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Justament März 2006: Half ihr doch kein Weh und Ach

Gesa Dane untersucht prominente Vergewaltigungsfälle aus der Literatur

Thomas Claer

8 Dr.T.C_Kolumne_GesaDane_Zeter+MordioSchon vielfach – auch und gerade an dieser Stelle – wurde die immer wieder spannungsreiche Wechselbeziehung zwischen Literatur und Recht angesprochen. “Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze sich endigt”, wusste Friedrich Schiller (1759-1805), und Märchenbruder Jacob Grimm (1785-1863) versuchte den Nachweis zu führen, “dasz recht und poesie aus einem bette aufgestanden waren”. Anknüpfend an letzteren und seine Schrift “Über die Notnunft an Frauen” (1841 erschienen in der Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft) unternimmt die Literaturwissenschaftlerin Gesa Dane in ihrer Göttinger Habilitationsschrift eine Zeitreise sowohl durch die Literatur als auch durch die Rechtsgeschichte, die sich dem Tatbestand der Vergewaltigung und seinen zeitabhängigen rechtlichen Deutungen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart widmet. Von der Verletzung der Ehre, dann der des Körpers und der sittlichen Ordnung bis hin zu jener der Seele und der sexuellen Selbstbestimmung der Frau illustrierte die jeweilige epochentypische Wahrnehmung dieses Delikts immer auch maßgeblich die gerade angesagten rechtskulturellen Paradigmen. Nach kurzen Ausflügen in die Bibel und die antike Mythologie führt Dane den Leser zu den Klassikern der literarischen Vergewaltigungen: Lessings “Emilia Galotti”, Thomas Hardys “Tess of the d’Urbervilles”, Kleists “Marquise von O…” (der berühmteste Gedankenstrich der Literaturgeschichte) und nicht zuletzt zu Goethes notorisch verharmlostem “Heidenröslein”.
Auf Distanz geht die Verfasserin allerdings zu manchen expliziten Darstellungen ihres Untersuchungsgegenstandes bei verschiedenen Autorinnen der Gegenwart, etwa der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, und bemängelt hier eine Banalisierung der Vergewaltigung infolge deren inflationären literarischen Gebrauchs. Eingehend beschäftigt sich Dane aber auch mit der dem jeweiligen literarischen Geschehen zugrunde liegenden Gesetzeslage und beleuchtet in einem gesonderten Abschnitt den Vergewaltigungstatbestand von der Carolina bis zum reformierten StGB.
Drei idealtypische Situationen der Vergewaltigung, welche sich unabhängig vom historischen Hintergrund bis heute beobachten lassen, unterscheidet die Autorin: Die gewaltsame sexuelle Befriedigung des Mannes, die Tat zur Schädigung und Erniedrigung des Feindes in Krieg und Bürgerkrieg sowie die Beziehungstat zur Schädigung eines Dritten. Bei letzterer geht es um spezifische Machtkonstellationen und Ehrenkonflikte zwischen Männern, denen Frauen gleichsam als Medium zum Opfer fallen. Wohl mit Blick auf die jüngsten Modifikationen der Gesetzgebung konstatiert Dane, Vergewaltigungen seien in nicht-strafrechtlicher Hinsicht Beziehungstaten, die ein Mann an einer Frau begeht. So lernte man es auch noch bis in die späten Neunziger im Jurastudium an den Universitäten, da Frauen aus biophysikalischen Gründen keine Vergewaltigungen begehen könnten. Der 1998 eingeführte neue § 177 StGB, bei dem die Vergewaltigung nur noch einen besonders schweren Fall (Regelbeispiel) der sexuellen Nötigung darstellt und von Angehörigen beider Geschlechter begehbar ist, trägt wohl, so ist vermuten, auch den vielfältigen Gebrauchsmöglichkeiten des inzwischen weit verbreiteten Medikaments Viagra Rechnung. Vereinzelt soll es seitdem schon Verurteilungen von Vergewaltigerinnen mit männlichen Opfern gegeben haben. Eine entsprechend spezifische Vergewaltigungsliteratur von Männern steht freilich noch aus.

Gesa Dane
“Zeter und Mordio”
Vergewaltigung in Literatur und Recht
Wallstein Verlag
Göttingen 2005, 312 Seiten
€ 32,00
ISBN: 3892448612