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justament.de, 7.8.2023: Offenbarung (nur) auf Vinyl

Element of Crime auf ihrer phänomenalen Bonus-Single “The Next Voice You Hear”

Thomas Claer

Als Abonnent des E-Mail-Newsletters von Element of Crime ist man, was die Veröffentlichungen dieser Band betrifft, immer auf dem neuesten Stand. Zumindest glaubte ich das, bis ich vor kurzem auf der Raritäten-Seite Discogs ungläubig staunend eine 10 ‘’-Single meiner Berliner Lieblingsformation mit dem Titel “The Next Voice You Hear” aus dem Jahr 2023 aufgelistet fand. Wieso war mir deren Existenz bisher entgangen?! Warum hatte mich niemand auf deren Erscheinen hingewiesen?! Meine anschließende Recherche ergab dann, dass es diese nur zwei Lieder umfassende Veröffentlichung eigentlich gar nicht separat zu kaufen gibt, sondern nur als limitierte Bonus-Zugabe zur limitierten Digipak-CD-Version des Albums “Morgens um vier” sowie zu dessen limitierter lilaner Vinyl-Version. Dafür musste wohl niemand noch extra Werbung machen, denn unter den verschworenen EoC-Fans war das alles natürlich ratzfatz ausverkauft. Und nun gibt es die rare Single also nur noch auf dem Sekundärmarkt zu stolzen Sammlerpreisen. Bei 42 Euro (zuzüglich Portokosten, versteht sich) liegt laut Discogs-Seite der durchschnittlich Transaktionspreis dieser Scheibe, was dafür, dass sie gerade einmal zwei Lieder enthält, schon nicht von Pappe ist. Kann man sich die beiden Lieder denn nicht einfach auf YouTube anhören? Nein, da gibt es sie leider nicht – und auch sonst nirgendwo außer auf diesem limitierten Vinyl. Schließlich wurde ich dann bei Ebay fündig und sicherte mir mit etwas Runterhandeln ein Exemplar für noch vergleichsweise moderate 20 Euro plus 5 Euro Porto. Damit sich so etwas lohnt, muss die Musik dann aber auch wirklich bombastisch sein. Und um es gleich vorwegzunehmen: Sie ist es auch.

“The Next Voice You Hear” ist die Coverversion eines alten Songs von Jackson Browne. Jackson wer?, wird jetzt vermutlich mancher fragen? Nun, Jackson Browne ist ein amerikanischer Rockmusiker und Songwriter, geboren übrigens 1948 in Heidelberg als Sohn eines Zivil-Angestellten der US-Army, der aber bereits drei Jahre später mitsamt seinem Sohn nach Los Angeles abgezogen wurde. In den Siebzigern und frühen Achtzigern war Jackson Browne dann laut Wikipedia “einer der bedeutendsten amerikanischen Songautoren neben Joni Michell und James Taylor”. Man sollte ihn also unbedingt kennen. Ich kannte ihn aber leider nicht, hatte ehrlich gesagt noch nie von ihm gehört, bis ich nun auf seinen Song “The Next Voice You Hear” gestoßen bin. Immerhin die Jackson Browne-Version, also seine eigene Version seines Liedes, gibt es auf YouTube, und sie ist schon ziemlich toll. Doch was die Elements dann daraus machen, ist nochmals eine Steigerung. Es ist ein langsames, schweres, getragenes Lied, sehr vom Blues und von charakteristischen Bassläufen und Gitarrenriffs geprägt – und Element of Crime fügen dann noch Sven Regeners fabelhafte Jazz-Trompete hinzu. Darin ist diese Band wirklich ganz groß: sich Songs von anderen einzuverleiben, als wären es die eigenen. Aber so gut wie hier hat es selten gepasst. So atmosphärisch dicht, so vollkommen ist dieses Lied. Es hilft, sich den Songtext einmal auf Google herauszusuchen und von Deepl übersetzen zu lassen. Aber es hilft andererseits auch wieder nur begrenzt, denn der Text ist zwar vielsagend, aber doch reichlich unbestimmt und nebulös – und harmoniert gerade dadurch perfekt mit der Songstruktur und Sven Regeners eindringlichem Gesang. Es klingt nach Desillusionierung, nach Mühe und Vergeblichkeit. Ein großartiges Lied in einer unwiderstehlichen Aufnahme, die übrigens durch das leise Knistern der Schallplatte erst so richtig zur Geltung kommt.

