www.justament.de, 30.3.2015: Fünf Freunde
Recht cineastisch, Teil 21: „Als wir träumten“ von Andreas Dresen
Thomas Claer
Schon zweimal hat sich die Zusammenarbeit von Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase als Glücksfall erwiesen: in der Künstlerkomödie „Whisky, Wodka und Tango im Gesicht“ (2009) und im wunderbaren Prenzlauer Berg-Film „Sommer vorm Balkon“ (2006), vielleicht einem der schönsten Berlin-Filme überhaupt. Der 51-jährige Dresen und der 32 Jahre ältere Kohlhaase, haben, wie sie einmal selbst erklärten, „dieselbe Sicht auf die Welt“. Vielleicht liegt es ja an der Sozialisation beider im Osten, an der frühen Desillusionierung und an der doch strengen ästhetischen Schule. Kohlhaase: „Von Kunst wurde in der DDR viel erhofft – und zugleich viel befürchtet.” Typisch für beide ist der zarte Blick auf die kleinen Leute, die ewigen Verlierer. Nun haben sich Dresen und Kohlhaase also der Romanvorlage „Als wir träumten“ des gefeierten Leipziger Krawall-Poeten Clemens Meyer, 37, angenommen, in der dieser von seiner eigenen chaotischen Jugend in den Nachwendejahren berichtet. Man durfte gespannt sein, wie die beiden erprobten Leisetreter wohl mit diesem harten Action-Stoff zurechtkommen würden.
Die Geschichte geht so: Fünf Freunde, die schon seit Jahren gemeinsam die Schulbank gedrückt haben, werden als Jugendliche im Nachwende-Leipzig, das damals noch weit davon entfernt war, zum Hypezig, ja zum besseren Berlin geadelt zu werden, eine Straßengang, deren Leben sich vornehmlich um Kleinkriminalität, Alkohol, Drogen und Gewalt dreht. Mit großer Selbstverständlichkeit knacken sie Autos, rauben Supermärkte aus und zertrümmern reihenweise Schaufensterscheiben. Wie schon viele andere junge Leute vor ihnen fühlen sie sich als „die Größten“, doch gibt es in den Nachwende-Wirren kaum noch Autoritäten, die ihnen Grenzen setzen könnten. Besonders verstörend wirken die immer wieder eingeschobenen Rückblenden auf den einst gemeinsam erlebten sozialistischen Schulalltag. Welch ein Kontrast zur Zeit danach! (Unterschwellig klingt immer auch die Frage an, was eine autoritäre Erziehung mit jungen Menschen macht.) Doch ist nicht alles, was die Freunde tun, nur destruktiv. Sie gründen einen Underground-Techno-Club, es sind halt die frühen Neunziger, und bringen so einen kräftigen Schuss Hippness in ihre Metropole, die immerhin die zweitgrößte Stadt der DDR war. Doch es kommt, wie es kommen muss: Rivalisierende Neonazi-Schläger, die die fünf Freunde ohnehin von Anbeginn in ausgedehnte und brutale Revierkämpfe verwickelt haben, zertrümmern die coole Keller-Disco und machen dem Party-Spaß ein Ende. Natürlich kommt es noch viel schlimmer: Einer der Jungen krepiert an seinen Drogen. Sein dealender Freund, der ihm das Zeug verkauft hat, muss sich schuldig fühlen. Wiederum zwei andere der Freunde kommen wegen ihrer unzähligen Delikte ins Gefängnis. Erst im traurigen letzten Drittel des Films offenbart sich vollends die Handschrift von Regisseur und Drehbuchautor. Ein wilder und melancholischer Film über das Erwachsenwerden in Umbruchzeiten, über Freundschaft und Verrat.
