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Justament Juni 2006: Entzauberung einer Unantastbaren

Weit ausholend hinterfragt Franz Josef Wetz die Menschenwürde

Thomas Claer

Wetz CoverIn der Wirklichkeit ist die Würde eines Menschen, wie jeder weiß, alles andere als “unantastbar”. Kaum jemand wird von sich behaupten können, nicht schon einmal einer – zumindest subjektiv – als würdelos oder unwürdig empfundenen Behandlung ausgesetzt gewesen zu sein. Ironischerweise dürfte dies ganz besonders für einen Großteil der angehenden deutschen Juristen gelten, welcher Jahre seines Lebens in der nicht gänzlich unbegründeten Angst verbringt, am Ende einer langjährigen Ausbildung gleichsam mit leeren Händen und vor der Welt als Versager dazustehen. Und da bislang auch niemandem eine wirklich überzeugende und universelle Objektivierung der Menschenwürde gelungen ist, wurde und wird sie munter als “bloße Phrase”, “schöne Floskel”, und “leere Worthülse”, als “Präambellyrik und “Fassadenornamentik” diffamiert oder gar belächelt. Dieser Problematik hat der Ethikprofessor Franz Josef Wetz nun ein umfassendes Buch gewidmet, das – auf einer früheren Veröffentlichung des Verfassers basierend – neben den ausführlich dargestellten ideengeschichtlichen Hintergründen, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der strafrechtlichen Frage der Würde des Verbrechers auch die aktuellen Diskurse zu den Auswirkungen der Globalisierung auf das Konzept der Menschenwürde behandelt. Das fast 400 Seiten starke Werk ist klar strukturiert und – erkennbar auch an den interessierten Laien gerichtet – durchweg gut lesbar geraten. Das Personenregister liest sich wie ein Who’s who der abendländischen Geistesgeschichte, wobei die “üblichen Verdächtigen”, Kant, Hegel und Nietzsche, in der Anzahl ihrer Erwähnungen noch von einem übertroffen werden, dessen Personeneigenschaft der versierte Jurist wohl in Zweifel ziehen wird: von GOTT, dem Schöpfer der Welt. Das geschieht nicht zufällig, denn widerspruchsfrei lässt sich die Menschenwürde als eine Würde, die allen Menschen kraft ihres Menschseins zukommt, wie der Verfasser feststellt, nur religiös begründen. Ihre vernunfttheoretischen Ableitungen hingegen entlarvt er als bloße begriffliche Säkularisierungen ursprünglich religiöser Deutungsmuster. Der Autor erweist sich letztlich als Realist, indem er dem Menschen keine Würde “an sich” zuspricht. Doch könnten die Menschen dann Würde erlangen, wenn sie sich gegenseitig als Menschen achteten und anerkennten.

Franz Josef Wetz
Illusion Menschenwürde. Aufstieg und Fall eines Grundwerts
Klett Cotta Verlag, 2005
396 Seiten
€ 22,00
ISBN: 3-608-94122-3