justament.de, 6.1.2024: Geht bald das Licht aus?
Geht bald das Licht aus?
Die Ausstellung “Was ist Aufklärung?” im Deutschen Historischen Museum in Berlin
Thomas Claer
Diese Ausstellung kommt genau zur richtigen Zeit. Denn gegenwärtig scheint die – aus aufgeklärter Perspektive betrachtet – finsterste Reaktion beinahe unaufhaltsam auf dem Vormarsch zu sein. Wohin man blickt, nur immer neue Schreckensmeldungen. Dass der Despot im Kreml durchdreht, na gut. Man dürfe nie vergessen, hörte ich schon vor 35 Jahren von meinem Philosophie-Lehrer in der Schule, dass Russland ein Land sei, in dem es keine Aufklärung gegeben habe. Aber dass die Bürger der ruhmreichen Vereinigten Staaten von Amerika nun schon zum zweiten Mal einen impulsgetriebenen Lügenbold und Diktatorenfreund ins höchste Amt gewählt haben, der mit seinen toxischen Narrativen gleichsam die öffentliche Vernunft außer Kraft gesetzt hat, lässt für die Krisenherde der Welt das Schlimmste befürchten. Wird unser Kontinent dem standhalten, sich weiter als Heimstatt von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit behaupten können? Während im Inneren Europas schon die ideologischen Zersetzungsprozesse der Orbans und Le Pens, der Kickls und Salvinis, der Weidels und Wagenknechts wirken, nähert sich von Osten eine Putinsche Cyberangriffswoge nach der anderen und gibt es immer neue verdeckte Attacken auf unsere Energie- und Daten-Infrstruktur in der Ostsee. Stehen wir also am Rande eines hybriden Kriegszustands oder sind wir womöglich schon mitten drin?
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hielten wir eine regelbasierte Weltordnung für alternativlos, Wandel durch Annäherung für eine Art Naturgesetz, wähnten uns an der Spitze des Fortschritts und “von Freunden umzingelt”. Nun dämmert uns langsam, dass Aufklärung vielleicht nur ein westlicher Sonderweg gewesen sein könnte statt das unausweichliche Entwicklungsziel der Menschheit.
Wie alles anfing mit der Aufklärung, dem Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, dem Vertrauen auf die Vernunft im 18. Jahrhundert, das zeigt eine sehenswerte und klug kuratierte Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Es versteht sich, dass bei einem solch ausschweifenden und übergreifenden Thema nur ein winziger Teil all dessen gezeigt werden kann, was an einschlägigen Exponaten hierfür infrage käme. Natürlich gehören dazu Bücher und Schriften, Porträts und Schrifttafeln der maßgeblichen Protagonisten, aber auch wissenschaftliche Instrumente wie Mikroskope, welche die Aufbrüche jener Epoche aufs Vollkommenste symbolisieren. Doch die Ausstellung verfährt – ihrem Gegenstand entsprechend – kritisch und beleuchtet auch nicht zu knapp die zahlreichen inneren Widersprüche und Aporien aufklärender Theorie und insbesondere auch Praxis. Wie jeder weiß, waren die Aufklärer ganz überwiegend weiß und männlich. Und der von Anfang an geringschätzende Blick auf auf all die rückständigen Unaufgeklärten dieser Welt kam und kommt noch dazu…
Mein persönliches Lieblingsexponat ist eine in Öl gemalte Abbildung mit dem Titel “Kurze Beschreibung der in Europa befintlichen Völckern und Ihren Eigenschaften” oder kurz “die steirische Völkertafel” (siehe Abbildung). Sie stammt vermutlich aus dem frühen 18. Jahrhundert und vergleicht angebliche Charaktereigenschaften von zehn europäischen Nationen anhand von 18 Rubriken wie etwa “Natur und Eigenschaft”, “Sitten” und “Lieben”. Dadurch festigt sie sowohl Fremd- als auch EIgenbilder. So seien die “Teutschen” etwa “Offenherzig” und liebten “Den Trunck”. Die “Angerländer” seien “Wohl Gestalt”, die Spanier “Hochmüttig” und litten unter “Verstopfung”. Der “Schwöth” hingegen sei “Stark und Groß”, aber auch “Graussam” und liebe “Köstlichkeiten”. Der “Poläck” sei “Bäurisch” und “Mittelmäßig”, der “Muskawith” sei “boßhaft” und liebe “den Prügl”. Der “Tirk oder Griech” (das wird hier in einen Topf geworfen) sei “Wie das Abril-Weter”, leide “An Schwachheit” und sei “Gar faul”; seine Kleidung sei “auf Weiber Art”…
Diese hübsche Tafel scheint mir das ganze Dilemma der Aufklärung auf den Punkt zu bringen. Mit dem löblichen Vorsatz, vorhandenes Wissen zu ordnen und zu systematisieren, werden hier in einem fort fragwürdigste Stereotype aneinandergereiht, die zu Ausgrenzung und Intoleranz führen können, in letzter Konsequenz sogar zu Hass und Völkermord. Es ist also, wie es schon Goya in seinem berühmten Bild antizipiert hat, “der Traum der Vernunft” selbst, der Ungeheuer hervorbringt. Was ja auch der Befund in Horkheimers und Adornos “Dialektik der Aufklärung” ist, laut meinem Philosophie-Lehrer einem der nur drei Werke, die man als aufgeklärter Mensch unbedingt gelesen haben sollte. (Die anderen beiden sind die “Kulturgeschichte der Neuzeit” von Egon Friedell und die “Philosophische Hintertreppe” von Wilhelm Weischedel.)
