Tag Archives: Sandra Hüller

justament.de, 1.4.2024: Banalität des Monströsen

Recht cineastisch, Teil 45: “The Zone of Interest” von Jonathan Glazer

Thomas Claer

Rudolf Höß ist ein Mann im besten Alter, ein rühriger Familienvater und dazu beruflich sehr engagiert. Von früh bis spät arbeitet er fleißig an seinem Projekt und wird dafür von allen Seiten mit Anerkennung und Lob überschüttet. Er habe wirklich Herausragendes geleistet, heißt es überall. Seine Frau und seine Schwiegermutter unterstützen ihn dabei nach Kräften, halten ihm zu Hause den Rücken frei. Eine ganz normale deutsche Familienidylle also. Der einzige Haken daran ist, was Rudolf Höß beruflich so gemacht hat: Drei Jahre lang, von 1940 bis 1943, war er Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, hat den Aufbau dieses Vernichtungslagers geleitet und sich auch schwierigen logistischen Detaillproblemen gewidmet wie der Beschaffung passender hochmoderner Verbrennungsöfen zur Beseitigung des vergasten Menschenmaterials.

Dass ein Film das zumindest bis heute mönströseste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, den Holocaust, auf solche Weise erzählt, nämlich aus Tätersicht und mit Fokus auf das alltägliche Klein-Klein, das hat es bisher noch nicht gegeben. In diese Lücke ist nun “Zone of Interest” des britischen Regisseurs Jonathan Glazer gestoßen, der mit dieser Glanzleistung zurecht sowohl beim Filmfest in Cannes als auch bei der Oscarverleihung in Los Angeles für Furore gesorgt hat. Eine sehr gute Entscheidung war es zweifellos, die Hauptrollen mit deutschen Schauspielern, Sandra Hüller und Christian Friedel, zu besetzen. Denn diese verkörpern ihre Charaktere sehr überzeugend und… wenn es angesichts dieser Thematik nicht so obszön klänge, könnte man fast sagen: authentisch.

Ob dieser durchweg leise, scheinbar unspektakuläre, aber immer anspielungsreiche Film sich wirklich so gut für ein Massenpublikum eignet, wie es die Zuschauerzahlen suggerieren, mag man bezweifeln. Dennoch bleibt es sein großes Verdienst, einem eigentlich nun wirklich auserzählten Stoff noch einmal eine andere Sichtweise auf ihn hinzugefügt und dabei das Andenken an die Opfer dieser Gräueltaten neu belebt zu haben. Und das zu einer Zeit, in der so manches Entsetzliche, das man längst überwunden geglaubt hatte, wieder sein fürchterliches Haupt erhebt…

The Zone of Interest
Großbritannien / Polen / USA 2023
106 Minuten; FSK: 12
Regie: Jonathan Glazer
Drehbuch: Jonathan Glazer
Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus u.v.a.

www.justament.de, 18.6.2018: Die im Dunkeln sieht man hier

Recht cineastisch, Teil 31: „In den Gängen“ von Thomas Stuber

Thomas Claer

Irgendwo in Ostdeutschland. Christian (Franz Rogowski), ein schüchterner junger Mann, ist neu im Logistikzentrum eines Großmarktes. Die Kollegen sind am Anfang nicht besonders nett zu ihm, werden es mit der Zeit aber dann doch. Und Christian, der sich zunächst nicht sonderlich geschickt anstellt, lernt eine Menge über die Arbeitsabläufe in den riesigen, tristen Hallen, wie man Paletten bewegt und Regale einräumt. Schließlich macht er sogar die Gabelstaplerprüfung. Die hier arbeiten, angestrengt und schlecht bezahlt, gehören in unserer glitzernden Konsumwelt nicht so recht dazu, gewährleisten mit ihrer unverzichtbaren Tätigkeit aber zuverlässig, dass alles so weiter funktioniert. Nach und nach lernen wir in Thomas Stubers Sozialdrama „In den Gängen“ auch die Vorgeschichte jener niedergedrückten Existenzen kennen. Alle tragen sie biographische Brüche, Frustrationen, Verletzungen mit sich herum.

Nun kann man Christians Job für öde und eintönig halten, und das ist er auch unzweifelhaft, doch schon bald ändert sich alles, als seine einige Jahre ältere Kollegin Marion (Sandra Hüller) aus der benachbarten Süßwarenabteilung in Christians Leben tritt. Zwar ist Marion anderweitig verheiratet, doch hält sie das nicht davon ab, sich dem konsternierten Christian auf recht eindeutige Weise zu nähern, ohne dabei jedoch gewisse Grenzen zu überschreiten. Der binnen kurzem völlig entflammte Christian zeigt daraufhin Marion auf anrührende Weise seine Liebe, etwa indem er ihr zum Geburtstag ein Yes-Torty mit Kerze überreicht. Von nun an ist für Christian jeder Arbeitstag ein Festtag, vorausgesetzt seine und Marions Schicht überschneiden sich, was längst nicht immer der Fall ist. Aber auch das geduldige Warten aufeinander versüßt den beiden Kollegen ihren Alltag nicht unbeträchtlich. Beinahe Tabu bleibt allerdings jeglicher Körperkontakt zwischen ihnen. Lediglich auf einer Betriebsfeier berühren sich einmal ihre Hände, und sie lehnen ihre Köpfe aneinander. Zu einem Kuss kommt es gar nicht; nicht einmal Begrüßungs- oder Verabschiedungs-Küsschen und/oder –Umarmungen sind drin, da die eher süd- und westdeutsch geprägte „Bussi-Kultur“ in Ostdeutschland abseits der Großstädte noch immer verpönt ist…

Dieser kleine, feine, am Ende sehr traurige Film erzählt so etwas wie das wahre Leben jenseits der glamourösen Welt der Schönen und Erfolgreichen. Und er zeigt uns nicht zuletzt, dass hier die zwischenmenschlichen Dramen nicht weniger interessant sind als etwa in Hollywood. Ganz im Gegenteil…

In den Gängen
Deutschland 2017
Regie: Thomas Stuber
Drehbuch: Thomas Stuber, Clemens Meyer
120 Minuten, FSK: 12
Darsteller: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, Andreas Leupold, Michael Specht u.v.a.