justament.de, 27.10.2025: Die Welt des Berufsoptimisten
“Erfolgreich zeitlos investieren” von Heiko Thieme
Thomas Claer
Der Optimist beginnt seinen Tag damit, dass er sich schon beim Erwachen denkt: Ich bin satt und halbwegs gesund. Ich habe ein Dach überm Kopf. Und nun kann ich loslegen und mein Gehirn in Bewegung setzen. Ist das nicht fantastisch? Mit solch einer lebensfrohen Grundeinstellung ist dann, das lernen wir aus dem jüngst erschienenen Buch “Erfolgreich zeitlos investieren” der mittlerweile 82-jährigen Börsenlegende Heiko Thieme, nichts mehr unmöglich.
Allerdings ist es wirklich kaum zu glauben, dass Altmeister Heiko Thieme, der zeitlebens mehrere zehntausend Seiten an Artikeln, Kolumnen und Börsenbriefen verfasst hat, erst jetzt, im neunten Lebensjahrzehnt stehend, sein Debüt als Buchautor gegeben hat. Aber vermutlich hat ihm bislang einfach die Zeit dafür gefehlt. Er ist ja ständig auf Achse. Nun erhält man als Leser also endlich in komprimierter Form das, was dieser “globale Anlagestratege” als sein Erfolgsrezept bei der Geldanlage ansieht. Doch das ist, rein quantitativ gesehen, weniger, als man denken könnte. Von den rund 200 Seiten muss man zunächst noch die einleitenden und zwischendurch eingeschobenen kommentierenden Passagen seines Co-Autors Andreas Scholz in Abzug bringen, außerdem einige grundlegende Betrachtungen über die Aktienanlage an sich (an der selbstredend kein Weg vorbeiführt) sowie ein paar zig Seiten über sein Weltbild (Optimismus ist Pflicht), seine politische Einstellung (Freiheit geht über alles), seine Jahrzehnte zurückreichenden Börsen-Erlebnisse (eine Anekdote reiht sich an die nächste) und seine Hobbys (Marathonlaufen, Bergsteigen, im Kleinflugzeug fliegen, Schachspielen, Zaubertricks aufführen sowie Whisky trinken und im Keller horten).
Auf die eigentliche Anlagestrategie entfallen dann gerade einmal 80 Seiten – doch die haben es dafür wirklich in sich. Thieme erläuert hier ausführlich seine überaus durchdachte konsequent antizyklische Vorgehensweise einschließlich seiner berühmten Drei-Drittel-Strategie. Das klingt alles sehr plausibel und dürfte, wenn man sich als Privatanleger daran hält, wohl auch ganz passabel funktionieren. Allerdings ist dies natürlich nur eine von vielen denkbaren Methoden, an der Börse gewinnbringend zu agieren. Es ist ja inzwischen hinreichend wissenschaftlich untersucht worden, welche Börsenstrategien am erfolgreichsten sind: nämlich in manchen Marktphasen die einen und in anderen Marktphasen die anderen. Ein paar Jahre oder sogar Jahrzehnte lang funktionieren Value- und Dividendenstrategien am besten, dann führen diese jedoch zu Underperformance, und stattdessen bringen Wachstums- oder Trendfolgestrategien weitaus mehr ein. Manchmal sind sogar Charttechnik und technische Analyse über längere Zeiträume sehr erfolgreich. Die Crux ist nur, dass sich das alles in der Rückschau leicht feststellen lässt, aber man niemals vorher weiß, was künftig wohl am besten klappen wird. Insofern ist es auch bezeichnend, dass ein unbestrittener Könner wie Heiko Thieme als Fondsmanager in den Neunzigern dreimal für den besten, aber auch einmal für den schlechtesten Fonds des Jahres “ausgezeichnet” wurde.
Was kann man als Privatanleger also tun? Entweder man sucht sich unter den besagten Methoden diejenige aus, die einem selbst am ehesten einleuchet oder die am besten zu einem passt, und bleibt dann dabei. Besser irgendeine Strategie, als gar keine Strategie an der Börse, wird oft gesagt. Oder man kombiniert die Methoden oder nimmt mal die eine und mal die andere – oder man denkt sich selbst etwas Eigenes und Neues aus. Vieles ist möglich, aber nur allzu oft erweist sich dann rückblickend: Wie man es auch macht, macht man es verkehrt, und hinterher ist man immer klüger. Nüchtern betrachtet spricht viel dafür, dass es am wichtigsten ist, überhaupt langfristig in Aktien investiert zu sein – und sei es nur mit ganz profanen ETFs.