Kurzum, “Was ist Aufklärung”? führt uns “back to the roots” unseres modern-aufgeklärten Weltbildes und lässt uns innehalten angesichts der dramatischen tagespolitischen Verfinsterungsprozesse.
Was ist Auklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert
Noch bis 6.April 2025 im Deutschen Historischen Museum Berlin
justament.de, 22.4.2024: Mr. Menschenwürde
Immanuel Kant zum 300. Geburtstag
Thomas Claer
Wohl kein anderer Philosoph verkörpert so unmittelbar den Geist unseres Grundgesetzes. Was in Art. 1 als Grundlage unserer Rechtsordnung postuliert wird, ihre Bindung an die unantastbare Menschenwürde, geht direkt auf den großen Aufklärer Immanuel Kant (1724-1804) zurück. Das Individuum ist demnach gleichsam heilig und darf niemals zum bloßen Mittel zur Erreichung übergeordneter Zwecke degradiert werden. Anders gesagt: Ein Staat soll in erster Linie für seine Bürger dasein und nicht umgekehrt. Dies ist eine fundamentale Richtungsentscheidung, die unser Gemeinwesen elementar von Autokratien unterscheidet, in denen ein Menschenleben keinlerlei Bedeutung hat.
Wie kann es dann aber sein, dass ausgerechnet der russische Gewaltherrscher Wladimir Putin einmal bekräftigt hat, dass er den Königsberger Philosophen schätze? Jener Putin, der seine Untertanen in geistiger Unmündigkeit und wirtschaftlicher Armut hält. Der alle, die nicht nach seiner Pfeife tanzen, ermorden oder ins Lager sperren lässt. Der in seiner nun schon mehr als zwei Jahre währenden “Spezialoperation” hunderttausendfach junge Menschen in den Tod geschickt hat, nur um seinem “Imperium” (dem bereits größten Flächenstaat der Erde) noch ein paar weitere Quadratkilometer Land einzuverleiben und dabei sein Nachbarvolk auszulöschen (das es ja angeblich gar nicht gibt). Man kann es sich wohl nur so erklären, dass Kant für Putin sehr nützlich ist, um dem Westen immer wieder dessen eigene Widersprüchlichkeit vor Augen zu führen. Indem er z.B. Flüchtlinge aus Elendsgebieten in großer Zahl anlockt und versucht, sie in die Europäische Union zu schleusen, damit diese dort zur Überlastung der Aufnahmesysteme beitragen und innere Zwietracht säen sollen, um so letztlich russlandfreundlichen Populistenparteien Zulauf zu verschaffen. Gleichzeitig will er dadurch den Westen zur Inhumanität gegenüber den Flüchtlingen zwingen, zum Verrat an den eigenen Prinzipien, zur Doppelmoral. Der Kantische Universalismus ist nämlich dann nicht mehr aufrecht zu erhalten, wenn – zugespitzt formuliert – die ganze Welt ihn gleichzeitig am selben Ort einfordert. Natürlich geht Putins teuflischer Plan nur solange auf, wie in seinem Land (und bei seinem Freund Lukaschenko) weiterhin so viel Mangel herrscht, dass niemand von den Flüchtenden auf die Idee käme, sich dort ansiedeln zu wollen…
Zurück zu Kant. Nicht nur für unsere Verfassung hat er Pate gestanden, sondern auch für große Teile des Völkerrechts und nicht zuletzt für die Charta der Vereinten Nationen. Die internationale Friedensordnung hat er in seinen Schriften ebenso antizipiert wie die Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit, die Unterscheidung von Recht und Moral. Solange zumindest das Kant-Denkmal in Kaliningrad noch steht, gibt es nach wie vor Hoffnung, dass das Licht der Aufklärung eines Tages auch wieder in Russland aufscheinen wird.

