Tag Archives: 2015

www.justament.de, 30.11.2015: Die Welt ist schlecht, aber s i e ist es nicht

Maike Rosa Vogel auf ihrem vierten Album „Trotzdem gut“

Thomas Claer

trotzdem16x9Die Sängerin und Liedermacherin Maike Rosa Vogel, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, ist so etwas wie eine Heilige. Während sich andere erklärte „Gutmenschen“, die sich überall korrekt positionieren und immer auf der richtigen Seite stehen, nicht selten dem Verdacht der Heuchelei aussetzen, ist an der 37-jährigen Wahlberlinerin garantiert alles echt. Man nimmt es ihr ab, dass sie sich für Flüchtlinge einsetzt, die Naturzerstörung und die menschliche Gier anprangert. Wenn sie dem Publikum auf den Konzerten ihre Seele öffnet, ist sie erkennbar ganz bei sich selbst. Vor allem aber sind ihr die überschwänglichen Kritiken all der bis über beide Ohren in sie verknallten Musikrezensenten offenbar nicht im Mindesten zu Kopf gestiegen. Uneingebildet und natürlich wie eh und je präsentiert sie uns – drei Jahre nach der letzten Platte „Für fünf Minuten“ – nun ihr neues Album „Trotzdem gut“, das erstmals im Eigenvertrieb erscheint. Dieser Schritt ist mutig und konsequent zugleich, und man kann sie hierzu nur beglückwünschen. Ihre Fans werden schon weiterhin zu ihr finden, auch ohne Plattenfirma.

Allerdings packt einen „Trotzdem gut“, anders als seine Vorgänger, nicht gleich vom ersten Moment an. Man braucht etwas länger, um mit dieser Platte warm zu werden. Musikalisch hat sich das Spektrum ein wenig in Richtung Folk verschoben. Wir hören Banjo und Violinen. Sven Regener, die treue Seele, spielt Bass und Trompete. Und gerade weil ihre Songs diesmal gelegentlich etwas abrutschen auf dem schmalen Grat zwischen großer Emotion und Betroffenheitskitsch, wird einem bewusst, was für großartige Lieder uns Maike Rosa Vogel auf ihren früheren Alben geschenkt hat. Doch gibt es solche Lieder, man bemerkt es spätestens beim dritten oder vierten Hören, auch auf „Trotzdem gut“. Zum Beispiel „Du hältst meine Hand“ – eine Hymne an das kleine große Glück der Zweisamkeit. Und ganz bestimmt spricht „Verschwendete Zeit“ unzähligen zugewanderten Berlinern aus der Seele, die sich von ihren besorgten Provinz-Eltern die ewig gleichen bitteren Vorwürfe anhören müssen: „Sie glauben an das Unglück, das da draußen auf uns lauert/ Und uns anspringt und uns einholt, wenn wir tun, was uns gefällt“. Doch das lyrische Ich weiß es gottlob besser: „Die schlimmsten Zeiten meines Lebens waren die/ Als ich anderen mehr glaubte als mir selbst“. Je länger man diesem Album lauscht, desto mehr Perlen entdeckt man auf ihm. Auch „San Francisco“ und „Für mich auch“ sind sehr schön.

Textlich besonders interessant wird es dann auf „Der kultivierteste Sommer meines Lebens“. Hier zeigt uns Maikes lyrisches alter ego, dass es auch mal ganz anders kann: Den ganzen Sommer lang sind die Erzählerin und ihr Geliebter „in Museen gegangen“, haben „gute Filme geschaut“, sich nicht vom Fußballfahnenschwenken anstecken lassen und ausgedehnt Zeitung gelesen. Doch irgendwann reicht es dann dem lyrischen Ich: „Ich wollte einfach schnellen Sex… ich bin ganz gerne auch mal nicht so klug/ Und ich bin ganz gerne auch mal nicht so gut/ Und viel mehr als das/ Hatten wir uns beide nicht zu sagen“. Man rechnet schon mit dem Schlimmsten. Wird sie ihn, den kulturbeflissenen Intellektuellen, der zu wenig auf die wilden Begierden seiner Partnerin eingeht, eiskalt abservieren? Doch zum Glück kommt es anders. Freudig bleibt sie bei ihm, „Weil du nur mich liebst/ Und sonst nichts auf der Welt“. Na dann toi, toi, toi…

Gewidmet ist diese CD übrigens den Berliner Hebammen, „die so viel mehr tun als ihre Arbeit und denen wir alles zu verdanken haben“. Danke, Maike, für diese Hommage an die wahren Helden des Alltags, die in ihren unterbezahlten Jobs Erfüllung finden und dafür von den Karriere-Fuzzis und -Tussis auch noch herablassend behandelt werden. Unser Urteil für diese Platte lautet: voll befriedigend (11 Punkte).

