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justament.de, 5.2.2024: Brett vorm Kopf

Recht cineastisch Spezial: Warum “Die Feuerzangenbowle” kein Nazi-Film ist. Eine Entgegnung auf Sonja Zekri

Thomas Claer

Wohl kaum einen Film habe ich in meinem Leben so oft gesehen wie “Die Feuerzangenbowle”. Ende Januar 1944, also vor genau 80 Jahren, erstmals aufgeführt in Berlin, nach Ende der Nazi-Zeit aber zunächst verschämt in den Archiven verschwunden, wurde der legendäre Pennäler-Ulkstreifen dann Anfang der Sechzigerjahre in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen wiederentdeckt – und hat seitdem unzählige Wiederholungen auf diversen Fernsehkanälen und in Kinosälen erlebt. Seinen zahlreichen Fans gilt er generationsübergreifend als wahrer Klassiker der Schulfilm-Klamotte. Es ist ja auch wirklich zu komisch, wie sich die ernsthaften und verbiesterten Pauker fortwährend der ausgelassenen Streiche ihrer Zöglinge erwehren müssen.

Doch hat es schon seit Jahrzehnten immer wieder herbe Kritik an der scheinbar so harmlosen Schüler-Komödie wegen ihrer etwaigen Nazi-Kontaminiertheit gegeben. Jüngst hat nun die geschätzte und verehrte Sonja Zekri im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (vom 27.1.2024) zum abermals großen Schlag gegen den anrüchigen Filmspaß ausgeholt. Vor allem beklagt sie, womit sie zweifellos einen Punkt hat, die monströse Geschmacklosigkeit, die bereits darin liege, zeitgleich mit Kriegsverbrechen und Holocaust überhaupt einen solchen Film in die Welt gesetzt zu haben. Dieser enthalte zudem eine Menge Nazi-Ideologeme, angefangen vom vorgestrigen Frauenbild (positiv gezeichnete Unschuld vom Lande versus arrogante Großstadt-Dame aus Berlin) bis hin zum – unstrittig – NS-Propaganda verbreitenden Geschichtslehrer Dr. Brett. Noch dazu ist dieser Dr. Brett, der von der Erziehung der Jugend analog zu nicht schief wachsen dürfenden Bäumen schwadroniert, die einzige Filmfigur, für die es in der Romanvorlage von Heinrich Spörl aus dem Jahr 1933 keine Entsprechung gibt. Das heißt, er wurde offenbar allein zu propagandistischen Zwecken noch nachträglich in die Handlung eingefügt. Und schließlich, so erfährt man auch noch aus Sonja Zekris Text, sei Hauptdarsteller Heinz Rühmann nach den Dreharbeiten sogar eigens mit den Filmrollen auf die Wolfsschanze gefahren, um vom Führer höchstselbst die Freigabe des Films zur öffentlichen Aufführung zu erwirken, die ihm wegen befürchteter Untergrabung von Autoritäten zunächst verweigert worden war. Woraufhin sich Hermann Göring dann den Film mit Heinz Rühmann angesehen und anschließend Hitler darauf angesprochen habe. Und der Führer habe ihn gefragt: “Ist dieser Film komisch?” Und Göring habe das bejaht. Worauf Hitler erklärt habe: “Dann ist er fürs deutsche Volk freizugeben.”

Ist also “Die Feuerzangenbowle” somit eindeutig als Nazi-Film überführt, den man sich keinesfalls mehr anschauen sollte, zumal von jeder öffentlichen Aufführung auch noch die Inhaberin der Filmrechte profitiert, welche (bezeichnenderweise) AfD-Mitglied ist?

