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justament.de, 4.9.2023: Eduard Zimmermann, du hast mein Leben zerstört!

Recht cineastisch Spezial: Der vieldiskutierte Dokumentarfilm „Diese Sendung ist kein Spiel“ von Regina Schilling

Thomas Claer

Immer freitags um 20.15 Uhr war Krimi-Zeit im ZDF. Neben Derrick, dem „Alten“ und dem „Fall für zwei“ wurde aber seit 1967 auch jeden Monat eine neue Folge von „XY… ungelöst“ ausgestrahlt, dem „ersten True-Crime-Format weltweit“. So jedenfalls wird es in der sehenswerten Fernsehdokumentation „Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ der Grimme-Preis-Trägerin Regina Schilling (Jahrgang 1962) bezeichnet, die sich in Spielfilmlänge an dieser Sendung und insbesondere ihrem langjährigen Moderator abarbeitet. Man merkt schnell, dass die Autorin und Regisseurin hier eine Art persönliches Trauma zu bewältigen versucht, denn sie hat sich offensichtlich in ihrer Kindheit und Jugend enorm vor all dem gefürchtet, was „Ganoven-Ede“ seinen Zuschauern damals so aufzutischen hatte: Die bevorzugte Opfer-Gruppe in Nachkriegs-Westdeutschland, so suggerierte es „XY…ungelöst“, waren Mädchen und junge Frauen, die immer wieder aufs Neue brutalen Lustmördern zum Opfer fielen, vor allem wenn sie alleine in „Gaststätten“ oder gar per Anhalter unterwegs waren oder „zweifelhafte Männerbekanntschaften unterhielten“. Mit einem solchen Lebenswandel, so kommentierte es Zimmermann oft in warnendem Tonfall, lebten junge Damen gefährlich, denn schließlich könnte doch hinter jedem Baum oder Strauch solch ein gemeiner Übeltäter lauern. Dabei hätte das Leben doch so schön sein können, damals, in den wilden Jahren des gesellschaftlichen Aufbruchs und der sexuellen Revolution. Es hätte grenzenlose Freiheit und feurige Abenteuer versprochen, wenn man oder vor allem frau sich nur nicht durch Zimmermann und „XY… ungelöst“ von alldem hätte abhalten lassen und stattdessen brav zu Hause geblieben wäre.

Tja, ein Stück weit muss man der Autorin schon recht geben. Zutreffend zitiert sie kriminalwissenschaftliche Untersuchungen, wonach zu allen Zeiten die größten Gefahren für sexuellen Missbrauch und sogar Tötungsdelikte keineswegs unterwegs in Lokalen oder auf der Straße, sondern vielmehr zu Hause in den eigenen vier Wänden bestanden hätten – und zwar durch nahe Angehörige der jeweiligen Opfer. Doch so etwas kam bei XY niemals vor. Was hat uns Eduard Zimmermann da nur für einen Bären aufgebunden?! Die Regisseurin übertreibt es allerdings dann doch ein wenig mit ihren Unterstellungen an Zimmermanns Adresse. In einem fort werden Sequenzen aus den damaligen Sendungen eingespielt und kritisch kommentiert, die aus heutiger Sicht in mancher Hinsicht bedenklich zu sein scheinen. Dabei spiegeln sie in erster Linie nur den damaligen Zeitgeist. Keine Frage, „XY…ungelöst“, das es auch heute noch gibt, war die längste Zeit von einer biederen konservativ-bürgerlichen Grundhaltung geprägt. Aber die Kriminalfälle, die dort nachgespielt wurden, die waren schon echt und hatten sich genauso zugetragen, weshalb man dem bereits 2009 verstorbenen Zimmermann auch keinen Strick daraus drehen sollte, dass er vor solchen Verbrechen gewarnt hat. Es liegt nur eben in der Natur einer solchen Sendung, dass bei der Auswahl dessen, was gezeigt wird, eher auf die Einschaltquote geschielt als auf eine repräsentative und wirklichkeitsgetreue Abbildung der Kriminalstatistik geachtet wird. Zumal die besagte Kriminalität aus dem häuslichen Umfeld der Opfer seinerzeit auch noch stark tabuisiert war und sich zumeist ungesühnt im Verborgenen abspielte. Dennoch ist Regina Schilling ein bemerkenswerter Film gelungen – über eine Sendung, die trotz all ihrer Schwächen ein großartiges Stück Fernsehgeschichte geschrieben hat.

„Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“
Deutschland 2023
Buch und Regie: Regina Schilling
In der ZDF-Mediathek: https://www.zdf.de/kultur/kultur/diese-sendung-ist-kein-spiel-die-unheimliche-welt-des-eduard-zimmermann-100.html

www.justament.de, 7.5.2018: 40 Jahre “Western von gestern”

Recht historisch Spezial: Justament-Autor Thomas Claer erinnert sich an Sternstunden seiner Kindheit

