www.justament.de, 21.6.2010: Tragische Asymmetrie
Recht cineastisch, Teil 6: „Same Same But Different“ – Detlev Bucks erster Liebesfilm
Thomas Claer
Wenn Detlev Buck (Jahrgang 1962), immerhin schon ein alter Hase im Filmbusiness, nach langen Jahren als Regisseur (und nebenbei auch als sehr passabler Schauspieler) nun erstmals einen Liebesfilm gedreht hat, dann unterstreicht das nur seine vorsichtige Distanz zu diesem immer heiklen, fast unvermeidlich kitschnahen Genre. Das Experiment, so kann man sagen, ist gelungen. Der für seinen trockenen Humor und die immer ein wenig „independent“ anmutenden Filme bekannte Buck bringt auch die Geschichte von Ben (David Kross) und Sreykeo (Apinya Sakuljaroensuk) handwerklich sehr routiniert, gekonnt und stilsicher auf die Leinwand. Bemerkenswert ist vor allem, dass er diesmal nahezu gänzlich ohne Witz oder Ironie auskommt.
Es ist eher die Geschichte selbst, die nachdenklich macht. Der Hamburger Abiturient Ben begibt sich mit einem Kumpel auf eine Abenteuer-Rucksackreise nach Kambodscha. Dort verliebt er sich in einer Disko in die junge Prostituierte Sreykeo, die, wie sich später herausstellen wird, HIV-positiv ist. Nach langen Wirren, mehreren Transkontinentalflügen, unzähligen Videotelefonaten und erheblichen finanziellen Aufwendungen auf Seiten von Ben (nicht zuletzt für Sreykeos Medikamente), entscheidet er sich für diese Liebe und ist bereit, Sreykeo zu heiraten. Nicht, dass hier etwas konstruiert wirken würde, die Handlung beruht auf einem autobiographischen Roman, und man glaubt gerne, dass sich alles so zugetragen hat. (Ausgenommen der Umstand, dass Sreykeo, die von einem früheren Kunden Deutsch gelernt haben soll, sich so vergleichsweise reibungslos mit Ben in dessen Sprache zu verständigen vermag. Das kann einfach nicht sein!) Bedenklich ist eher die Konstellation an sich, die zwischen den Protagonisten bestehende fundamentale Asymmetrie, die ein trübes Licht auf diese Liebe wirft. Für Sreykeo ist Ben nun einmal die einzige Chance, nicht nur ihrem Elend zu entkommen – die Armut in Kambodscha wird in drastischen Bildern gezeigt – sondern sich überhaupt mittelfristig am Leben zu erhalten. Und wer will es ihr da verdenken, dass sie mit allen Mitteln um Ben wirbt? Die Frage ist müßig, ob sie sich unter anderen Umstände auch nur ansatzweise für ihn interessiert hätte. Ben hingegen wird durch seine aufopfernde Zuwendung zu einer Art Lichtgestalt – im scharfen Kontrast zu den anderen westlichen Kambodscha-Besuchern im fließenden Übergang zwischen Hippitum und Sextourismus. Sehr treffend fängt der Film das Heuchlerische und Abstoßende dieses Milieus ein. Auch wenn mit den Liebenden schließlich alles – gegen jede Wahrscheinlichkeit – zu einem guten Ende kommt. Romantisch mag man diese Liebe dennoch nicht nennen.
Same Same But Different
Deutschland 2009
106 Minuten, FSK 6
Regie: Detlev Buck
Drehbuch: Ruth Thoma, Michael Ostrowski, Detlev Buck
Darsteller: David Kross, Apinya Sakuljaroensuk, Stefan Konarske, Jens Harzer, Anne Müller, Michael Ostrowski u.v.a.
Justament Dez. 2009: Teenagertraum mit Schönheitsfehlern
Recht cineastisch, Teil 4: “Der Vorleser” nach Bernhard Schlink
Thomas Claer
Davon träumen wahrscheinlich viele männliche Teenager: von einer Frau über dreißig in die Geheimnisse der erotischen Liebe eingeführt zu werden. Was “real” eher selten vorkommen dürfte (und gem. § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB auch heute noch formal unter Strafe steht), in der Literatur ist es tausendfach beschrieben: wie in Joseph Roths Radetzkymarsch, in Hermann Hesses Demian oder Marcel Reich-Ranickis “Mein Leben” – so auch im “Vorleser” von Bernhard “Grundrechte” Schlink. Nun sollen über den Roman aus dem Jahr 1996 an dieser Stelle nicht viele Worte verloren werden. Dies wird demnächst der Kollege Jean-Claude Alexandre Ho in seiner Kolumne “Recht literarisch” besorgen. Nur dass sich die von den Fünfzigern bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Westdeutschland und Westberlin spielende Geschichte vortrefflich zur Verfilmung eignet, ist festzuhalten.
Das dachten sich auch die Macher dieses Films, die aus dem Weltbestseller-Roman flugs auch noch einen Blockbuster zu fabrizieren gedachten. Und das stellt sich dann so dar: Die Handlung in bester Hollywood-Manier ziemlich platt gewalzt, die (ganz überwiegend deutschen) Darsteller alle sehr prominent und exzellent – mit Superstar Kate Winslet (dem früheren Titanic-Girl) in der Hauptrolle der Hanna Schmitz. Hervorzuheben ist zunächst die schauspielerische Leistung des jungen David Kross (wir kennen ihn aus Detlev Bucks grandiosem Berlin-Actionfilm “Knallhart” von 2006), der den 15-jährigen Schüler Michael Berg sehr natürlich und glaubwürdig verkörpert. Wie aus dem schüchternen und vorsichtigen Jungen später der skrupulöse und nachdenkliche Jurist wird – das zeigt der Film ganz ausgezeichnet. Aber die weibliche Hauptrolle… Es ist schon klar, dass sich ein so aufwendig produzierter und kostenintensiver Film nur rechnet, wenn dank einer weltweit bekannten Hauptdarstellerin die Menschen auch weltweit zahlreich in die Kinos strömen. Doch werden es zumindest viele deutsche Betrachter als störend empfinden, dass die frühere KZ-Aufseherin in ihren Bewegungen, in ihrer Gestik und Mimik so wenig deutsch erscheint, wie sie es ja schließlich auch ist. So professionell und passabel die Britin Kate Winslet auch spielen mag (man verlieh ihr sogar einen OSCAR für die beste Hauptrolle), als deutsche Nazi-Frau überzeugt sie einfach nicht, und es ist ein Schwachpunkt des Films.
Angenommen, nur einmal angenommen, es wäre mehr um die Kunst und weniger um das Geld gegangen, dann hätten wir viel lieber Nina Hoss oder Johanna Wokalek in der Rolle der Hanna Schmitz gesehen. So bleibt die Verfilmung alles in allem doch etwas hinter den Erwartungen zurück. Dank zahlreicher Nacktszenen kommen aber immerhin die Freunde des erotischen Kinos auf ihre Kosten, vorausgesetzt sie fahren auf Kate Winslet ab.
Der Vorleser (“The Reader”)
USA, Deutschland 2008
124 Minuten
Rgeie: Stephen Daldry
Drehbuch: David Hare
FSK: 12
Darsteller: Kate Winslet, David Kross, Ralph Fiennes, Bruno Ganz, Hannah Herzsprung, Karoline Herfurth, Volker Bruch, Susanne Lothar u.v.a.