Justament Dez. 2004: Abenteurer des Geistes

Die erste deutschsprachige Koestler-Biographie von Christian Buckard

Thomas Claer

Koestler CoverIn den letzten Jahren ist der Schriftsteller und Journalist Arthur Koestler (1905-1983), der wie kaum ein anderer die Widersprüche und Extreme des 20. Jahrhunderts geradezu personifiziert hat, etwas in Vergessenheit geraten. Dies dürfte sich angesichts seines im kommenden September anstehenden hundertsten Geburtstags aber bald ändern. Einen Vorgeschmack liefert die (nach mehreren englischsprachigen) erste in deutscher Sprache verfasste Koestler-Biographie des Berliner Autors Christian Buckard.
Koestler gehörte, ähnlich wie sein Freund und Weggefährte George Orwell, zu jenen – für das “Jahrhundert der Extreme” typischen – von politischen Obsessionen besessenen Intellektuellen, die nicht nur vom Schreibtisch aus für ihre oft fanatisch verfolgten Überzeugungen stritten, sondern sich mit Vorliebe auch direkt ins Getümmel der Bürger- und Weltkriege stürzten. Aus einer jüdisch-ungarisch-österreichischen Familie in Budapest stammend, studierte Koestler zunächst Maschinenbau an der Technischen Hochschule Wien, verbrannte aber kurz vor den Examensprüfungen im Anschluss an eine nächtliche Diskussion mit einem Kommilitonen über die menschliche Willensfreiheit sämtliche Leistungsnachweise und wanderte als mittelloser glühender Zionist nach Palästina aus, wo er in einem Kibbuz schuftete. Über viele Umwege gelangte er Ende der zwanziger Jahre nach Berlin und machte dort als Journalist beim Ullstein-Verlag Karriere. Bald verschrieb er sich voll und ganz dem Kommunismus, floh vor den Nazis nach Paris, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und saß als Spion in Francos Todeszelle, aus der er aber in letzter Sekunde durch die diplomatische Intervention britischer Parlamentarier gerettet werden konnte.
Als mutmaßlich erster westlicher linker Intellektueller brach er 1939 angesichts der Stalinschen Säuberungen in Moskau auf spektakuläre Weise mit dem Kommunismus und erlangte durch seinen Roman “Sonnenfinsternis” große Berühmtheit als Begründer der daraufhin jahrzehntelang florierenden “Renegatenliteratur” enttäuschter Ex-Kommunisten. Den Weltkrieg verbrachte er anfangs in einem französischen Internierungslager, später als Freiwilliger auf Seiten der Alliierten an der Front.
Nach dem Krieg lebte Koestler als Schriftsteller in London und verfasste neben einigen Romanen und einer umfangreichen Autobiographie eine Reihe viel beachteter, aber auch immer wieder angefeindeter Sachbücher zu den vielfältigsten Themen, darunter einigen juristischen. So beschrieb und debattierte er in “Reflections on hanging” (“Die Rache ist mein”) die Theorie und Praxis der Todesstrafe und engagierte sich in späten Jahren – dabei einmal mehr viele einstige Weggefährten vor den Kopf stoßend – für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe. Konsequenterweise wählte der schwerkranke Koestler schließlich den Freitod, in welchen ihn seine 23 Jahre jüngere Frau begleitete.
Den brisanten und bereits vielfach dokumentierten Lebenslauf  beleuchtet Buckard nun aufs Neue. Er tut dies unter Heranziehung bislang unveröffentlichter Dokumente, vergessener früher Arbeiten und vieler Gespräche mit Zeitzeugen. Manches gewinnt dabei eine erstaunliche Aktualität, vor allem der heute vielen Europäern befremdlich anmutende und doch ungebrochen starke Einfluss politischer Ideen auf das Denken und Handeln von Menschen.

Christian Buckard
Arthur Koestler. Ein extremes Leben
2004, Verlag C.H. Beck München
416 Seiten
EUR 24,90
ISBN: 3-406-52177-0

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