Als wir träumten
Deutschland 2015
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase
Romanvorlage: Clemens Meyer
117 Minuten, FSK: 12
Darsteller: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Frederic Haselon, Ruby O. Fee u.v.a.
www.justament.de, 14.6.2011: Verloren im Kulturschock
Recht cineastisch, Teil 9: Die deutsch-chinesische Co-Produktion „I Phone You“
Thomas Claer
Hurra, mal wieder ein Berlin-Film mit Drehbuch von Altmeister Wolfgang Kohlhaase! Und nach „Sommer vorm Balkon“ (2005) erst der zweite nach der Wende. Allerdings ist der inzwischen 80-jährige Wolfgang Kohlhaase da diesmal eher so reingerutscht: Die junge Chinesin Dan Tang, Regie-Absolventin der Filmhochschule Potsdam, hat ihn, so wird es erzählt, mit einem Eis dazu überredet, ihr Drehbuch zunächst nur zu lesen, und später sogar, es weiter zu bearbeiten. Und dann kamen die Produzenten, die einen neuen Kohlhaase-Film fürs Kino wollten… Aber egal. Herausgekommen ist ein Film, der sich trotz einiger handwerklicher Schwächen gut einfügt in den Kohlhaasschen Erzählkosmos, in dem zumeist Porträts einfacher Menschen in ihrem Alltag gezeichnet und dabei Geschichten erzählt werden, die einem ans Herz gehen.
Zu DDR-Zeiten lieferten die Drehbücher des in Berlin-Adlershof aufgewachsenen Kohlhaase eine Art Chronik des ungeliebten Staates von unten. Unvergesslich ist vor allem „Solo Sunny“ (1980), die einfühlsame Darstellung einer Sängerin im alternativ-proletarischen Milieu eines Hinterhauses in Prenzlauer Berg. Es gilt bis heute als ein Wunder, dass ein so radikaler Film mit so negativem Inhalt überhaupt in der DDR erscheinen durfte. Aber da der ebenso renommierte wie zuverlässig staatsnahe Konrad Wolf Regie geführt hatte, ließen die Zensoren das durchgehen. (Ein früherer Film mit Kohlhaase-Drehbuch, „Berlin um die Ecke“, war 1965 sogar verboten worden und konnte erst nach der Wende, 1990, durch Bearbeitung des Rohmaterials fertig gestellt werden.)
Und nun also „I phone you“, ein Film, wie es schon sein wortspielerischer Name verrät, ganz auf der Höhe der Zeit, der aber längst nicht so harmlos ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn wichtige Leute aus Wirtschaft oder Politik beruflich andere Städte bereisen, dann haben sie dort mitunter Liebschaften. So auch der schwerreiche chinesische Wirtschaftsboss Yu, der eigentlich in Berlin ansässig ist (Geschäftsfeld: Unterseeboote) und anlässlich seines Aufenthalts in der quicklebendigen 30-Millionen-Stadt Chongqing mit der jungen, schönen und sehr selbstbewussten Animateurin Ling anbandelt. Nach einer Liebesnacht im Hotel schenkt er ihr ein iPhone, damit er sie auch von Berlin aus immer erreichen kann. Er bezirzt sie mit immer neuen Liebesschwüren per Telefonat, SMS, Mail und Videobotschaft. Doch kann man mit einem iPhone noch viel mehr anstellen, zum Beispiel virtuell in weit entfernte Städte reisen. Das tut Ling, findet Gefallen an Berlin, lässt sich von ihrem zähneknirschenden, in der Gastronomie tätigen Vater bezuschussen und fliegt kurz entschlossen nach Berlin, um ihrem Liebsten einen Besuch abzustatten. Doch dieser reagiert entsetzt, darf doch seine mit ihm in Berlin lebende Ehefrau nichts von Ling erfahren. So lässt sich Yu nach Lings Ankunft hartnäckig verleugnen und schickt seinen Bodyguard Marco (Florian Lukas) vor, der Ling schnellstmöglich ins Flugzeug zurück komplimentieren soll. Doch Ling, die sich überdies der Annäherungsversuche Marcos erwehren muss, lässt sich so schnell nicht abwimmeln und sucht Yu auf eigene Faust. Das ist in der fremden Umgebung aber ein abenteuerliches Unterfangen, und Ling macht unter anderem Bekanntschaften mit einem türkischen Taxifahrer, einem abgebrannten Studenten (der ihr seine letzten zehn Euro für das Taxi spendiert), der vietnamesischen Zigarettenmaffia, dem Ordnungsamt und der Ausländerbehörde. Das hat viel Witz, ist aber gelegentlich auch dicht am Klischee.
