Tag Archives: Seemannslieder

justament.de, 19.2.2024: Reichels Riffs mit 80

Achim Reichel auf “Schön war es doch! Das Abschiedskonzert”

Thomas Claer

Will ein gealterter Rockmusiker nicht irgendwann auf der Bühne tot umfallen, so wie der sprichwörtliche Cowboy, der am Lebensende beim Reiten aus dem Sattel kippt, so muss er den passenden Zeitpunkt für einen würdigen Abgang finden. Achim Reichel, deutscher Rockstar der ersten Stunde und seitdem über sechs Jahrzehnte im Musikgeschäft gut dabei, hat nun seinen 80. Geburtstag zum Anlass genommen, gewissermaßen die Gitarre an den Nagel zu hängen. Allerdings nicht ohne zuvor noch ein letztes Mal auf Tournee zu gehen und seinen Fans eine Doppel-CD mit seinem Abschiedskonzert zu bescheren.

Aber schon wieder eine Live-Platte von ihm? Es gab doch zuvor schon drei, nämlich zum 50., 60. und 70. Geburtstag. Was soll denn da jetzt noch drauf sein, was man nicht schon zur Genüge kennt?! Ein wenig skeptisch hört man also rein in “Schön war es doch! Das Abschiedskonzert”, um dann doch erleichtert festzustellen: So haben wir seine Songs noch nicht gehört – nämlich eingespielt unter Hinzuziehung eines Bläserensembles, das seine Band nicht nur bei bestimmten einzelnen, sondern bei mehr oder weniger allen Liedern unterstützt. Heraus kommt dabei ein weitgehend anderes Gewand seiner bekannten Gassenhauer. Es ist schon ziemlich mutig, Seemannslieder wie “Kuddel Daddel Du” oder “Halla Ballu Balle” mit ausgiebigen Trompeten-Soli auszuschmücken. Selbst “Aloha Heja He, das jüngst zum Überraschungs-Hit in China avancierte, kriegt nun Bläserklänge verpasst. Und man muss schon sagen: Achim Reichel beweist auch noch auf seinen mutmaßlich letzten musikalischen Metern, dass er immer für eine unerwartete Wendung gut ist.

Wenn man angesichts von immerhin 22 Songs auf den beiden Scheiben dennoch sein großes Bedauern darüber ausdrücken muss, dass so viele tolle Lieder von ihm leider wieder ausgespart wurden, dann spricht das zweifellos auch für die hohe Qualität seines Schaffens. Andererseits fragt man sich aber schon, warum es ausgerechnet seine recht mäßige Version des Volkslieds “Der Mond ist aufgegangen” aufs Album geschafft hat. Aber na gut, dafür gibt es diesmal sogar einen ganz neuen Song dazu, dessen Titelzeile zugleich für den Namen des Albums steht – und sicherlich auch ein passendes Fazit für Reichels Rückblick auf seine Musiker-Laufbahn abgibt: “Aber schön war es doch”, im Original ein alter Schlager von Hildegard Knef, wird – unterlegt mit Reichels unverwechselbaren Gitarrenriffs – zum gelungenen Schlusspunkt dieses stimmigen zweifachen Silberlings. Und vermutlich ja auch zum Schlusspunkt seiner Musikerkarriere – aber wer weiß das schon in diesem Business? Womöglich folgt ja 2034 auch noch das fünfte Live-Album zum 90. Geburtstag…

Achim Reichel
Schön war es doch! Das Abschiedskonzert (2CD)
Tangram / BMG 2024
ASIN: B0CPHGPP9C

justament.de, 22.4.2019: Packende Zeitreise

Achim Reichel präsentiert „Das Beste“ – mal wieder…

Thomas Claer

Musste das jetzt noch sein? Schon wieder eine Best of-Platte von Achim Reichel? Das hatten wir doch nun schon mehrfach, zuletzt gab es „Solo mit euch“ (2010), davor das große Jubiläumskonzert zum 60. Geburtstag (2004), noch davor „Herz ist Trumpf – Das Beste von Achim Reichel“ (1997) und wiederum davor „Große Freiheit“ (1994), die Live-Platte zum 50. Geburtstag. Bedenkt man aber die Zeitabstände zwischen den Veröffentlichungen und lauscht sich durch die neue Zusammenstellung mit ihren zahlreichen seltenen Spezialversionen und besonders gelungenen Live-Aufnahmen, dann findet man am Ende doch, dass das Ganze schon irgendwie seine Berechtigung hat.

Und gerade wer viele der alten Stücke schon lange nicht mehr gehört hat, den kann diese launige Zeitreise auf zwei CDs durchaus packen, und man erkennt, wie dieser eigenwillige Sänger und exzellente Gitarrist, der jederzeit für eine Überraschung gut war, die Musikwelt immer wieder mit seinen Experimenten bereichert hat. Klar, es gibt die glattgebügelte, kommerzielle und radiotaugliche Seite dieses Musikanten, die auf diesem Querschnitt durch sein Schaffen auch unüberhörbar zu ihrem Recht kommt. Natürlich dürfen all die Radio-Hits aus den Achtzigern und Neunzigern nicht fehlen, von denen einige dem Deutschen Schlager schon bedenklich nahekommen. Das ganz schräge Zeug andererseits, die komplette erste Hälfte der Siebziger mit „A.R. und Machines“, mit „Wonderland“ und „Propeller“, bleibt dafür leider ausgespart, ebenso wie die Sechziger mit den „Rattles“. Dafür ist aber immerhin die zweite Hälfte der Siebziger mit den Seemannsliedern und Balladen-Vertonungen reichlich vertreten. Gleich sechs Titel von der „Regenballade“ (darunter das phänomenale „Nis Randers“) sind – verdientermaßen – auf der Platte, doch bedauerlicherweise nur zwei vom „Klabautermann-“ und nur einer vom “Shanty Alb’m”.

