justament.de, 4.8.2025: Der Zerrissene
Die Ausstellung “Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie” in Lübeck
Thomas Claer
Da hat man es also im zweiten Anlauf doch noch in die Ausstellung über “Thomas Mann und die Demokratie” in Lübeck geschafft, die natürlich Pflichtprogramm für jeden Interessierten ist – im hundertfünfzigsten Geburts- und zugleich siebzigsten Todesjahr des Großliteraten. Zwar bleibt es auch weiterhin eine offene Frage, ob prominente Schriftsteller in Fragen der politischen Urteilskraft wirklich bewanderter sind und mehr zu sagen haben als andere Zeitgenossen. Doch da Thomas Manns zeitlebens vielfach getätigte politische Äußerungen nun einmal in der Welt sind, sie auch in zunehmendem Maße Beachtung gefunden haben und noch dazu punktuell eine bemerkenswerte Divergenz zueinander aufweisen, sind sie zweifellos ein dankbares Thema für eine klug kuratierte Ausstellung wie diese.
Auf den ersten Blick nämlich hat Thomas Mann, was sein politisches Weltbild angeht, eine spektakuläre Wandlung durchlaufen: als erzkonservativ-reaktionärer Demokratieverächter im wilhelminischen Kaiserreich gestartet und als leidenschaftlicher Kämpfer für die westliche Demokratie geendet, der in seinen letzten Lebensjahren sogar wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe – es war die berüchtigte McCarthy-Ära – sein zur Wahlheimat gewordenenes Exil in den USA verlassen musste. Die Geschichte dieser erstaunlichen Metamorphose erzählt die Lübecker Schau in nur sechs nicht übermäßig großen Räumen, aber mit einer Menge gut aufbereitetem Bild- und Tonmaterial sowie zahlreichen erhellenden Texttafeln.
Blickt man allerdings genauer hinter die Kulissen, so bekommt das Bild vom letztendlich grandios geläuterten Demokratiefreund dann doch einige Risse. Denn der nobelpreisdekorierte Weltliterat erweist sich über die Jahre vor allem als beständig unsicherer Kantonist. Durchzogen von leisem Zweifel, von fortwährendem Einerseits und Andererseits, waren schon seine frühen Texte, und dies blieb dann auch später so, bis zu seinen epochalen Radio-Ansprachen für die BBC: “Es fragt sich, ob der Mensch um seiner seelischen und metaphysischen Geborgenheit willen nicht lieber den Schrecken will als die Freiheit.” Genau das fragt man sich heute auch manchmal wieder…
Die Ausstellung unterteilt Thomas Manns Leben hinsichtlch seiner politischen Bekenntnisse in drei grundverschiedene aufeinanderfolgende Abschnitte: Deren erster reichte ziemlich genau bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Da war Thomas Mann bereits 43 Jahre alt, hatte gerade seine berüchtigten “Betrachtungen eines Unpolitischen” verfasst und formulierte darüber hinaus die folgenden hochproblematischen Verlautbarungen: “Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.” “Sind es nicht völlig gleichnishafte Beziehungen, welche Kunst und Krieg miteinander verbinden? Mir jedenfalls schien von jeher, dass es der schlechteste Künstler nicht sei, der sich im Bilde des Soldaten wiedererkenne.” “Wem Freiheit, umfassendes Wohlwollen, menschliches Denken und Fühlen als der eigentlich national-deutsche Gemütszustand gilt, eben der muss mit ganzer Seele hoffen, dass Deutschland siegreich sei – und im Dienste dieser Hoffnung das Seine tun.” Und, direkt am Kriegsende, in seinem Tagebuch sogar dies: “Ich bin imstande, auf die Straße zu laufen und zu schreien ‘Nieder mit der westlichen Lügendemokratie! Hoch Deutschland und Russland! Hoch der Kommunismus!'”
