Tag Archives: Christiane Rösinger

justament.de, 23.12.2024: Irgendwas war immer

Scheiben Spezial: Vor 25 Jahren erschien das Debüt von “Britta”

Thomas Claer

Im “Musikgeschäft” gilt es ja eigentlich als ungeschriebenes Gesetz, dass man/frau nur eine “Band seines (respektive ihres) Lebens” haben kann. Doch wie immer, so auch hier, bestätigen Ausnahmen die Regel: wie die der Ausnahmemusikerin und -texterin Christiane Rösinger (geboren 1961 in einer Baden-Württembergischen Kleinstadt), die nacheinander in gleich drei überragenden Formationen nicht nur mitgewirkt, sondern diese auch jeweils entscheidend geprägt hat.

Angefangen hat sie in der West-Berliner Indie-Group Lassie Singers, die seit den späten Achtzigern mit frechen Songs und feministischen Texten für Aufsehen sorgte. Hier war Rösinger als Gitarristin und Co-Sängerin allerdings noch nicht die alleinige Frontfrau, sondern nur eins unter mehreren starken Egos. Doch lässt sich wohl sagen, ohne ihren damaligen Mitstreiterinnen zu nahe zu treten, dass die von Christiane Rösinger geschriebenen und gesungenen Lassie-Singers-Lieder die weitaus stärksten waren: von “Liebe wird oft überbewertet” über “Ich glaub, ich hab ein Faible für Idioten” (einem der schönsten und zugleich witzigsten Liebeslieder aller Zeiten) bis zu “Es ist so schade, dass du so bist, wie du bist”.

Als sich das Ende der Lassie Singers schon abzeichnete, gründete Christiane Rösinger dann in den späten Neunzigern gemeinsam mit zwei Freundinnen die Berliner Rockband “Britta”, die sich wohl nur deshalb nach der Schlagzeugerin Britta Neander benannte, weil diese den eingängigsten Vornamen trug. (Für eine Band namens “Christiane” war die Zeit damals offenbar noch nicht reif.) Doch war bei “Britta” natürlich niemand anders als Christiane Rösinger tonangebend, was sich in vier rundum überzeugenden Alben dokumentiert: Den Anfang machte 1999, vor 25 Jahren, “Irgendwas ist immer”, das mit einer Heinrich-Heine-Vertonung startet (welcher in den Jahren darauf noch mehrere weitere folgen sollten). Im grandiosen Titelstück, einem besonderen textlichen Highlight, taumelt das lyrische Ich durch die Krisen und sonstigen Wirrnisse eines Jahres: “Ich kam vom Sommerloch in die Herbsttraurigkeit, von der Herbsttraurigkeit in die Winterdepression, von der Winterdepression in die Frühjahrsmüdigkeit und von der Frühjahrsmüdigkeit ins Sommerloch”. Am Ende der Platte findet sich auch noch die Britta-Version des bereits erwähnten Lassie-Singers-Klassikers “Ich glaub, ich hab ein Faible für Idioten”. Besonders charmant macht dieses Album nicht zuletzt der pointierte Einsatz des Cellos (neben Gitarre, Bass und Schlagzeug, versteht sich).

Auch über die beiden Folgealben “Kollektion Gold” (2001) und “Lichtjahre voraus” (2003) lässt sich nur Gutes sagen. Doch der eigentliche Knaller war dann Brittas Schlusspunkt “Das schöne Leben” (2006) mit so fantastischen Songs wie “Depressiver Tag” oder “Wer wird Millionär?”. Nach langer Pause fanden sich die Britta-Musikerinnen 2018 noch einmal zu einer nachträglichen Best-of-Tour zusammen. Da hatte Christiane Rösinger bereits zwei ausgezeichnete Solo-Alben herausgebracht: “Songs of L. And Hate” (2010) und “Lieder ohne Leiden” (2017) mit Songs wie “Ich muss immer an dich denken”, “Berlin” und “Eigentumswohnung”. Eigentlich wäre es nun höchste Zeit für eine weitere Solo-Platte von ihr, denn Musikerinnen und Texterinnen von ihrem Kaliber gibt es  hierzulande bekanntlich nur in homöopathischen Dosen. Wir verneigen uns also vor der großen Indie-Veteranin Christiane Rösinger und sind guter Hoffnung, bald wieder Neues von ihr zu hören.

www.justament.de, 28.2.2011: Expertin für das schöne Leben

Christiane Rösinger debütiert solo mit „Songs Of L. And Hate“

Thomas Claer

scheiben-tc-christiane-rosinger-cover1Vergesst Lady Gaga, vergesst Lena und alle anderen gleich mit! Der Popstar des Jahres 2010 heißt eindeutig Christiane Rösinger. Nun mag sich manch einer fragen: Wer ist überhaupt Christiane Rösinger? Und erst recht werden sich viele im letzten Herbst gewundert haben, als auf dem Cover von Stadtmagazinen und Musikzeitschriften eine wenig fotogene Frau Ende 40 mit zerfurchtem Gesicht in wenig eleganter Kleidung auftauchte. Wer dann neugierig auf YouTube klickte, sah Christiane Rösinger in einer belebten Straße sitzen und hörte sie mit verrauchter Stimme ihr Lied ankündigen und dachte schon „Naja …“, um im nächsten Moment vor freudiger Verzückung fast vom Stuhl zu fallen. Denn Christiane Rösinger singt mit plötzlich wie verwandelter glockenheller Stimme Melodien, die bezaubern, und Texte, deren Intelligenz und melancholischer Tiefsinn einen bis ins Mark erschüttern können. Vor allem aber verfügt sie über einen umfangreichen Backkatalog bärenstarker Songs aus früheren Tagen, die sie in den letzten 22 Jahren mit ihren Bands „Lassie Singers“ und „Britta“ aufgenommen hat und nun immer wieder gerne auch solo zum Besten gibt. „Liebe wird oft überbewertet“ ist so ein Lied, das einen in seiner augenzwinkernden Parolenhaftigkeit mit Macht ergreift, auch „Depressiver Tag“ oder „Wer wird Millionär?“ sind wahre Perlen. In letzterem Britta-Song artikulierte sie präzise die angefressene Kreuzberger Befindlichkeit dieser Tage: „Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht?“ Denn: „Das Geld ist platt und will auch platt geschmeichelt sein“ Doch wie tröstlich ist da die Schlusszeile: „Und für uns bleibt nur das schöne Leben“. Auch als Autorin eines gleichnamigen Buches hat Christiane Rösinger vor ein paar Jahren von sich reden gemacht. Und nun also ihr erstes Solo-Album… Nicht, dass es schlecht wäre, ganz im Gegenteil! Aber zumindest hinter den Höhepunkten ihres „Frühwerks“ bleibt es insgesamt dann doch ein wenig zurück. Gleichwohl macht es viel Freude, sich in der „melancholischen Hypochondrie“ dieser Texte zu verlieren und Songs wie „Ich muss immer an dich denken“ zu lauschen. Das Urteil lautet: vollbefriedigend (10 Punkte).

Christiane Rösinger
Songs Of L. And Hate
Staatsakt (Rough Trade)
Ca. € 17,-
ASIN: B003ZUB506

Hörproben:

Wer wird Millionär

Liebe wird oft überbewertet

Ich muss immer an dich denken