Was die späteren Schaffensphasen angeht, so ist nahezu von jeder etwas dabei. Ein nicht ganz unproblematischer weiterer kleiner Schwerpunkt liegt auf dem Album „Volxlieder“ von 2006. Zwei der hiervon ausgewählten drei Songs, „Heidenröslein“ und „Der Mond ist aufgegangen“, zählen fraglos zum berühmtesten deutschen Liedgut überhaupt, sind in Reichels Umsetzung aber keineswegs als sonderlich gelungen anzusehen, wohingegen der dritte, „Oh wie kalt ist mir geworden“, schon um einiges besser ist. Überhaupt haben diese Volkslied-Adaptionen seinerzeit so manche Irritationen ausgelöst, zumal Reichel damals leichtsinnigerweise dem rechtslastigen „Ostpreußenblatt“ ein Interview gegeben hatte, in dem er u.a. mit den Worten zitiert wurde, jedes Volk müsse sich auch zu seinem traditionellen Liedgut bekennen. Man fragt sich, ob das eine oder andere weniger starke Stück – so der Multikulti-Song „Kuddels Revolution“ oder der Umwelt-Protestsong „Exxon Valdez“ – es vor allem deshalb auf das Album geschafft hat, um diesen im Grunde unpolitischen Künstler in ein politisch (wieder) besseres Licht zu rücken. Dafür mussten andere Song-Perlen (wie etwa „Blues in Blond“ oder „Der Klabautermann“) leider außen vor bleiben.

Doch wird man sich letztlich bei jeder Kompilation dieser Art über die Auswahl des Materials streiten können. Der hervorragende Gesamteindruck bleibt davon unberührt. Das Urteil lautet: gut (14 Punkte).

Achim Reichel
Das Beste (2 CDs)
Tangram / BMG 2019

Justament April 2008: Schiff ahoi!

Wieder da: Achim Reichels Seemannslieder und Balladen aus den 70ern

Thomas Claer

Cover ShantyDa kommt Freude auf. Nach der “Grünen Reise” (siehe Justament 1/08) gibt es jetzt auch die digital remasterte Wiederveröffentlichung der kompletten Seemanslieder- und Balladenphase Achim Reichels zu bestaunen. Es handelt sich um insgesamt vier CDs, jeweils mit aufwändigem Booklet versehen. Zunächst ist da das “Shanty Alb’m” von 1976, auf dem der Meister hochbetagte Songs aus dem maritimen Umfeld (“Rolling Home”) mit recht schroffen und bisweilen regelrecht bösen Gitarrenriffs unterlegt. Nur einmal wurde das Programm damals mit Piraten-Kostümierung und folkloristischen Instrumenten in einem Hamburger Theater aufgeführt. Einige Shanty-Puristen, die sich in der Veranstaltung geirrt hatten, reagierten verstört. Ein größeres Publikum gab es für diese lange als Geheimtipp gehandelte Musik erst in den Neunzigern, als Reichel mit dem Party-Kracher Aloha Heja He die Hitparaden stürmte und die Konzertbesucher plötzlich nach den alten Stücken verlangten.

Die dem Shanty Alb’m folgende und konzeptionell ähnlich gestrickte Platte “Klabautermann” (1977) kann nicht minder überzeugen und wendet sich mit einer Christian Morgenstern-Vertonung (“Sophie, mein Henkersmädel”) erstmals auch literarischen Quellen zu.

Es folgt das ausschließlich klassische Balladen adaptierende Album “Regenballade” (1978), ein weiteres Meisterwerk, in welchem Theodor Fontane, Detlef von Liliencron, Ina Seidel und viele andere ein manchmal rockiges, oft aber auch eher subtiles Gewand erhalten.

Nach dieser Trilogie ging Achim Reichel lange Zeit andere Wege und kam erst 2002 mit der CD “Wilder Wassermann” (u.a. mit Goethes “Erlkönig”) zurück ins alte Fahrwasser. Doch nur in wenigen Liedern fand er wieder zur alten Klasse zurück. Gleichwohl lautet das Gesamturteil: gut (15 Punkte).

Achim Reichel
Dat Shanty Alb’m
Tangram (Indigo) 2008
Ca. EUR 17,00
ASIN: B0015S8166

Cover Klabautermann

Achim Reichel
Klabautermann
Tangram (Indigo) 2008
Ca. EUR 17,00
ASIN: B0015S816G

Cover Regenballade

Achim Reichel
Regenballade
Tangram (Indigo) 2008
Ca. EUR 17,00
ASIN: B0015S816Q

Cover Wilder Wassermann

Achim Reichel
Wilder Wassermann
Tangram (Indigo) 2008
Ca. EUR 17,00
ASIN: B0015S8170