Zwar bin ich im zurückliegenden Jahr kaum zum “Ahnenforschen” gekommen, doch hat es dennoch einen signifikanten Erkenntnis-Durchbruch von unerwarteter Seite gegeben: nämlich von den Claers aus Thüringen; dazu gleich unten mehr. Als großer Erfolg lässt sich auch unser erstes Ahnenforschungs- und Familientreffen im vergangenen Sommer in Berlin mit immerhin einer Hand voll Teilnehmenden ansehen. Allerdings habe ich aus diesem Anlass im Vorfeld mal einen Blick in meine mittlerweile recht umfangreichen früheren “Forschungsberichte” seit 2010 geworfen, und mir ist dabei ein ums andere Mal die Schamesröte ins Gesicht gestiegen angesichts meines doch oftmals recht sorglosen Zusammenwerfens von einerseits belastbaren Fakten und andererseits Spekulationen ins Blaue hinein. Mir scheint, dass innerhalb unserer “genealogischen Namenslinie” neben der auffälligen Häufung von schriftstellerischen, darstellerischen und humoristischen Begabungen auch die Ausprägung von blühender Fantasie und starker Einbildungskraft reichlich vertreten ist – und dass ich mich selbst auch nicht ganz davon freisprechen kann… Als Konsequenz daraus wäre sicherlich die baldige Anfertigung eines summarischen “Best of Ahnenforschung” wünschenswert, das sich vornehmlich auf die Faktenlage beschränkt. Doch angesichts des vermutlich ganz erheblichen hierzu erforderlichen Aufwands möchte ich an dieser Stelle lieber noch nicht zu viel versprechen und beschränke mich hier deshalb zunächst auf eine zeitlich noch unbestimmte, um nicht zu sagen vage Ankündigung…
1. Eine Post-Kollegin aus Usdau
Vor einigen Monaten erhielt ich einen Anruf von einem Herrn T. aus Weilheim in Bayern, der auf meine früheren “Forschungsberichte” im Internet gestoßen ist. Herr T. ist geboren am 17.8.1941 in Usdau, Kreis Neidenburg, und zwar im Postgebäude Usdau (!). Seine Familie wohnte von 1939 bis Kriegsende in Usdau, und seine Tante war Leiterin der Poststelle, in der es das einzige Telefon des nur gut 700 Einwohner zählenden Ortes gab. Sie war geboren kurz vor 1900 und schon früher in Usdau in der Post tätig. Doch wurde Usdau nach Ende des Ersten Weltkriegs Polen zugeschlagen, vor allem, so Herr T, da es an der Bahnstrecke nach Warschau lag. Deshalb durften Deutsche dort nicht mehr in öffentlichen Ämtern tätig sein und wanderten ab (außer den Bauern, die dort Land besaßen). Erst ab 1939 gehörte Usdau dann wieder zu Deutschland. (Bei Wikipedia heißt es hierzu: “Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Usdau – im Soldauer Gebiet gelegen – entsprechend den Bestimmungen des Versailler Vertrags am 10. Januar 1920 ohne Volksabstimmung an Polen abgetreten. … Mit dem Überfall auf Polen 1939 wurde das entnommene Territorium wieder Teil des Reichsgebiets.”) Herr T. floh im Alter von drei Jahren über Rostock mit dem Schiff, das eigentlich nach Flensburg fahren sollte, nach Dänemark und war dort in einer Art Sammellager untergebracht. Heute ist dort in Dänemark ein Museum, dem Herr T. zahlreiche Dokumente aus dieser Zeit zur Verfügung gestellt hat, u.a. eine Passagierliste des Schiffes mit den Flüchtlingen.
Für uns ist das alles auch deshalb von besonderem Interesse, weil mein Urgroßvater Georg Claer (der Postangestellte und Meldereiter in China während des Boxeraufstands, siehe meine früheren Berichte) am 6.5.1877 in Usdau geboren wurde und dessen Vater, mein Ururgroßvater Franz Claer (1841-1906), von Beruf ebenfalls Postangestellter, dort seine Ehefrau Henriette, geb. Stryjewski (1845-1931), geheiratet hat.
