Das erste Buch des Popmusikers und Performancekünstlers Dieter Meier
Thomas Claer
Auch wenn er es in seinem Buch nur ein einziges Mal und nur andeutungsweise erwähnt (“ein als Student der Jurisprudenz getarnter Spieler”): Neben Paolo Conte ist der Schweizer Dieter Meier (Jahrgang 1945) vermutlich der einzige internationale Popmusikstar mit abgeschlossener juristischer Ausbildung. Doch hat Meier, mit seiner Band YELLO seit 1980 ein Pionier der elektronischen Musik, der eigentliche Erfinder der Techno-Musik (“Bostich”) und des Musikvideos (mit “Da Da Da” von Trio) die Rechtswissenschaft schon früh weit hinter sich gelassen. Aus dem Zürcher Geldadel stammend und daher von der Notwendigkeit der Erwerbsarbeit befreit, schloss er sich nach seinem Jurastudium diversen Happeningzirkeln an, experimentierte als Performencekünstler, stellte seine Exponate auf mehreren documentas aus, avancierte vorübergehend zum Pokerspiel-Profi und Schweizer Nationalspieler im Golfsport, bis es 1979 zur schicksalhaften Begegnung mit dem Lkw-Fahrer Boris Blank und dem gelernten Rohkaffeekaufmann Carlos Perón kam, welche sich – so sagt es die Legende – ihrerseits kurz zuvor bei Tonaufnahmen in einer Autoschrottpresse kennen gelernt hatten. Sie, die ihre Klangexperimente fortan zusammenführten, engagierten Dieter Meier kurzerhand als Sänger und YELLO war geboren. Es folgte eine beispiellose Karriere mit weltweit mehr als 10 Millionen verkauften Tonträgern. Meiers revolutionäre Musikvideos zu den YELLO-Songs (“The Evening’s young”, “Oh yeah”) prägten das junge Genre maßgeblich, wurden mit Preisen überhäuft und werden noch heute auf youtube abgefeiert. (Dass die Band allerdings seit den mittleren Achtzigern musikalisch stagnierte, wurde meist mit dem Ausscheiden des genialen Carlos Perón (1983) in Zusammenhang gebracht, dessen Soloalben “Impersonator I” (1981) und “Nothing ist true – everything is permitted” (1984) zu den unsterblichen Klassikern der elektronischen Musik gehören.)
Nach all den langen Jahren mit YELLO hat Dieter Meier nun also sein erstes Buch veröffentlicht und sich damit einen Jugendtraum erfüllt, denn er wollte, so sagt er, eigentlich immer Schriftsteller werden. Man darf sich das Buch des Popstars Meier aber nicht wie eines seiner Kollegen 50 Cent oder Madonna vorstellen. Meier, ganz Bildungsbürger, gibt als literarische Vorlieben Robert Walser und Walter Benjamin an. Der Band enthält kurze Prosatexte mit immer wieder eingeschobenen lyrischen Ausflügen, die während der letzten 20 Jahre u.a. in der ZEIT und der NZZ erschienen sind. Geschrieben wurden diese Texte ausschließlich auf einer alten Schreibmaschine, dem “Hermes Baby”, in welche der Genussmensch Meier, der sinnlichen Erbauung wegen, seine sprachlichen Werke einzutippen pflegt. Diese, überwiegend gut lesbar, meist pointiert und ironisch (“Die Schwerarbeit des Müßiggangs”), legen Zeugnis ab von den Ambitionen und Leiden des Menschen Dieter Meier, den, wie er bekennt, ein Leben lang die Fratze des Ungenügens angegafft hat. Denn als von aller materiellen Not Entbundener fühlte er sich stets dazu angehalten, etwas ganz Außerordentliches zu schaffen. Dieser Anspruch habe ihn in jungen Jahren fast in den Wahnsinn getrieben. Die erste wirkliche Bestätigung in jener Zeit zwischen Matura und Popkarriere verschaffte ihm seine Laufbahn als Pokerspieler, wo er schnell einen exzellenten Ruf als gefürchteter “Bluffer” erwarb.
Heute betätigt sich Meier auch als Bio-Winzer in Argentinien und als Unternehmer, aus infantilem Antrieb, wie er sagt, um seinem hochbetagten Vater zu beweisen, dass er es auch auf diesem Felde doch noch zu etwas bringen kann.
Dieter Meier
Hermes Baby . Geschichten und Essays
Ammann Verlag Zürich 2006
160 Seiten, mit DVD, 19,90 €
ISBN 3-250-60093-8