Jens Bisky berichtet von seiner Jugend in der DDR
Thomas Claer
Als Chronist des Berliner Geisteslebens und treffsicherer Kommentator der politischen und kulturellen Großwetterlage zählt der SZ-Feuilletonist Jens Bisky (Jahrgang 1966) heute zu den ausgewiesenen “Edelfedern” unseres Landes. Dass jemand mit seiner Herkunft und seinem familiären Hintergrund – Vater Lothar war Rektor der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen und ist Vorsitzender der PDS – auf eine bewegte Jugend zurückblicken kann, also allerhand Mitteilenswertes erlebt hat, wird niemanden überraschen.
Zwei Umstände sind es vor allem, die seine Autobiographie aus der Masse der Kindheits- und Jugenderinnerungen der “Zonenkinder” herausheben: Zum einen geht der Autor, fern jeder Schönfärberei und Selbstgerechtigkeit, hart mit sich selbst und seiner Rolle in diesem Staate ins Gericht, obgleich das -angesichts der ihm zuteil gewordenen “Gnade der späten Geburt” und eher begrenzter schuldhafter persönlicher Verstrickungen – eigentlich niemand von ihm erwarten durfte. Zum anderen verfügt er schlicht über eine Sprache, die dem vielfach nur diffus Empfundenen und nuanciert Wahrgenommenen Form und Gestalt gibt. Dabei ist Bisky eigentlich kein Erzähler, die Darstellung von Geschehensabläufen ist seine Sache nicht unbedingt. So hätte man sich einzelne Abschnitte knapper gewünscht. Doch gelingen ihm, besonders zum Ende hin, die immer wieder eingeschobenen reflektierenden Passagen so außerordentlich gut, dass man sich an die stärksten Momente autobiographischen Schreibens seit Augustinus erinnert fühlt.
Nüchtern und schonungslos schildert der Autor sein früheres kindliches Ich, den immer strebsamen Pionierrats- und FDJ-Leitungs-Vorsitzenden, den ehrgeizigen Gedichts-Rezitator, später dann den erst linientreuen, dann zweifelnden SED-Genossen und NVA-Offiziersschüler, der ein Doppelleben zwischen Kasernenhof und Schwulenszene führt. Ganz nebenbei erfährt der Leser kaum Vorstellbares über die Ausgrenzung und Demütigung von Schwulen in der NVA. Die tägliche Schizophrenie zwischen staatlich und innerfamiliär geforderter Leistungs- und Anpassungsbereitschaft einerseits und hemmungslosem Freiheitsdrang andererseits zermürbt den Erzähler zusehends, fördert aber auch seine Reflexion. Die Verbohrtheit, mit der er bis zur Wende an seiner sozialistischen Überzeugung festhält und immer neue Wege findet, sie mit dem realen Leben in Einklang zu bringen, wird eindrucksvoll vorgeführt. Mit dem Ende der DDR werden dann Rückblicke möglich, die das Erlebte in völlig neuem Licht erscheinen lassen: Die Mutter und der langjährige Partner entpuppen sich als Stasi-Spitzel. Viele Erinnerungen erweisen sich als trügerisch. So sind es gerade auch die vielen kleinen privaten Tragödien, die die untergegangene DDR ausmachen.
Am Schluss des Buches, als sich anlässlich der Promotionsfeier des Autors diverse Freunde und Weggefährten aus Ost und West in Berlin versammeln, gerät dann doch etwas zu sehr ins Hollywoodeske. Dessen ungeachtet hat Jens Bisky ein wichtiges Buch geschrieben, kämpft es doch an zwei Fronten zugleich: zum einen gegen die derzeit sehr angesagte Verharmlosung und Verniedlichung, welche die DDR auf ihre folkloristische Komik reduziert, zum anderen gegen die westdeutsche Arroganz der unverdient Wohlbehüteten, die glaubt, sich über das Leben in der DDR ein moralisches Urteil anmaßen zu können.
Jens Bisky
Geboren am 13. August. Der Sozialismus und ich
2004, Rowohlt Verlag
256 Seiten
EUR 17,90
ISBN: 3-87134-507-5