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www.justament.de, 23.10.2017: Call it alte Liebe

Scheiben Spezial: Vor 30 Jahren erschien „One Second“ von YELLO

Thomas Claer

30 Jahre sind eine lange Zeit. Und was ist geblieben von der Musik, an der man sich damals als verwirrter Teenager so innbrünstig erfreut hat? Nun ja, nicht viel. Aber diese Platte, die jahrelang in meinem Plattenschrank stand, bis sie irgendwann in den Neunzigern einer, wie ich es seinerzeit nannte, „ästhetischen Säuberung“ meiner Tonträgersammlung zum Opfer fiel und nach reiflicher Überlegung im Second-Hand-Plattenladen verkauft wurde, diese Platte habe ich nun, nachdem ich sie gut und gerne zwei Jahrzehnte später auf YouTube wiederentdeckt und erstmals seitdem wieder von vorne bis hinten durchgehört habe, erneut ins Herz geschlossen. Es ist, als ob mit dieser Musik meine ganze Welt der späten Achtzigerjahre wiederauferstünde, das Lehrlingswohnheim an der Ostsee, das bald nach der Wende abgerissen wurde, in dem ich sie immer wieder auf dem Kassettenrecorder hörte.
„One Second“ ist die vielleicht rundeste und stimmigste aller YELLO-Platten, aber sie ist, wie ich nun feststelle, keineswegs so glatt und poppig wie ich es wohl angenommen haben muss, als ich sie damals in einem mir heute unerklärlichen Anflug von Rigorismus verkauft hatte. Hier sind die Schweizer Soundtüftler Boris Blank und Dieter Meier in Bestform. Zwei Jahre nach der Trennung von Gründungsmitglied Carlos Peron ist der YELLO-Sound noch längst nicht so verflacht, wie man es ihm später immer wieder und dann ja auch durchaus zutreffenderweise bescheinigt hat. Die beiden Anzug- und Schnurrbartträger präsentieren auf diesem Album ein buntes Sammelsurium aus allerlei Ethno-Sounds verschiedenster Provenienz, wobei der Schwerpunkt zumeist auf einer lateinamerikanisch anmutenden Percussion liegt. Allerhand gewöhnliche und ungewöhnliche Instrumente werden mit spielender Leichtigkeit ins elektronische YELLO-Klanguniversum integriert. Ebenso bunt und vielfältig sind die eingesetzten Gesangsstimmen. Zahlreiche prominente Gastmusiker von Billy Mackenzie („Moon on Ice“) bis Shirley Bassey (“The Rhythm Divine“) unterstützen Blank und Meier, noch dazu in verschiedenen Sprachen. Die „Hit-Singles“ dieses kommerziell gediegenen Albums waren das grandiose „Call it Love“ und „Goldrush“, zwei auch nach heutigen Maßstäben überragende Pop-Songs: Blanks fein dosiertes Pathos, ohne belanglos zu sein, im einen Falle, Meiers mitreißendes stimmliches Stakkato im anderen. Für mich öffnete „One Second“ vor 30 Jahren ein Fenster aus der kleinen, engen DDR in die große weite Welt.

YELLO
One Second
Mercury 1987

www.justament.de, 26.7.2010: Gefangen im Selbstzitat

Die neue Yello-CD lädt ein zur nostalgischen Zeitreise

Thomas Claer

Yello CoverWer in den achtziger Jahren, sofern er da schon auf der Welt war, einmal einen Bravo-Kalender besaß, dem ist vielleicht unter den vielen qietschbunten Gestalten darin ein einsamer Krawatten- und Anzugträger aufgefallen: Das war Dieter Meier von der Schweizer Elektro-Avantgarde-Band Yello. Irgendwie war er dort ein Fremdkörper (ähnlich wie damals auch Otto Schily bei den Grünen), zumal auch seine Band-Kollegen verwegen koloriert oder gar mit freiem Oberkörper posierten. Nun muss man aber wissen, dass es sich bei Dieter Meier, Jahrgang 1945, um den einzigen internationalen Popstar mit abgeschlossener juristischer Ausbildung handelt (Justament 5-2007, S.22 berichtete), abgesehen vom italienischen singenden Rechtsanwalt Paolo Conte.

Dieter Meier und Yello schrieben also seit ihrem Debüt-Album „Solid Pleasure“ (1980) Popgeschichte. Jedes ihrer Alben aus den Achtzigern klang anders, immer aufregend und erfrischend, wenn auch ein allmählicher Trend zum Glatten und Gefälligen nicht zu überhören war. Doch seit nunmehr zwanzig Jahren bestehen ihre Platten vornehmlich aus der Neukombination des Altbekannten. Und das gilt erst recht für das hier zu besprechende „Touch Yello“: Der Opener „The Expert“ ist eine Mischung aus „The Race“ und „Tied up“ von 1988 sowie dem „Rubberbandman“ von 1991. Der zweite Song „You Better Hide“ erinnert am Anfang an „Blue Green“ von 1980, dann an „The Rhythm Divine“ von 1986. Das dritte Lied klingt etwas nach „Goldrush“ von 1986 und nach „Jungle Bill“ von 1991. Beim vierten Track handelt es sich um einen – immerhin ehrlicherweise auch als solchen bezeichneten – Remix ihrer legendären Prä-Techno-Nummer „Bostich“ (1980). Und so geht es munter weiter. Sie plündern den eigenen Back-Katalog nach Belieben. Das allein wäre zwar noch nicht weiter schlimm, doch ist schmerzhaft zu bemerken, wie sehr die sparsam eingesetzten Neuerungen hinter ihren früheren klanglichen Kabinettstücken zurückbleiben.

Dabei ist längst nicht alles schlecht auf „Touch Yello“. Vor allem wer noch nie eine andere Yello-Platte gehört hat, kann an der CD durchaus seine Freude haben. Die insgesamt etwas dunklere, jazzigere, ja smoothigere Note kann man auch gut finden. Und im besagten „You Better Hide“ ist mit der Schweizerin Heidi Happy eine junge, hoffnungsvolle Sängerin sehr eindrucksvoll zu vernehmen. Das ist übrigens bis heute eine Stärke von Yello geblieben: die Untermalung von lasziven Frauenstimmen. Diese Dame sollte man im Auge behalten. Das Urteil lautet: befriedigend (8 Punkte).

Yello
Touch Yello
Polydor (Universal) 2009
Ca. € 17,-
ASIN: B002N9MK86