Es gibt auch noch eine B-Seite. Und darauf ist eine Coverversion des Songs “You Know More Than I Know” von John Cale. Natürlich, John Cale ist ein ganz Großer. Jedenfalls, was seine prägende Mitwirkung bei The Velvet Underground angeht. Seine Solo-Karriere war dann eher durchwachsen. Na gut, so genau kenne ich mich damit jetzt auch nicht aus. Ein paar sehr schöne Songs für Nico auf ihren frühen Solo-Alben hat er auch geschrieben. Aber seine späteren Solo-Sachen… Die sind, zumindest nach meinem Eindruck, eher so lala… “You Know More Than I Know” ist dann… Sagen wir es so: Nur für diesen Song hätte man sich die teure Vinyl-Rarität sicherlich nicht kaufen müssen, für “The Next Voice You Hear” auf der A-Seite hingegen ganz unbedingt!

Element of Crime
The Next Voice You Hear
45 rpm Vinyl-Single 10 ‘’
Vertigo / Universal Music 2023

www.justament.de, 20.6.2016: As Time Goes By

Die Vinyl-EP “Wenn der Wolf schläft” von Element of Crime

Thomas Claer

coverDie subjektive Zeitwahrnehmung beschleunigt sich im Laufe des menschlichen Lebens bekanntlich zusehends. Immer schneller vergehen einem die Stunden und Tage, und hast du nicht gesehen, ist schon wieder ein Jahr vorbei. Für unsere Lieblingsband Element Of Crime, die aus vier inzwischen leidlich reifen Herren in den Fünfzigern respektive Sechzigern besteht, folgt daraus, dass nur noch bestenfalls alle fünf Jahre ein neues Album herausgebracht wird. Und warum auch nicht? Denn gefühlt sind die Intervalle zwischen den Veröffentlichungen damit in etwa so groß wie damals in den Achtzigern, als noch jedes Jahr eine neue EOC-Platte erschienen ist. Aber wie schafft man es, in der Zwischenzeit dennoch im Gespräch zu bleiben und in unserer schnelllebigen Zeit nicht völlig vergessen zu werden? Richtig, man bringt jedes Jahr wenigstens eine neue Single heraus, die ein Stück des vorigen Albums nebst ein paar ausgesuchten Spezialitäten für den geneigten Fan enthält. Und das dann, um den Kultfaktor zu erhöhen (wie man früher einmal sagte), auch noch als 10“-Vinyl.

Und also halten wir nun die inzwischen bereits dritte Single-Auskopplung aus dem 2014er Album „Lieblingsfarben und Tiere“ in den Händen, die den Namen trägt „Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhn“. Warum bloß gerade dieser Song?, denkt man sich. Da hätte es doch weitaus stärkere auf dem Album gegeben. Doch haben wir hier im musikalisch höchst mittelmäßigen Gewand einen geradezu philosophischen Text, der die Auswahl dieses Stücks allemal rechtfertigt. Wohl jeder, der durchs Leben geht, muss sich irgendwann mit der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“, wie es ein großer Denker einmal genannt hat, arrangieren, also kurz gesagt: mit der Wiederholung. Genau davon handelt dieses nachdenklich stimmende Lied, das en passant auch noch eine präzise Analyse der Marktstellung unserer Elements enthält: „Hinter uns sind die, die keiner mag, und vor uns die, die jeder Trottel liebt.“ Ja, genauso ist es.

An zweiter Stelle auf der Platte folgt ein uralter Bluessong namens „You’re Gonna Need Somebody on Your Bond”. Großartig. Wo haben sie den nur wieder ausgegraben? Unsere Recherche führt uns zum US-amerikanischen Sänger und Gitarristen Blind Willie Johnson (1897-1945). Laut Wikipedia ist er 48-jährig gestorben, weil sein Haus niederbrannte und er wegen seiner Armut in den Ruinen wohnen bleiben musste, wo er sich eine Lungenentzündung zuzog. Zuvor hatte er sich jahrelang als Straßenmusiker über Wasser gehalten. Unglaubliche Geschichte.
Song Nr. 3 ist ein ganz neuer EOC-Song. Nun mag man „Da ist immer noch Liebe in mir“ in musikalischer Hinsicht eine Spur zu gefällig finden, doch hat es auch dieses Lied textlich in sich: „Rot ist der Mond und grau ist die Sonne“. Keine Frage, das ist tiefste Romantik! Am Ende der Platte gibt es dann noch eine gelungene aktuelle Live-Version des EOC-Klassikers „Damals hinterm Mond“ vom ersten deutschsprachigen Album 1991. Das Gesamturteil lautet: voll befriedigend (11 Punkte).

Element Of Crime
Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhn
10“ Vinyl
Vertigo Berlin (Universal Music) 2016
ca. 11,00 EUR
ASIN: B01AIXG97G
(auch als Download für 2,50 EUR erhältlich)