Seit fast anderthalb Jahrhunderten, das betont auch Heiko Thieme immer wieder, liegt die durchschnittliche Jahresperformance in den meisten Indizes inklusive Dividenden bei acht bis neun Prozent, was das anhaltende globale Wirtschaftswachstum seit Beginn der Industrialisierung spiegelt bzw. immer ein Stück über diesem liegt. Und angesichts der gegenwärtigen und erst recht auch künftig zu erwartenden revolutionären technischen Innovationen sollte doch auch auf lange Sicht mindestens soviel drin sein. Andererseits erleben wir gerade in unserer Gegenwart, wie destruktive politische Akteure im Begriff sind, den Welthandel lahmzulegen, was dann letztlich auch die Börsen beeiträchtigen würde. Doch zumindest Dauer-Optimist Heiko Thieme gibt hier Entwarnung: Selbst zwei Weltkriege und diverse Weltwirtschaftskrisen hätten die Aktienkurse bislang nicht davon abhalten können, sich letztendlich doch immer wieder zu erholen und neue Rekordstände zu erreichen. Und das werde auch in Zukunft so sein. “Denn eines ist sicher: Die Welt wird nicht untergehen. Und sollte ich mich täuschen, dann spielt es auch keine Rolle mehr.”
Bleibt nur noch kritisch anzumerken, dass sich der große und grundsympathische Heiko Thieme an einer nicht ganz unwesentlichen Stelle in seinem Buch kolossal verrechnet hat. Auf S. 74 heißt es: “Im besten Falle sollte schon bei der Geburt für jede und jeden ein Depot angelegt und dann sukzessive darin eingezahlt und die Gelder an der Börse investiert werden. Und hier kommt meine Regel für ein erfolgreiches zeitloses Investieren an der Börse: Das jeweilige Lebensjahr sollte mit 100 multipliziert werden . Dies entspricht dann dem Betrag der dann im entsprechenden Jahr angelegt werden sollte. Im 20. Lebensjahr wären das also 2.000 Euro. Im 21. Lebensjahr wäre es 2.100 Euro und so weiter. Rechnet man diese Summen hoch, so kommt man bis zur Pension – ich halte wegen der steigenden Lebenserwartung ein höheres Pensionsalter von 70 Jahren für gerechtfertigt – auf eine Gesamtsumme von rund 222.500 Euro. Nehmen wir dann nur eine durchschnittliche Performance in Höhe von 8 bis 9 Prozent pro Jahr an, dann hat dieser Anleger bis zu seiner Pension ein Gesamtvermögen von 1,25 Millionen Euro aufgebaut. Ich finde diese Zahlen immer wieder eindrucksvoll…”
Schon auf den ersten Blick ist in mir der Verdacht aufgestiegen, dass das nicht stimmen kann, denn allein die ersten 2.000 Euro im 20. Lebensjahr werden bei einem angenommenen jährlichen Wertzuwachs von 9 Prozent innerhalb von 50 Jahren zu mehr als 230.000 Euro. Und es kommen ja anschließend noch 49 weitere jährliche EInzahlungen ins Depot hinzu, die ebenfalls viele Jahre lang “arbeiten” können. Es müssen am Ende also weitaus mehr als “nur” 1,25 Millionen zusammenkommen. Mit Hilfe der KI “Le Chat” habe ich es dann mal durchgerechnet (“Perplexity” hat es nicht geschafft) und komme so auf einen Wert von 12,8 Millionen Euro (!) – und das bei den besagten wirklich sehr bescheidenen eingezahlten Summen! Welch eine Ironie, dass der oftmals als “Phantast” angesehene Heiko Thieme, der an anderer Stelle den möglichen DAX-Stand am Ende unseres Jahrhunderts korrekt auf 11 Millionen extrapoliert (S.121 ff.), hier den Zinseszinseffekt außer Acht gelassen hat. Jenen Zinseszinseffekt, den Albert Einstein als “das achte Weltwunder” bezeichnet und noch hinzugefügt hat: “Das verstehen nur die wenigsten, und alle anderen müssen es bezahlen.” Die langfristige Geldanlage in Aktien, das folgt daraus, kann also sogar noch zehnmal mehr einbringen, als selbst der Berufsoptimist Heiko Thieme es sich träumen lässt…
Alles in allem ist Heiko Thieme somit ein aufschlussreiches, anregendes und unterhaltsames Börsen-Buch gelungen, in dem auch die Schlusspointe sitzt: Die beste Investition seines Lebens? Das sei die Ehe mit seiner Frau, und seine Kinder und Enkelkinder seien die Dividenden.
