Justament Okt. 2003: Die perfekte Beziehungsbörse

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Attraktiver Architekt und freundliche Dozentin (Foto: TC)

Ein Erfahrungsbericht vom Lehrgang für neue Arbeitslose “Information – Beratung – Training”

Thomas Claer

Immerhin bringt der inzwischen nahezu flächendeckend durchgesetzte Abbau der Verbeamtung von Rechtsreferendaren für die Betroffenen neben z. T. empfindlichen Einkommenseinbußen auch ein kleines Bonbon nach dem Examen: Nunmehr gilt der zweijährige Vorbereitungsdienst als reguläre Arbeitszeit mit der Folge, dass für junge Volljuristen – anders als bislang – Ansprüche beim Arbeitsamt entstanden sind. Da zudem – schließlich sind immer breitere Bevölkerungsschichten betroffen – der einstmals stigmatisierende Effekt einer Arbeitslosmeldung spürbar im Schwinden begriffen ist, treibt es derzeit nicht wenige der juristischen Berufsanfänger aus den Prüfungssälen geradewegs in die Flure der Arbeitsämter.

Ein Lehrgang wird zur Pflicht
Doch auch dort ist seit geraumer Zeit, nämlich seit dem “Job-Aktiv-Gesetz” vom 1.4.2002, nichts mehr wie es war. Wer sich neu arbeitslos meldet, wird nun – so jedenfalls erging es dem Verfasser im Berliner Arbeitsamt Müllerstraße – nicht mehr umgehend dem zuständigen Vermittler zugeführt, sondern hat zwecks Steigerung der Effizienz zunächst einmal einen zweitägigen Einführungslehrgang zu absolvieren, den nicht unbedingt das Arbeitsamt selbst durchführen muss, sondern der auch – und so erlebte es der Verfasser – auf einen externen Bildungsträger übertragen werden kann. Dieser klärt dann die Teilnehmer umfassend über das Los des Arbeitslosen an sich auf, über seine Rechte und Pflichten und alle erdenklichen Tipps und Tricks, bis jeder schließlich wohl präpariert seinem jeweiligen Vermittler gegenübertreten kann.

Schlechte Karten für allein erziehende Mütter
Einundzwanzig frischgebackene Arbeitslose aus dem Stadtbezirk Wedding waren zum zweitägigen Kurs in den Schulungsraum der BWK, Betriebsstätte Schöneberg, gekommen. Die Zuspätkommer wurden, statt dafür angeranzt zu werden, von der überaus freundlichen Dozentin mit einem aufmunternden: “Schön, dass Sie da sind.” begrüßt. Die anfangs frostige Atmosphäre erwärmte sich zusehends, als nach einem ersten Überblick über die maßgeblichen Bestimmungen des SGB III die persönliche Vorstellung der Teilnehmer einsetzte. Zu vernehmen waren berufliche Biographien, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Das Spektrum reichte von der aus drei Architekten, jeweils zwei Ingenieuren und Juristen sowie einer Lebensmittelchemikerin bestehenden Akademikerfraktion über diverse nicht studierte Berufe bis zu einer jungen, gänzlich ungelernten Verkäuferin im “ambulanten Handel”(vulgo Marktfrau), bislang angestellt bei ihrem Ehemann. Es gab die Altenpflegerin, die künftig eine Bäckerei betreiben will, den früheren Totengräber, der zuletzt Fahrkartenkontrolleur in der S-Bahn war, den Hotelfachmann und den Schornsteinfeger, die Steuerfachgehilfin und die Floristin, die Zahnarzthelferin und die “Gebäudefachkraft” (offenbar eine Art Hausmeister) und schließlich den Konkurs gegangenen Baufirmeninhaber, der Wert darauf legte, keinen Computer bedienen zu können. Robert Lembke hätte seine Freude gehabt. Auffällig war allerdings, wie viele der weiblichen Kursteilnehmer im gebärfähigen Alter sich als Mütter, ganz überwiegend als allein erziehende, outeten und unisono ihre mangelnde Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt beklagten. Nach wie vor stellt offensichtlich die eigene Nachkommenschaft, zumal unter den hiesigen Verhältnissen, ein erhebliches sozialökonomisches Risiko dar, das letztlich vor allem an jenen hängen bleibt, welchen die Natur die Last des Kindergebärens auferlegt hat.

Nützliche Kontakte
Als fruchtbar in einem gänzlich anderen Sinne und als der eigentliche Clou des Lehrgangs erwiesen sich aber die Pausen zwischen den Unterrichtsblöcken – als ob sie mit Bedacht so extensiv ausgelegt worden wären. Es entstand auf den Fluren und in der Kantine ein munterer Austausch zwischen den nun nicht mehr anonymen Neuarbeitslosen: Dienste wurden wechselseitig angeboten und nachgefragt, Sympathien und Gemeinsamkeiten entdeckt, mitunter eine potenziell symbiosefähige Kompatibilität der Profile ausgemacht, ja vereinzelt sogar schon gemeinsame berufliche Zukunftspläne geschmiedet.
Meine Rechtsanwalts-Visitenkarten gingen weg wie warme Semmeln. Viele fragten mich wegen irgendwelcher rechtlichen Probleme um Rat. Der Hotelfachmann hatte vor kurzem einen Verkehrsunfall, der frühere Fahrkartenkontrolleur war mit seiner Kündigung nicht einverstanden und die “Gebäudefachkraft” erregte sich über die ordnungsbehördliche Behandlung seines Hundes als Kampfhund. So blieb am Ende das gute Gefühl, vielleicht sogar den einen oder anderen künftigen Mandanten gewonnen zu haben.

Und tatsächlich klingelte schon am zweiten Abend nach dem Lehrgang mein Telefon. Es war die Floristin. Doch diese benötigte keine rechtliche Hilfe, sondern erkundigte sich , ob ich ihr nicht die Telefonnummer von dem süßen Architekten geben könnte, der neben mir gesessen hätte …

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