In meinem Forschungsbericht vom Jahresende 2021 schrieb ich darüber:
“Nun ist Usdau aber nicht nur der Geburtsort meines Urgroßvaters Georg Claer (1877-1930), sondern außerdem – im Fragebogen der „Reichsstelle für Sippenforschung“ von meinem Großvater Gerhard noch nachträglich handschriftlich hinzugefügt – der Hochzeitsort seiner Eltern, meines Ururgroßvaters Franz Claer (1841-1906) und meiner Ururgroßmutter Henriette Claer, geb. Stryjewski (1845-1931), als deren Geburtsort dort ebenfalls Usdau angegeben ist. Leider fehlt zu ihrer Hochzeit eine Jahresangabe, es sollte aber einige Jahre vor der Geburt meines Urgroßvaters Georg 1877 gewesen sein, denn zuvor ist im Jahr 1872 auch noch sein älterer Bruder Otto Albert Claer, der später Postsekretär in Königsberg wurde, zur Welt gekommen. Von letzterem fehlt uns, soweit ich in meinen Unterlagen sehe, zwar die Geburtsurkunde, aber aus dem späteren Hochzeitseintrag von Otto Albert Claer und Emma Sakreszewski von 1899 geht hervor, dass Otto Albert Claer am 13. November 1872 ebenfalls in Usdau geboren ist (als „Sohn des früheren Schneidermeisters und jetzigen Landbriefträgers Franz Claer“ steht dort). Bingo! Daraus folgt nun also, dass mein Ururgroßvater Franz Claer vor November 1872 in Usdau meine Ururgroßmutter, die dort geborene Henriette Stryjewski, geheiratet hat. Franz war damals also höchstens 31 Jahre alt, Henriette höchstens 27.”
Doch bin ich damals nicht der Frage nachgegangen, wie lange die Familie Franz und Henriette Claer nach der Geburt meines Urgroßvaters Georg 1877 noch in Usdau gelebt hat. Aufschluss darüber können die Geburtsurkunden der vier jüngeren Geschwister meines Urgroßvaters geben, die wir vor längeren Jahren ebenfalls im Netz gefunden haben. Und zumindest drei dieser vier jüngeren Geschwister haben demnach einen anderen Geburtsort, nämlich das Bahnhofsgebäude von Groß Koschlau. Dort haben nacheinander mein Urgroßonkel Robert Richard Claer (geb. 1881), später in Neidenburg Richard von der Post genannt, sowie meine Urgroßtanten Bertha Martha Claer (geb. 1884, verehelichte Samel) und Ida Hedwig Claer (geb. 1891, verehelichte Zebroroski) das Licht der Welt erblickt. (Von meiner weiteren Urgroßtante Armanda bzw.Wilhelmine Amalia Claer, verehelichte Willig, fehlt uns leider die Geburtsurkunde.)
Auch in der Heiratsurkunde meines Urgroßvaters Georg Claer und meiner Urgroßmutter Wilhelmine Claer, geb. Petschinski, vom 5. Mai 1904 in Neidenburg ist als Wohnort meines Urgroßvaters noch das Bahnhofsgebäude von Groß Koschlau angegeben. Das heißt also, dass Franz und Henriette Claer mit ihren beiden ältesten Söhnen Otto (geb. 1772) und Georg (geb. 1877) irgendwann zwischen 1877 und 1881 von Usdau nach Groß Koschlau umgezogen sind, wo mein Urgroßvater Georg dann später in seinen jungen Jahren – zumindest bis zu seiner Hochzeit 1904 – auch als Landbriefträger gearbeitet hat, während sein älterer Bruder Otto (der Opa von Hans-Henning und Lorelies) da bereits im gehobenen Postdienst in Königsberg Karriere machte.
Früheres Gutshaus Groß Koschlau (Foto: Wikipedia)
Groß Koschlau, heute Koszelewy, liegt laut Google Maps nur 12 km westlich von Usdau und hatte laut Wikipedia im Jahr 1858 nur 258 Einwohner, im Jahr 1905, also vermutlich nach Abwanderung der Claers nach Neidenburg, sogar nur noch 121. Laut Hochzeitsurkunde von 1904 hatten meine Ururgroßeltern Farnz und Henriette Claer zu dieser Zeit ihren Wohnsitz bereits in Neidenburg, wo Franz zwei Jahre später dann verstorben ist. Trotz der Eheschließung meiner Urgroßeltern in Neidenburg wurde allerdings ihr einziges Kind, mein Großvater Gerhard Claer (1905-1974), laut allen uns vorliegenden Dokumenten nicht in Neidenburg, sondern in Fichtenwalde geboren. Und das Dorf Fichtenwalde, heute Drzazgi, gehörte seinerzeit laut Wikipedia mit zum Kirchspiel Groß Koschlau. Laut Wikipedia bestand Fichtenwalde damals nur aus ein paar Gehöften und hatte im Jahr 1905 nur 26 Einwohner. Es liegt 25 km westlich der damaligen Kreisstadt Neidenburg.
