Justament April 2013: Kapital will sich amüsieren

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Haus in Moabit (Foto: TC)

Der anhaltende Hauptstadt-Boom sorgt auch für  Goldgräberstimmung auf dem Berliner Immobilienmarkt

Thomas Claer

Ein Szenebezirk funktioniert ungefähr so, wie es die Band Tocotronic schon vor 14 Jahren beschrieben hat: „Hier in unserer Straße / Sind wir fröhlich und entspannt / Wir reden meistens über etwas / Das uns auf den Nägeln brennt / An jeder Ecke stehen Menschen / Deren Meinung uns gefällt / Und der Himmel ist ganz blau / Weil er Ozon enthält.“ Hier ist die Welt der jungen Leute noch in Ordnung, aber ein solches Glück kann nie von Dauer sein: „Das dunkle Königreich wird nicht mehr aufzuhalten sein / Das Schlechte in der Welt bricht nunmehr über uns hinein“ Ganz einerlei, ob hiermit vielleicht auch der irgendwann drohende Eintritt ins Berufsleben oder das Erwachsenwerden schlechthin gemeint waren. Zu den dunklen Mächten, von denen hier geraunt wird, zählt zweifellos der massive Kapitalzufluss in die hippen, von Studenten und Künstlern bewohnten Gegenden unserer Großstädte, der die schönen Altbauwohnungen teuer werden lässt und die kreative Klasse womöglich irgendwann von dort verdrängen wird.
Auf dem Wohnimmobilienmarkt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nämlich eine markante Veränderung vollzogen: Zwar gibt es auch weiterhin Interessenten fürs „Häuschen im Grünen“, das Reihenhaus oder die Doppelhaushälfte, wo sich die geneigte Familie fernab von Lärm und Lastern der Innenstädte wohlfühlen kann. Die Musik aber spielt seit geraumer Zeit in den immer begehrter werdenden zentralen Citylagen, je studentischer und alternativer geprägt, desto besser. Das große Geld, das einst die Ruhe der Vorstädte schätzte, langweilt sich heute dort und will sich viel lieber in den zentralen Lagen amüsieren. Wie das aussehen kann, lässt sich insbesondere in unserer von der Jugend der Welt so heiß geliebten Hauptstadt beobachten, deren Innenstadt längst einer einzigen Partymeile gleicht.
Der australische Musiker Robert F. Coleman schrieb vor einigen Monaten in der New York Times über einen Sommer mit seinen Bandkollegen in Berlin-Neukölln: „Um uns wimmelte es von Bars, Parks, Mädchen und Tischtennisplatten. Wir waren in einem hedonistischen Paradies gelandet. Das Bier war billiger als Mineralwasser, die Drogen mühelos zu beschaffen, die beste Tanzmusik der Welt an jedem beliebigen Wochentag in Reichweite… Hier (war) das Seltsame normaler als das Normale: Eltern mit XL-Bierflaschen in der Hand sehen ihren Kindern beim Schaukeln zu, Nudisten sonnen sich in öffentlichen Parks, ehemalige Stasispitzel sitzen in ihren Stammkneipen und murmeln in ihre Drinks. Überall um uns brummten die Cafés, lesende, redende, lachende Menschen säumten die Kanalufer, die riesigen Parks waren voller Picknickdecken, Grillrauch und Sonnenschein. Bloß schien niemand zu arbeiten. Ich kam mir irgendwie ausgetrickst vor. Das Leben war einfach zu leicht. Der Alltagsstress, an den wir gewöhnt waren, existierte nicht, er wurde jede Nacht durch ein neues Abenteuer verdrängt: Partys in leer stehenden Schwimmbädern, Raves auf verlassenen Flugplätzen, Nachtclubs, die tagelang geöffnet blieben … Es gab zu wenig Grenzen – und uns fehlte die Willensstärke, um Nein zu sagen. Die unerklärliche Energie der Stadt hatte uns gepackt… Eines Tages – ich starrte gerade eine Nudistin in der Hasenheide an – merkte ich, dass wir in einer Art Künstler-Paradox feststeckten …“
Das Problem ist nur: Wenn eines Tages nur noch Reiche in der Berliner Innenstadt leben, wer soll dann für die gute Stimmung sorgen?

1. Mitte (Alt): 11,09 (9,54)/ +16,2%/ zentral/ alternativ/repräsentativ

2. Prenzlauer Berg: 9,38 (7,32)/ +28,1 %/ zentral/ alternativ/neubürgerlich

3. Wilmersdorf: 9,07 (8,06)/ +12,5 %/ zentral/ großbürgerlich/bürgerlich

4. Kreuzberg: 8,91 (6,37)/ +39,9 %/ zentral/ alternativ/lebendig

5. Zehlendorf: 8,75 (7,94)/ +10,2 %/ Randlage/ großbürgerlich/bürgerlich

6. Friedrichshain: 8,65 (6,60)/+31,1 %/ zentral/ alternativ/lebendig

7. Schöneberg: 8,52 (7,24)/+17,7 %/ zentral/ bürgerlich/lebendig

8. Charlottenburg: 8,33 (7,24)/ +15,0 %/ zentral/ großbürgerlich/lebendig

9. Tiergarten: 8,15 (6,33)/ +28,7  %/ zentral/ gemischt/lebendig

10. Steglitz: 7,46 (6,45)/ +15,7 %/ Randlage/ bürgerlich/kleinbürgerlich

11. Neukölln*: 7,05 (5,23)/ +34,8 %/ zentral/ alternativ/proletarisch

12. Pankow: 7,01 (5,99)/ +17,0 %/ Randlage/ bürgerlich/lebendig

13. Weißensee: 6,93 (5,65)/ +16,3 %/ Randlage/ bürgerlich

14. Tempelhof: 6,80 (5,82)/ +16,8 %/ Randlage/ kleinbürgerlich/bürgerlich

15. Lichtenberg: 6,79 (5,50)/ +18,2 %/ Randlage/ proletarisch/kleinbürgerlich

16. Köpenick: 6,79 (6,11)/ +11,1 %/ außerhalb/ bürgerlich/proletarisch

17. Treptow: 6,57 (5,47)/ +20,1 %/ Randlage/ proletarisch/lebendig

18. Wedding: 6,56 (5,26)/ +24,7 %/ zentral/ proletarisch/lebendig

19. Reinickendorf: 6,53 (5,76)/ +13,4 %/ Randlage/ kleinbürgerlich/bürgerlich

20. Spandau: 5,99 (5,43)/ +10,3 %/ außerhalb/ kleinbürgerlich/lebendig

21. Hohenschönhausen: 5,96 (5,96)/  +/-0,0 %/ außerhalb/ proletarisch/gemischt

22. Hellersdorf: 5,81 (5,30)/ + 9,6 %/ außerhalb/ proletarisch/gemischt

23. Marzahn: 5,39 (4,85)/ +11,1 %/ außerhalb/ proletarisch/gemischt

* Neukölln-Nord: 7,69 (5,08)/ + 51,4 %/ zentral/ alternativ/proletarisch

Neukölln-Süd: 6,24 (5,41)/ +15,3 %/ Randlage/ kleinbürgerlich

Angebotskaltmieten in Berliner „Altbezirken“ nach Medianwerten 2012 (2008)/ Veränderung/ Lage /Sozialstruktur (Aufstellung gemäß Bezirksgrenzen vor der Gebietsreform 2002, weil so differenzierteres Bild möglich). Quelle: GSW-Report, eigene Berechnungen.

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