Doch machte Thomas Mann schon bald darauf überraschend seinen Frieden mit der Demokratie (“Die Republik ist ein Schicksal.”) und sprach nun immer öfter von “Verantwortlichkeit”. Diese zweite Phase seines politischen Wirkens bezeichnet die Ausstellung als jene seines “Vernunftrepublikanismus”, auf die Thomas Mann später mit den folgenden Worten zurückblickte: “Bloße vier Jahre nach dem Erscheinen der ‘Betrachtungen’ fand ich mich als Verteidiger der demokratischen Republik, dieses schwachen Geschöpfes der Niederlage, und als Anti-Nationalist, ohne dass ich irgendeines Bruches in meiner Existenz gewahr geworden wäre, ohne das leiseste Gefühl, dass ich irgendetwas abzuschwören gehabt hätte. Gerade der Antihumanismus der Zeit machte mir klar, dass ich nie etwas getan hatte – oder doch hatte tun wollen – als die Humanität zu verteidigen.”
Erst nach Hitlers Machtergreifung, die für Thomas Mann selbstredend auch eine erhebliche persönliche Gefährdung bedeutete, setzte die dritte Etappe seines politischen Lebens ein, die seines nunmehr sehr entschiedenen Einsatzes für die westliche Demokratie, wozu schließlich auch die erwähnten Radioansprachen in der BBC an das Deutsche Volk sowie Wahlkampfauftritte für den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Rosevelt gehörten. Allerdings drang auch zu dieser Zeit – siehe die oben zitierte Passage, wonach der Mensch womöglich eher den Schrecken wolle als die Freiheit – das pessimistische Menschenbild des Konservativen durch. Um von seinem irritierenden Aufsatz “Bruder Hitler”, der in der Ausstellung allerdings erstaunlicherweise ausgespart bleibt, gar nicht erst zu reden, wonach die Verbrechen des Führers sich nicht zuletzt aus seiner Künstlernatur speisten, was dann schon wieder ähnlich frivol anmutet wie die oben zitierte von ihm behauptete Nähe von Künstler- und Soldatentum während des Ersten Weltkriegs…
So bringt wohl am vollkommmensten Thomas Manns in seiner Lebsnmitte – vor gut 100 Jahren – veröffentlichter Roman “Der Zauberberg” seine politische Haltung des Sowohl als auch auf den Punkt. Als Thomas Mann einmal gefragt wurde, welcher seiner fortwährend miteinander disputierenden Romanfiguren Settembrini und Naphta er näherstünde, da antwortete er: Keinem von beiden, sondern Hans Castorp. So wie sein Romanheld, der “einfache junge Mann” Hans Castorp, um dessen Seele die beiden Philosophen sich im “Zauberberg” streiten, so war wohl auch sein Verfasser sein Leben lang hin und hergerissen von den politischen Stürmen seiner Zeit. Und so gesehen passt diese Lübecker Ausstellung auch bestens in unsere politisch wieder sehr bewegte Gegenwart.
Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie
St. Annen-Museum, Lübeck
EIntritt: 12,00 Euro / Noch bis 18.1.2026
justament.de, 28.7.2025: Im Labyrinth der Träume
Die Ausstellung “Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik” in der Kunsthalle Hamburg
Thomas Claer
Wenn es im Ostsee-Urlaub schon ständig regnet, dann setzt man sich eben einfach in den Zug nach Lübeck und besucht die Ausstellung “Thomas Mann und die Demokratie”. Dumm ist nur, wenn man dann nie in Lübeck ankommt, weil man wegen erheblicher Zugverspätung seinen Anschluss verpasst hat. So ist das nun mal mit dem Deutschland-Ticket… Aber man kann ja stattdessen immer noch nach Hamburg weiterfahren. Schließlich läuft dort auch gerade eine sehr besondere Ausstellung. Und länger als knapp zwei Stunden wird man doch bestimmt nicht brauchen für “Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik”, denkt man sich.