Heiko Thieme
Erfolgreich zeitlos investieren. Die Anlagestrategien der Börsenlegende
Finanz Buch Verlag, 1. Auflage 2025
206 Seiten; 25,00 Euro
ISBN: 978-395972-616-0
justament.de, 25.11.2019: Prima leben und sparen
Florian Wagner verspricht „Rente mit 40. Finanzielle Freiheit und Glück durch Frugalismus“
Thomas Claer
Dieses Thema ist zurzeit so richtig en vogue. Was sich früher nur ein paar versprengte Außenseiter auf die Fahne geschrieben hatten, findet neuerdings immer mehr Anhänger: durch konsequentes Sparen und kluges Investieren nach und nach so viel regelmäßiges passives Einkommen generieren, dass man irgendwann davon leben kann und nicht mehr auf die Mühsal der Erwerbsarbeit angewiesen ist. Dass dies gelingen kann, ohne zum kleinkarierten Pfennigfuchser zu werden, und für die Betreffenden sogar einen erheblichen Gewinn an Lebensfreude mit sich bringen kann, zeigt die einschlägige Publikation „Rente mit 40“ von Florian Wagner (Jahrgang 1987). Dieser hat es zwar selbst noch nicht ganz zum Privatier gebracht, gleichwohl aber schon vor einigen Jahren seinen gut bezahlten Job als Projektleiter in der Automobilindustrie gekündigt und ist nun als freier Buchautor, Blogger und Anbieter von Seminaren tätig – zum Thema Frugalismus, versteht sich.
Frugalismus? Hinter diesem Begriff, den noch längst nicht jeder kennen dürfte, verbirgt sich die Grundhaltung, dass Geld nicht nur zum Verkonsumieren da sein muss, sondern klug eingesetzt auch zur Gestaltung des eigenen Lebens nach eigenen Vorstellungen dienen kann. Frugalisten geht es also vor allem darum, das zu genießen und wertzuschätzen, was sie haben, und sich mit ihren durch disziplinierte Konsumvermeidung akkumulierten Mitteln auf lange Sicht ein freies und unabhängiges Leben aufzubauen. Aber braucht man das überhaupt? Zumindest würden es sich wohl viele wünschen…
Doch sollte nun niemand erwarten, dass der Autor auf diesen knapp 300 Seiten eine Art Geheimwissen ausbreitet. Vielmehr sind es tausend ganz normale, ja regelrecht banale Dinge, auf die jeder halbwegs durchschnittlich vernunftbegabte Mensch auch ohne weiteres selbst kommen könnte. Und dennoch gibt es nur wenige, die diesen Weg konsequent zu Ende gegangen sind. Das Buch stellt eine Reihe von ihnen vor: Es sind hauptsächlich Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Seminare des Verfassers sowie Leser seines Blogs. Insofern ist das Buch eine Mischung aus Ratgeber, Manifest und Sozialreportage geworden – mit Schwerpunkt auf letzterem, eine Art „37 Grad“ in Buchform, nur noch viel detaillierter. Viele Menschen, so erfahren wir, benutzen allerhand Spartricks, um sich immer aufs Neue zu motivieren und bei der Stange zu halten. Andere wiederum sparen einfach so aus Spaß an der Freude und berauschen sich daran, wenn sie wieder etwas mehr Vermögen angehäuft haben, während Geldausgeben ihnen keine wirkliche Freude bereitet.
Getreu dem Motto eines der Porträtierten: „Finanzielle Unabhängigkeit hat zu 80 Prozent etwas mit dem eigenen Verhalten und nur zu maximal 20 Prozent mit der Höhe des Einkommens und dem Anlageerfolg zu tun“ beleuchtet das Buch die vielfältigsten Lebenssituationen im Hinblick auf ihre Sparpotentiale. Daraus ergeben sich auch allerhand Überschneidungen zwischen dem hier propagierten Frugalismus und anderen teils verwandten Lebenshaltungen wie dem Minimalismus, Sportlichkeit, Gesundheits- und Umweltbewusstsein, Bastlertum und dem Hang zu Gebrauchtwaren.
