Justament März 2006: Die Gleichmacher

Gerd Roellecke tastet sich durch das Problemfeld Staat und Tod

Thomas Claer

7 Roellecke_Staat+Tod_Ferd.SchöninghAls Tabuzone erster Ordnung gilt in Westeuropa auch noch vier Jahre nach dem von Peter Scholl-Latour ausgerufenen Ende der Spaßgesellschaft am 9.11.2001 alles, was mit Tod und Sterben zu tun hat. Solch unerfreuliche Dinge blendet – trotz fortschreitender Alterung der Gesellschaft – ein jeder gerne aus. Im wissenschaftlichen Diskurs hingegen, konstatiert Gerd Roellecke, emeritierter Mannheimer Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, in seiner kleinen instruktiven Schrift “Staat und Tod”, könne von mangelndem Interesse an der Thematik keine Rede sein. Und so unbestimmt und dunkel das Phänomen des individuellen Todes sich ausnimmt, so entschieden hat sich doch auch jeder Staat im Verhältnis zu ihm zu positionieren. Im ersten Teil des Buches unternimmt Roellecke eine eher tastende multiperspektivische Annäherung an den Tod, an deren Ende die demonstrative Hinwendung zum Bezugspunkt Leben steht. Über Heideggers “Verlorenheit in das Man-selbst” – es gibt für Roellecke keine radikalere Rechtskritik als Heideggers Analyse des “Man” – gelangt er mit Norbert Elias zur gänzlich unmetaphysischen Einsicht, dass der Tod ein Problem der Lebenden sei. An dieser Stelle billigt der Verfasser dem Staat für den Einzelnen im Hinblick auf den Tod eine ähnliche Bedeutung wie dem Straßenverkehr zu: Selbst wenn man aufpasse, könne man darin umkommen, aber er biete so viele und großartige Möglichkeiten, die eigene Existenz zu erweitern, dass das Risiko gering erscheine. Auf der anderen Seite aber, so heißt es an späterer Stelle, ist das Recht des Staates, über Leben und Tod seiner Bürger zu verfügen, seit der Entkoppelung von Religion und Politik nicht mehr religiös begründbar. An diesem Recht zu rütteln, kommt Roellecke dennoch nicht in den Sinn. Vielmehr entwickelt er eine zeitgemäße tragfähige Begründung dafür aus der Aufgabe des Staates, allgemein verbindliche Normen zu erlassen. Konkret folgt daraus ein explizites Tötungsrecht des Staates aus seinem Selbstverteidigungsrecht nach außen und seinem Gewaltmonopol nach innen. Jedoch kann es für Roellecke keinen Anspruch des Staates darauf geben, dass sich einige seiner Bürger für ihn töten lassen. Der Einzelne könne lediglich kraft seines freien Willens sein Leben für andere hingeben, also auch für den Staat. Das ist dann doch beruhigend für die Staatsbürger.

Gerd Roellecke
Staat und Tod
Ferdinand Schöningh Verlag
2004, 117 Seiten
€ 19,00
ISBN: 3-506-71773-1

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