Justament März 2011: Fromme Rehabilitierung
Nina Hagen entdeckt ihren “Personal Jesus”
Thomas Claer
In Würde zu altern, das ist die große Herausforderung für so viele Rock’n Roll-Helden von einst. Doch kann man nicht unbedingt behaupten, dass dies Nina Hagen, inzwischen auch schon 55, besonders gut gelungen wäre. Wenn sie in den letzten Jahren ein ums andere Mal durch mittelmäßige Fernsehshows tingelte und wild grimassierend von UFOs und Erleuchtung schwadronierte, sich schließlich sogar für menschenverachtende Casting-Shows im Privatfernsehen hergab, dann dachte man nur mit Wehmut an die rebellische junge Frau von ehedem, die eine so einzig- wie großartige Mischung aus Komik und Erotik verkörperte. Vom launisch-frechen DDR-Schlagersternchen (“Du hast den Farbfilm vergessen”) wandelte sie sich nach ihrer Übersiedlung in den Westteil Berlins schnell zur exzentrischen Punk-Diva, die 1978 mit “Nina Hagen Band” eines der stärksten deutschen Punk-Alben aller Zeiten herausbrachte. Sie sang darauf vom Klo auf’m Bahnhof-Zoo, vom Farbfernsehen zwischen Ost und West und vom Feminismus (“Ich bin nicht deine Fickmaschine”), fühlte sich “unbeschreiblich weiblich” und war dabei immer “sooo heiß” … einfach unvergesslich!
Nun ist Nina Hagen also, ausgerechnet sie, die notorische Autoritätenverspotterin!, irgendwie auf die christliche Schiene gekommen. “Personal Jesus” ist die Zusammenstellung von 13 Hagenschen Neuinterpretationen bekannter (ganz überwiegend amerikanischer Gospel-) Songs aus (ganz überwiegend) längst vergangenen Zeiten. Und das vage Misstrauen des Rezensenten findet umgehend Bestätigung: Die etwas dümmliche Fröhlichkeit der meisten dieser Nummern kann einem schon nach kurzer Zeit auf den Wecker fallen, ganz zu schweigen von ihrem oft einfältigen Inhalt. Unwillkürlich fühlt man sich an die “Jungen Christen” in der Comedy-Sendung Switch, an Sarah Palin und die amerikanische Tea Party-Bewegung erinnert. Seine starken Momente hat das Album hingegen, wenn es musikalisch in Richtung Pop, Jazz oder Blues geht. “Personal Jesus” von Depeche Mode ist eben einfach ein echt starker Song, dessen Nina-Adaption sich dem Original nahezu als ebenbürtig erweist. Auch “Sometimes I ring up heaven” lässt sich hören und ganz besonders das mindestens 70 Jahre alte “Mean old world”. Hier stimmt einfach alles, auch Ninas verrauchte Stimme, die allerdings eindringlich vor Augen bzw. Ohren führt, wohin jahrzehntelanger Nikotin-Abusus führen kann. Positiv anzumerken ist schließlich noch, dass die CD, was bei einer unrettbaren Ulknudel wie Nina Hagen schon etwas heißen will, völlig ohne Blödeleien auskommt. Gut, dass jemand sie gebremst hat. Das Gesamturteil lautet daher: befriedigend (8 Punkte).
Nina Hagen
Personal Jesus
Koch Universal Music (Universal) 2010
Ca. € 17,-
ASIN: B003M8DV5S
Justament Dez. 2006: Jura-Jux
Jörg-Michael Günthers Klassiker des juristischen Humors
Thomas Claer
Auch wenn mitunter anderes behauptet wird: Juristerei und Humor sind so unvereinbar wie Feuer und Wasser. Und es kann auch nicht anders sein, denn es liegt in der Logik des Systems, reproduziert es sich doch in seiner staatsexamensgelenkten Selektion alles Subversiven, der Normstabilisierung Abträglichen jahraus, jahrein zuverlässig selbst. Wer es in seiner juristischen Ausbildung einmal gewagt hat, in seine Arbeiten das Stilmittel der Ironie einfließen zu lassen, kann ein Lied davon singen. Rasch hat sich entweder der Kandidat von der Ironie oder die Jurisprudenz vom Kandidaten befreit. Eine Welt des heiligen Ernstes ist also die Welt des Rechts, der jedoch gerade dadurch eine unerhörte Komik innewohnt. Zwar gibt es in der juristischen Welt nicht viel zu lachen, über sie hingegen lacht es sich prächtig. Jedoch erschließt sich das vollständige Ausmaß der systemimmanenten Komik zwangsläufig nur denen, die die Juristenausbildung selbst durchlaufen haben. Der folglich immer sehr begrenzte Konsumentenkreis juristischer Humorika mag auch der Grund dafür sein, dass die erstmals in den Jahren 1988 und 1989 publizierten Meisterwerke “Der Fall Max und Moritz” und “Der Fall Struwwelpeter” von Jörg-Michael Günther noch immer auf eine Neuauflage warten. Aber so what? Der geneigte Leser kann heute dank Ebay oder Amazon ohne größeren Aufwand fündig werden. Lediglich eine aktualisierte Überarbeitung hinsichtlich der damals zugrunde gelegten und heute oftmals veralteten Gesetzestexte wäre dann doch einmal wünschenswert …