Maike Rosa Vogel
Trotzdem gut
Eigenvertrieb Maike Rosa Vogel 2015
www.maikerosavogel.com

www.justament.de, 5.10.2015: Hurra – das Literarische Quartett ist wieder da!

Thomas Claer empfiehlt spezial

QuartettEine große Freude ist es natürlich, wenn unsere Lieblingsfernsehsendung nach fast anderthalb Jahrzehnten Pause endlich wieder ausgestrahlt wird. Zwar mit neuen Protagonisten – die beiden früheren Hauptakteure befinden sich ja mittlerweile im Großkritikerhimmel –, aber ansonsten, so war es zumindest angekündigt, sollte alles unverändert bleiben. Doch die erste große Enttäuschung stellt sich am späten Freitagabend bereits nach wenigen Sekunden ein: Die fulminante Titelmusik aus dem letzten Satz des Streichquartetts Nr. 9 C-Dur op. 59 Nr. 3 von Ludwig van Beethoven – einfach weggelassen! Das ist doch nicht zu fassen! Schon kurz darauf ist man jedoch gleich wieder etwas besänftigt, als Maxim Biller sich mit seiner ersten Buchvorstellung ins Zeug legt und anschließend scharfe verbale Pfeile in alle Richtungen abfeuert. Das Buch „Der dunkle Fluss“ des afrikanischen Autors Chigozie Obioma ist für ihn das bedeutendste Werk des vergangenen Jahrzehnts und nur mit Kafka zu vergleichen, hingegen sei „Fieber am Morgen“ von Peter Gardos „Holocaust-Kitsch“ und Illja Trojanow „überhaupt kein Schriftsteller“. Maxim Billers Urteile sind entschieden, einseitig und ungerecht. Kurz, er ist die Idealbesetzung für diese Sendung. Da lassen sich dann auch seine ständigen Mitdiskutanten nicht lumpen: Für Christine Westermann ist die Übersetzung von „Der dunkle Fluss“ ins Deutsche eine einzige Katastrophe (was aber niemandem sonst in der Runde aufgefallen ist), bei „Träumen“ von Karl Ove Knausgard hat sie sich auf den mehr als 800 Seiten schrecklich gelangweilt (während Maxim Biller hier eine große poetische Dichte ausgemacht hat). Volker Weidemann bezeichnet „Macht und Widerstand“ von Illja Trojanow als „ein schreckliches Buch“, was wiederum den Gast dieses Abends, Juli Zeh, sehr erbost, die sich für ihren Freund und Kampagnenmitstreiter Trojanow energisch in die Bresche wirft. Überhaupt Juli Zeh, man sollte sie dauerhaft in der Sendung belassen! Die promovierte Einserjuristin, die ein unsicheres Leben als Schriftstellerin einer glänzenden juristischen Karriere vorgezogen hat, hatte lange mit dem Image der neunmalklugen Streberin zu kämpfen. Ihre ersten Romane waren unter Kritikern, um es vorsichtig zu sagen, umstritten. Ihre Bemühungen, sich mit politischen Aktionen als eine öffentliche Intellektuelle in der Tradition von Heinrich Böll und Günter Grass zu stilisieren, wurden vielerorts belächelt. Und doch, sie hat gekämpft, sie hat sich durchgebissen. Was sie sagt, hat mittlerweile durchweg Hand und Fuß. Mit nunmehr 41 Jahren und nach etlichen Einsätzen in Sloterdijks Philosophischem Quartett wirkt sie in den Altherrenrunden auch nicht mehr so naseweis wie früher, sondern regelrecht reflektiert. Und wer das Blitzen in ihren Augen gesehen hat, als sie als einzige im Quartett ganz entschieden das Trojanow-Buch verteidigte, der konnte sie sogar ins Herz schließen…  Summa summarum: Diese Sendung war kurzweilig, vielsagend und sehenswert. Nur sollte man den Akteuren doch wenigstens eine Viertelstunde mehr Zeit einräumen, damit sie nicht so hektisch von einem Buch zum nächsten springen müssen. Damals ging die Sendung doch auch länger als 45 Minuten! Was ihr heute allerdings fehlt, dürfte niemanden überraschen: klar, ein Literaturpapst, der am Ende der Streitereien mit seiner natürlichen Autorität verbindlich feststellt, ob ein Buch denn nun gut oder schlecht ist. So, wie es jetzt ist, bleibt man als Zuschauer leider in einem Zustand, den Ranicki zwar seinerzeit oft im Munde führte, der sich nun aber erst ohne ihn eingestellt hat: Man sieht betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen!