SZ-Feuilletonist Willi Winkler schreibt die Geschichte der RAF
Thomas Claer
Willi Winkler, geboren 1957, ist der Gott des Spaß-Feuilletons. Wie kein anderer der schreibenden Zunft verkörpert er die ironische Weltsicht schlechthin, zugleich aber auch das ewig Subversive. Nichts ist ihm heilig, alles zieht er ins Lächerliche. Großzügigkeit ist seine Sache dabei keineswegs, eher eine geradezu verbissene Detailbesessenheit. In der Süddeutschen haben sie ihn inzwischen vorwiegend auf die Medienseite verbannt, wo er sich u.a. an den Zumutungen des deutschen Fernsehprogramms abarbeiten darf. Gut zupass kommt ihm hier seine herzliche Boshaftigkeit, und so mancher fürchtet seine scharfzüngigen Verrisse. Für Dampfpolemiker Henryk Broder ist er “ein Asket, der von schwarzem Kaffee und filterlosen Zigaretten lebt, ein kleiner Samurai, der sich züchtigt, bevor er andere peinigt.” Kann so einer, von dem bisher kaum ein ironiefreier Feuilleton-Satz überliefert ist, überhaupt seriöse Sachbücher schreiben? Er kann, das beweist nach “Bob Dylan” (2001), “Kino” (2002) und “Karl Philipp Moritz” (2006) nun auch “Die Geschichte der RAF”.
Selbstredend geht es Winkler in seinem bislang ambitioniertesten und voluminösesten Werk um keine bloße Chronologie der Ereignisse. Vielmehr hat er sich auch deren Deutung bis hin zu den vielen noch immer offenen Streitfragen auf die Fahne geschrieben. Wer war wann wo genau dabei? Waren die Selbstmorde in Stammheim tatsächlich welche? Was geschah wirklich auf dem Bahnhof in Bad Kleinen? Winkler untersucht all das mit einer – insbesondere für seine Verhältnisse – bemerkenswerten Sachlichkeit, räumt auch – wo nötig energisch – mit Legenden auf. So stützen seine Recherchen zwar im Wesentlichen die offizielle Geschichtsschreibung, doch attestiert er den staatlichen Organen nicht selten Schlamperei und Fahrlässigkeit, die der Legendenbildung erst richtig Vorschub leisten konnten.
Mit sichtlichem Vergnügen fängt der Verfasser das spezifisch altbundesrepublikanische Milieu ein, in welchem die RAF erst wachsen und gedeihen konnte: Auf der einen Seite die altbackene und selbstgerechte, autoritäre und naziverstrickte Mehrheitsgesellschaft und als deren Speerspitze die immer wieder genüsslich zitierte BILD. Auf der anderen Seite die von sich und ihrer Bedeutsamkeit berauschte Studentenbewegung, die ein Klima des Fanatismus erzeugte, in welchem sich ein paar versprengte Wirrköpfe als Vollstrecker des historisch Notwendigen fühlen konnten. So wird der damalige Terroristen-Strafverteidiger und spätere Innenminister Otto Schily mit Worten zitiert, die er heute nicht mehr bestätigen mag: “Alle rechtsstaatlichen Errungenschaften beruhen auf revolutionärer Gewalt.” Klar sei die RAF eine Verbrecherbande gewesen, so Winkler, aber eben nicht nur. Seine These ist, dass der wehrhafte westdeutsche Staat in seiner Unerbittlichkeit gegenüber allem Abweichenden nicht wenig zur späteren Eskalation der Gewalt beigetragen hat. Doch habe der Rechtsstaat dadurch einen großen Sieg errungen, dass er – entgegen dem Kalkül der Terroristen – gerade nicht zum Polizeistaat geworden ist. Schließlich kann dem Buch ein Vorwurf nicht erspart werden: dass – warum auch immer, jedenfalls bedauerlicherweise – an einem Personenregister gespart wurde. Hätte Willi Winkler sein Buch an dieser Stelle selbst rezensiert, dann hätte er gewiss noch mehr Tadelnswertes beanstandet. Er findet ja immer ein Haar in der Suppe. Aber uns hat es eben gefallen, was soll man machen?
Willi Winkler
Die Geschichte der RAF
Rowohlt Verlag Berlin 2007
528 Seiten, 22,90 €
ISBN-10: 3871345105