Sehr drastisch führt der Film allerdings vor Augen, welchen schweren Stand asiatische Frauen in Europa haben, selbst in der deutschen Multi-Kulti-Hauptstadt. Gut, denkt man, dass Ling mangels Sprachkenntnissen nur einen Bruchteil von all der Abschätzigkeit mitbekommt, die man ihr hier in breiten Bevölkerungsschichten entgegenbringt. Ob bei gierig-lüsternen Männern oder boshaft-eifersüchtigen Frauen – immer gilt die Gleichsetzung: asiatische Frau = Sexobjekt = Prostituierte. Die Berliner Proll-Kultur zeigt sich hier von ihrer überaus hässlichen Seite. Da kann es auch kaum trösten, dass europäische Touristinnen von ihren Besuchen in Fernost manchmal Ähnliches berichten. (Da gilt dann die Gleichung: blonde Frau = Sexobjekt = Schlampe.) Die Kombination aus Sexismus und Rassismus ist offenbar weltweit ein Renner.
Zu den Stärken des Films zählt die unaufdringliche Beiläufigkeit, mit der von all dem erzählt wird. Als Ling ihren Schwarm mit Hilfe des auf ihre Seite gewechselten Marco nach zwei Tagen endlich aufspürt, ist ihre Enttäuschung so groß, dass sie Yu ein Messer zwischen die Rippen stößt und später das iPhone aus dem Fenster wirft. Dabei hätte sie, so wie die Dinge standen, gar keine schlechten Karten gehabt, Yu ganz für sich zu erobern und so in die Welt des großen Geldes und der testosterongetriebenen Macht vorzudringen. Aber ein solches Taktieren, ja Pragmatismus überhaupt, sind Lings Sache nun einmal nicht. Auch Marco („Ick komm’ aus Neuruppin, aber ick bin da nich’ festgelegt.“) , der ihr auf linkische Weise immer neue Avancen macht, der sich sogar für sie prügelt, als eine alkoholisierte Männerhorde sie belästigt, blitzt schließlich bei ihr ab.
Der rote Faden in Kohlhaases Berlin-Filmen war über die Jahre die Dominanz starker Frauen-Figuren. Gleichwohl wehrt sich der Altmeister entschieden gegen den Verdacht, ein „Frauenversteher“ zu sein. Nein, im Gegenteil, sagte er unlängst im Interview mit Spiegel-Online, er könne Frauen in der Regel überhaupt nicht verstehen, weshalb er auch immer wieder tagelang über sie nachdenken könne. Nachdenklich macht aber auch die transkulturelle Dimension in „I phone you“. Mag der westliche Zuschauer anfangs noch sehr befremdet auf die platte und oberflächliche Welt der jungen Ling in Chongqiing mit ihrem idiotischen Job, ihren einfältigen Freundinnen und dem seichten Partyleben blicken, so entwickelt er schon bald so etwas wie Scham angesichts der um ein Vielfaches roheren Berliner Kneipengespräche. Der Kontrast öffnet einem gewissermaßen die Augen. Und dann Lings ungläubig-erschrockener Blick auf die Brotstullen, die man ihr im Polizeigewahrsam serviert: Soll man so etwas etwa essen? Gute Dienste zur Überbrückung der Kommunikationsbarriere zwischen Ling und Marco leistet schließlich noch das deutsch-chinesische Übersetzungs-App des iPhones, indem Ling ihre Schimpfwörter auf Chinesisch eintippt und sie Marco auf dem iPhone-Display am langen Arm auf Deutsch entgegenstreckt. Da erscheint dann zum Beispiel: „Hund vom Chef“.
Und noch ein Gutes hat die DDR-Zensur-erprobte Behutsamkeit, mit welcher der seit 1952 als freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller tätige Wolfgang Kohlhaase seinen immer wachen und kritischen Blick in die Film-Dialoge einfließen lässt: Der Film darf voraussichtlich bald auch in China gezeigt werden.
I Phone You
Deutschland/China 2011
Regie: Dan Tang
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase
95 Minuten, FSK: 6
Darsteller: Jiang Yiyan, Florian Lukas, Wu Da Wei, Wang Hai Zhen, Nicole Ernst, Deng Jia Jia, Bing He, Annette Frier, Marie Gruber, Tino Mewes, Fritz Roth, Alexander Yassin