So wie Usdau sind auch Groß Koschlau und Fichtenwalde 1920 an Polen gefallen (und 1939 wieder zu Deutschland zurückgekommen). Nach dem oben Festgestellten waren die Claers davon aber vermutlich nicht betroffen, da mein Urgroßvater Georg und meine Urgroßmutter Wilhelmine sowie mein Großvater Gerhard (wie vermutlich auch mein Urgroßonkel Richard von der Post) zu dieser Zeit wohl schon lange in Neidenburg lebten. Genau wissen wir das allerdings nicht, denn möglich wäre auch, dass Georg auch nach seiner Hochzeit in Neidenburg zunächst weiter als Landbriefträger in Groß Koschlau oder Fichtenwalde gearbeitet hat, wo immerhin 1905 mein Großvater Gerhard geboren wurde. Jeodoch hat mein Großvater ausweislich seines Lebenslaufs zwischen 1912 und 1921 das Städtische Realgymnasium in Neidenburg besucht, was spätestens zu dieser Zeit auf einen Wohnsitz der Familie in Neidenburg hindeutet – wenn er nicht täglich die 25 km zur Schule mit dem Fahrrad oder mit dem Schulbus zurückgelegt hat…
Um nun noch einmal auf die eingangs erwähnte Tante von Herrn T., die kurz vor 1900 geborene Leiterin des Postamtes in Usdau, zurückzukommen, so lässt sich wohl sagen, dass sie vermutlich eher keine persönliche Bekannte unserer Claers von der Post in Usdau gewesen sein dürfte. Denn als sie vor 1920 als sehr junge Frau in den Postdienst eintrat, war Franz Claer längst nicht mehr am Leben und Georg Claer wahrscheinlich schon lange in Neidenburg wohnhaft. Außer er hat noch länger als gedacht als Landbriefträger in Groß Koschlau oder Fichtenwalde gearbeitet und als solcher vielleicht gelegentlich auch das Postamt in Usdau aufgesucht. Oder die Tante von Herrn T. hat bereits als Kind Bekanntschaft mit meinem Urgroßvater gemacht, als dieser ihr womöglich einmal eine Postsendung zugestellt hat…
2. Ein Nachkomme der Claers in Thüringen
Gerade hatte ich in meinen letzten “Forschungsberichten” noch die Claers aus Thüringen behandelt und mit Bedauern festgestellt, dass sich zwar noch bis in die Nachkriegszeit ein “Lederwarengeschäft Friedrich Claer” in Erfurt nachweisen lässt, aber mittlerweile leider keine Namensträger mehr dort auffindbar sind. Doch nun hat sich tatsächlich ein direkter Nachkomme der Erfurter Claers bei mir gemeldet! Der 72-jährige Ralf F. aus Erfurt ist der Sohn von Johanna F., geb. Claer (30.6.1926 – 30.5.2012), und der Enkelsohn des Sattlermeisters Friedrich Wilhelm Claer (1895-1959), des letzten Betreibers des Erfurter “Lederwarengeschäfts Friedrich Claer”. Ralf F. hat detaillierte Kindheitserinnerungen an seinen Großvater und beschreibt diesen als stets sehr fröhlichen, humorvollen und lebenslustigen Mann, der mitunter auch mit der Kundschaft seines Ladens seine Possen trieb. Friedrich Wilhelm Claer (1895-1959) führte in dritter Generation das von seinem Großvater Friedrich Wilhelm Heinrich Claer (geb. 1825) gegründete Lederwarengeschäft. Sein Werbeslogan lautete: “Ob Koffer, Tasche, Necessaire – es bleibt dabei: Du gehst zu Claer”.
Aufgrund zahlreicher Dokumente, die mir Ralf F. dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat, lässt sich die Linie der Erfurter Claers lückenlos bis zum Feldjäger Johann Friedrich Claer zurückverfolgen, dem Vater des 1802 in Siersleben geborenen überregionalen Erfurter Fuhrunternehmers Christoph Friedrich Claer, dessen Sohn das besagte Lederwarengeschäft gegründet hat. Und jener vor 1776 geborene Johann Friedrich Claer, Sohn des ominösen “hochehrwürdigen Herrn Christian Friedrich Claer” aus Wittiz (wo immer dies gelegen hat), könnte das von uns seit langem gesuchte Verbindungsglied zu “unseren” ostpreußischen Claers darstellen, siehe meinen vorigen Bericht.
Hier die Linie der Erfurter Claers im Überblick:
1. Christian Friedrich Claer (??-??), hochehrwürdiger Herr aus Wittiz
2. Johann Friedrich Claer (nach 1776-??), Feldjäger) / evt. identisch mit dem namensgleichen Unterförster in Ludwigswalde/Ostpreußen oo Charlotte Sophie Frantz