Immerhin ist die Kunsthalle nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt. Doch ist man erst einmal dort drinnen, merkt man schnell, dass hier ein langer Atem gefragt ist. Viel Text erwartet den Besucher in den Eingangsräumen, aber ohne dessen aufmerksame Lektüre vorab ist die Fülle von mehr als 300 Ausstellungsstücken, hauptsächlich Gemälden, aus einer Zeitspanne von über 150 Jahren kaum zu bewältigen. Der Gesamteindruck ist übermächtig und verstörend. In Kurzform lässt sich sagen: Es ist eine ebenso naheliegende wie überzeugende kuratorische Idee, den Surrealismus mit der Romantik kurzzuschließen, denn schließlich hat sich jener immer wieder ausdrücklich auf diese bezogen und hat diese jenen bereits in vieler Hinsicht antizipiert. Vor allem aber ist diese Ausstellung ein schöner Anlass, sich beiden Epochen einmal tiefergehend zu widmen, denn nur die wenigsten der hier gezeigten Werke dürften allgemein bekannt sein.
Gewiss, Caspar David Friedrich mit seinem “Wanderer über dem Nebelmeer” ist wohl jedem, der auch nur einen Hauch von Kunstinteresse mitbringt, schon mal irgendwo begegnet. Aber wer weiß schon, dass sein ebenfalls aus Vorpommern stammender frühromantischer Kollege Philipp Otto Runge eine Vielzahl von zweifellos surreal anmutenden Werken fabriziert hat? Auch mag das Titelbild dieser Kunstschau, der “Hausengel” von Max Ernst, vielen ein Begriff sein, schon weil dieses aufgeplusterte, rücksichtlos wütende und dabei alles um sich herum zertrampelnde Wesen so frappierend an Donald Trump erinnert. Doch wer kennt schon so fabelhafte surrealistische Künstlerinnen wie Dorothea Tanning, Valentine Hugo oder Leonora Carrington? Und dann sind da auch noch Künstler, die man eigentlich nicht unbedingt dem Surrealismus zugeordnet hätte, die aber in dieser Ausstellung recht plausibel gewissermaßen ihre surrealistische Seite zeigen, wie Paul Klee oder Joan Miro.
Als die knapp zwei Stunden fast schon rum sind und wir zum Zug müssen, haben wir gerade erst ein gutes Drittel der Ausstellung gesehen. Wir gehen also wenigstens noch mal im Schnelldurchgang durch die restlichen Räume in den oberen Etagen, doch dann habe ich plötzlich meine Frau verloren, als ich irgendwo hängengeblieben bin und sie offenbar zügig weitergegangen ist. Wir finden uns nicht mehr, und mein Handy liegt im Rucksack, unten im Schließfach. Das Sicherste ist nun also, schnell die Treppen runter zum Schließfach zu eilen. Doch das ist leichter gesagt als getan in diesem Irrgarten von einer Kunsthalle. Ich folge auf verschlungenen Wegen den “Ausgang”-Schildern, komme aber nicht dort raus, wo wir hineingegangen sind und sich die Schließfächer befinden, sondern im Museumsshop. Die Zeit drängt, und ich laufe panisch zurück, doch dann habe ich mich völlig verirrt. Schließlich lande ich wieder im Museumsshop, verlasse dann die Kunsthalle und finde endlich um die Ecke wieder den Eingangsbereich mit den Schließfächern. Ich rufe nun meine Frau, die mich noch irgendwo sucht, auf dem Handy an. Kurz darauf ist auch sie am Schließfach. Unseren Zug haben wir aber schon verpasst – und meine Frau ihren Online-Sitzungstermin am Abend. Und ich bin schuld daran!
Doch dann suche ich auf dem Handy nach der nächsten Zugverbindung. Dabei sehe ich, dass der Zug, den wir verpasst zu haben glaubten, in Wirklichkeit gar nicht gefahren ist. “Verbindung fällt aus”, steht dort. Also ist es gar nicht meine Schuld, dass wir verspätet zurückkommen, sondern die der Deutschen Bahn AG! Der nächste und letzte Zug zurück geht erst in zwei Stunden. Wir können also – man kann schon sagen: Glück im Unglück – nochmal zurück in die Kunsthalle und uns wenigstens noch für gut eine Stunde den Rest der Ausstellung ansehen. Dann ist unsere Aufnahmefähigkeit aber endgültig erschöpft, und wir müssen ja auch noch im Bahnhof etwas essen. Wenigstens mit dem letzten Zug klappt dann alles reibungslos. Ein Hoch auf das Deutschlandticket und den damaligen FDP-Minister, der es eingeführt hat!
Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik
Kunsthalle Hamburg
Noch bis 12.10.2025
justament.de, 27.2.2023: Gespenstisches Vergnügen
Recht cineastisch Spezial: Die Ausstellung “Phantome der Nacht: 100 Jahre Nosferatu” in der Sammlung Scharf-Gerstenberg
Thomas Claer
Vampire haben Konjunktur – und das schon seit 1897, als der epochale Roman “Dracula” des irischen Schriftstellers Bram Stoker erschienen ist. Besonders für manche Frauen ist es offenbar eine erregende Vorstellung, von so einem finsteren Gesellen lustvoll in den Hals gebissen zu werden. Klar, dass sich bald darauf auch das damals junge Medium Film immer wieder dieses gruseligen Sujets angenommen hat. Der Prototyp des Vampir-Films allerdings kommt aus Deutschland und wurde vor einem Jahrhundert unter dem Titel “Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens” von Regisseur Franz Murnau erschaffen. Eine sehenswerte Ausstellung in der Sammlung Scharf- Gerstenberg” gegenüber dem Schloss Charlottenburg widmet sich nun (und noch bis zum 23. April) den vielfachen Bezügen dieses Films zur bildenden Kunst.
Die Vampir-Mode hat nämlich zu dieser Zeit auch in der Malerei allerhand Blüten getrieben – so wie auch viele weitere Nebenaspekte im Nosferatu-Film, die sich ebenfalls in zahlreichen bildnerischen Werken nachweisen lassen. Die auf Werke des Surrealismus spezialisierte Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg hat es sich daher nicht nehmen lassen, eine Fülle an Kunstobjekten sowie zeithistorischem Material rund um das Thema Vampirismus zusammenzutragen, um so diesem großen expressionistischen Stummfilm zu huldigen. Gekonnt spielen die Ausstellungsmacher dabei, ganz ähnlich, wie es bereits der Film getan hat, mit Licht- und Schatten-Effekten. Immer wieder zuckt man als Besucher zusammen, wenn sich plötzlich eine bedrohliche Schattengestalt vor, neben oder hinter einem aufbaut. Für Kinder und Heranwachsende dürfte dies von besonderem Reiz sein.
So, wie man es sich wünscht, lässt sich in der Ausstellung auch der Nosferatu-Film selbst noch einmal vollständig und auf großer Leinwand zu Gemüte führen. Die Handlung ist im Wesentlichen vom Dracula-Roman inspiriert, spielt aber statt in London in der fiktiven norddeutschen Kleinstadt Wisborg, hinter der unschwer das von seiner prächtigen Altstadt geprägte Wismar zu erkennen ist, wo auch der größte Teil der Dreharbeiten stattgefunden hat. (Einige Szenen wurden aber auch in Lübeck und Rostock gedreht.)
Im Zentrum der 1838 spielenden Handlung steht ein Immobilienkauf: Graf Orlok (Nosferatu) aus Siebenbürgen kauft sich ein Haus in der Ostsee-Hafenstadt, wozu es nach damaligem Recht aber offenbar nicht einmal eines Notartermins bedarf. Hingegen ist auch schon vor fast 200 Jahren ein geschäftstüchtiger Immobilienmakler im Spiel, der – was niemanden verwundern dürfte – mit dem Vampir gewissermaßen unter einer Decke steckt. Was einem aber schon reichlich seltsam vorkommen kann, ist der Umstand, dass Graf Orlok samt seinem Sarg, in dem er zu nächtigen pflegt, aus Transsilvanien ausgerechnet auf dem Seeweg bis nach Norddeutschland reist (über Schwarzes Meer, Mittelmeer, Atlantik, Nord- und Ostsee!), was schon ein sagenhafter Umweg ist. Aber das musste wohl so sein, denn andernfalls hätte es ja die phänomenalen Bilder von Nosferatu auf dem Segelschiff nie gegeben!
Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schloßstraße 70, 14059 Berlin. Sonderausstellung: “Phantome der Nacht: 100 Jahre Nosferatu”. Noch bis 23. April 2023.


