Justament Dez. 2007: Ein Alptraum für Juristen

Unsere Willensfreiheit ist nur eine Illusion, weiß der Evolutions-Biologe Franz M. Wuketis

Thomas Claer

Cover WuketisVielen narzisstischen Kränkungen sah sich der moderne Mensch schon ausgesetzt: Erst sagte ihm Kopernikus, die Sonne drehe sich nicht um die Erde, sondern die Erde um die Sonne. Später offerierte ihm Darwin, dass der Mensch nicht Gottes Geschöpf sei, sondern vom Affen abstamme. Dann fand Freud heraus, dass das Ich nicht Herr im eigenen Hause und der Mensch maßgeblich von unbewussten Trieben gesteuert sei. Doch was wir jetzt erleben, ist ein besonders schwerer Anschlag auf unser Selbstwertgefühl: Schon seit Jahren behaupten Hirnforscher, dass ihren Experimenten zufolge der Mensch keinen freien Willen habe. Bevor wir eine Hand heben, fanden sie heraus, haben neuronale Vorgänge schon über unsere Handlung entschieden. Warum das eigentlich keine Überraschung ist, erklärt der Wiener Biologe Franz M. Wuketis nun aus der Sicht des Evolutions-Forschers. Als Produkt der Evolution sei der menschliche Geist eben nur ein Überlebens-Instrument wie andere Organe auch und nicht zur objektiven Erkenntnis seiner Umwelt oder gar zur freien Selbstbestimmung geschaffen. Doch brachte die rasante Entwicklung der Gehirnfunktion der höheren Primaten jene sich selbst verstärkenden Rückkopplungen hervor, durch die es allmählich zur Abstraktion der Außenwelt durch Symbole und zur beträchtlichen Erweiterung der Vorstellungskraft bis hin zur Antizipation künftiger Ereignisse kam. Dabei seien Illusionen oft sehr nützlich im “struggle for life” und begünstigten ungemein das “survival of the fittest”. Und ein Musterbeispiel für solch eine Illusion sei auch die Annahme, der Mensch könne sich in jeder Situation stets so oder anders entscheiden. Tatsächlich sei das Verhalten des Menschen aber vollständig durch seine genetische Ausstattung sowie die Summe seiner Sozialisationserfahrungen determiniert. Er werde sich, sofern er keinen äußeren Zwänge unterliegt, letztlich immer so verhalten, wie es für ihn am angenehmsten ist. Aus evolutionsbiologischer Sicht sei auch nichts anderes denkbar. Entschieden tritt Wuketis dem unter Philosophen und auch naturwissenschaftlichen Sachbuch-Autoren wie Hoimar von Ditfurth lange sehr populären Dualismus entgegen, wonach es eine eigenständige Welt des Geistes gebe, die mit den materiellen Gehirnen interagiere. Vielmehr sei der Geist nur eine Funktion des Gehirns wie die Bewegung eine Funktion der Gliedmaßen.
Für Juristen ist das alles ein Alptraum, denn wie sollte man Straftäter verurteilen, wenn sie allesamt gar nicht anders konnten? Womöglich sind am Ende auch noch sämtliche zivilrechtlichen Verträge unwirksam, wenn alle Beteiligten unter permanenten schweren Willensmängeln leiden. Da hilft dann wohl nur noch der Rückgriff auf den  Strafrechtler Eduard Kohlrausch (1874-1948), für den die Freiheit eine “staatsnotwendige Fiktion” war, an der festzuhalten sei, weil nur auf diese Weise eine unverzichtbare Voraussetzung des Strafrechts erfüllt werden könne. Im Übrigen wird Wuketis, der sein Buch salopp und unterhaltsam bis zur Krawalligkeit abgefasst hat, besonders gerne ausfällig gegen Politiker und Juristen: “Wir Menschen sind Affen, und so verhalten wir uns auch. Gesetzgeber, Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte sind davon natürlich nicht auszunehmen, auch wenn die meisten von ihnen über die Natur des Menschen – und damit über ihre eigene Natur – nichts wissen und nichts wissen wollen. Grundlegende biologische Kenntnisse gehören nicht zum Ausbildungsmuster von Juristen” (S.150). Das ist vielleicht – siehe oben – auch besser so. Wo soll das schließlich hinführen?

Franz M. Wuketis
Der freie Wille. Die Evolution einer Illusion
Hirzel Verlag Stuttgart 2007
181 Seiten, 22,00 €
ISBN-10: 3777615099

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