Der Verfasser nimmt sich also der beiden vermutlich berühmtesten Pionierwerke des Comicgenres an – 1865 verfasst von Wilhelm Busch und schon 1845 von Dr. Heinrich Hoffmann – und ermittelt jeweils in einem juristischen Gutachten vornehmlich die Strafbarkeit der beteiligten Kunstfiguren: vom Hausfriedensbruch der Buben Max und Moritz bei der armen Witwe Bolte bis zur Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener – Max’ und Moritz’ – durch die Dorfbewohner, von der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht durch Struwwelpeters Eltern bis zur unterlassenen Hilfeleistung der Männer mit den großen Stangen bezüglich des frierenden Hans Guck-in-die-Luft. Berücksichtigt werden aber auch zivilrechtliche Aspekte wie etwa die Ansprüche des fliegenden Robert gegen den Regenschirmhersteller bis hin zu völkerrechtlichen Erwägungen wie möglichen Verstößen des fliegenden Robert gegen internationale Raumfahrtabkommen. Methodisch begründet Jörg-Michael Günther die Anwendbarkeit heutiger Rechtssätze auf längst historisierte und dazu frei erfundene Taten mit der Annahme, dass die Straftaten zumindest mit jeder Aufführung der Werke gleichsam erneut begangen würden. Dieser Weg sei, wie Günther im Vorwort zum “Fall Struwwelpeter” süffisant bemerkt und belegt, erfreulicherweise zwischenzeitlich allgemein in der Rechtswissenschaft anerkannt. Und die Gegenstände seiner juristischen Expertise sind wahrhaft gut gewählt. Eine solche Fülle von prüfungswürdigen etwaigen Rechtsverstößen auf engstem Raum wird sich woanders in der Literatur kaum finden lassen. Vor allem aber macht der jederzeit durchgehaltene knochentrockene Gutachtenstil die Untersuchung ein ums andere Mal zum Brüllen komisch. So führt sich auch ganz nebenbei die oft zitierte juratypische “lebensnahe Betrachtungsweise” ad absurdum.
Ein besonderes Highlight liegt zweifellos in der Erörterung der Täterfrage bezüglich der Tötung von Max und Moritz in der Mühle des Meisters Müller. Denn schließlich hat ihm Bauer Mecke die Buben Max und Moritz im verschlossenen Sack mit den Worten übergeben: “Meister Müller, he, heran! Mahl er das, so schnell er kann!” Wer ist hier Täter, wer Gehilfe? Oder haben wir es gar mit einer mittelbaren Täterschaft, einem Täter hinter dem Täter zu tun? Der Rechtsprechung zu Folge ist für die Feststellung des für eine Täterschaft unverzichtbaren Täterwillens vor allem das Tatinteresse maßgeblich. Und hieran fehlt es Meister Müller, sodass dieser demnach nur als Gehilfe des Bauern Mecke fungiert hat. Dagegen kommt der Verfasser mit der überwiegenden Meinung der Literatur zum Ergebnis, dass Meister Müller, da er den Geschehensablauf jederzeit in den Händen hielt, selbst die Tat begangen hat. Wegen des zudem einschlägigen Mordmerkmals “Grausamkeit” hat sich Meister Müller, der um die mechanische Wirkung seiner Mühle wusste, letztlich sogar wegen Mordes strafbar gemacht.
In den Folgejahren hat Jörg-Michael Günther noch mit einem “Fall Rotkäppchen” (1990), einem “BGB in Reimen” (1994) und einer zweibändigen Sammlung kurioser Rechtsfälle (1995 und 1998) nachgelegt. Vergriffen sind auch sie allesamt, die Sammlerpreise reichen schon bis zu 25 € für das Rotkäppchen.
Jörg-Michael Günther
Der Fall Max und Moritz
Eichborn Verlag
Frankfurt am Main
1988, 124 S.
DM 16,80
ISBN 3-8218-1858-1 (vergriffen)
Jörg-Michael Günther
Der Fall Struwwelpeter
Eichborn Verlag
Frankfurt am Main
1989, 143 S.
DM 16,80
ISBN 3-8218-2185-X (vergriffen)