrast zur Zeit danach! (Unterschwellig klingt immer auch die Frage an, was eine autoritäre Erziehung mit jungen Menschen macht.) Doch ist nicht alles, was die Freunde tun, nur destruktiv. Sie gründen einen Underground-Techno-Club, es sind halt die frühen Neunziger, und bringen so einen kräftigen Schuss Hippness in ihre Metropole, die immerhin die zweitgrößte Stadt der DDR war. Doch es kommt, wie es kommen muss: Rivalisierende Neonazi-Schläger, die die fünf Freunde ohnehin von Anbeginn in ausgedehnte und brutale Revierkämpfe verwickelt haben, zertrümmern die coole Keller-Disco und machen dem Party-Spaß ein Ende. Natürlich kommt es noch viel schlimmer: Einer der Jungen krepiert an seinen Drogen. Sein dealender Freund, der ihm das Zeug verkauft hat, muss sich schuldig fühlen. Wiederum zwei andere der Freunde kommen wegen ihrer unzähligen Delikte ins Gefängnis. Erst im traurigen letzten Drittel des Films offenbart sich vollends die Handschrift von Regisseur und Drehbuchautor. Ein wilder und melancholischer Film über das Erwachsenwerden in Umbruchzeiten, über Freundschaft und Verrat.
Als wir träumten
Deutschland 2015
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase
Romanvorlage: Clemens Meyer
117 Minuten, FSK: 12
Darsteller: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Frederic Haselon, Ruby O. Fee u.v.a.