3. Christoph Friedrich Claer (1802-??), Fuhrunternehmer in Erfurt oo Sophie Hofmann (1800-??)
4. Friedrich Wilhelm Heinrich Claer (1825-vor 1882), Sattlermeister oo Barbara Rosine Mohnhaupt (1826-1889)
5. Friedrich Hermann Claer (1859-??), Sattlermeister oo Sophie Rosalie Schönstädt (1869-??)
6. Friedrich Wilhelm Claer (1895-1959), Sattlermeister oo Martha Czekalla
7. Johanna F., geb. Claer (1926-2012)
8. Ralf F. (geb. 1951/52)
Über die genannten Dokumente hinaus verfügt Ralf F. über zahlreiche Erbstücke von der mütterlichen Seite seiner Familie. U.a. handelt es sich um Koffer mit den Insignien des Lederwarengeschäfts, handgeschriebene Tagebücher von Mitte des 19. Jahrhunderts und private Filme, in denen sein Großvater Friedrich Wilhelm Claer auftritt. Noch dazu hat Ralf F. ein Buch über den Kresse-Anbau in Erfurt in 6. Generation seiner Familie väterlicherseits verfasst, das zum Bestseller geworden ist. Es gibt also – vom schriftstellerischen und darstellerischen Talent bis hin zum lustigen Wesenszug – zahlreiche Indizien, die auf eine weitläufige Verwandtschaft mit den anderen uns bekannten Linien der Claers hindeuten. Sollte meine oben angestellte Spekulation zutreffen und der Johann Friedrich Claer 1802 in Siersleben mit “unserem” Johann Friedrich Claer, Unterförster im ostpreußischen Ludwigswalde, identisch sein, dann wäre Ralf F. mein Cousin 6. Grades, d.h. unsere Ururururgroßväter wären Brüder gewesen.
Jugendbildnis des Friedrich Wilhelm Claer (1895-1959)
Friedrich Wilhelm Claer (1895-1959)
Meisterbrief des Friedrich Wilhelm Claer (1895-1959)
Heiratsschein Friedrich Wilhelm Claer von 1921
Lederwarengeschäft Friedrich Claer 1944
Taschenkalender Friedrich Wilhelm Claer von 1936
Rechnungspapier des “Lederwarengeschäfts Friedrich Claer”
Heiratsurkunde Friedrich Hermann Claer von 1891
Tagebuch Wilhelm Claer von 1845 (vermutlich Friedrich Wilhelm Heinrich Claer, späterer Gründer des Lederwarengeschäfts, im Alter von 20 Jahren)
3. Zwei Funde in Kirchenbüchern
Ansonsten sind diesmal nur noch zwei Funde meines unermüdlich forschenden Neffen fünften Grades Andreas Z. in Kirchenbüchern zu vermelden.
a) Ein Fabrikarbeiter in Tilsit
“Wir haben im Kreis Tilsit in Ostpreußen einen Friedrich Klaer, Arbeiter/Fabrikarbeiter mit seiner Wilhelmine geb. Hoyer gefunden. Wir haben zu diesem Paar 4 Kinder – 3 Mädels und 1 Junge (ohne Namen) geboren zwischen 1856 und 1864 gefunden. Leider nur die Geburtseinträge der Kinder ohne Angaben der Eltern von Friedrich und Wilhelmine. Zumindest diesmal kein Postbeamter oder Förster. Mal schauen, wo wir ihn einordnen können.”
b) Ein Offizier in Schlesien
Eintrag in einem Kirchenbuch in Schlesien – Guhrau nahe Breslau – 1863:
“Am dreizehnten Februar Nachts 1/2 12 Uhr ist geboren und am fünften März getauft, die Tochter des Offiziers des II. Escadron im Westpreußischen Kürassierregiments Nr. 5 : Friedrich Wilhelm Klaer, u. s. E. Henriette Louise, geb. Scholz, und erhält den Namen: Emma Mathilde Hedwig”
Nach Recherche von Andreas Z. war das westpreußische Kürassierregiment Nr. 5 zu dieser Zeit in Guhrau in Schlesien stationiert. Auch hier ist uns leider noch keine Zuordnung zu den uns bislang bekannten Claers möglich.
4. Zwei Funde bei Ebay
Abschließend noch zwei von mir aufgestöberte Angebote auf der Ebay-Seite: ein Original-Filmplakat und ein Original-Pressefoto – jeweils aus den mittleren 1970er Jahren und mit unserem prominentesten Familienmitglied, meinem Onkel dritten Grades Hans Henning “Moppel” Claer (1931-2002) in seiner Filmrolle als Ruhrgebiets-Kumpel Jupp Kaltofen. Man muss immer wieder betonen, dass diese Filme – anders, als es die Abbildungen hier suggerieren – nur zu höchstens 20% aus (nichtexpliziten) sexuellen Inhalten, aber zu mindestens 80% aus Ulk und Klamauk bestanden.
5. Ausblick
Nach allem lässt sich nur sagen: Wir bleiben weiter dran. Und der Plan ist, als nächstes die Familien-Erbstücke in Erfurt unter die Lupe zu nehmen.

