Um es gleich deutlich zu sagen: Man kann das alles durchaus so sehen, aber zwingend ist es keineswegs. Fest steht allein, dass sich daraus, dass der Film im Dritten Reich entstanden ist, gewisse Konsequenzen für ihn ergeben. Einen Anti-Kriegsfilm oder einen Anti-NS-Film zu drehen, wäre zu jener Zeit in Deutschland nicht möglich gewesen. Es sei daran erinnert, dass der Komponist der Filmmusik der “Feuerzangenbowle” noch vor der Erstaufführung wegen des Erzählens politischer Witze hingerichtet wurde. (Auch das steht in Sonja Zekris Artikel.) Wie stark der Film nun allerdings mit Nazi-Ideologie durchsetzt ist oder ob er sich nicht vielmehr als auffällig unpolitisch oder sogar dezent subversiv ausnimmt, darüber lässt sich trefflich streiten. Die meisten seiner Inhalte spiegeln wohl eher den allgemeinen Geist jener Jahre wider als einen spezifischen Nazi-Ungeist. Eindeutig nationalsozialistisch tritt allein der besagte Geschichtslehrer Dr. Brett auf. Doch wird er im Film wirklich positiv gezeichnet? Zeugt nicht bereits sein Name vom Gegenteil? Ist nicht die naheliegendste Assoziation, die sich hier einstellt, das sprichwörtliche Brett vorm Kopf, das in Anlehnung an ein hölzernes Sedativum für Ochsen die Verbohrtheit, Inflexibilität oder Begriffsstutzigkeit von jemandem bezeichnet. Wenn dieser Lehrer in die Klasse kommt, herrscht – anders als bei seinen Kollegen – augenblicklich Ruhe und Disziplin. Das werden viele damals gut gefunden haben. Aber machen ihn seine autoritären Erziehungsmethoden wirklich zu einem Sympathieträger bei seinen Schülern und dem Publikum? Ist er nicht sogar eher eine absichtsvoll ambivalent gehaltene Figur, die sowohl die damaligen ideologischen Vorgaben bedient als auch zugleich dem Betrachter Raum dazu lässt, auf Distanz zu gehen?

Ist es angesichts seines Entstehungsumfelds nicht vielmehr bemerkenswert, dass ein über weite Strecken so frecher und aufmüpfiger, fortwährend Autoritäten verspottender Film seinerzeit überhaupt zugelassen wurde? Und ist nicht der vordergründig unpolitische Schlussmonolog, in dem Hans Pfeiffer (mit drei f) ausführt, dass nur unsere Träume und Erinnerungen wahr seien, was Sonja Zekri als Augenverschließen vor den Nazi-Verbrechen deutet, das bereits auf die anschließenden Verdrängungen der Nachkriegszeit verweise, vielleicht sogar im Gegenteil ein verstecktes Statement gegen ein durchideologisiertes System? Ist es für Kulturprodukte aus totalitären, gleichgeschalteten Gesellschaften nicht oftmals sogar ein Qualitätsmerkmal, wenn sie “unpolitisch” sind, denn welche politische Haltung könnte sich in ihnen denn schon klar und deutlich ausdrücken außer doktrinärer Parolenhaftigkeit entsprechend den ideologischen Vorgaben? Anders gesagt: Das einzig mögliche Mittel des Aufbegehrens ist hier, wenn überhaupt, die Subversion, etwa durch versteckte Andeutungen oder Mehrdeutigkeiten. Und nun möge jede und jeder selbst darüber urteilen, ob sich in diesem Film mehr Staatspropaganda oder mehr Hinweise auf Subversion finden lassen. Kurzum, “Die Feuerzangenbowle” ist ein Film aus Nazi-Deutschland, aber deshalb noch lange kein Nazi-Film.