Immer freitags um zehn vor halb sieben erschien plötzlich, begleitet von leise drohender Musik, ein schwarz gekleideter Mann mit Schnurrbart und breitkrempigem Hut auf dem Fernsehschirm, richtete mit finsterer, entschlossener Miene seine Pistole direkt auf den Zuschauer – und drückte eiskalt ab. Jedes Mal zersplitterte der Bildschirm, so wirkte es zumindest auf den kindlichen Betrachter, in tausend Scherben. Und dann setzte die mitreißende Titelmelodie ein, und mit ihr galoppierten tollkühne Cowboys und wild kreischende Indianer auf Pferden durch die Prärie, es knallen die Peitschen, ein Reiter springt über einen Abgrund, Tänzerinnen schwingen die Beine im Saloon, Fäuste fliegen in Gesichter, untermalt von klatschenden Geräuschen, ein einsamer Held in Aktion läuft auf einem fahrenden Zug entlang, ein Schuss mit dem Katapult verursacht eine Explosion, und das alles – ganz wichtig! – in schwarz-weiß von den schon rissigen, zerschlissenen uralten Filmrollen. Vielleicht hatte „Western von gestern“ den rasantesten Vorspann der deutschen Fernsehgeschichte, vergleichbar wohl nur noch mit „Ein Colt für alle Fälle“, bei dem Autos durch die Luft fliegen, ein Zug mit einem PkW kollidiert und ein Flugzeug eine Häusermauer durchbricht. Doch „Western von gestern“ war natürlich noch viel besser, viel düsterer, viel gruseliger. Ein wohliger Schauer lief einem mindestens viermal pro Sendung eiskalt den Rücken herunter, wenn der finstere Mann mit dem breitkrempigen Hut nicht nur im Vorspann, sondern auch noch am Ende sowie vor und nach dem Werbeblock in der Mitte der Sendung auftrat. Was für ein Kontrast zu den bunten Reklamefilmchen zwischendurch und den harmlos kichernden Mainzelmännchen! „Western von gestern“, das erstmals im Mai 1978, einige Monate vor meiner Einschulung, auf Sendung ging, bestand eigentlich nur aus zusammengeschnittenen amerikanischen B-Movies aus den 30er und 40er Jahren. Die eigentlich jeweils etwa 60 Minuten dauernden Folgen waren für die Fernsehausstrahlung auf je eine gute halbe Stunde eingedampft worden, wohl damit die Handlung nicht ganz so lahm wirken sollte. Die Folge war, dass man die inhaltlichen Zusammenhänge oft kaum nachvollziehen konnte, aber das machte überhaupt nichts. Entscheidend war die Stimmung, die Atmosphäre. Da waren ganze Kerle im wilden Westen unterwegs, rau und ungehobelt, und immer im Kampf gegen das Böse. Die Guten waren zur besseren Übersichtlichkeit meist hell gekleidet, die Bösen dunkel. Es herrschten stets klare Verhältnisse. Für gelegentliche humoristische Anklänge war ausschließlich eine Nebenfigur namens Fuzzy zuständig. Zugegeben, „Western von gestern“ war schon recht einfach gestrickt. Und doch: Was waren die Karl-May-Verfilmungen dagegen für ein weichgespülter Mist!

Für mich war „Western von gestern“ jahrelang der Höhepunkt meiner Fernsehwoche. Irgendwann in den unteren Schulklassen wurde ich von den olympiamedaillengeilen DDR-Sport-Talentejägern aufgrund meiner zarten Figur für eine Laufbahn als Turner ausgesucht. Da halfen keine Proteste. Meine Eltern meinten, ich solle ruhig viel Sport treiben, und schickten mich dreimal die Woche zum entsprechenden Training, auch am Freitagabend, sodass ich jede Woche „Western von gestern“ verpasste. Es war furchtbar. Ich empfand es auch einfach nur als zynisch, dass der sportliche Leiter das Training am liebsten mit den Worten beendete: „Und nun machen wir aber Schluss, damit ihr das Sandmännchen nicht verpasst.“ Mein Gott, das Sandmännchen! Das begann um 18:50 Uhr, just als „Western von gestern“ schon zu Ende war. Erst nach quälend langen Monaten gelang es mir, meine Eltern davon zu überzeugen, mich vom ungeliebten Training wieder abzumelden. Und endlich, endlich hatte ich wieder mein „Western von gestern“.

Für mich waren diese Cowboys, und ganz besonders der finstere Mann aus dem Vorspann, der Inbegriff der Coolness, auch wenn ich damals dieses Wort noch nicht kannte. Immer wieder spielte ich diese Anfangsszene mit meiner Plastik-Spielzeugpistole nach, summte dabei laut die drohende Begleitmusik und imitierte dann das zischende Schussgeräusch. Ganz besonders hatte es mir auch die Prügelszene aus dem Vorspann angetan. Mir gefiel darin vor allem der „Überwurftrick“, wie ich ihn damals nannte: Der Held wird von mehreren Gegnern attackiert, die er im Multi-Tasking durch gezielte Hiebe in alle Richtungen zurückdrängt, woraufhin seine Gegner auch alle prompt zu Boden sinken. Einer aber bedrängt ihn von hinten. Da packt der Held mit seinen Händen dessen Kopf, zieht mit dem Kopf auch gleich den ganzen Mann über sich selbst hinüber in die Luft und wirft ihn zu Boden. Unzählige Male habe ich bei den obligatorischen Rangeleien unter uns Jungs versucht, diesen „Trick“ anzuwenden. Natürlich ist es mir nie gelungen, nicht einmal ansatzweise. Niemanden, der mich von hinten gepackt hatte, konnte ich an dessen Kopf auch nur einen Zentimeter in die Luft ziehen. Manches funktioniert wohl einfach nur im Film…

An die letzte Folge von „Western von gestern“, die im Juli 1986 ausgestrahlt wurde, kann ich mich allerdings gar nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich waren für mich in der Pubertät andere Dinge wichtiger geworden. Aber heute lässt sich ja, welch ein Glück!, dank YouTube alles wieder neu erleben. Täät-täät-täät-täät-täät. Klirrrr.