Viel gewonnen ist insbesondere schon dadurch, bestimmte grundlegende Fehler beim Umgang mit den eigenen Finanzen zu vermeiden, die jeden Sparerfolg ausschließen. Für den erprobten Sparfuchs ist all dies natürlich altbekannt: Rauchen geht selbstverständlich gar nicht; Alkohol am besten auch nicht, aber wenn, dann zu Hause und nicht in der Bar; Konsum auf Kredit muss Tabu bleiben; Essen und Trinken werden niemals unterwegs gekauft, sondern stets von zu Hause mitgebracht, und wenn doch, dann wenigstens nicht am nächsten Kiosk erworben, sondern ein paar Schritte weiter im Supermarkt; natürlich kauft man keine Markenprodukte, sondern die zumeist ebenso guten, aber viel günstigeren No-Name-Waren, nach Möglichkeit beim Discounter und wenn es geht, was gerade im Angebot ist; ungesundes Zeug wie Fertig-Essen oder gesüßte Getränke kommt grundsätzlich nicht in die Tüte, dafür viel frisches Obst und Gemüse sowie Getreideprodukte; damit wird dann auch regelmäßig selbst gekocht statt ins Restaurant zu gehen; ein Auto braucht, wer nicht gerade auf dem Lande lebt, auch nicht; wer viel zu Fuß geht und Fahrrad fährt, spart sich außerdem das Fitness-Center, vor allem wenn ergänzend noch regelmäßig weitere sportliche Übungen zu Hause und in der Natur absolviert werden; überhaupt hilft viel Bewegung an frischer Luft nachhaltig dabei, die eigene Stimmung zu verbessern, sodass man gar nicht erst auf die Idee kommt, Geld für etwaige Frustkäufe auszugeben; statt neuer Produkte kauft man grundsätzlich Gebrauchtes über Ebay-Kleinanzeigen; Energie sparen sollte man natürlich auch noch, wo es geht; und schließlich noch ganz wichtig: die angesparten Rücklagen gehören ab einer bestimmten Größenordnung keinesfalls auf ein Sparkonto, sondern in ein Wertpapierdepot mit einfacher, aber effizienter Strategie: zwei ETFs genügen schon, einen auf den MSCI-World Index und einen auf den MSCI Emerging Markets Index; und dann sollte man natürlich sehen, schnellstmöglich nicht mehr zur Miete zu wohnen, sondern in den eigenen vier Wänden.
Wer diese genannten Grundsätze auch nur halbwegs beachtet, hat exzellente Chancen, früher oder später finanziell ausgesorgt zu haben. Doch sind nahezu alle im Buch vorgestellten Vertreter des Frugalismus in gut bezahlten Jobs tätig oder tätig gewesen. Wie ist es nun aber mit Geringverdienern? Nur knapp geht das Buch auch auf ihren Fall ein und macht ihnen zumindest Hoffnung, ihre Situation durch Sparen und Investieren signifikant verbessern zu können, wenn auch für sie der Weg zur finanziellen Freiheit in aller Regel deutlich beschwerlicher sein dürfte.
Doch wie sieht es mit Familien aus? Ist Frugalismus denn nicht nur etwas für bescheidene Singles und wird zum aussichtslosen Unterfangen, sobald Kinder ins Spiel kommen, die doch bekanntlich enorm teuer und unersättlich in ihrem Wunsch nach immer mehr Spielsachen sind? Überraschenderweise sagt das Buch, dass beides besser zusammengehen könne als gedacht. Viele Kinder, so heißt es, schätzten es sogar weitaus mehr, wenn ihre Eltern viel Zeit mit ihnen verbrächten statt nur mit immer neuem Spielzeug bespaßt zu werden.
Und noch ein ernster Punkt wird angesprochen, der keineswegs nur ein Luxusproblem ist: Wie verkraftet man es, wenn man bereits ausgesorgt hat und die erste Euphorie verflogen ist, psychisch, als noch relativ junger Mensch gar nicht mehr erwerbstätig zu sein? Daran denken manche tatsächlich erst, wenn sie schon in ein tiefes mentales Loch gefallen sind. Es empfiehlt sich daher unbedingt, sich rechtzeitig und vorausschauend neue Aufgaben zu suchen, die einem Freude bereiten und regelmäßig das Gefühl geben, etwas Sinnvolles getan zu haben…
Ansonsten ist das Buch in weiten Teilen interessant zu lesen (manchmal allerdings dann doch zu ausführlich und weitschweifig). Es nimmt beinahe jeden Aspekt des Frugalismus unter die Lupe – bis auf einen ganz wesentlichen, der nur in wenigen Zeilen und viel zu oberflächlich behandelt wird: Kann der Frugalismus wirklich für alle taugen? Was würde passieren, wenn – der kategorische Imperativ lässt grüßen – plötzlich alle so leben würden, wie es im Buch (mitunter etwas aufdringlich) regelrecht propagiert wird? Vermutlich würde unsere Gesellschaft dann eine andere sein, ganze Wirtschaftszweige würden zusammenbrechen, zumindest alle, die irgendwie mit Luxus und Konsum zu tun haben, und das sind nicht wenige. Sollte sich ein solcher Lebensstil gar irgendwann in der ganzen Welt durchsetzen, dann würde das mit der Erzielung eines passiven Einkommens wohl nicht mehr lange funktionieren. Irgendjemand müsste ja schon die anfallende Erwerbsarbeit verrichten, müsste auch mal sinnlos konsumieren, um die Frugalisten zu versorgen. Soll heißen: Die propagandistischen Frugalisten sägen munter am Ast, auf dem sie selbst sitzen. Besser beraten wären sie, ihren Lebensstil nicht zu sehr an die große Glocke zu hängen, sondern ihn lieber still zu genießen….
Florian Wagner
Rente mit 40. Finanzielle Freiheit und Glück durch Frugalismus
Econ Verlag 2019
302 Seiten; 14,99 Euro
ISBN: 978-3-430-21017-1
