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www.justament.de, 4.1.2016: Zum Tod von Lemmy Kilmister

Scheiben vor Gericht spezial

Thomas Claer

Nein, mit Heavy Metal hatte ich nie viel am Hut. Das rührt wahrscheinlich noch von ganz früher her. Zu meiner Schulzeit in den Achtzigern waren nämlich ungefähr die Hälfte der Jungs in meiner Klasse (aber kein einziges Mädchen, wohlgemerkt) begeisterte Heavy Metal/Hardrock-Fans und hörten auf ihren in die Schule und auch überall sonst hin mitgebrachten Mono-Kassettenrecordern, deren Batterien ständig der Saft ausging, dabei stets wild Luftgitarre spielend, Songs von Bands wie Bon Jovi, Scorpions und Iron Maiden.

Nun will ich keineswegs behaupten, dass ich damals, so mit 15 oder 16, einen besseren Musikgeschmack als jene Mitschüler gehabt hätte, dann wohl schon eher einen noch schlechteren. Aber wir hatten alle eine Entschuldigung: Wir waren im Osten und hatten somit kaum eine Chance, an bessere Musik zu kommen. Vor allem gab es in unserem Dorf aber auch niemanden weit und breit, der einem bessere Musik hätte nahebringen können. Auf popmusikaffine Lehrer sollte ich erst zwei Jahre später in einer anderen Welt treffen: auf einem Bremer Gymnasium, wo ich wahrscheinlich der einzige war, der diese antiautoritären Lehrkräfte unglaublich cool fand, denn in meinem bisherigen Leben hatte ich ja nur das absolute Kontrastprogramm erlebt…

Aber zurück zum Heavy Metal: Dass es auch bessere Spielarten dieser Genre-Musik gibt, ist mir erst viele Jahre später aufgegangen. Vor allem solche, die ohne dieses ewige Gejaule und das Hymnenhafte auskommen, die hart und schnell und ehrlich geradeaus spielen, so wie Motörhead. Dennoch hat es mich nie besonders interessiert, eher schon: Lemmy Kilmister als Stilikone. Als Motörhead besonders im vergangenen Jahrzehnt immer populärer wurden, hat man ja schon manchmal was von ihm aufgeschnappt, ein Interview hier, ein unverschämt lässiger Spruch dort. Lemmy Kilmister, der Ex-Junkie und Alkoholiker, der sich fortwährend darüber wundern konnte, überhaupt noch am Leben zu sein, der eine Explosion des Krematoriums bei seiner Einäscherung voraussagte, hatte sich dem Rock’n Roll als Lebenshaltung verschrieben. Und wer ihn jemals auf der Bühne erlebt hat, was auf YouTube ja leicht möglich ist, wie er mit seinen Bandkollegen ein überwiegend deutlich jüngeres Publikum in seinen Bann zieht, dem ist es dann auch egal, dass sich doch eigentlich jedes Lied fast wie das andere anhört. Diese hochenergetische Musik hat selbst dem bekennenden Metal-Banausen noch etwas zu sagen. Klar, Motörhead gehörten zu den Ersten ihrer Richtung und haben unzählige andere Bands beeinflusst, die nach ihnen kamen. Sie haben Speed-Metal, Trash-Metal und das ganze Zeug vorweggenommen. Doch blieben sie vor allem deshalb unerreicht, weil sie so einen großartigen Bandleader hatten.

Zuletzt mussten Motörhead mehrere Konzerte absagen, da ihr Frontman sich schlecht fühlte. Am vorigen Montag, vier Tage nach seinem 70. Geburtstag, ist Lemmy Kilmister für immer von der Rock’n Roll-Bühne abgetreten.

www.justament.de, 29.10.2012: Siebzig Jahre Lou Reed und John Cale

Scheiben vor Gericht – spezial –

Thomas Claer

scheiben-tc-velvet-underground-coverSchlag auf Schlag ging es 2012: Erst konnten Lou Reed und John Cale von The Velvet Underground ihre 70. Geburtstage feiern, dann auch noch Paul McCartney von den Beatles. Bob Dylan war schon 2011 an der Reihe, 2013 werden Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones nachziehen. Auf der Bühne stehen sie alle noch, eigentlich tun sie das sogar ständig. Und ihre Bühnenshows sind kaum weniger temperamentvoll als vor Jahrzehnten. Doch kann das wirklich überraschen? Als der deutsche Altrocker Achim Reichel (ex Rattles und Wonderland), der übrigens 2014 siebzig wird und heute selbstverständlich auch noch regelmäßig Konzerte gibt – wie sein Kollege Udo Lindenberg, der aber erst 2016 ins achte Lebensjahrzehnt eintreten wird – als Achim Reichel also 1989 ein Lied namens „Rock’n Roll und graue Schläfen“ herausbrachte, da galt es schon als kleine Sensation, dass die wilden Kerle von einst auch noch mit Mitte vierzig der Rockmusik die Treue hielten, die man damals vornehmlich mit Jugendlichkeit, Aufbruch und Protest assoziierte. Dabei war das, wie wir heute wissen, erst der Anfang! Längst hat sich erwiesen, dass kein Rock-Musiker, der etwas auf sich hält, jemals in Rente geht. So wie der Cowboy am liebsten durch eine Kugel auf dem Pferd stirbt, wünscht es sich der Rockstar im Beifallssturm des Publikums beim Gitarrensolo auf der Bühne. Schon vor Jahren kam Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung zu dem Schluss, dass der mythische Jungbrunnen der Antike, dem entstiegen alte Greise zu singen und zu tanzen, sich wie Jugendliche zu gebärden beginnen, nunmehr gefunden sei: Es ist die Rockmusik.
Nur dass die jungen Leute das inzwischen längst nicht mehr cool finden. Die hören lieber Schmuse-Pop und Lady Gaga. Als ich vor einigen Jahren einer jungen Kollegin eine CD mit ziemlich fetziger Rockmusik aufnahm, da kommentierte sie das mit den vernichtenden Worten: „Sowas hört aber eigentlich mein Vater.“ Man muss sich wohl schon langsam darauf einstellen, irgendwann den Satz zu hören: „Solche Musik hört doch mein Opa.“
Über das Hauptwerk der eingangs erwähnten Velvet Underground, „The Velvet Underground and Nico“, jene Platte aus dem Jahr 1967 mit dem legendären Bananencover von Andy Warhol, muss man indessen keine großen Worte mehr verlieren. Wenn es in der Welt eine perfekte, ganz und gar vollkommene Pop-Platte gibt, dann diese. Das Urteil lautet: sehr gut (18 Punkte).

The Velvet Underground
The Velvet Underground and Nico
Polydor (Universal) 1967
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ASIN: B000002G7C