Justament April 2006: Elementar kriminelle Popmusik

Die juristische Metaphorik der Band Element of Crime

Thomas Claer

20_TC_Kolumne_StraßenbahnSeit ihren Anfängen lebt die populäre Musik – nicht selten recht einträglich – im und vom Spannungsfeld zwischen Subversion und Affirmation. Doch nie gab es ein so breites Publikum für Bands und Musiker, die sich und ihre “Street Credibility” so explizit über eine dem Anspruch nach unbedingt authentische, Ghetto bewährte Outlaw-Position definierten, wie im heutigen, längst massenkompatiblen “Gangsta Rap”: Weltstars wie 50 Cent oder Eminem predigen in ihren Songs seit Jahren einen mehr oder weniger machistischen und nur auf Selbstjustiz vertrauenden Lebensstil. Die in Deutschland ziemlich angesagten Jungs vom Label “Aggro Berlin” rekrutieren sich zu wesentlichen Teilen aus ehemaligen Knastbrüdern. Und bezeichnenderweise veröffentlichte US-Rapperin Lil Kim ihr aktuelles Album kürzlich gleich direkt aus dem Gefängnis, wo sie gerade eine Haftstrafe wegen Meineids absitzt.
Auch die Berliner Combo Element of Crime, die heuer ihr zwanzigjähriges Bandjubiläum begeht, könnte man aufgrund ihres einschlägigen Namens leicht für einen frühen Vorläufer dieser grobschlächtigen Richtung halten. Doch weit gefehlt! Die Kriminalität dieser vier Herren erschöpft sich glücklicherweise allein in jenen unerhört explosiven – im besten Orwellschen Sinne – Gedankenverbrechen, welche der Sänger und Texter der Band, der inzwischen auch als Romanautor (“Herr Lehmann”, “Neue Vahr Süd”) zu hinreichender Beachtung gelangte Sven Regener, regelmäßig zu seiner viel gerühmten und fein nuancierten Großstadtlyrik verarbeitet. Zum besonderen Markenzeichen avancierten dabei über die Jahre – nomen est omen – die metaphorischen Ausflüge in die Welt des Rechts: Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier, neben diversen um erschlichene Krankenscheine, missbrauchte Vorschlaghämmer und entwendete Aschenbecher kreisenden Sammelsurien besungener Bagatellkriminalität, die Stücke “Der Mann vom Gericht” von der LP “The Ballad of Jimmy and Johnny” (1989) und “Sperr mich ein” vom Album “Weißes Papier” (1993). Im erstgenannten Song begehrt ein unglücklich Liebender unkonventionelle Hilfe vom Gerichtsvollzieher und droht der Treulosen mit einem: “Erst was borgen/ Und dann zahlst du nicht/ Der Mann vom Gericht/ Wird’s dir schon besorgen.” Im anderen Lied werden der Angebeteten vom lyrischen Ich zunächst die Rollen als ermittelnder Polizeibeamter und Strafverteidiger in Personalunion angetragen: “Durchsuchen musst du gründlich, überall/ Der Fall ist schwerer als du denkst/ Erklär mir meine Rechte!/ Sperr mich ein!/ Ich will von dir verhaftet sein!”. Daran schließt sich die einem umfassenden Geständnis gleichkommende Selbstbezichtigung an: “Meine Sitten sind verlottert/ Mein Weltbild ist verdreht/ Und schmutzig meine Phantasie/ Bin schuldig groben Unfugs, der Völlerei/ Und gut zu Tieren war ich nie.” Und am Ende kann der einsichtige Täter seinen Strafantritt kaum noch erwarten: “Gib mir meine Strafe/ Hart hab ich es gern/ Ich halte still/ Was immer auch passiert/ In Freiheit bin ich garstig/ Gefangen will ich sein/ Kleingemacht und gut verschnürt.”
Da sich das ganze auch gesungen recht gut anhört, erfreut sich die Rockkapelle einer bis in diese Tage kontinuierlich wachsenden Fangemeinde – wenn auch gemessen an den ganz großen Acts der Branche auf vergleichsweise moderatem Umsatzniveau. In ihren aktuellen Veröffentlichungen, der LP “Mittelpunkt der Welt” und der EP “Straßenbahn des Todes”, präsentieren sich die Elements einmal mehr in musikalischer und textlicher Höchstform.

Element of Crime
Straßenbahn des Todes (Maxi-CD)
Universal Music 2006
16 min 15 s
ca. EUR 6,99
0602498768945